(Harare) – Der alarmierende Zustand des Wasser- und Sanitärsystems in Simbabwes Hauptstadt Harare setzt Millionen Einwohner dem Risiko aus, durch verunreinigtes Wasser zu erkranken, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Fünf Jahre nachdem über 4.000 Menschen an Cholera starben und 100 000 weitere erkrankten, herrschen in Harares dicht besiedelten Vorstädten weiterhin jene Zustände, die die Epidemie damals begünstigten.
Der 60-seitige Bericht „Troubled Water: Burst Pipes, Contaminated Wells, and Open Defecation in Zimbabwe’s Capital” dokumentiert Fälle, in denen Einwohner unzureichenden Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen haben und daher oft gezwungen sind, aus ungeschützten, mit Abwasser verschmutzten Wasserquellen zu trinken und ihre Notdurft im Freien zu verrichten. Diese Lebensbedingungen verletzen das Grundrecht auf sauberes Wasser, sanitäre Versorgung und Gesundheit. Grundlage des Berichts sind Recherchen, die 2012 und 2013 in Harare durchgeführt wurden. Es wurden u.a. 80 Interviews mit Einwohnern, hauptsächlich mit Frauen, in acht dicht besiedelten Vorstädten geführt.
„Das Wasser- und Sanitärsystem von Harare funktioniert nicht und die Regierung unternimmt nichts dagegen“, so Tiseke Kasambala, Direktorin für Subsahara-Afrika bei Human Rights Watch. „In vielen Gemeinden gibt es kein Wasser zum Trinken oder Baden, Abwasser fließt durch die Straßen. Durchfall und Typhus grassieren, und es besteht die Gefahr einer erneuten Choleraepidemie.“
Viele Einwohner berichteten, dass sie aufgrund des Mangels an Trinkwasser in ihrem Haushalt gezwungen seien, bis zu fünf Stunden täglich an Bohrlöchern auf Wasser zu warten. Hierbei komme es oft zu gewalttätigen Zwischenfällen, besonders dann, wenn die Warteschlange sehr lang ist. Die Menschen glauben, dass diese Bohrlöcher, von denen 200 von internationalen Organisationen während der Choleraepidemie gebohrt wurden, die sicherste Art ist, um an Trinkwasser zu gelangen. Tatsächlich aber weist ein Drittel der Bohrlöcher in Harare, die von Harare Water, der zuständigen Behörde, getestet wurden, Verunreinigungen auf.
Die Einwohner berichteten ebenfalls, dass sie für Leitungswasser zahlen müssen, auch wenn dieses nur sporadisch verfügbar oder verunreinigt ist. Können die Einwohner ihre Rechnungen nicht bezahlen, wird ihnen das Wasser abgestellt.
Englischsprachiges Video zum Bericht:
Einige Einwohner schilderten, dass ungeklärtes Abwasser aus gebrochenen Rohren in ihre Häuser und die Straßen eindringt, wo Kinder häufig spielen. Der Mangel an Wasser und funktionierenden Haustoiletten oder öffentlichen Latrinen lässt den Menschen häufig keine andere Wahl, als ihre Notdurft im Freien zu verrichten.
Eine Mutter sagte gegenüber Human Rights Watch: „Wir haben nur eine Toilette im Haus und hier wohnen 21 Menschen. Deswegen ist die Toilettenhygiene schlecht, eben weil wir so viele sind. Die Spülung funktioniert nicht, weil es kein Wasser gibt, also müssen wir Eimer benutzen. Wenn es kein Wasser zum Spülen gibt, dann lassen die Leute eben alles in der Toilette. Manchmal gehen wir einfach ins Gebüsch.”
Korruption und Missmanagement der Regierung auf lokaler und nationaler Ebene verschärfen die Situation, so Human Rights Watch. So sehen beispielsweise die Leitlinien für den städtischen Haushalt vor, dass die Einnahmen aus der Wasserwirtschaft in die Instandhaltung und Verbesserung des Wassersystems investiert werden müssen. Jedoch gaben selbst Regierungsbeamte zu, dass dieses Geld für andere Zwecke verwendet wird. Somit steht nicht genug Geld für wesentliche Bestandteile des Systems, wie etwa den Erwerb von Chemikalien zur Wasseraufbereitung, zur Verfügung.
Bis in die späten 80er Jahre verfügte Zimbabwe über ein funktionierendes Wasser- und Abwassersystem. In Harare sind Überreste dieses Systems in Form von komplexen Wasser- und Abwasserrohren noch sichtbar. Viele der Einwohner haben Zugang zu diesem System. Dieses wurde jedoch nicht nachhaltig instand gehalten. Der Verfall des Systems führt, zusammen mit einem drastischen Bevölkerungsanstieg, dazu, dass das Wasser nur sporadisch fließt und häufig verunreinigt ist.
„Jeder Mensch hat das Recht auf ein Minimum an Trinkwasser”, so Kasambala. „Die Regierung jedoch hält das Wassersystem nicht instand und stellt das Wasser ab, wenn die Rechnungen nicht bezahlt werden. Dies zwingt die Einwohner, Wasser aus verunreinigten Leitungen oder ungeschützten Wasserlöchern zu trinken.”
Die Regierung soll eine Reihe von Schritten unternehmen, um die Krise um das Wasser- und Sanitärsystem zu bekämpfen. Hierzu gehören Investitionen in günstige sanitäre Einrichtungen und Wasserstrategien. Diese Strategien beinhalten Gemeinschaftstoiletten und Grubenlatrinen sowie den Ausbau und die Instandhaltung von Bohrlöchern, sodass die Menschen nicht auf verunreinigte Wasserquellen angewiesen sind. Eine Staffelung der Preise für die lokale Wasserversorgung soll eingeführt werden, sodass sich auch Familien mit geringem Einkommen sauberes Wasser leisten können. Zudem soll keinem Haushalt, der in Zahlungsverzug gerät, das Wasser abgestellt werden.
In diesem Jahr hat die Regierung bereits angekündigt, ein Darlehen über 144 Millionen US-Dollar von der chinesischen Regierung zu erhalten. 46 chinesische Ingenieure sollen nach Harare kommen, um das Wasserinfrastruktursystem zu verbessern. Hierbei soll die Verbesserung der Kläranlagen im Mittelpunkt stehen. Die Regierung stellt dieses Darlehen zwar als die Lösung der Krise dar, die Darlehensbedingungen wurden jedoch nicht veröffentlicht. Kritiker sehen in dem Darlehen ein Beispiel für den Mangel an Transparenz und für Korruption im Bereich der Wasser- und Abwasserwirtschaft.
Die Regierung von Simbabwe ist laut internationalem Recht dazu verpflichtet, das Recht auf Wasser und sanitäre Versorgung zu schützen, so Human Rights Watch. 2010 hatte Simbabwe für eine Resolution der UN-Generalversammlung gestimmt, die das Recht auf sauberes Wasser und sanitäre Versorgung festsetzte. Mit der Anerkennung dieses Rechts wird sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und andere für die Entwicklung entscheidende Faktoren wie die Gleichstellung von Männern und Frauen, Bildung und Wirtschaftswachstum beigemessen. Die Verfassung und die Gesetzgebung Simbabwes schützt das Recht auf sauberes Wasser und - durch Umweltschutzmaßnahmen - auch auf sanitäre Einrichtungen. Im Mai verabschiedete Simbabwe eine neue Verfassung, in der das Recht auf Wasser ausdrücklich erwähnt wird.
„Das Wasser- und Sanitärsystem von Harare wurde durch jahrzehntelange Vernachlässigung und stetiges Missmanagement und Korruption zerstört”, so Kasambala. „Die Choleraepidemie von 2008 war eine für alle sichtbare Katastrophe. Das Leiden, das Sterben und die menschenunwürdigen Bedingungen halten jedoch an, sie sind nur weniger sichtbar.”