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VAE: Ausbeutung von Arbeitern auf der „Insel des Glücks“

Guggenheim, Louvre, New York University und andere Projektträger sollen Arbeiter vor Missbrauch durch Vermittlungsagenturen und Baufirmen schützen

(Abu Dhabi, 19. Mai 2009) – Tausende südasiatische Gastarbeiter, die an dem 27 Milliarden US-Dollar teuren Ausbau einer Insel in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) arbeiten, werden massiv ausgebeutet und missbraucht. In manchen Fällen kann sogar von Zwangsarbeit gesprochen werden. Arbeitsvermittlungsagenturen, Baufirmen und die repressiven Gesetze des Landes sind für diesen Missbrauch verantwortlich, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 80-seitige Bericht „‘The Island of Happiness’: Exploitation of Migrant Workers on Saadiyat Island, Abu Dhabi“ dokumentiert, dass der Missbrauch von Arbeitskräften weiter alltäglich ist, obwohl die Regierung der VAE in den vergangenen Jahren Schritte unternommen hat, um die Wohnverhältnisse zu verbessern und eine rechtzeitige Auszahlung der Löhne sicherzustellen. Internationale Institutionen, die Dependancen auf der Insel eröffnen wollen – darunter das Guggenheim-Museum, die New York University (NYU) und die französische Museumsagentur (die für den Louvre Abu Dhabi verantwortlich ist) – sollen zum Schutz grundlegender Arbeitnehmerrechte dringend verbindliche Vertragsvereinbarungen erwirken.

„Diese internationalen Institutionen müssen beweisen, dass sie die schamlose Ausbeutung der Gastarbeiter nicht tolerieren oder fördern werden“, so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Die vagen Zusagen, die sie von ihren Entwicklungspartnern erhalten haben, stellen keine verbindlichen Vertragsvereinbarungen dar, sondern bestehen nur aus leeren Phrasen, wonach sich ihre Projekte von den üblichen Bauvorhaben in Abu Dhabi unterscheiden sollen.“

Abu Dhabi, die Hauptstadt der VAE, will Saadiyat Island („Insel des Glücks“) in ein internationales Tourismusziel verwandeln. Auf der tiefliegenden Insel soll es vier Museen und ein Zentrum für darstellende Künste geben, die von weltweit renommierten Architekturbüros – darunter die Ateliers Jean Nouvel, Foster und Partner sowie Gehry und Partner – entworfen wurden. Außerdem sollen eine Filiale der New York University, Golfplätze, Hotels sowie exklusive Wohnanlagen entstehen.

Seitdem Abu Dhabi im Jahr 2005 die Tourism Development and Investment Company (TDIC) gegründet hat, die das Projekt leitet, bauen Arbeiter aus Indien, Pakistan, Bangladesch und anderen südasiatischen Ländern die Infrastruktur der Insel. Das Museum soll 2013 eröffnet werden.

Der Human Rights Watch-Bericht, der auf Gesprächen mit Gastarbeitern, Regierungsbeamten aus den VAE und Frankreich sowie mit Führungskräften der internationalen Institutionen und Unternehmen, die Projekte auf der Insel planen, beruht, dokumentiert eine ganze Reihe von Missbrauchsfällen. Sie führen dazu, dass die Gastarbeiter hoch verschuldet sind, schlecht bezahlt werden, ihre Rechte nicht durchsetzen und noch nicht einmal ihren Job kündigen können.

Die Regierung der VAE und die für die Entwicklung von Saadiyat Island verantwortlichen Behörden konnten die Ursachen für den Missbrauch von Arbeitern nicht beheben: dazu gehören gesetzeswidrige Vermittlungsgebühren, nicht eingehaltene Lohnzusagen und ein Förderprogramm, das den Arbeitgebern praktisch absolute Macht über ihre Arbeiter verleiht.

Fast alle von Human Rights Watch befragten Arbeiter haben sehr hohe Gebühren an sogenannte Arbeitsvermittlungsagenturen in ihren Heimatländern bezahlt. Diese sind vertraglich verpflichtet, den Bauunternehmen in den VAE Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Da diese Agenturen den Arbeitern gute Arbeitsbedingungen in den VAE versprochen haben, verkauften viele ihr Haus oder ihr Land oder liehen sich Geld zu hohen Zinssätzen, um die Agenturgebühren bezahlen zu können. Bei ihrer Ankunft in den VAE sollen die verschuldeten Arbeiter – viele von ihnen sind Analphabeten – Verträge mit den Baufirmen unterzeichnen, deren Bedingungen wesentlich schlechter sind als anfänglich zugesagt. Die Arbeiter haben so gut wie keine Handhabe gegen die Agenturen, die sie mit falschen Lohnversprechungen und ausbeuterischen Vermittlungsgebühren betrogen haben.

Die Gesetzgebung in den VAE verbietet den Agenturen, die Gebühren den Arbeitern in Rechnung zu stellen. Sie sollen eigentlich von den Unternehmen bezahlt werden. Das Gesetz findet jedoch keine Anwendung. Es gibt auch keine Strafen, wenn Unternehmen in ihrem eigenen finanziellen Interesse wissentlich mit Agenturen zusammenarbeiten, die diese Gebühren den Arbeitern in Rechnung stellen.

Den Arbeitern bleibt nur die Wahl, entweder ihren Job zu kündigen und dabei Tausende Dollar für die gesetzeswidrigen Vermittlungsgebühren schuldig zu bleiben oder unter Bedingungen weiter zu arbeiten, die durch ein hohes Maß an Ausbeutung geprägt sind. Nahezu alle klagten über die niedrigen Löhne und die schlechte medizinische Versorgung. Die Arbeiter haben auch keine Möglichkeit, bessere Lohn- oder Lebensbedingungen einzufordern, da die Gesetzgebung der VAE grundlegende Rechte wie auf die Gründung von Gewerkschaften, Tarifverhandlungen oder Streik nicht schützt. Stattdessen verleiht das sogenannte Förderprogramm der VAE den Arbeitgebern beinahe absolute Macht, was die gesetzeskonforme Beschäftigung der Arbeiter und deren Aufenthalt im Land betrifft, da das Visum an den jeweiligen Arbeitgeber gebunden ist. Alle Arbeiter berichteten, dass ihre Reisepässe bei ihrer Ankunft in den VAE von ihren Arbeitgebern eingezogen worden waren. Arbeitgeber können das Visum eines Arbeitnehmers, der seine Stelle kündigt, für ungültig erklären lassen, was zu seiner Abschiebung führt.

Einige Arbeiter berichteten über Bedingungen, die Zwangsarbeit gleichkommen: Ihre Arbeitgeber drohten mit einer Geldstrafe, sollten sie versuchen, innerhalb der ersten zwei Beschäftigungsjahre ihren Job zu kündigen. Damit waren sie gewissermaßen auf die „Insel des Glücks“ verbannt. In der Regel kennen die Arbeiter weder ihre Rechte noch wagen sie es, Beschwerden zu äußern. Hinzu kommt, dass es keine unabhängigen und wirksamen Kontrollen gibt.

„Die Museen und die NYU sollen darauf bestehen, dass ihre Entwicklungspartner vor Ort die grundlegenden Rechte der Arbeitnehmer garantieren. Wenigstens die Erstattung der gesetzeswidrigen Vermittlungsgebühren, offizielle Verträge in ihrer Muttersprache noch vor ihrer Ankunft sowie das Recht auf Streik und Tarifverhandlungen sollen gewährleistet sein“, so Whitson. „Sie sollen außerdem auf unabhängige Kontrollen in ihren Projekten durch Dritte bestehen und bei Verstößen angemessene Strafen verhängen.“

Die Untersuchungen auf Saadiyat Island haben gezeigt, dass die Behörden bereits mehrere Maßnahmen ergriffen haben. Als Human Rights Watch die Insel besuchte, befanden sich die Unterkünfte für die Arbeiter zwar noch im Bau, sie entsprachen jedoch weitgehend hygienischen Standards und waren nicht überfüllt. Das für den Ausbau der Insel zuständige, staatseigene Unternehmen TDIC hat von den Bauunternehmen vertragliche Zusicherungen gefordert, dass die Reisepässe der Arbeiter nicht einbehalten werden, niemand zur Zwangsarbeit herangezogen oder anderer Missbrauch betrieben wird.

Human Rights Watch kontaktierte Bauunternehmen, Architekturbüros und internationale Institutionen, die auf der Insel arbeiten, und verwies sie auf die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den Missbrauch von Arbeitern, die in ihren Projekten tätig sind. Von den kontaktierten Institutionen Guggenheim, New York University und französische Museumsagentur, die für das Louvre-Projekt in Abu Dhabi verantwortlich ist, hat lediglich die Museumsagentur entsprechende Schritte eingeleitet und von der TDIC durchgreifende, vertragliche Zusicherungen verlangt, die unabhängige Kontrollen der Arbeitnehmerrechte ermöglichen sollen. Aber selbst im Vertrag der Museumsagentur gibt es keine Garantien oder Regelungen, die ihr die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten einräumen.

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