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(Bangkok) – Die burmesischen Behörden und Mitglieder der arakanesischen Bevölkerung haben im Zuge einer seit Juni 2012 andauernden Kampagne ethnischer Säuberungen gegen Rohingya-Muslime im Bundesstaat Arakan Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 153-seitige Bericht „All You Can Do is Pray’: Crimes Against Humanity and Ethnic Cleansing of Rohingya Muslims in Burma’s Arakan State“ untersucht die Rolle der burmesischen Regierung und der Lokalbehörden bei der Zwangsumsiedlung von mehr als 125.000 Rohingya und anderen Muslimen und ihren Umgang mit der andauernden humanitären Krise. Burmesische Beamte, Gemeindevorsitzende und buddhistische Mönche unterstützten die arakanesische Bevölkerung organisatorisch und ideell bei der Durchführung koordinierter Angriffe auf muslimische Wohngebiete und Dörfer, die im Oktober 2012 mit Unterstützung der staatlichen Sicherheitskräfte erfolgten und zur Einschüchterung und gewaltsamen Umsiedlung der Bewohner dienen sollten. Den zehntausenden Vertriebenen wurde der Zugang zu humanitärer Hilfe verweigert und eine Rückkehr in ihre Häuser unmöglich gemacht.

„Die burmesische Regierung verfolgt eine Kampagne ethnischer Säuberungen gegen die Rohingya-Muslime, die in Form von Hilfsverweigerungen und Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit bis heute andauert“, so Phil Robertson, stellvertretender Leiter der Asien-Abteilung bei Human Rights Watch. „Die Regierung muss die Menschenrechtsverletzungen unverzüglich stoppen und die Täter zur Rechenschaft ziehen; andernfalls trägt sie Verantwortung für die anhaltende Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten in dem Land.“

Nach gewaltsamen religiösen Auseinandersetzungen zwischen Arakanesen und Rohingya im Juni 2012 ließen die Regierungsbehörden Moscheen zerstören, gewaltsame Massenverhaftungen durchführen und Hilfslieferungen an vertriebene Muslime blockieren, so Human Rights Watch. Am 23. Oktober attackierten aufgebrachte arakanesische Gruppen nach monatelangen öffentlichen Aufrufen zu ethnischen Säuberungen muslimische Gemeinden in neun Siedlungen. Sie machten ganze Dörfer dem Erdboden gleich und töteten zahlreiche Bewohner, während die Sicherheitskräfte tatenlos zusahen oder die Angreifer sogar unterstützten. Einige der Toten wurden in Massengräbern verscharrt, was die Aufklärung der Gewalttaten zusätzlich erschwert.

Nach der Gewalt und den Menschenrechtsverletzungen im Juni und Oktober besuchten Human Rights Watch-Mitarbeiter den Bundesstaat Arakan (Rakhaing-Staat) und inspizierten die Schauplätze der Angriffe, alle größeren Flüchtlingslager und inoffizielle Vertriebenenlager. Ihr Bericht basiert auf mehr als 100 Interviews mit Rohingya und anderen Muslimen sowie Arakanesen, die Opfer oder Zeugen von Menschenrechtsverletzungen wurden. Zudem wurden auch mutmaßliche Drahtzieher und Täter befragt. Den Erkenntnissen von Human Rights Watch zufolge waren alle im Bundesstaat Arakan agierenden staatlichen Sicherheitskräfte in die Menschenrechtsverletzungen verwickelt, entweder durch aktive Teilnahme oder indem sie es unterließen, die Gewalttaten zu verhindern. Dies betrifft die örtliche Polizei, die Lon Thein Bereitschaftspolizei, die Ressort-übergreifende Grenzschutztruppe Nasaka, sowie Militär und Marine. So soll ein Soldat, als ihn ein Moslem, dedessen Dorf in Flammen stand, um Schutz bat, geantwortet haben: „Das Einzige, was du tun kannst um dein Leben zu retten, ist beten.“

Vertriebene Rohingya erklärten gegenüber Human Rights Watch, die Sicherheitskräfte hätten bei der Gewalt im Oktober tatenlos zugesehen oder sich den Gruppen arakanesischer Männer angeschlossen, die mit Macheten, Schwertern, selbstgefertigten Pistolen und Molotowcocktails ihre Dörfer überfielen. In einigen Fällen kam es auch gleichzeitig in weit voneinander entfernten Siedlungen zu Angriffen.

Human Rights Watch gelangte an Satellitenaufnahmen von nur 5 der 13 seit Juni betroffenen Siedlungen. Diese zeigen 27 verwüstete Gebiete sowie die Zerstörung von 4862 Gebäuden auf 348 Hektar Land, auf dem sich das Wohneigentum überwiegend in muslimischem Besitz befindet.

Der blutigste Vorfall ereignete sich am 23. Oktober, als bei einem 24-stündigen Massaker in Yan Thei in der Siedlung Mrauk-U mindestens 70 Rohingya getötet wurden. Obwohl die Sicherheitsbehörden vorgewarnt wurden, waren während des Angriffs nur wenige Bereitschaftspolizisten, örtliche Polizisten und Soldaten anwesend, um für Sicherheit zu sorgen. Anstatt einzugreifen, nahmen sie Angehörigen der Rohingya Stöcke und andere rudimentäre Waffen ab, die sie zur Verteidigung trugen. Zu den Todesopfern gehörten auch 28 Kinder, die durch Hiebe mit Stich- und Schnittwaffen getötet wurden, darunter 13 Kinder unter 5 Jahren. „Erst sagten uns die Soldaten, ‚tut einfach nichts, wir werden euch beschützen, wir werden euch retten‘. Also vertrauten wir ihnen“, so ein 25-jähriger Überlebender gegenüber Human Rights Watch. „Doch dann brachen sie ihr Versprechen. Die Arakanesen hatten es leicht, uns zu schlagen und zu töten. Die Sicherheitskräfte beschützten uns nicht vor ihnen.“

„Als arakanesische Mobs im Oktober muslimische Siedlungen angriffen, sahen die Sicherheitskräfte entweder weg, oder nahmen an Gewalt und Brandstiftung teil“, so Robertson. „Sechs Monate später macht die Regierung immer noch ‚gesellschaftliche Unruhen‘ für das Blutvergießen und die Zerstörung verantwortlich, obwohl sie informiert war, was tatsächlich passierte und es hätte stoppen können.“

Die Angriffe im Oktober erfolgten nach erheblichen organisatorischen Vorbereitungen auf lokaler Ebene. Die beiden Hauptakteure bei der Organisation der Anti-Rohingya-Kampagnen waren der örtliche buddhistische Mönchsorden (sangha) und die Rakhine Nationalities Development Partei (RNDP), die im Jahr 2010 von arakanesischen Nationalisten gegründet wurde und in der Region großen Zuspruch genießt. Zwischen Juni und Oktober veröffentlichten diese und andere Gruppen eine Vielzahl von rohingyafeindlichen Broschüren und Stellungnahmen, die explizit oder implizit die Existenz der Rohingya- als Bevölkerungsgruppe bestritten, ihre Angehörigen dämonisierte und ihre Vertreibung forderte. Dabei wurde teilweise auch der Begriff der ‚ethnischen Säuberung‘ verwendet. Die Stellungnahmen wurden häufig in Zusammenhang mit geplanten Treffen veröffentlicht. Obwohl sie für die kommunalen und nationalen Behörden leicht wahrnehmbar gewesen wäre, äußerten diese keine Bedenken. Die Lokalbehörden sowie Politiker und Mönche wirkten zudem – etwa öffentliche Aussagen oder direkten Zwang – darauf hin, Muslimen ihr Recht auf Bewegungsfreiheit zu nehmen, ihre Möglichkeiten zum Verdienst des Lebensunterhaltes zu beschneiden und den Zugang zu Märkten und humanitärer Hilfe zu verhindern. Ihr offensichtliches Ziel war es, Muslime zur Aufgabe ihrer Häuser und zum Verlassen der Region zu zwingen.

„Sozusagen als Vorspiel der blutigen Angriffe betrieben Lokalbeamte und gesellschaftliche Führungspersönlichkeiten gemeinsame Bemühungen, um die muslimische Bevölkerung zu isolieren“, so Robertson. „Die Zentralregierung hat seit dem Blutvergießen keine Maßnahmen ergriffen, um die Verantwortlichen zu bestrafen oder die Folgen der ethnischen Säuberungen gegen gewaltsam vertriebene Muslime rückgängig zu machen.“

Human Rights Watch deckte Beweise für vier Massengräber im Bundesstaat Arakan auf – drei davon entstanden offenbar unmittelbar nach der Gewalt im Juni, das vierte im Oktober. Die Sicherheitskräfte wirkten der Aufklärung der Gräueltaten und der strafrechtlichen Aufarbeitung aktiv entgegen, indem sie die Massengräber anlegten, um Beweise für die Verbrechen zu beseitigen.

So wurden am 13. Juni zum Beispiel 18 nackte und halb-bekleidete Leichen nahe eines Vertriebenen-Lagers der Rohingya vor den Toren der Provinz-Hauptstadt Sittwe aus einem LKW der Behörden abgeladen. Einige der Opfer waren vor ihrer Hinrichtung an Händen und Füßen gefesselt worden. Mit dem Abladen der Leichen nahe eines Rohingya-Camps sollte den Rohingya – in Übereinstimmung mit der Politik der ethnischen Säuberungen – offenbar signalisiert werden, dass sie endgültig das Land verlassen sollten.

„Hier luden sie die Leichen ab“, erklärte ein Rohingya, der Vorfälle beobachtet hatte. „Drei Leichen trugen Schusswunden. Einige zeigten Verbrennungen, andere hatten Stichwunden. Eine Schusswunde befand sich an der Stirn, eine andere am Oberkörper.“

Aufgrund der systematischen Behinderung der humanitären Hilfe für die vertriebenen Rohingya durch die burmesische Regierung erlebt Bundesstaat Arakan derzeit eine humanitäre Krise
Mehr als 125.000 Rohingya und andere Muslime sowie eine geringe Anzahl von Arakanesen befinden sich seit Juni in Flüchtlingslagern im Bundesstaat Arakan. Während die Regierung unter Präsident Thein Sein hochrangige Besuche von Diplomaten in die Vertriebenenlager genehmigt, behindert sie gleichzeitig eine effektive Versorgung mit humanitärer Hilfe. Viele der vertriebenen Muslime wohnen in überfüllten Lagern, die keine angemessene Versorgung mit Lebensmitteln, Unterkünften, Trinkwasser, Sanitäreinrichtungen, Bildung und medizinischer Versorgung gewährleisten können. Obwohl die Sicherheitskräfte die vertriebenen Muslimen in einigen Gegenden schützen, agieren sie in den meisten Fällen vielmehr als ‚Gefängniswärter‘, die den verzweifelt benötigten Zugang zu Märkten, Verdienstmöglichkeiten und humanitärer Hilfe unterbinden.

Über das Trinkwasser droht zehntausenden Rohingya die Ansteckung mit tödlichen Krankheiten, falls sie nicht vor Beginn der Regenzeit im Mai in höher gelegene Gebiete umgesiedelt werden.

„Die Probleme bei der humanitären Hilfe im Bundesstaat Arakan beruhen nicht auf mangelnder Koordination, sondern auf dem Führungsversagen der Regierung, die den vertriebenen Muslimen den Zugang zu Hilfsleistungen und Bewegungsfreiheit verwehrt“, so Robertson. „Eine absolut vorhersehbare und vermeidbare humanitäre Krise steht schon in wenigen Wochen bevor, wenn der Regen einsetzt, die Lager überflutet werden und über das Trinkwasser übertragene Krankheiten um sich greifen.“

Da die vertriebenen Rohingya nicht über ihr Recht zur Rückkehr in ihre Heimatstädte und -dörfer informiert wurden, besteht Anlass zu der Sorge, dass es langfristig beabsichtigt ist, die Bevölkerungsgruppen zu trennen.
Angesichts des Mangels an humanitärer Hilfe, dem fehlenden Schutz und der Gefahr von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen haben zehntausende Rohingya seit Juni das Land auf Booten verlassen, um nach Bangladesch, Malaysia oder Thailand zu gelangen. Obwohl bereits mehrere Hundert Menschen auf See ums Leben gekommen sind, scheinen Tausende weitere Menschen zur Flucht auf dem Seeweg bereit.

Nach internationalem Recht sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert als Verbrechen, die im Zuge eines breit angelegten oder systematischen Angriffs einer Regierung oder Organisation auf eine zivile Bevölkerung verübt werden. Zu den seit Juni gegen die Rohingya verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören Mord, Verschleppung, Zwangsumsiedlung und Verfolgung. Obwohl „Ethnische Säuberung“ formal kein juristischer Begriff ist, bezeichnet er meist die zielgerichtete politische Strategie einer ethnischen oder religiösen Gruppe, die Zivilbevölkerung einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe durch gewaltsame und einschüchternde Maßnahmen von einem bestimmten Gebiet zu vertreiben.

Ein Kernelement der Verfolgung der Rohingya ist das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982, das den Rohingya die burmesische Staatsangehörigkeit aufgrund diskriminierender ethnischer Kriterien verweigert.
Da burmesische Recht die Rohingya nicht als eine der acht anerkannten „nationalen Ethnien“ betrachtet, denen die volle Staatsbürgerschaft zusteht, müssen Rohingya einen „überzeugenden Nachweis“ erbringen, dass ihre Vorfahren bereits vor der Unabhängigkeit im Jahr 1948 in Burma lebten – ein schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen für die meisten Rohingya.

Die Regierung und die burmesische Gesellschaft betrachten die Rohingya ganz offenkundig nicht als „nationale Ethnie“, sondern als illegale Einwanderer aus dem heutigen Bangladesch und verweigern ihnen deshalb die burmesische Staatsbürgerschaft. Offizielle Stellungnahmen der Regierung bezeichnen die Rohingya als „Bengalen“, „so genannte Rohingya“ oder abschätzig als „Kalaren“.

Human Rights Watch appelliert an die burmesische Regierung, das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 umsehend zu reformieren, um diskriminierende Regeln zu streichen und sicherzustellen, dass Kinder aus der Rohingya-Bevölkerung das Recht erhalten, eine Staatsbürgerschaft anzunehmen und nicht staatenlos werden.

„Burma soll einer unabhängigen internationalen Kommission erlauben, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bundesstaat Arakan zu untersuchen, die Opfer ausfindig machen und zu entschädigen“, so Robertson. „Burmas Geber müssen aufwachen und sich deutlich machen, wie ernst die Not der Rohingya ist. Sie müssen die burmesische Regierung auffordern, alle Menschenrechtsverletzungen unverzüglich zu unterbinden, die sichere Rückkehr der vertriebenen Muslime zu gewährleisten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, um die tödliche Spirale der Gewalt in Arakan zu beenden.“

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