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Dass US-Geheimdienste die Telefone verbündeter Staatschefs abhören, löste in Europa verständlicherweise einen Aufschrei aus. Viel schwerer wiegt jedoch, dass die US-Regierung Millionen Menschen abhören lässt, die sich nicht juristisch zur Wehr setzen können, weil ihnen die amerikanische Staatsbürgerschaft fehlt. Die von Edward Snowden aufgedeckte massenhafte Überwachung in Europa und dem Rest der Welt unterstreicht, wie wichtig ein internationaler Konsens darüber ist, dass Regierungen die Rechte von Menschen, die sich außerhalb ihrer Staatsgrenzen befinden, nicht ignorieren dürfen.

Elektronische Überwachung ist heute ein Kinderspiel. Mit einer einfachen Anfrage an den Mobilfunkanbieter können die Behörden den Lebenswandel einer Person rekonstruieren. Gleichzeitig sinken die Kosten für die Speicherung und Verarbeitung riesiger Datenmengen dramatisch. Schon jetzt beruht ein beträchtlicher Teil unseres Alltags auf digitaler Kommunikation – ein Trend, der sich weiter beschleunigen wird. Angesichts dessen sind zügige Reformen nötig, andernfalls drohen die Probleme aus dem Ruder zu laufen. Dabei geht es nicht nur um unsere Email-Konten und Handys, sondern auch um Kalender, Adressbücher, Kontoauszüge und Patientendaten. Denn Regierungen und Unternehmen können die Aufenthaltsorte, Kontakte und Mitteilungen einzelner Personen immer genauer mitverfolgen.

Die EU könnte weltweit Maßstäbe setzen

Demgegenüber stehen Gesetze, die im Zeitalter der analogen Kommunikation geschrieben wurden, als grenzübergreifende Verbindungen selten und Onlinekommunikation oder soziale Netzwerke noch Zukunftsmusik waren. In der Prä-Internet-Ära waren Überwachungsmaßnahmen arbeitsintensiv und zeitraubend, was willkürlichen und missbräuchlichen Praktiken von vornherein Grenzen setzte. Heute gilt es, dass das Recht mit den dramatisch verbesserten Spionage- und Analysekapazitäten Schritt halten kann.

Im September legte ein Bündnis aus NGOs und Technologieexperten Grundsätze zum Schutz der Menschenrechte bei der Kommunikationsüberwachung vor, die Regierungen als Leitfaden für die Modernisierung des Datenschutzes dienen sollen. Diese Internationalen Grundsätze enthalten Empfehlungen dafür, wie sich gewährleisten lässt, dass Maßnahmen zur Kommunikationsüberwachung rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig sind und einem angemessenen Schutz gegen Missbrauch unterliegen. Diese Prinzipien sind ein hilfreicher Ausgangspunkt für Regierungen, die den Schutz der Privatsphäre ernst nehmen.

Die EU zeigt sich schon jetzt offen, wenn es um den Datenschutz durch private Akteure geht. Mit Bestimmungen, die jeden Nutzer selbst entscheiden lassen, welche Daten er einem Unternehmen anvertraut und wie dieses seine Daten nutzen darf, setzt die Union im weltweiten Vergleich Maßstäbe. Dennoch müssen Gesetzgeber und Regulierer auf beiden Seiten des Atlantiks mehr tun.

Wenn europäische Regierungen Zugang zu Nutzerdaten verlangen, zu deren Speicherung die Unternehmen über erhebliche Zeiträume verpflichtet sind, unterliegen diese Anfragen hingegen einer relativ laxen Kontrolle. Die USA überlassen den Datenschutz ihren 50 Bundesstaaten, was zu einem heillosen regulatorischen Durcheinander geführt hat. Während die US-Regierung versucht, den Datenschutz in Europa zu verwässern, richten die europäischen Regierungen den Zeigefinger auf US-Unternehmen und schweigen darüber, inwieweit sie von der Überwachungsmaßnahmen der USA profitiert haben.

Verpflichtung zum Schutz der Privatsphäre

Es ist an der Zeit, dass Regierungen in der ganzen Welt uns reinen Wein über ihre Spionagepraktiken einschenken und nicht abwarten, bis die neuesten Snowden-Enthüllungen sie ans Licht bringen. Es muss eine weltumspannende Verpflichtung zum Schutz der Privatsphäre jedes einzelnen geben, insbesondere vor dem Hintergrund der technologischen und spionagetechnischen Fortschritte der letzten Jahre. Jede Regierung soll ihren Überwachungspraktiken klare Grenzen setzen – insbesondere der Überwachung von Personen außerhalb des eigenen Staatsgebiets.

Zudem soll der Schutz der Privatsphäre auch nicht dadurch geschwächt werden, indem Überwachungsdaten weitergegeben werden, um eigene Verpflichtungen zu umgehen. Sicherheit ist zweifellos wichtig, doch die westlichen Verbündeten sollen darin übereinstimmen, dass eine massenhafte, also nicht gezielt und eng begrenzt erfolgende Überwachung in einer Demokratie niemals als normale oder verhältnismäßige Maßnahme akzeptiert werden darf.

In Washington setzt man sich endlich mit den Snowden-Enthüllungen auseinander, hält Anhörungen ab und diskutiert Gesetze, die dazu beitragen könnten, den schier unbegrenzten Überwachungsbefugnissen der NSA Grenzen zu setzen. Einige Vorschläge sehen vor, das pauschale Datensammeln einzuschränken oder ganz zu verbieten, Überwachungsmaßnahmen transparenter zu dokumentieren und das Sondergericht, das hinter verschlossenen Türen über Überwachungsanträge entscheidet, verstärkt als Gegengewicht zur Exekutive zu betrachten. Diese Ideen sind wichtig, doch sie zielen nur auf die Persönlichkeitsrechte von Amerikanern und Ausländern ab, die sich in den USA aufhalten. Personen ohne amerikanischen Pass außerhalb der USA bleiben außen vor.

Eine wirksame Kontrolle muss her

Da die Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit das Epizentrum des Internets bleiben werden, sind sie in der Lage, routinemäßig in die digitale Privatsphäre von Menschen in aller Welt einzudringen. Dabei schenken sie den Datenschutzinteressen von Ausländern außerhalb der USA kaum Beachtung. Es liegt daher im Interesse aller Staaten, dass die amerikanische Politik die NSA in die Schranken weisen, dass Überwachungsoperationen einer wirksamen Kontrolle durch Öffentlichkeit, Kongress und Justiz unterliegen, und das die amerikanischen Gesetze modernisiert werden, damit diese der heutigen und der zukünftigen technologischen Realität gerecht werden.

Auf dem Weg zu Reformen könnten amerikanische Internetfirmen eine hilfreiche Rolle spielen. Denn wie die immer neuen Enthüllungen belegen, sind auch ihre Daten nicht vor der Neugier der NSA sicher. Die Unternehmen stehen deshalb unter Zugzwang, das Vertrauen ihrer Kunden wiederherzustellen und den Kongress zu einem besseren Schutz der Privatsphäre zu drängen. Wenn die Regierung in Washington schon nicht auf das Ausland hört, so soll sie zumindest den Belangen heimischer Unternehmen Gehör schenken. Ihnen drohen im Auslandsgeschäft erhebliche Schäden, solange die USA nicht anerkennen, dass jeder Mensch ein Recht auf Privatsphäre hat.

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