(Bangkok, 23. Februar 2010) - Die thailändische Regierung soll umgehend Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung gegen Wanderarbeiter und deren Familien beenden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Frist für die mehr als eine Million Wanderarbeiter, bis zum 28. Februar am Prozess zur „Verifizierung der Staatsangehörigkeit“ teilzunehmen oder andernfalls eine sofortige Ausweisung zu riskieren, begünstigt weitere Menschenrechtsverletzungen. Diese soll solange ausgesetzt werden, bis ein faires Verfahren gesichert ist.
Der 124-seitige Bericht von Human Rights Watch „From the Tiger to the Crocodile: Abuse of Migrant Workers in Thailand” basiert auf 82 Interviews mit Migranten aus den angrenzenden Ländern Burma, Kambodscha und Laos. Beschrieben werden schwere und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen an Wanderarbeitern wie Mord, Folter in Gefängnissen, Erpressung, sexueller Missbrauch sowie die Verletzung von Arbeiterrechten durch Menschenhandel, Zwangsarbeit und Einschränkung der Vereinigungsfreiheit.
„Wanderarbeiter leisten einen wichtigen Beitrag zur thailändischen Wirtschaft, aber erhalten nur wenig Schutz vor Missbrauch und Ausbeutung“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Menschen aus Burma, Kambodscha und Laos leiden schrecklich unter der Willkür von korrupten Beamten und Polizisten, skrupellosen Arbeitgebern und gewalttätigen Verbrechern, die Migranten ohne Angst vor Konsequenzen missbrauchen können.“
Wanderarbeiter sind durch die Entscheidung der thailändischen Regierung nun unmittelbar bedroht, wonach alle Migranten bis zum 28. Februar an einem Verfahren zur Überprüfung der Staatsangehörigkeit teilnehmen müssen, wenn sie nicht verhaftet und ausgewiesen werden wollen. Achtzig Prozent der Arbeitsmigranten in Thailand stammen aus Burma. Ihre Lage ist besonders unsicher, da sie in ihrem Heimatland von ethnischen und politischen Konflikten bedroht sind. Die finanziellen Kosten des Verifizierungsverfahrens sind für diese Migrantengruppen unverhältnismäßig hoch und können einem zwei- oder dreifachen Monatsgehalt entsprechen.
Unrealistische Forderungen der thailändischen Regierung zusammen mit dem komplizierten und ungeordneten Verfahren des Verifizierungsprozesses können zu Massendeportationen von Migranten aus Thailand nach Burma führen sowie zu schwerwiegenden Verletzungen von Arbeiterrechten und der Menschenrechte im Allgemeinen. Beispielsweise können Polizeibeamte Migranten misshandeln, ohne mit Rechtsfolgen rechnen zu müssen. Eine burmesische Wanderarbeiterin erklärte gegenüber Human Rights Watch, dass sie Zeugin wurde, wie zwei thailändische Polizisten einem burmesischen Jungen wiederholt in die Brust traten und ihn dadurch töteten, nur weil er ihre Fragen nicht in Thai beantwortete.
„Viele Burmesen sahen zu, doch niemand griff ein, weil alle Angst vor der Polizei haben. Deshalb hat niemand etwas gegen die Ermordung unternommen, und niemand hat die Polizei informiert“, sagte die Zeugin. „Als ich das [die Ermordung] beobachtete, war mir klar, dass wir Burmesen dazu verurteilt sind, still zu halten und ständig Angst vor der thailändischen Polizei haben zu müssen. Es sieht so aus, als gäbe es für uns als Volk und für mich persönlich in Thailand keine Sicherheit.“
Lokale Beamte und Polizisten ignorieren häufig Beschwerden oder verfolgen sie nur halbherzig. Verordnungen in den Provinzen und nationale Gesetze verbieten Migranten die Gründung von Organisationen zum Schutz ihrer Rechte. Gleichzeitig besteht die Gefahr von Ausbeutung und Misshandlung, weil die Möglichkeiten für Arbeitsmigranten eingeschränkt sind, den Arbeitgeber zu wechseln, eine zugewiesene Region zu verlassen und Versammlungen mit mehr als einigen wenigen Personen zu organisieren.
Eine andere Wanderarbeiterin berichtete Human Rights Watch, wie in der Kautschuk-Plantage, in der sie arbeitete, zwei bewaffnete Männer auf sie zukamen. Ihr Ehemann wurde von ihnen vor ihren Augen erschossen, und sie wurde von beiden vergewaltigt. Obwohl ein Polizeibericht den Namen eines Verdächtigen erwähnt, verfolgte die Polizei den Fall nicht weiter. „Ich bin Burmesin und Wanderarbeiterin. Deshalb ist der Polizei der Fall egal“, sagte sie. „Mein Mann und ich sind nur Wanderarbeiter und deshalb haben wir hier keine Rechte.“
Migranten berichten von der ständigen Angst, von Polizisten erpresst zu werden, die etwa für die Freilassung von inhaftierten Migranten aus Polizeigewahrsam Geld oder Wertgegenstände verlangen. Es ist nicht ungewöhnlich für Migranten, ein bis mehrere Monatsgehälter in einem einzelnen Erpressungsfall zu verlieren.
„Viele Beamte und Polizisten behandeln Wanderarbeiter wie wandelnde Geldautomaten“, sagte Adams. „Sie sind Teil eines Systems, in dem Migranten, egal wohin sie sich wenden, beraubt und misshandelt werden.“
In mehreren Provinzen hat sich die Situation für Migranten durch Verordnungen der Gouverneure verschlechtert. Zum Beispiel wurde die Nutzung von Mobiltelefonen und Motorrädern verboten, die individuelle Bewegungsfreiheit eingegrenzt sowie Versammlungsverbote und nächtliche Ausgangssperren verhängt. Diese repressiven Verordnungen zeigen, dass Migranten als nationales Sicherheitsproblem betrachten werden statt als Teil eines globalen Phänomens, das zu verstärkten Wanderungsbewegungen aus wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Gründen führt.
„Wenn die Regierung Abhisit wirklich Reformen durchsetzen will, soll sie sofort die Verordnungen in den Provinzen aufheben, die Migranten diskriminieren, an ihre Arbeitsplätze binden und vom Rest der Welt abschließen“, sagte Adams.
Human Rights Watch fordert die thailändische Regierung auf, eine unabhängige und unparteiische Kommission aufzustellen, die Ermittlungen zu den Vorwürfen über Missbräuche an Migranten durch die Polizei und andere Behörden durchführen soll. Eine solche Kommission soll die Befugnis haben, Vorladungen auszusprechen, die Vorlage von Beweisen zu verlangen sowie zivil- und strafrechtliche Anklagen gegen Menschenrechtsverletzer erheben zu können. Sie soll auch in regelmäßigen Abständen öffentlich über ihre Ergebnisse berichten.
„Für Migranten ist das Leben in Thailand extrem unsicher und gefährlich. Sie kommen von einer schwierigen oder lebensbedrohlichen Situation in die andere“, sagte Adams. „Sie sind das perfekte Beispiel für das thailändische Sprichwort, nach dem die Schwachen 'vor dem Tiger fliehen, um auf das Krokodil zu treffen'.“