Update vom 22. Juni 2017
Was ist Trumps „Mexico City Policy”, auch bekannt unter dem Begriff „Global Gag Rule”?
Am 23. Januar 2017 hat US-Präsident Donald Trump ein „Presidential Memorandum Regarding the Mexico City Policy” erlassen. Dieser Erlass setzte die sog. Mexico City Policy wieder in Kraft und weitete sie sogar noch dramatisch aus. Seit 1984 haben verschiedene republikanische Präsidenten diese Politik immer wieder zu neuem Leben erweckt.
Am 15. Mai hat Außenminister Rex Tillerson das Programm Protecting Life in Global Health Assistance gebilligt, um diese neue Politik umzusetzen. Seit 1973 ist es gesetzlich verboten, US-Gelder für ausländische Entwicklungshilfe zu nutzen, die im Zusammenhang mit Abtreibungen stehen.[1] Die Mexico City Policy ist eine zusätzliche Anordnung, die darüber noch hinausgeht. Sie verbietet ausländischen Organisationen, die finanzielle Mittel von der US-Regierung für Gesundheitsprogramme erhalten, auch ihre nicht-amerikanische Mittel für folgende Maßnahmen zu nutzen:
- Durchführung von Abtreibungen;
- Beratung von Patienten über Möglichkeit einer Abtreibung oder die Überweisung von Patienten für eine Abtreibung;
- Einsatz für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetze.
Diese Politik ist bekannt unter dem Namen Global Gag Rule, weil sie Organisationen vorschreibt, wie sie Mittel, die nicht von der US-Regierung stammen, nutzen dürfen. So wird Gesundheitsdienstleistern beispielsweise vorgeschrieben, wie lange sie mit ihren Patienten sprechen dürfen. Zudem werden sie davon abgehalten, sich für gesetzliche Änderungen im jeweiligen Land einzusetzen.
Warum ist Trumps Version so viel schlimmer als frühere Fassungen? Warum sagen Gesundheitsexperten, dass die Folgen verheerend sein werden?
Unter früheren republikanischen Regierungen bezogen sich die Einschränkungen der Mexico City Policy ausdrücklich auf die US-Mittel für Familienplanung, also auf etwa 575 Millionen US-Dollar.
Trumps Politik weitet die Einschränkungen nun auf alle Mittel für die Gesundheitsversorgung weltweit aus. Das könnte somit bis zu 8,8 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung von Familienplanung, Gesundheit von Müttern und Kindern, Ernährung und HIV/Aids betreffen – darunter The President’s Plan for Emergency Relief for AIDS PEPFAR[2], die Prävention und Behandlung von Tuberkulose, Malaria (enschließlich der Malaria-Initiative des Präsidenten), Infektionskrankheiten, vernachlässigte Tropenkrankheiten und selbst Programme zu Wasserversorgung, sanitären Einrichtungen und Hygiene.[3]
Die gesamten Auswirkungen sind noch nicht abzusehen, sie dürften aber schweren Schaden zufügen.
- Als größte Geber im Gesundheitsbereich weltweit werden die USA den Fortschritt im Gesundheitswesen behindern.
- Frauen und Mädchen in ca. 60 Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen werden weniger Zugang zu Verhütungsmitteln haben, was zu mehr ungewollten Schwangerschaften und mehr – oft unsicheren - Abtreibungen führen wird.
- Die Einschränkungen werden zu einer höheren Zahl an Todesfällen führen, aufgrund von unsicheren Abtreibungen und mehr Fällen von ungewollten Schwangerschaften an Orten, wo die Müttersterblichkeit ohnehin bereits hoch ist.
- Gesundheitsprogramme, die die finanzielle Unterstützung der USA verlieren, müssen eventuell auch Leistungen für die Gesundheit von Neugeborenen, Säuglingen und Kindern streichen, darunter auch Impfungen. Gleiches gilt für die Vorbeugung und Behandlung von HIV und Aids, Malaria und Tuberkulose sowie für Ernährungsprogramme.
- Die Einschränkungen machen die nötigen finanziellen Mittel zu einem Instrument, um die Aktivitäten und die Meinungsfreiheit von Aktivisten und Gesundheitsdienstleistern in anderen Ländern zu beschneiden und sie so davon abzuhalten, Informationen über Abtreibungen zu teilen oder über potentielle Reformen der Abtreibungsgesetze zu diskutieren, ohne die finanzielle Unterstützung der USA zu verlieren.
Was bedeutet dies in der Praxis?
Eine Nichtregierungsorganisation gibt beispielsweise 50 Prozent ihres Budgets für Leistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit aus, etwa für Beratungen, Überweisungen oder andere Leistungen, die im Zusammenhang mit Abtreibungen stehen. Diese 50 Prozent werden nicht von den USA gestellt. Sie erhält jedoch die restlichen 50 Prozent ihre Budgets von den USA für Impfungen von Säuglingen, Nahrungsergänzungsmittel oder die Behandlung von HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose. Diese Organisation muss sich nun entscheiden, ob sie auf die US-Mittel verzichtet – und damit die Hälfte ihres Budgets verliert - oder ihre Leistungen zur reproduktiven Gesundheit streicht. Wenn sich Organisationen diesen Vorgaben unterwerfen, dann müssen sie auch Mittel zur Verfügung stellen, um zusätzlichen Anforderungen bei der Berichterstattung gerecht zu werden.
In jedem Fall werden Gesundheitsdienste in schlecht versorgten Gebieten leiden. In vielen Regionen bieten die betroffenen Organisationen die einzige Möglichkeit, um diese Maßnahmen erhalten.
Warum ist die sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung so wichtig?
Frauen und Mädchen haben das – durch internationales Recht geschützte - Menschenrecht, selbst zu entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen. Ungewollte Schwangerschaften können zu einer Beeinträchtigung weiterer Rechte führen, so z.B. wenn die Schulbildung des betroffenen Mädchens abgebrochen wird, es zu einer Kinderehe oder zu gesundheitlichen Komplikationen führt oder sogar das Leben der Frau in Gefahr ist.
- Schätzungen zufolge würden 225 Millionen Frauen in Entwicklungsländern gerne einer Schwangerschaft vorbeugen oder diese zeitlich verschieben, nutzen jedoch keine Verhütungsmittel. Hauptgründe hierfür sind u.a. der begrenzte Zugang zu Verhütungsmitteln und die schlechte Qualität der Versorgungsangebote.
- Komplikationen während einer Schwangerschaft oder einer Geburt sind die zweithäufigste Todesursache weltweit bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren.
- Täglich sterben mehr als 800 Frauen und Mädchen weltweit an vermeidbaren Ursachen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft oder einer Geburt, darunter unsichere Abtreibungen.
- Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass mindestens 22.000 Frauen jedes Jahr an Komplikationen sterben, die durch Abtreibungen hervorgerufen wurden.
Was wissen wir darüber, welche Auswirkungen frühere Versionen der Global Gag Rule hatten?
Frühere Fassungen der Global Gag Rule führten dazu, dass Organisationen, die sich gegen die US-Mittel entschieden, Personal und Leistungen kürzen und manchmal sogar Kliniken schließen mussten. Auf der anderen Seite berichteten Organisationen, die sich an die Beschränkungen hielten, um ihre US-Mittel nicht zu verlieren, ihnen wäre ein Knebel verpasst worden, wodurch sie ihre Patienten nicht mehr mit vollständigen und korrekten Informationen versorgen und sich nicht mehr für die Reform von restriktiven Abtreibungsgesetze einsetzen durften.
Im Jahr 2009 beispielsweise dokumentierte Human Rights Watch, dass die Mittel für die Gesundheitsversorgung von Müttern in Peru stark beeinträchtigt wurde. Organisationen durften nicht mehr unterstützt werden, die die Mittel dazu nutzten, Informationen über sog. therapeutische Abtreibungen zu verbreiten oder diese durchzuführen, wenn die Gesundheit der Mutter dadurch erhalten wird oder sie wegen schwerer Fehlbildungen von nicht lebensfähigen Föten durchgeführt wird. Eine neue Studie der Kaiser Family Foundation hat dokumentiert, dass fast 40 Länder, die US-Unterstützung für Gesundheitsprogramme erhalten, legale Abtreibungen unter mindestens einer Indikation erlauben, die unter der Trump-Anordnung nicht erlaubt ist.[4]
Wenn Gelder für die Familienplanung zurückgehen, dann führt dies zu mehr ungewollten Schwangerschaften, Abtreibungen und einer höheren Müttersterblichkeit. Eine Studie der Stanford University hat nationale Daten aus 20 Ländern in Subsahara-Afrika untersucht, die zwischen 1994 und 2008 erhoben worden waren. Demnach stieg die Zahl der induzierten Abtreibungen in den Ländern stark an, die von der Global Gag Rule am stärksten betroffen waren. In Ländern, die weniger davon betroffen waren, blieb die Zahl relativ stabil.[5]
Gibt es Ausnahmen?
Trumps Mexiko City Policy gilt nicht für humanitäre Hilfe, einschließlich staatlicher Migrations- und Flüchtlingshilfe des Außenministeriums oder Katastrophen- und humanitäre Hilfsmaßnahmen des Verteidigungsministeriums. Allerdings hat die Trump-Regierung Zahlungen an den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Population Fund, UNFPA) gestoppt, der wichtige Unterstützung bei der Familienplanung und der mütterlichen Gesundheitsvorsorge im humanitären Bereich leistet. Die USA stellten 69 Millionen Dollar zur Verfügung, davon 38,3 Millionen Dollar, die direkt für humanitäre Krisen verwendet wurden. Die USA waren damit einer der größten Geldgeber des UNFPA.
Weitere Ausnahmen sind die Grundlagenforschung im Bereich Gesundheit, ein Programm für Schulen und Krankenhäuser im Ausland und sogennante „Food for Peace“ Programme. Laut des Außenministeriums gilt die neue Politik aber für die anwendungsbezogene, operative oder programmatische Forschung, Datenerhebungen, Bedarfsanalysen und den damit verbundenen Kapazitätsaufbaus zur Verbesserung der Programme.
Es gibt Ausnahmen für Abtreibungen, Beratungen oder Überweisungen, wenn Lebensgefahr besteht, bei Vergewaltigung oder Inzest und für die Behandlung nach Abtreibungen. Dazu gehören Verletzungen durch legale und illegale Abtreibungen. Diese Ausnahmen waren auch in der früheren Version der Global Gag Rule bereits vorhanden, waren jedoch nicht bekannt, wurden nicht verstanden oder angewendet. „Passive Überweisungen“ – dh. eine Überweisung als Antwort auf die spezifische Frage einer schwangeren Frau, die bereits entschieden hat, dass sie abtreiben möchte – sind auch möglich, wenn es die medizinische Ethik erfordert.
Wann und wie wird die Global Gag Rule in Kraft treten?
Der Plan zur Umsetzung der Gobal Gag Rule trat am 15. Mai in Kraft. Die Umsetzung wird sich immer stärker auf die Programme auswirken. Die „standard provisions“, die die Einschränkungen explizit machen, werden allen neuen Zuwendungen, Kooperationsvereinbarungen und Zuschüssen im Rahmen von Verträgen oder bei Änderungen bestehender Finanzierungsvereinbarungen beigefügt. Die Regel gilt für Organisationen, denen vertraglich Gelder zugesichert werden. Allerdings entwickelt eine sogenannte ressortübergreifende Gruppe immer noch Regeln, um die Änderungen umzusetzen.
Was kann getan werden?
Die Finanzlücke bei Einrichtungen, die umfassende Leistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit anbieten, darunter sichere und legale Abtreibungen, muss geschlossen werden, und die Einrichtungen müssen unterstützt werden. Tatsächlich wird Trumps Global Gag Rule einige Organisationen in schwere finanzielle Nöte bringen, die erstklassige Leistungen bieten in einigen der am schlechtesten versorgten Regionen und Staaten. Die Vereinigten Staaten sind der größte finanzielle Unterstützer von Gesundheitsinitiativen weltweit. Die fehlenden US-Mittel werden kaum aufzufangen sein, jedoch ist es nun überlebenswichtig, die Mittel aus anderen Quellen aufzustocken und zu streuen.
Einige Regierungen haben sich öffentlich dazu bekannt, ihre Unterstützung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit auszuweiten, ohne dies mit Einschränkungen bei Abtreibungen zu verbinden. Die niederländische Regierung hat etwa die internationale „She Decides”-Fundraising-Initiative ins Leben gerufen, um Organisationen zu unterstützen, die von der „Global Gag Rule“ betroffen sind. Beim ersten Gipfeltreffen am 2. März 2017, das von Belgien, Dänemark, den Niederlanden und Schweden ausgerichtet wurde, wurden Mittel in Höhe von etwa 190 Millionen US-Dollar zugesagt.
Langfristig ist es wichtig, dass US-Gelder im Bereich Gesundheit verlässlich zur Verfügung gestellt werden. Es ist nicht hilfreich und kontraproduktiv für die Organisationen weltweit, die im Bereich Gesundheit arbeiten, wenn sich die US-Politik nach jeder Präsidentenwahl dramatisch verändert. Ein Gesetzesentwurf in den USA, der sog. HER Act, würde die Mexico City Policy (Global Gag Rule) endgültig aufheben. Zwar ist es höchst unwahrscheinlich, dass dieses Gesetz im Kongress verabschiedet und von der aktuellen US-Regierung umgesetzt wird. Jedoch wächst die Unterstützung für den Entwurf und könnte eine nachhaltige Lösung für die Zukunft sein.
[1] Das “Helms Amendment” zum Foreign Assistance Act aus dem Jahr 1973 verbietet die Auszahlung von US-Geldern, wenn sie für Abtreibungen als Mittel der Familienplanung eingesetzt werden.
[2] Bei dem sog. “President’s Plan for Emergency Relief for AIDS (PEPFAR)” handelt es sich um eine Initiative der US-Regierung zu HIV und Aids. Es ist der größte Teil der globalen Gesundheitsinitiative des US-Präsidenten (engl. Global Health Initiative).
[3] Dies betrifft Programme zur Wasserversorgung, für sanitäre Einrichtungen und Hygiene für Haushalte und Gemeinden. Davon ausgenommen sind Investitionen in die Infrastruktur für die Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen, wenn spezifische Haushalte betroffen sind, von Schulen, Gesundheitseinrichtungen, für kommerzielle Zwecke und nationale Entwicklungsprogramme.
[4] Kaiser Family Foundation, “What Is the Scope of the Mexico City Policy: Assessing Abortion Laws in Countries That Receive U.S. Global Health Assistance”, 3. Mai 2017, http://kff.org/global-health-policy/issue-brief/what-is-the-scope-of-the-mexico-city-policy-assessing-abortion-laws-in-countries-that-receive-u-s-global-health-assistance/#endnote_link_215568-5 (abgefragt: 2. Juni 2017).
[5] Eran Bendavid, Patrick Avila und Grant Miller, Stanford University, “United States aid policy and induced abortion in sub-Saharan Africa”, Bulletin of the World Health Organization 2011;89:873-880C, http://www.who.int/bulletin/volumes/89/12/11-091660/en/ (abgefragt: 2. June 2017).