(Nairobi) – In Uganda werden obdachlose Kinder nicht vor Übergriffen durch die Polizei und vor anderer Gewalt geschützt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. In allen städtischen Gebieten Ugandas werden Straßenkinder Opfer von Gewalt sowie von körperlichem und sexuellem Missbrauch. Die nationalen und regionalen Behörden sollen organisierten Razzien gegen Straßenkinder ein Ende setzen. Die Polizisten und andere Personen, die für die Gewalt verantwortlich sind, sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Auch sollen die betroffenen Kinder Zugang zu Bildung und zum Gesundheitssystem erhalten.
Der 71-seitige Bericht “‘Where Do You Want Us to Go?’ Abuses against Street Children in Uganda ” dokumentiert Menschenrechtsverletzungen an Straßenkindern durch Polizisten und lokale Regierungsbeamte. Auch Misshandlungen durch Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft und durch ältere obdachlose Kinder oder Erwachsene werden dokumentiert. Polizisten und andere Beamte, darunter auch Beamte der Kampala Capital City Authority (KCCA) haben Kinder geschlagen, ihnen Geld abgenommen und sie willkürlich nach gezielten Razzien festgenommen. In den Gefängniszellen wurden die Kinder Opfer weiterer körperlicher Gewalt und mussten Zwangsarbeiten verrichten. So wurden sie beispielsweise gezwungen, die Zellen anderer Insassen und weitere Räumlichkeiten der Polizeiwache zu reinigen. Auf der Straße werden die Kinder von älteren obdachlosen Kindern oder von obdachlosen Erwachsenen belästigt, bedroht, sexuell missbraucht, ausgebeutet und zum Drogenkonsum gezwungen. Die Täter kommen häufig straffrei davon.
„Die Behörden in Uganda sollen obdachlose Kinder beschützen und ihnen helfen, anstatt sie zu verprügeln und sie in Zellen mit Erwachsenen zu stecken”, so Maria Burnett, Afrika-Expertin von Human Rights Watch. „Die Regierung soll willkürliche Razzien gegen Straßenkinder beenden und die Kinder vor Gewalt und Missbrauch schützen.”
Die Hälfte der Bevölkerung Ugandas ist unter 15 Jahre alt, und Kinder stellen die größte Bevölkerungsgruppe dar, die in Armut lebt. Laut unabhängigen Organisationen, lokalen Regierungsbeamten und Polizeibeamten der Einheit zum Schutz von Kindern und Familien, der Child and Family Protection Unit (CFPU), steigt die Zahl der obdachlosen Kinder in Uganda stetig an, auch wenn keine genauen Zahlen vorliegen.
Human Rights Watch führte Interviews mit über 130 ehemaligen Straßenkindern und Kindern, die immer noch obdachlos sind. Die Interviews wurden zwischen Dezember 2013 und Februar 2014 in sieben Städten Ugandas geführt. Human Rights Watch sprach auch mit 49 Angehörigen von Organisationen, die Straßenkinder unterstützen, darunter Mitarbeiter der Gesundheitsfürsorge sowie Mitarbeiter von internationalen humanitären und Kinderrechtsorganisationen, Polizisten und Beamten der lokalen Behörden.
Human Rights Watch dokumentierte, wie Polizisten und andere Beamte Straßenkinder nachts bedrohen, sie mit Schlagstöcken, Peitschen oder Drähten schlagen, um Geld von ihnen zu bekommen oder sie fürs Herumtreiben zu bestrafen. Manche Kinder geben das wenige Geld ab, das sie haben, um weiteren Misshandlungen oder einer Festnahme zu entgehen. Viele Straßenkinder berichteten, dass sie Angst vor den Behörden hätten und die Polizei nur für Gewalt und nicht für Schutz stehe.
Kinder mussten auf Polizeirevieren die Zellen immer wieder mit Erwachsenen teilen und wurden dort von den Mitinsassen misshandelt. Viele der Kinder wurden nach mehreren Tagen, manchmal auch Wochen, freigelassen, häufig jedoch nur gegen Bestechungsgeld oder nach Verrichtung von Zwangsarbeit für die Polizei. Andere Kinder kamen in eine der Strafanstalten, in der Jugendliche festgehalten werden, die wegen eines Verbrechens angeklagt oder verurteilt wurden. Andere kamen auch ohne konkrete Anklage in das Kampiringisa National Rehabilitation Center, ein Jugendgefängnis außerhalb von Kampala. Dieses wird von Nichtregierungsorganisationen und dem Parlament aufgrund des Personalmangels und der unzumutbaren Haftbedingungen kritisiert.
Ein 16-jähriger Junge aus dem Distrikt Jinja, der schon seit sieben Jahren obdachlos ist und bereits in verschiedenen Städten auf der Straße gelebt hat, sagte gegenüber Human Rights Watch: „Diese Polizisten müssen uns unsere Rechte geben. Sie sollen uns ein Zuhause geben, wo wir hingehen können. Aber es soll kein Polizeirevier sein. Da soll es keine Polizisten geben, es soll kein Gefängnis sein. Das ist auch unser Land. Lasst uns nicht Fremde im eigenen Land sein.”
Obdachlose Kinder laufen Gefahr, Opfer von Gewalt und erzwungenem Drogenkonsum durch ältere obdachlose Kinder oder Erwachsene zu werden. Sowohl Jungen als auch Mädchen, die auf der Straße leben, berichteten, von Männern oder älteren Jungen, die ebenfalls auf der Straße leben, sexuell belästigt oder vergewaltigt worden zu sein. Wenn Verdacht auf einen Diebstahl besteht oder tatsächlich ein Diebstahl verübt wird, werden häufig Straßenkinder beschuldigt und werden vereinzelt auch Opfer von Gruppengewalt durch Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft.
Organisationen für Straßenkinder berichteten, dass die Polizei nur wenig unternehme, um Vergehen an den Kindern zu untersuchen. Obdachlose Kinder sagten Human Rights Watch, dass sie nur selten zur Polizei gehen würden, um Verbrechen, die von älteren Straßenkindern oder erwachsenen Obdachlosen begangen werden, anzuzeigen. Grund hierfür ist die Angst der betroffenen Kinder vor Racheakten oder davor, von der Polizei misshandelt oder selbst festgenommen zu werden.
Da sie bei Vergehen wie Diebstählen häufig als erste unter Verdacht geraten, nimmt die Polizei Straßenkinder oftmals fest und nimmt sie, oft auch ohne konkrete Anschuldigung, in Gewahrsam. Das Ministerium für Gleichberechtigung, Arbeit und Soziales sowie Beamte der lokalen Behörden ordnen regelmäßig allgemeine Razzien bei Straßenkindern im ganzen Land an, besonders vor wichtigen Ereignissen wie Staatsbesuchen oder internationalen Konferenzen. Das Ministerium stellt die Razzien häufig als Maßnahme zur Bekämpfung des „Straßenkinderproblems” dar. Der Chef der CFPU, der Polizeieinheit, die zuständig für Fälle von Kindesmissbrauch und –vernachlässigung ist, sagte Human Rights Watch, dass die Polizei in Kampala für Sicherheit während der Razzien sorgen soll.
Um genug zu essen zu bekommen, arbeiten die Kinder häufig als Verkäufer, Gepäckträger oder Haushaltshilfe in Privathaushalten, kleinen Restaurants und anderen Geschäften. Sie bekommen nur wenig Geld für viele Stunden körperlich anstrengender und schwieriger Arbeit. Manche Kinder werden Opfer sexueller Ausbeutung und müssen sich prostituieren, um zu überleben.
„Wenn diese Kinder Opfer von Missbrauch und Misshandlungen werden, dann finden weder bei der Polizei noch bei den lokalen Behörden Hilfe. Stattdessen leben sie in Angst vor eben jenen, deren Aufgabe es eigentlich ist, diese Kinder zu beschützen”, so Burnett.
Das Ministerium für Gleichberechtigung, Arbeit und Soziales ist verantwortlich für den Schutz von Kindern und hat bereits diverse Programme und Maßnahmen eingeführt, deren Ziel es ist, die Rechte von schutzlosen Kindern zu sichern. Die Regierung Ugandas hat zudem eine Reihe von regionalen und internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern unterzeichnet und einen gesetzlichen Rahmen geschaffen, der dem Schutz von Kindern, und somit auch dem Schutz von Straßenkindern, dienen soll. Dennoch reagieren die Einrichtungen, die Kinder schützen sollen, weder ausreichend noch effizient auf die Bedürfnisse der Kinder. Auch werden den Misshandlungen durch die Polizei oder lokale Behörden kein Ende gesetzt, so Human Rights Watch.
Ein Mitarbeiter einer Organisation, die Straßenkinder unterstützt, sagte gegenüber Human Rights Watch: „Die Regierungsstrukturen sollten nicht nur auf dem Papier existieren. Sie sollten auch funktionieren. In Kampala tut die Regierung nichts [für Straßenkinder], außer sie zu verprügeln. Wenn alle Systeme funktionieren würden, dann müssten diese Kinder nicht leiden.“
Ugandas Regierung soll die Razzien und die Menschenrechtsverletzungen an Straßenkindern beenden und die gewalttätigen Übergriffe an obdachlosen Kindern untersuchen. Anstatt Straßenkinder wie Kriminelle zu behandeln, soll die Regierung gegen jene ermitteln, die verantwortlich für die Misshandlungen sind, auch wenn es sich dabei um Polizisten und andere Beamte handelt. Die Führungsspitze der Polizei in Uganda soll die Anzahl der Einsatzkräfte erhöhen, die in der CFPU für den Schutz von Kindern und Familien zuständig sind, sodass genug Personal und Ressourcen zur Verfügung stehen, damit Straßenkinder die gleichen Rechte und den gleichen Schutz gemäß der nationalen, regionalen und internationalen Standrads erhalten, wie alle anderen Kinder in Uganda.
Die internationalen Partner sollen die Razzien und die Polizeigewalt an Straßenkindern öffentlich verurteilen. Zudem sollen sie sich mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen abstimmen, sodass Schutzsysteme für Kinder greifen können. Geberländer sollen Organisationen und Maßnahmen im ganzen Land unterstützen, deren Ziel es ist, Straßenkindern zu helfen.
„Um sich wirklich um die Kinder zu kümmern und sie zu beschützen, muss die Regierung sicherstellen, dass alle Kinder, also auch jene, die auf der Straße leben, eine Unterkunft und Zugang zu Bildung bekommen“, so Burnett. „Die Kinder sollen würdevoll behandelt werden und die Möglichkeit haben, einen sicheren Ausweg aus dem Leben auf der Straße zu finden.“
Ausgewählte Zitate aus dem Bericht
„Es gibt eine Tradition - kwercho – die die Polizei nutzt, um uns dreimal zu bestrafen. Das erste Mal schlagen sie uns, um uns die Augen zu öffnen. Das zweite Mal soll uns den Weg nach Hause weisen. Das dritte Mal schließlich soll uns nach Hause schicken. Das erzählen sie dir [während sie dich schlagen]… sie steckten uns in Räume, wo wir mit Rohrstöcken geschlagen wurden… vom Rücken bis runter zum Po. Am dritten Tag öffneten sie das Tor. Beim Rausgehen wurden wir erneut geschlagen.”
—15-jähriger Junge, der seit zehn Jahren in Lira auf der Straße lebt; Dezember 2013
„Die Regierung soll eine bessere Lösung für Straßenkinder finden, anstatt uns zu schlagen und uns ins Gefängnis zu stecken. Je mehr sie uns schlagen, desto mehr verhärten wir und das löst das Problem nicht. Sie wollen, dass wir zurück nach Hause gehen, aber manche von uns haben nicht einmal ein Zuhause. Wenn sie uns also schlagen, damit wir nach Hause gehen, wo sollen wir hingehen?“
—15-jähriger Junge, der vier Jahre lang in Masaka auf der Straße lebte; Dezember 2013
„[Die Polizisten] nehmen uns unser Geld weg. Wenn du kein Geld hast, dann verprügeln sie dich… Letzten Samstag kam die Polizei und schlug mich, als ich mit drei anderen Kindern zusammen schlief. Ein Polizist schlug mit einer Gummipeitsche auf meine Schenkel. Dann schlug er mit einem Schlagstock auf mein Knie. Er schlug mich so lange, bis ich ihm 1000 Shilling (0,30 €) gab, dann ließ er von mir ab.“
—13-jähriger Junge, der seit zwei Jahren in Lira auf der Straße lebt; Dezember 2013
„Wir gehen mit solchen Sachen nicht zur Polizei. Ich glaube nicht, dass die Polizisten uns zuhören würden. Sie würden uns nur fragen, ‚Bist du denn nicht erwachsen? Sie haben dich also vergewaltigt, na und? ‘“
—14-jähriges Mädchen in Masaka; Dezember 2013