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(New York, 13. Mai 2009) – Vor zwanzig Jahren tötete die chinesische Armee in der Nacht zum 4. Juni 1989 und in den darauf folgenden Tagen unzählige unbewaffnete Zivilisten in Peking und anderen Städten. Überlebende, Familien der Opfer und andere Personen, die Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse äußern, werden weiter von der chinesischen Regierung schikaniert, so Human Rights Watch.

Der heute veröffentlichte Human Rights Watch-Bericht „The Tiananmen Legacy“ dokumentiert die anhaltenden Folgen der Ereignisse von Tiananmen. Ein Videobericht zum 20. Jahrestag der Niederschlagung der Proteste ist hier abrufbar (auf Englisch).

Die Kommunistische Partei Chinas rechtfertigte ihr Vorgehen während der blutigen Niederschlagung zunächst als unumgängliche Reaktion auf einen „konterrevolutionären Zwischenfall“. Später stellte sie das Ereignis als „politische Unruhen“ dar.

„Die anhaltenden Bemühungen der Regierung, die Geschichte zu zensieren, kritische Meinungen zu unterdrücken und die Überlebenden zu schikanieren, stehen im krassen Gegensatz zur beeindruckenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas in den letzten Jahrzehnten“, so Sophie Richardson, Advocacy-Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Die chinesische Regierung sollte einsehen, dass 20 Jahre Leugnung und Unterdrückung lediglich dazu geführt haben, die Wunden von Tiananmen weiter offen zu lassen, nicht aber, sie zu heilen.“

Die chinesische Regierung hat sich immer geweigert, eine Liste aller Getöteten, „Verschwundenen“ und Inhaftierten zur Verfügung zu stellen. Überprüfbare Opferzahlen wurden nie veröffentlicht. Die Gruppe der Tiananmen-Mütter, Mütter und Angehörige von Studenten und anderen zivilen Opfern, hat eine Liste mit mehr als 150 Personen zusammengestellt, die getötet wurden, als die Armee das Feuer auf die Zivilisten eröffnete. Die Regierung hat außerdem jede öffentliche Diskussion über die Ereignisse vom Juni 1989 regelmäßig unterbunden und verfolgt diejenigen, die an den Demonstrationen teilgenommen haben oder die offizielle Version der Regierung zu den Ereignissen in Frage stellen.

Die Verhaftung von Liu Xiaobo (http://china.hrw.org/chinas_rights_defenders ) symbolisiert heute am deutlichsten die anhaltende Feindseligkeit der Regierung gegenüber jenen, die an den Protesten von 1989 beteiligt waren, sowie gegenüber jeder Form von organisiertem Widerstand. Liu ist einer der bedeutendsten intellektuellen Kritiker in China. Er saß zwei Jahre im Gefängnis, weil er als Unterstützer der Tiananmen-Studenten galt. In den frühen Morgenstunden des 4. Juni verhandelte Liu mit der Armee erfolgreich über die Evakuierung jener Studenten, die bis zuletzt auf dem Tiananmen-Platz geblieben waren, und verhinderte so ein weiteres Blutvergießen. Er wurde regelmäßig von den internationalen Medien sowie von Wissenschaftlern zu den Ereignissen vom 4. Juni interviewt und verbrachte zwischen 1996 und 1999 drei weitere Jahre in einem Umerziehungslager, weil er wiederholt öffentlich dazu aufgerufen hatte, das Einparteiensystem in Frage zu stellen. Später wurde er unter eine Art Hausarrest gestellt. Am 8. Dezember 2008 wurde Liu erneut festgenommen, weil man ihn verdächtigte, einer der Urheber der Charta 08 (http://www.nybooks.com/articles/22210 ), einer mutigen öffentlichen Petition für Demokratie und Rechtstaatlichkeit, zu sein.

Die Charta 08 bezieht sich unter anderem auch direkt auf die Ereignisse des 4. Juni, als ein Beispiel für die „lange Reihe von Menschenrechtsdesastern“, die auf das Machtmonopol der Kommunistischen Partei Chinas zurückzuführen sind. Trotz internationaler Proteste wird Liu weiterhin ohne Anklage festgehalten (https://www.hrw.org/es/news/2008/12/23/china-nobel-laureates-china-schola... ).

„Liu Xiaobo steht beispielhaft dafür, wie die chinesische Regierung auf Tiananmen im Besonderen und auf friedliche Kritik im Allgemeinen reagiert hat, nämlich durch Unterdrückung“, so Richardson. „Gleichzeitig verkörpert Liu die unermüdliche Hartnäckigkeit und den Mut einiger Chinesen, die allen Widrigkeiten zum Trotz für Wahrheit, Gerechtigkeit und Demokratie kämpfen.“

Im April 1989 versammelten sich Arbeiter, Studenten und viele andere erstmals auf dem Tiananmen-Platz in Peking sowie in anderen Städten. Die meisten demonstrierten friedlich für ein pluralistisches politisches System. Als sich Ende Mai die Proteste immer noch nicht aufgelöst hatten, verhängte die Regierung das Kriegsrecht und ermächtigte die Armee zur Anwendung tödlicher Gewalt, um die Demonstranten von den Straßen zu vertreiben. Das Militär erschoss und tötete unzählige unbewaffnete Zivilisten, viele waren an den Protesten gar nicht beteiligt. In Peking griffen einige Zivilisten Militärkonvois an und steckten Fahrzeuge in Brand, als die Armee in die Stadt einrückte. Nach diesen Morden an der Zivilbevölkerung verschärfte die chinesische Regierung ihre Maßnahmen im ganzen Land und nahm Tausende Menschen wegen „konterrevolutionären Vergehens“, Brandstiftung und Störung der öffentlichen Ordnung fest.

Die chinesische Regierung wurde weltweit für ihr scharfes Vorgehen gegen die Demonstranten verurteilt. Einige Staaten verhängten Sanktionen, darunter das weiter gültige Waffenembargo der Europäischen Union. Die chinesische Regierung hat bisher sämtliche Bemühungen für eine erneute Überprüfung der Ereignisse vom Juni 1989 zurückgewiesen.

Im Jahr 1990 tat der damalige Präsident Jiang Zemin die internationale Verurteilung des Tiananmen-Massakers als „viel Lärm um nichts“ ab. Der Sprecher des Außenministeriums, Zhu Bangzao, verteidigte im Januar 2001 die Anwendung tödlicher Gewalt gegen unbewaffnete Zivilisten im Juni 1989 als „ ...angemessene und entschlossene Maßnahme...von äußerster Notwendigkeit für die Stabilität und Entwicklung des Landes.“

„Die chinesische Führung hat es so gut wie unmöglich gemacht, dass die Menschen etwas über dieses wichtige Ereignis in ihrer eigenen, jüngsten Geschichte erfahren“, so Richardson. „Dass die Regierung offensichtlich Informationen manipulieren und ihrer Verantwortung aus dem Weg gehen kann, sollte weltweit Anlass zu ernsthaften Bedenken geben.“

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