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USA: Sexuelle Gewalt und Belästigung gegen eingewanderte Landarbeiterinnen

Migranten müssen durch den Violence Against Women Act und andere Gesetze geschützt werden

(New York) - In den USA besteht für Hundertausende eingewanderte Frauen und Mädchen ein erhöhtes Risiko, bei der Arbeit in der Landwirtschaft Opfer sexueller Gewalt und Belästigung zu werden. Weder die Behörden noch die Arbeitgeber schützen sie. Der aktuelle Gesetzesentwurf des US-Senats, der den Violence Against Women Act (VAWA) erneuern soll, kann dazu beitragen, dagegen vorzugehen, und soll verabschiedet werden. Aber es muss noch weit mehr getan werden.

Der 95-seitige Bericht „Cultivating Fear: The Vulnerability of Immigrant Farmworkers in the US to Sexual Violence and Sexual Harassment“ beschreibt Vergewaltigungen, Stalking, unerwünschte Berührungen, Exhibitionismus oder vulgäre und obszöne Sprache von Aufsichtspersonal, Arbeitgebern und anderen Personen in Machtpositionen. Die meisten befragten Landarbeiterinnen haben solche Misshandlungen erlebt oder kennen betroffene Personen. Und die meisten schweigen darüber, weil sie Racheakte fürchten. Überlebende zeigen sexuelle Belästigungen nur an oder wenden sich an die Polizei, wenn sie von Anwälten oder anderen Unterstützern dazu ermutigt und auf dem schwierigen Weg begleitet werden.

„Eingewanderte Landarbeiterinnen produzieren die Nahrung der Nation und ertragen ohnehin harte Arbeitsbedingungen. Es darf nicht sein, dass sie auch noch vom Aufsichtspersonal vergewaltigt und physisch oder verbal sexuell belästigt werden“, so Grace Meng, USA-Expertin von Human Rights Watch und Autorin des Berichts. „Die Arbeiterinnen erhalten keine Anerkennung. Stattdessen leiden sie unter einem nicht angemessen funktionierenden Einwanderungssystem und einem Arbeitsrecht, das sie von grundlegendem Schutz ausschließt, der für andere Arbeitnehmer selbstverständlich ist.“

Der Bericht beruht auf Interviews mit mehr als 160 Landarbeitern, Anwälten, Angehörigen der Agrarindustrie, Dienstleistern, Polizisten und anderen Experten im ganzen Land. Mehr als 50 befragte Frauen arbeiten auf unterschiedlichen Feldern in Kalifornien, North Carolina und New York.

Sie beschreiben unter anderen folgende Erfahrungen:

  • Eine Frau aus Kalifornien berichtet, dass sie ein Aufseher eines Salatunternehmens vergewaltigt hat. Hinterher sagte er ihr, sie solle daran denken, dass sie wegen ihm diesen Job hat.
  • Eine Frau aus New York sagt, dass einer der Aufseher den Frauen an die Brüste und an das Gesäß fasst, wenn sie Tomaten und Zwiebeln pflücken. Wenn eine von ihnen ihn auffordert, damit aufzuhören, droht er damit, die Einwanderungsbehörde zu rufen oder sie zu feuern.
  • Vier Frauen, die in Kalifornien Blumenkohl abgepackt haben, erlebten regelmäßig, dass sich ein Aufseher vor ihnen entblößte. Dabei machte er Kommentare wie: „[Diese Frau] gehört durchgefickt!“. Als sie gemeinsam versucht haben, eine junge Frau zu verteidigen, die er besonders stark bedrängte, hat er sie alle gefeuert.

Die Täter sind sich darüber bewusst, dass sie Macht über ihre Opfer haben. Daher sind bestimmte Gruppen besonders verletzlich, etwa Mädchen und junge Frauen, kürzlich eingewanderte, alleinstehende und indigene Frauen, vor allem, wenn sie kaum Spanisch oder Englisch sprechen.

„Landarbeiterinnen haben oft das Gefühl, völlig machtlos zu sein, wenn sie von Aufsehern oder Arbeitgebern misshandelt werden. Und das mit gutem Grund.“, so Meng. „Die Täter misshandeln die Betroffenen über lange Zeiträume immer wieder - sogar dann, wenn sich einige Arbeiterinnen beschweren.“

Für die Opfer ist es fast unmöglich, Gerechtigkeit zu erlangen. Mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft haben keine Papiere und befürchten, abgeschoben zu werden, wenn sie Anzeige erstatten.

So wurde eine Landarbeiterin abgeschoben, während ihr Verfahren wegen sexueller Belästigung lief. Als eine andere Migrantin ohne Papiere ihre Angst überwand und ihre Vergewaltigung bei der Polizei anzeigte, wurde ihr Aufseher festgenommen. Allerdings wurde er nicht angeklagt, sondern abgeschoben. Sie hat gehört, dass er plant, zurückzukehren.

Sogar die wenigen, die Gastarbeiter-Visa haben, sind verletzlich. Da ihr Rechtsstatus von ihren Arbeitgebern abhängt, zögern auch sie oft, Übergriffe am Arbeitsplatz anzuzeigen.

Wenn Überlebende Misshandlungen anzeigen, müssen sie ein langwieriges und schwieriges Verfahren durchlaufen, das für eingewanderte, einkommensschwache Menschen mit geringen Englischkenntnissen oft unzugänglich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die lokale Polizei zunehmend an Abschiebungen beteiligt ist. Staatliche Programme wie „Secure Communities“ und Gesetze in einzelnen Bundesstaaten, etwa SB 1070 in Arizona und HB 56 in Alabama, schüren die Angst vor der Polizei und anderen staatlichen Behörden.

Das US-Recht bietet einigen eingewanderten Landarbeitern, die sexuelle Gewalt überlebt haben, begrenzten, aber lebenswichtigen Schutz. Das U-Visum ermöglicht Betroffenen bestimmter, schwerwiegender Verbrechen, sich für eine begrenzte Zeit in den USA aufzuhalten, sofern sie schwere physische oder psychische Belastungen erlitten haben und die Ermittlungen unterstützen. Daher ermutigt dieses Visum Einwanderer ohne Papiere, Verbrechen anzuzeigen.

Aber der Kongress könnte selbst diesen begrenzten Schutz bald aushöhlen. Während der Debatte um die Erneuerung des Violence Against Women Act wurden Vorschläge, das U-Visum zu stärken, harsch kritisiert. Andere Versionen des Gesetzestextes sehen willkürliche und ungerechtfertigte Barrieren vor, wenn Überlebende sich um das Visum bewerben.

„Immer mehr Landarbeiterinnen sind in der Gefahr, sexuell misshandelt zu werden, solange der Kongress das Einwanderungsrecht nicht reformiert“, so Meng. „Das mindeste, was er jetzt tun kann, ist, VAWA zu erneuern - und zwar mit stärkerem Schutz für Migrantinnen.“

Obwohl sie wichtig ist, würde auch die Stärkung des U-Visums nicht alle Probleme beseitigen. Landarbeiter, die rechtlich gegen sexuelle Misshandlung vorgehen wollen, sind mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Etwa müssen Betroffene nachweisen, dass sie die polizeilichen Ermittlungen unterstützen, wenn sie ein U-Visum beantragen. Allerdings sind bei weitem nicht alle Polizeibeamten gewillt, den Opfern das benötigte Dokument auszustellen. Der Irrglaube, sie würden damit irregulären Migranten „zu Green Cards verhelfen“, ist weit verbreitet.

Darüber hinaus schließen grundlegende Gesetze, die nahezu alle anderen Arbeitnehmer in den USA schützen, Landarbeiter aus. Das umfasst etwa das Verbot von Kinderarbeit und das Recht auf Tarifverhandlungen. Andere Gesetze, die auch Migranten betreffen, werden nicht umgesetzt. Viele Landarbeiter haben andere Verletzungen von Arbeitnehmerrechten erlebt oder beobachtet, wie keine Lohnzahlung, den gefährdenden Einsatz von Pestiziden und Kinderarbeit. In diesem Umfeld vertrauen die Betroffenen nicht darauf, dass ihre Arbeitgeber gegen Misshandlungen, auch gegen sexuelle, vorgehen.

Schließlich erleben Opfer von sexuellen Misshandlungen im Agrarsektor genau wie andere Betroffene in den USA oft, dass die Polizei ihre Anzeigen nicht angemessen prüft.

Sowohl das Völkerrecht als auch amerikanische Gesetze sehen vor, dass alle Arbeitnehmer, auch irreguläre Migranten, das gleiche Recht auf Schutz am Arbeitsplatz haben. Diese Vorschriften dienen auch dazu, Arbeitgeber davon abzuhalten, Personen einzustellen, die sie leicht ausbeuten können.

Human Rights Watch fordert die US-Regierung und Arbeitgeber auf, die folgenden Schritte zu unternehmen, um sichere Arbeitsbedingungen für regulär und irregulär eingewanderte Arbeitnehmer zu gewährleisten:

An den Kongress der Vereinigten Staaten:

  • Der Violence Against Women Act (VAWA) soll in der Fassung des Senats erneuert oder ein ähnliches Gesetz verabschiedet werden, das Opfern sexuellen Missbrauchs spezielle Mittel zur Verfügung stellt und besondere Beachtung schenkt. Insbesondere sollen eingewanderte Landarbeiterinnen besser geschützt werden.
  • Um die massiven Verletzungen der Rechte eingewanderter Arbeitnehmer zu reduzieren, sollen neue Einwanderungsgesetze verabschiedet werden. Etwa soll das bestehende Programm für Gastarbeiter in der Landwirtschaft reformiert und ein neues Programm aufgelegt werden, damit Landarbeiter mit irregulärem Aufenthaltsstatus, die sich bereits in den USA aufhalten, Rechtssicherheit erlangen.
  • Der Ausschluss von Landarbeitern vom Arbeitnehmerschutz u.a. des National Labor Relations Acts und des Fair Labor Standards Acts soll abgeschafft werden.

An das Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten:

  • Programme wie „Secure Communities“, die lokale Polizeistellen ermutigen oder auffordern, das Einwanderungsrecht des Bundes durchzusetzen, sollen zurückgezogen werden.

An die Polizei und Sheriffs:

  • Alle Anzeigen von sexueller Gewalt sollen umfassend und unabhängig vom Einwanderungsstatus der Betroffenen geprüft werden.
  • Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigungen soll zugesichert werden, dass Personen, die Verbrechen anzeigen, nicht bei der Einwanderungsbehörde gemeldet werden.

An Arbeitgeber in der Landwirtschaft:

  • Klare Richtlinien, die sexuelle Belästigung verbieten, sollen formuliert und umgesetzt werden.

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