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© 2020 Brian Stauffer für Human Rights Watch

(Beirut) – Staatliche sowie nicht-staatliche Akteure in Syrien haben gegen Männer, Jungen, Transgender Frauen und nicht-binäre Menschen sexuelle Gewalt angewendet. Die Betroffenen erlitten schwere physische und mentale Verletzungen, die durch mangelnde Hilfsangebot im Libanon noch verschärft werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.  

Der 77-seitige Bericht “‘They Treated Us in Monstrous Ways’: Sexual Violence Against Men, Boys, and Transgender Women in the Syrian Conflict” dokumentiert, wie Männer und Jungen seit Beginn des Konflikts in Syrien sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Schwule und bisexuelle Männer, Transgender Frauen sowie nicht-binäre Menschen wurde immer stärker attackiert wegen ihrer tatsächlichen oder wahrgenommen sexuellen Orientierung oder Gender-Identität, so berichteten Gesprächspartner. Transgender Frauen werden in Syrien oft als schwule Männer gesehen und aus diesem Grund angegriffen.

„Schwule und bisexuelle Männer, Transgender Frauen sowie nicht-binäre Menschen berichteten, dass sie sexueller Gewalt während des Konflikts ausgesetzt waren, weil sie als „weich“ gelten“, sagt Zeynep Pınar Erdem, Fellow in der LGBT-Abteilung von Human Rights Watch und Autorin des Berichts. „Männer und Jungen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Gender-Identität – sind in Syrien sexueller Gewalt ausgesetzt. Oft bleibt dies im Dunkeln. Sie erhalten nicht die Unterstützung, die Überlebende sexueller Gewalt eigentlich dringend benötigen.“

Human Rights Watch hat im Libanon mit 40 schwulen und bisexuellen Männern, Transgender Frauen, nicht-binären Menschen sowie vier heterosexuellen Männern gesprochen. Alle haben sexuelle Gewalt in Syrien erlitten.

Sie berichteten davon, dass sie an Checkpoints eingeschüchtert und sexuell missbraucht wurden, weil sie „weich” aussahen, d.h. sie galten als weiblich. In Hafteinrichtungen wurden die Gefangenen besonders hart verhört oder schwer gefoltert, wenn ihre sexuelle Orientierung oder Gender-Identität bekannt wurde. Auch innerhalb der syrischen Armee gab es sexuelle Gewalt. Die befragten Personen sagten, dass sie vergewaltigt und ihre Geschlechtsorgane verletzt wurden, ihnen mit Vergewaltigung gedroht wurde, sie sich nackt ausziehen mussten und sexuell beschimpft wurden.

Überlebende berichteten auch, dass sie sich nicht an medizinische Einrichtungen in Syrien gewandt haben: Sie empfanden Scham, hatten Angst und befürchteten Stigmatisierung. Auch hatten sie kein Vertrauen in das Gesundheitssystem. Wenn sie in den Libanon geflohen sind, war dort die Hilfe durch humanitären Organisationen oft sehr begrenzt und nicht angemessen. Es standen weder genug Geld noch die passenden Mittel zur Verfügung, um männliche Überlende sexueller Gewalt zu versorgen. Es fehlte die entsprechende Ausbildung oder die traumatischen Erfahrungen wurden nicht ernst genommen. Dies verschärfte die schlechte Behandlung und führte zur Retraumatisierung.   

Die Überlebenden beschrieben eine Reihe von emotionalen und psychologischen Symptomen, u.a. Depression, post-traumatischer Stress, sexuelle Traumata, Hoffnungslosigkeit und paranoide Gedanken. Auch litten sie an den körperlichen Folgen, wie starken Schmerzen am Rektum und an den Geschlechtsorganen, rektalen Blutungen und Muskelschmerzen. Manche befürchteten, dass sie sich mit sexuell-übertragbaren Krankheiten, wie HIV, angesteckt hatten.

Der UN-Sicherheitsrat hat in Resolution 2106 im Jahr 2013 zum ersten Mal festgestellt, dass sexuelle Gewalt in bewaffneten Koflikten auch gegen Männer und Jungen eingesetzt wird. Der UN-Hochkomissar für Flüchtlinge und Nichtregierungsorganisationen, wie All Survivors Project, Women’s Refugee Commission, Lawyers & Doctors for Human Rights und The Refugee Law Project, haben immer wieder die Art und das Ausmaβ sexueller Gewalt gegen Männer und Jungen in Syrien und anderswo dokumentiert. Auch haben sie auf die spezifische Unterstützung hingewiesen, die die Betroffenen benötigen.  

Im März 2018 hat die Internationale Unabhängige Untersuchungskomission für die Arabische Republik Syrien einen Bericht vorgelegt, in dem sexuelle Gewalt gegen Männer und Jungen detailliert dokumentiert wurde. Am 23. April 2019 hat der UN-Sicherheitsrat Resolution 2476 über sexuelle Gewalt in bewaffneten Koflikten verabschiedet und darin bestätigt, dass Männer und Jungen Opfer sexueller Gewalt werden – sowohl während eines Konflikts als auch in der Zeit danach. Die Resolution spricht sich auch für mehr medizinische und psychologische Unterstützung für die Überlendenden aus und fordert die UN-Mitgliedstaaten auf, dass der Zugang dazu ohne jegliche Diskriminierung und entsprechend der notwendigen Behandlung gewährt wird.

Humanitäre Organisationen und Gesundheitseinrichtungen im Libanon sollen gezielt medizinische Dienste anbieten, auch psychologische Beratung, sowohl für Männer als auch für Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Ihre Mitarbeiter, die Betreuer für einzelne Fälle, Sozialarbeiter und medizinisches Personal, sollen entsprechend der speziellen Bedürfnisse von Männer, Jungen und Transfrauen ausgebildet werden.

„Männer, Jungen und Transfrauen empfinden oft tiefe Scham, Stigmatisierung und Schweigen wegen sexueller Gewalt. Die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen dafür müssen in Frage gestellt werden“, sagt Erdem. „Es muss mehr Geld geben; der Zugang zu Hilfsleistungen muss verbessert werden; und die Betroffenen müssen besser betreut werden, ohne jedoch dass Gelder für weibliche Opfer sexueller Gewalt abgezogen werden.“

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