Europäische Union
Die Europäische Union war im Jahr 2016 mit großen, strategischen Herausforderungen konfrontiert, darunter die Flüchtlingskrise, die Austrittsentscheidung Großbritanniens, extremistische Gewalt und der Aufstieg populistischer, einwanderungsfeindlicher Parteien. Darauf reagierten die EU-Regierungen und Institutionen oftmals in einer Weise, die Grundwerte und den Schutz von Rechten unterminierte oder an den Rand verwies, statt gemeinsam und gezielt daran zu arbeiten, sie zu schützen.
Migration und Asyl
Angesichts der größten, weltweiten Vertreibungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gelang es der EU insgesamt nicht, eine Führungsrolle einzunehmen und solidarisch zu handeln. Die Diskussionen über den politischen Umgang mit der Krise stellten überwiegend Sicherheitsfragen, kulturelle Identität und den Aufstieg populistischer, fremdenfeindlicher Parteien ins Zentrum. Maßnahmen der EU konzentrierten sich vor allem darauf, zu verhindern, dass Menschen die EU erreichen, und die Verantwortung für Asylsuchende und Flüchtlinge in andere Regionen zu verlagern.
Grenzschließungen entlang der Balkan-Route und ein im März geschlossenes Übereinkommen mit der Türkei trugen zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Menschen bei, die auf dem Seeweg griechische Inseln in der Ägäis erreichten, während sich die Zahl der aus Nordafrika nach Italien kommenden Bootsmigranten verglichen mit den Vorjahren kaum veränderte. Zahlen der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge haben in den ersten zehn Monaten des Jahres nahezu 328.000 Menschen europäische Küsten auf dem Seeweg erreicht, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 736.646.
Von den auf dem Seeweg ankommenden Menschen stammten 58 Prozent aus den zehn wichtigsten Herkunftsländern von Flüchtlingen, darunter Syrien, Afghanistan, der Irak und Eritrea, so der UNHCR. Aus Nigeria, Pakistan, Gambia, der Elfenbeinküste und Guinea stammten insgesamt 21 Prozent. Fast ein Drittel waren Kinder. Die Zahl unbegleiteter Kinder ist im Laufe der vergangen Jahre angestiegen.
Obwohl Such- und Rettungsoperationen auf dem Mittelmeer besser ausgestattet wurden und zahllose Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Rettungsmissionen durchführten, sind bis Mitte November 4.271 Menschen im Mittelmeer ertrunken oder verschwunden. Damit ist das Jahr 2016 das bislang tödlichste von allen, für die Zahlen vorliegen. Die EU begann, Offiziere der lybischen Küstenwache auszubilden, trotz anhaltender Sorge über die Gewalt und erniedrigenden Bedingungen in lybischen Hafteinrichtungen und die Abwesenheit eines funktionierenden Asylsystems.
Grenzschließungen entlang der Balkanroute und verschärfte Grenzkontrollen durch Österreich, Frankreich und die Schweiz führten dazu, dass Asylsuchende und Migranten in Griechenland und Italien stecken blieben. An der bulgarisch-türkischen und der mazedonisch-griechischen Grenze wurden Menschen gewaltsam zurückgedrängt. Österreich, Dänemark, Ungarn, Schweden und Deutschland sind einige der EU-Staaten, die neue, restriktivere Asylgesetze verabschiedet haben.
Die EU-Regierungen waren überwiegend nicht daran interessiert, die Verantwortung für Asylsuchende innerhalb der Union gleichmäßiger zu verteilen. Bis Mitte November wurden nur 7.224 Asylsuchende entsprechend eines Notumverteilungsplans von Griechenland und Italien in andere EU-Länder gebracht, gab die Europäische Kommission bekannt. Die Kommission schlug einen dauerhaften Umverteilungsmechanismus vor, um die Länder zu unterstützen, in denen unverhältnismäßig viele Menschen ankommen. Allerdings könnten sich Staaten unter diesem Mechanismus davon freikaufen, Asylsuchende aufzunehmen. Auch die Dublin-Regel, nach der die Hauptverantwortung für die Asylsuchenden beim Einreiseland in die EU liegt, soll bestehen bleiben.
Ein neuer europäischer Grenz- und Küstenschutz nahm im Oktober die Arbeit auf. Er ersetzt die Grenzagentur Frontex, ist unabhängiger von den Mitgliedsstaaten als seine Vorgängerin und soll eine größere Rolle bei Abschiebungen spielen. Er verfügt über einen Beschwerdemechanismus, aber nicht über ein explizites Mandat, Such- und Rettungsmissionen durchzuführen.
Im März schloss die EU ein problematisches Abkommen mit der Türkei, die nun Asylsuchende zurücknehmen soll, die auf den Seeweg nach Griechenland kommen. Dafür erhält die Türkei Milliarden Euro an Hilfsgeldern sowie die Zusage, dass die EU für jeden zurückgeschickten Menschen aus Syrien einen anderen aufnimmt. Im Juni kündigte die Kommission einen neuen „Migrationspartnerschaftsrahmen“ an, der Entwicklungshilfe an Zusammenarbeit in Migrationsfragen knüpft und von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit kritisiert wurde. Die EU begann im gleichen Monat, in Ländern wie dem Sudan und Eritrea Projekte zur Migrationskontrolle aufzusetzen.
Die Aufnahme von Asylsuchenden ging insgesamt nur langsam voran. Bis Juli 2016 wurden nur 8.268 Flüchtlinge in EU-Staaten gebracht, während der zugrundeliegende EU-Plan aus dem Juli 2015 vorsieht, innerhalb von zwei Jahren 22.000 Menschen aufzunehmen. Allerdings haben ein paar EU-Staaten weitere Personen unter bilateralen Abkommen aufgenommen. Zehn EU-Mitgliedsstaaten haben keinen einzigen Menschen aufgenommen. Diese ernüchternde Bilanz mindert die Hoffnung, dass der von der Kommission vorgeschlagene Neuansiedlungsrahmen tatsächlich implementiert wird. Der Vorschlag würde die Zusammenarbeit in Einwanderungsfragen zu einem Bestandteil der Entscheidung machen, ob Flüchtlinge aus einem Aufnahmeland in die EU gebracht werden.
Die Europäische Kommission machte im Juli eine Reihe von Vorschlägen, um das dysfunktionale Asylsystem der EU zu reformieren. Sie umfassen einen besser Schutz von Kindern und besseren Zugang zu Anwälten. Allerdings sollen Asylsuchende bestraft werden, wenn sie von einem EU-Land in ein anderes reisen. Auch würden sie Sammelentscheidungen darüber vereinfachen, Asylgesuche zurückzuweisen und Personen ihren Flüchtlingsstatus zu entziehen. Bei Redaktionsschluss hatten der Rat und das Parlament noch nicht über diese Vorschläge entschieden.
Diskriminierung und Intoleranz
Die anhaltende Flüchtlingskrise und Anschläge bewaffneter Extremisten in Belgien, Frankreich und Deutschland verstärkten fremdenfeindliche, islamophobe und einwanderungsfeindliche Einstellungen, die sich in Angriffen auf Muslime, Migranten und Menschen, die die Täter als Ausländer wahrnahmen, manifestierten. Auch populistische, einwanderungsfeindliche Parteien verzeichneten in vielen EU-Staaten erhöhten Zulauf.
Antisemitismus und antisemitische Hassverbrechen blieben ein ernstes Problem in einigen EU-Staaten, darunter Großbritannien und Frankreich. In einer im April verabschiedeten Resolution zur Bekämpfung von Antisemitismus in Europa stellte die Parlamentarische Versammlung des Europarats fest, dass Angehörige jüdischer Gemeinschaften überall in Europa regelmäßig beleidigt und tätlich angegriffen werden.
Im September warnte der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Zeid Ra’ad Al Hussein, die Führer populistischer Parteien in Europa davor, dass es Gesellschaften zu zerstören droht, wenn Fanatismus und Fremdenhass für politische Zwecke missbraucht werden.
In ihrem im Mai veröffentlichten Jahresbericht beobachtete die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates einen Trend hin zu Einwanderungsfeindlichkeit und Islamophobie und betonte, dass rassistische Gewalt bekämpft werden muss. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, rief die europäischen Staaten nachdrücklich dazu auf, die Integration von Migranten zu einem Schwerpunkt zu machen und sie vor Diskriminierung zu schützen.
Im Juni gründete die Europäische Kommission eine Hochrangige Gruppe zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen der Intoleranz, um die Bekämpfung von Hassverbrechen in der EU zu verbessern. In einem im April veröffentlichten Bericht hatte die EU-Grundrechteagentur betont, dass Hassverbrechen oft nicht angezeigt und verfolgt werden, und die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, den Zugang zu Recht für die Betroffen zu verbessern.
Im Mai berichtete das Europäische Netzwerk gegen Rassismus, dass muslimische Frauen das Hauptziel von Islamophobie in den acht untersuchten EU-Staaten sind.
Im Februar forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Muižnieks, die Zwangsräumungen von Roma in mehreren europäischen Ländern zu beenden und stellte fest, dass diese Maßnahmen die Verletzlichkeit von Roma-Familien erhöhen, ihre soziale Inklusion verhindern und einer regulären Schulbildung ihrer Kinder entgegen stehen.
Im Mai rief der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, die Regierungen dazu auf, zu gewährleisten, dass Kinder in einer sicheren Umgebung lernen können, das heißt frei von Gewalt, Mobbing und jeglicher Form von Diskriminierung, auch auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.
Im März schlug die Europäische Kommission vor, dass die EU die Istanbul Konvention über häusliche Gewalt als Institution ratifiziert. Věra Jourová, EU-Kommissarin für Justiz, sagte, dass eine von drei Frauen in der EU körperliche oder sexualisierte Gewalt oder beides erlebt hat, und rief die verbliebenen zwölf Mitgliedsstaaten auf, die Konvention zu ratifizieren.
Malta gehörte zu den acht EU-Staaten, die begannen, an einem Pilotprojekt für einen EU-Behindertenausweis zu arbeiten, der die gegenseitige Anerkennung der Rechte und Ansprüche der 80 Millionen in der EU lebenden Menschen mit Behinderungen gewährleisten soll. In einem im August veröffentlichten Bericht stellte die EU Grundrechteagentur fest, dass Migranten mit Behinderungen wegen Lücken in der Erstprüfung bei ihrer Ankunft, Registrierung und im Asylverfahren nicht angemessen unterstützt werden.
Terrorismus und Terrorismusbekämpfung
Bei Anschlägen in Belgien, Frankreich und Deutschland, zu denen sich überwiegend der Islamische Staat (oder „ISIS“) bekannte, kamen zahlreiche Menschen ums Leben, Hunderte weitere wurden verletzt. In Folge der Anschläge wurden in EU-Staaten Vorschläge erneuert und Maßnahmen ergriffen oder verschärft, um die Befugnisse der Polizei und zur Überwachung auszuweiten, die Zusammenarbeit von Geheimdiensten zu verbessern und Personen, die nachweislich Terrorakte begangen haben, die doppelte Staatsangehörigkeit zu entziehen.
Nachdem am 22. März koordinierte Anschläge auf den Flughafen und eine U-Bahn-Station in Brüssel verübt wurden, schlug die belgische Regierung eine Reihe neuer Anti-Terror-Gesetze vor, mit denen die Überwachungs- und Inhaftierungskapazitäten ausgebaut werden sollen. Bei Redaktionsschluss war noch kein neues Gesetz in Kraft getreten.
Im März 2016 verabschiedeten die EU-Justiz- und Innenminister einen Richtlinienentwurf, der die rechtlichen Grundlagen für Terrorismus-Prävention durch die EU stärken soll. Insbesondere sollen vorbereitende Handlungen kriminalisiert werden, etwa die Ausbildung für oder Reisen ins Ausland zu terroristischen Zwecken. Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass die Schutzmaßnahmen im Entwurf unzureichend und die Formulierungen zu unpräzise seien. Bei Redaktionsschluss wurde über den Entwurf beraten.
Im April nahm der Europäische Rat eine Richtlinie an, mit der der Austausch personenbezogener Daten über Flugreisende zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten reguliert werden soll, der mit Blick auf mögliche Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze und andere schwere Verbrechen erfolgt.
Im Juni forderte das Europäische Parlament erneut, die Verwicklung von EU-Mitgliedsstaaten in CIA-Folter und Geheimhaft auf europäischen Boden zu untersuchen. Damit wies es auch darauf hin, dass nationale Untersuchungen kaum vorankommen. Die strafrechtlichen Ermittlungen in Polen und Litauen stagnieren, während die in Großbritannien ohne Anklage endete.
Kroatien
Weniger als 500 Personen beantragten in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 Asyl in Kroatien. Im gleichen Zeitraum erhielten 34 einen Schutzstatus. Hindernisse auf der Migrationsroute im westlichen Balkan reduzierten die Zahl der Neuankommenden. Kroatien drängt weiterhin Asylsuchende und Migranten zurück, die versuchen, über Serbien einzureisen.
Die Regierungen macht kleinere Fortschritte dabei, die wenigen Menschen unterzubringen, die nicht aus dem westlichen Balkan stammen und einen Schutzstatus erhalten haben. Allerdings haben Asylsuchende und Flüchtlinge, die nicht aus der Region stammen, weiterhin kaum Zugang zu Bildung und Arbeit. Unbegleitete Kinder werden immer noch in stationären Einrichtungen untergebracht, unter anderem in Einrichtungen für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, ohne geeignetes Vormundschaftssystem oder Zugang zu Bildung.
Menschen mit Behinderungen sind weiterhin gesellschaftlich marginalisiert und werden diskriminiert. Barrieren verhindern, dass sie wie andere Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das Vormundschaftssystem nimmt rund 18.000 Menschen mit Behinderungen das Recht, Entscheidungen über ihr Leben zu treffen.
Im Februar urteilte der EGMR, dass Kroatien eine Frau aus Bosnien und Herzegowina auf Grund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert hat, indem ihr eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert wurde, durch die sie mit ihrer Partnerin hätte zusammenleben können.
Im April wies der Menschenrechtskommissar des Europarats, Muižnieks, darauf hin, dass Diskriminierung, ethnische Intoleranz und Hassrede insbesondere gegen Juden, Roma und Serben zunehmen. Der Kommissar warnte vor unzureichenden staatlichen Reaktionen auf tätliche Gewalt, Todesdrohungen und Einschüchterung von Journalisten.
Bis August 2016 waren mehr als 2.800 Personen staatenlos oder von Staatenlosigkeit bedroht. Für sie ist es besonders schwierig, grundlegende staatliche Dienste in Anspruch zu nehmen, darunter Gesundheitsversorgung, soziale Unterstützung und angemessene Wohnungen. Romakinder blieben im Bildungssystem faktisch segregiert.
Estland
Angaben des Innenministeriums zufolge waren im Januar 2016 etwa 6,1 Prozent der 1,3 Millionen Einwohner Estlands staatenlos, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr.
Staatenlosigkeit betrifft überproportional ethnische Russen, seitdem Estland im Jahr 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte und Maßnahmen ergriff, die den meisten nicht-Esten ihre Staatsbürgerschaft entzog. Staatenlose Menschen können weiterhin nur mit großen Schwierigkeiten ihre Arbeitnehmerrechte geltend machen und dürfen bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben. Unter anderem dürfen sie nicht als Richter, Polizisten oder Staatsanwälte arbeiten.
Am 1. Januar 2016 traten Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Kraft. Sie sehen vor, dass Kinder staatenloser Eltern automatisch die estnische Staatsangehörigkeit erhalten. Zuvor mussten die Eltern dies beantragen, nun können sie innerhalb eines Jahres widersprechen. Die Änderungen befreien außerdem Menschen ab einem Alter von 65 Jahren von dem schriftlichen Teil des Estnischtests, der für eine Einbürgerung erforderlich ist.
Die Sprachanforderungen bleiben die größte Einbürgerungshürde für die russischsprachige Bevölkerung. Die Kosten für die Einbürgerung, etwa für den Antrag und die Vorbereitung des Sprachtests, und die Höhe des erforderlichen Einkommens verhindern die Einbürgerung armer Langzeit-Einwohner und tragen zur Staatenlosigkeit innerhalb der russischsprachigen Bevölkerung bei. Die Gebühren für den Sprachtest werden erst zurückerstattet, wenn der Bewerber den Test bestanden hat.
Die Regierung hat Änderungen das Gesetzes über Lebensgemeinschaften nicht bestätigt, weshalb es im Jahr 2016 nicht vollständig in Kraft treten konnte. Das progressive Gesetz gibt unverheirateten Paaren, auch gleichgeschlechtlichen Paaren, die gleichen Rechte wie verheirateten Paaren, unter anderem hinsichtlich der Adoption von Kindern und Eigentumsrechten.
Estland hielt an einer minimalistischen Asylpolitik fest. Bis November nahm die Regierung 66 Asylsuchende aus Griechenland unter dem EU-Umverteilungsplan auf, so die Europäische Kommission.
Frankreich
In Frankreich wurden im Juni und Juli drei tödliche Attentate verübt, zu denen sich ISIS bekannte, darunter ein Anschlag mit einem LKW in Nizza, bei dem 86 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Der Staatsnotstand, den Präsident François Hollande nach den Anschlägen in Paris und Saint-Denis im November 2015 ausgerufen hatte, wurde vom Parlament im Februar und Mai 2016 verlängert.
Am 21.Juli, wenige Tage nach dem Anschlag in Nizza, nahm das Parlament ein neues Gesetz an, das den Notstand um weitere sechs Monate verlängert und die schon vorher umfassenden Durchsuchungs-, Beschlagnahmungs- und Inhaftierungsbefugnisse der Polizei ausweitet.
Das neue Gesetz verschärft verschiedene terrorismusbezogene Vorschriften in Gesetzen und im Strafgesetzbuch. Es führt erneut die Erfassung von Computer- und Mobiltelefondaten ohne richterlichen Beschluss ein, die das oberste Gericht Frankreichs früher im Jahr als verfassungswidrig untersagt hatte. Zwar enthält das neue Gesetz nun Schutzvorschriften, aber eine ordentliche gerichtliche Aufsicht ist weiterhin nicht vorgesehen.
Das Gesetz kam nur wenige Wochen nach einem bereits sehr breiten Anti-Terror-Gesetz, das im Juni vom Parlament verabschiedet wurde. Die Nationale Beratungskommission für Menschenrechte (CNCDH) kritisierte, dass es Freiheitsrechte einschränke.
Zwischen November 2015 und Juli 2016 führte die Polizei unter dem Notstandsrecht und ohne richterliche Beschlüsse fast 4.000 Hausdurchsuchungen durch und stellte 400 Personen unter Hausarrest. All diese Maßnahmen führten gerade einmal zu sechs strafrechtlichen Ermittlungen mit Terrorismus-Bezug und betrafen vor allem Muslime. Sie verletzten Freiheitsrechte, die Privatsphäre, die Bewegungsfreiheit und das Recht, nicht diskriminiert zu werden.
Eine französische Untersuchungskommission, die sich mit den Anschlägen in Paris befasste, kam am 5. Juli zu dem Ergebnis, dass der Staatsnotstand die Sicherheit nur „begrenzt“ verbessert habe. Darüber hinaus beschrieben die Experten gravierende Fehler in der Analyse von geheimdienstlichen Daten, die dazu hätten beitragen können, die Anschläge zu verhindern. In einer Überprüfung von Frankreich im Mai äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über die übermäßige Gewaltanwendung der Polizei bei Hausdurchsuchen im Zusammenhang mit dem Notstand und bei Demonstrationen.
Im August 2016 erließen die Bürgermeister von etwa 30 Orten Verordnungen, die es Frauen verbieten, am Strand den ganzen Körper bedeckende Badeanzüge (so genannte „Burkinis“) oder andere, die Haut verdeckende Kleidung zu tragen, da diese die öffentliche Ordnung gefährde.
Die französische Menschenrechtsliga und die Vereinigung gegen Islamophobie in Frankreich klagten vor Verwaltungsgerichten gegen diese Verbote. Im August entschied der Staatsrat, das höchste Verwaltungsgericht, dass eine der Vorschriften gegen Grundrechte verstößt und ordnete an, sie außer Kraft zu setzen. Einige Verbote wurden daraufhin zurückgezogen oder gerichtlich annulliert, während andere Gerichte sie trotz des Staatsratsurteils aufrecht erhielten.
Behördenangaben zufolge lebten im August 6.900 Migranten in einem als „der Dschungel“ bekannten Lager in Calais, mehr als doppelt so viele als die Behörden ein Jahr zuvor geschätzt hatten. NGOs betonen, dass die tatsächliche Zahl höher sei. Am 7. Juli äußerte sich die CNCDH besorgt darüber, dass immer mehr Menschen unter „menschenunwürdigen“ Bedingungen in dem Lager leben.
Eine im Jahr 2016 von UNICEF durchgeführte Studie zu unbegleiteten Kindern in den Lagern in Calais und Dunkirk kam zu dem Ergebnis, dass diese dort sexuelle Ausbeutung, Gewalt und Zwangsarbeit erleben. In der letzten Oktoberwoche lösten die französischen Behörden das Lager in Calais auf. Zwischen dem 24. und dem 26. Oktober wurden knapp 5.600 Menschen in Aufnahmeeinrichtungen überall im Land untergebracht und einige unbegleitete Kinder nach Großbritannien überstellt (siehe unten). Willkürliche Altersfeststellungen führten dazu, dass einige Minderjährige von dem speziell für Kinder vorgesehenen Verfahren ausgeschlossen wurden.
Unter dem Umsiedlungsplan der EU hat Frankreich bis Redaktionsschluss 2.091 Asylsuchende aus Griechenland und 231 aus Italien aufgenommen und damit von allen EU-Staaten die meisten.
Im Juli kritisierte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte „unterdurchschnittliche“ Bedingungen in Aufnahme- und Unterbringungseinrichtungen für Asylsuchende in Frankreich.
Im Juli befand es die Nationalversammlung als zu teuer, Polizisten dazu zu verpflichten, Personenkontrollen zu dokumentieren. Den Vorschlag hatten Menschenrechtsverteidiger als wichtige Maßnahme gegen diskriminierende Kontrollen bezeichnet.
Im November entschied das Kassationsgericht in drei Fällen gegen den Staat, bei denen es um Polizeikontrollen auf Grundlage der „ethnischen Profile“ der Betroffen ging. Das Gericht stellte fest, dass diese Kontrollen „diskriminierend“ waren und dass der Staat „grob fahrlässig“ handele. Einem im gleichen Monat veröffentlichten CNCDH-Bericht zufolge zeigen mehrere voneinander unabhängige Studien, dass junge Männer, die „sichtbaren“ Minderheiten angehören, überproportional häufig von Personenkontrollen betroffen sind.
In einem im April veröffentlichten Bericht äußerte sich die CNCDH besorgt über den Anstieg rassistischer, antisemitischer und islamophober Vorfälle, der aus der Zahl der im Jahr 2015 bei der Polizei angezeigten Taten ersichtlich ist.
Die französischen Gefängnisse sind weiterhin massiv überbelegt und die Selbstmordrate unter jüngeren Insassen bleibt hoch, insbesondere unter Frauen. Das kritisierte im Juli der UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Gefangene mit psychosozialen Behinderungen haben oftmals keinen angemessenen Zugang zu Betreuung.
Deutschland
Deutschland war weiterhin darum bemüht, mit den Auswirkungen der Ankunft von 890.000 Asylsuchenden und Migranten im Jahr 2015 umzugehen. Eine Reihe von Anschlägen im Juli, von denen einige von ISIS inspiriert waren oder mutmaßlich auf ISIS zurückgehen, rückten die Terrorismusbekämpfung ins Zentrum.
Die Behörden versuchten, auf eine Welle von Brandanschlägen auf Unterkünfte von Asylsuchenden zu reagieren. Die Bundespolizei verzeichnete mehr als 850 solcher Anschläge zwischen Januar und Mitte November 2016.
Die Behörden ergriffen einige Maßnahmen, um die Schwachstellen des deutschen Umgangs mit Hassverbrechen zu berichtigen. Etwa wurden Angehörige von Justiz und Strafverfolgungsbehörden weitergebildet, um die Untersuchung und Verfolgung rassistisch motivierter Verbrechen zu verbessen. Im März verurteilte ein Landgericht drei Personen zu Haftstrafen, die eine Benzinbombe in die Wohnung eines Asylsuchenden geworfen hatten, und bezog sich dabei auf die fremdenfeindlichen und rassistischen Motive der Täter.
Das Asylrecht und asylrechtliche Maßnahmen wurden mehrfach überarbeitet. Im Februar verabschiedete der Bundestag Einschränkungen des Rechts auf Familienzusammenführung für Personen, die keinen Anspruch auf politisches Asyl haben. Im Juli verabschiedete er ein Gesetz zur Integration von anerkannten Flüchtlingen, Personen mit subsidiärem Schutzstatus, und bestimmten Asylsuchenden. Das Gesetz bindet den Zugang zu Sozialleistungen und einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung daran, dass die Betroffenen sprachliche und andere Integrationsvoraussetzungen erfüllen.
Nach einer Anschlagsserie im Juli änderte Deutschland mehrere bestehende Gesetze zur Terrorismusbekämpfung, um die Zusammenarbeit von Geheimdiensten zu verbessern. Das Verfassungsgericht annullierte im April teilweise ein im Jahr 2009 verabschiedetes Anti-Terror-Gesetz, da es die Privatsphäre nicht ausreichend schützte. Das Gesetz hatte die Befugnisse der Bundespolizei, terroristische Bedrohungen zu untersuchen und geheimdienstliche Daten zu sammeln, ausgeweitet.
Im Oktober und November bestätigten der Bundestag und der Bundesrat ein Gesetz, das die Überwachung von Journalisten außerhalb der EU ermöglicht, trotz massiver Kritik von Menschenrechtsorganisationen, dem OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit und drei UN-Sonderberichterstattern. Mehrere Organisationen kündigten daraufhin an, das Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.
Massenhafte sexualisierte Übergriffe gegen Frauen in Köln, Hamburg und anderen deutschen Städten in der Neujahrsnacht beförderten eine Debatte darüber, dass die Polizei oft nicht ausreichend auf Gewalt gegen Frauen reagiert. Im Juli erleichterte Deutschland die Verfolgung von Personen, die sexualisierter Gewalttaten verdächtig sind, indem eine Vorschrift annulliert wurde, nach der sich das Opfer körperlich gegen den Übergriff gewehrt haben musste, um ihn anzeigen zu können.
Griechenland
Trotz Reformen, die die chronischen Probleme beheben sollten, verschlechterte sich der Zustand des griechischen Asyl- und Aufnahmesystems weiter. Während die Zahl der auf dem Seeweg ankommenden Menschen nach dem EU-Türkei-Deal sank, bewirken Grenzschließungen entlang der Balkanroute, die Asylsuchende daran hindern, das Land zu verlassen, mangelnde Solidarität anderer EU-Regierungen und die anhaltenden Einreisen auf dem Seeweg, dass mehr als 60.000 Asylsuchende und Migranten in Griechenland festsitzen.
Tausende Menschen, die nach Abschluss des EU-Türkei-Deal ankamen, dürfen die Inseln in der Ägäis nicht verlassen, oft nicht einmal geschlossene Internierungseinrichtungen. Zehntausende andere leben unter furchtbaren Bedingungen in anderen Landesteilen. Bis Mitte November wurden nur 5.654 der vorgesehenen 66.400 Asylsuchenden von Griechenland in andere EU-Länder umverteilt. Währenddessen übte die Europäische Kommission Druck auf Griechenland aus, Asylsuchende, die das Land durchreist hatten, entsprechend der Dublin-Vorschriften zurückzunehmen.
Ein neues, im April verabschiedetes Gesetz zur Umsetzung des EU-Türkei-Deals ermöglicht eine beschleunigte Zulässigkeitsprüfung von Asylgesuchen, um festzustellen, ob Asylsuchende in die Türkei zurückgebracht werden können, um dort temporären Schutz zu erhalten oder ihren Anspruch prüfen zu lassen. Bis Redaktionsschluss waren nur die Fälle von zwölf Asylsuchenden auch nach Widersprüchen als unzulässig beschieden worden, keiner von ihnen war in die Türkei abgeschoben worden. Mindestens ein syrischer Staatsbürger klagt derzeit vor dem obersten Gericht Griechenlands gegen die Entscheidung.
Mehr als 700 Menschen wurden unter dem Deal in die Türkei abgeschoben, nachdem ihr Schutzanspruch in Griechenland im Schnellverfahren geprüft und abgelehnt wurde, oder weil sie keinen Asylantrag stellten oder sich für eine freiwillige Rückkehr entschieden.
Die meisten Asylsuchenden kommen über die griechischen Inseln in der Ägäis ins Land und ihre Schutzansprüche werden in den als „Hotspots“ bekannten EU-Asylzentren geprüft. Die mehr als 16.000 Asylsuchende und Migranten in den „Hotspots“ müssen unter schrecklichen Haft- und Aufnahmebedingungen leben. Die „Hotspots“ sind massiv überfüllt, es mangelt selbst an einfachen Unterkünften und die Zustände sind unhygienisch. Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen sind davon besonders betroffen.
Die Menschen müssen lange für schlechtes Essen Schlange stehen, das Management ist schlecht, ebenso die Versorgung mit Informationen. All das trägt zu einer chaotischen und aufgeheizten Stimmung bei. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen, insbesondere in den Essensschlangen, in die die Polizei oft nicht eingreift. Frauen und Mädchen sind von sexueller Belästigung und Gewalt betroffen.
Die griechischen Behörden ernteten Kritik, weil sie kein System geschaffen haben, unter dem die zugesagte EU-Unterstützung zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen voll ausgeschöpft werden kann.
Das Nationale Zentrum für Soziale Solidarität (EKK) schätzt, dass 4.370 unbegleitete Kinder im Laufe des Jahres nach Griechenland gekommen sind. Diese Kinder wurden oft in Zellen auf Polizeistationen oder in den geschlossenen Einrichtungen auf den Inseln festgehalten, da es an angemessenen Unterbringungsmöglichkeiten fehlt. Bei Redaktionsschluss warteten etwa 1.610 Kinder darauf, in eine gesonderte Einrichtung umzuziehen.
Ein großflächiges Verfahren zur Voranmeldung von Asylanträgen zwischen Juni und Juli sollte den Zugang zu Asyl verbessern und die Umsiedlung beschleunigen, wovon 27.592 Asylsuchende profitierten. Trotz dieser Bemühungen blieb der Zugang zu Asyl schwierig und mit langen Wartezeiten verbunden.
Zivilgesellschaftliche Gruppen berichteten, dass Angriffe auf und Einschüchterungen von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln und dem Festland in der zweiten Jahreshälfte zunahmen. Die Polizei reagiere darauf nicht angemessen. In einer wegweisenden Entscheidung kritisierte der EGMR Griechenland im März dafür, einen rassistischen Angriff auf einen afghanischen Staatsbürger im Jahr 2009 nicht angemessen untersucht zu haben.
Im September forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Muižnieks, Griechenland dazu auf, die Rechte von Menschen mit geistigen und psychosozialen Behinderungen zu schützen. Weiter rief er dazu auf, diese Personen nicht länger in speziellen Institutionen unterzubringen, sondern in die Gesellschaft zu integrieren. Kinder mit Behinderungen wurden aus einer Einrichtung in Lechaina herausgeholt, als Misshandlungen publik wurden, aber teilweise in andere Institutionen überstellt, statt sie gemeindenah zu versorgen.
Ungarn
In Ungarn ging die Zahl der Asylanträge im Jahr 2016 deutlich zurück. Bis Anfang September wurden Angaben des UNHCR zufolge 26.192 Asylsuchende registriert, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 150.000. Die Mehrheit der Asylsuchenden kam im Jahr 2016 aus Afghanistan und Syrien.
Zu dem Rückgang trugen Grenzschließungen entlang der westlichen Balkanroute im Februar 2016 bei, sowie zunehmend restriktive Maßnahmen entlang der ungarisch-serbischen Grenze, strafrechtliche Verfolgung irregulärer Grenzübertritte und häufig gewaltsames Zurückdrängen.
Ein im April verabschiedetes Gesetz schränkt die Rechte von Asylsuchenden ein und reduziert die Integrationshilfe für anerkannte Flüchtlinge. Im gleichen Monat kündigte die Regierung an, die größte, offene Aufnahmeeinrichtung des Landes zum Jahresende zu schließen.
Ein Schnellverfahren an der Grenze verhindert faktisch, dass Asylsuchende Zugang zum Asyl erhalten. Ein im Juli verabschiedetes Gesetz legalisiert das Zurückdrängen an der serbischen Grenze und ermächtigt die Polizei, jede Person zur Grenze zu bringen, die sich irregulär in einem Bereich von acht Kilometern zur serbischen Grenze auf ungarischen Boden befindet. Dieses Gesetz und die begrenzte Zahl zulässiger, legaler Einreisen pro Tag führen dazu, dass Asylsuchende - auch Kinder, Familien und Menschen mit Behinderungen - wochenlang unter schlechten Bedingungen an der Grenze festsitzen.
Über den ganzen Jahresverlauf hinweg äußerte sich die Regierung einwanderungsfeindlich. Im Februar kündigte sie ein Referendum zum Umsiedlungsplan der EU an, nach dem Ungarn 1.294 Asylsuchende aufnehmen soll, und im Juli begann eine von der Regierung geförderte und von den Steuerzahlern finanzierte, einwanderungsfeindliche Kampagne. Wegen geringer Beteiligung ist das Ergebnis des im Oktober durchgeführten Referendums ungültig. Die meisten Abstimmenden unterstützten allerdings die Position der Regierung.
Journalisten arbeiteten weiter in einem feindlichen Umfeld. Im September trat der Chefredakteur des Budapest Business Journal, Tom Popper, zurück, nachdem ihn die Herausgeber aufgefordert hatten, keine Flüchtlingsthemen mehr in seinem Editorial anzusprechen. Die größte oppositionelle Tageszeitung, Nepszabadsag, und ihre Website schlossen plötzlich im Oktober, der Besitzer begründete das mit Verlusten und einer drastisch gesunkenen Auflage.
Roma wurden weiter auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungs- und im Gesundheitssystem diskriminiert. Im September forderte der Beratende Ausschuss des Europarats zum Rahmeneinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten Ungarn auf, die diskriminierende Segregation von Roma-Schulkindern zu beenden.
Im August verurteilte ein Gericht einen Rechtsextremisten zu 10 Jahren Haft, der zwischen 2007 und 2009 Gewalttaten begangen hatte. Unter anderem hatte er mit Molotow-Cocktails Anschläge auf die Wohnungen von sozialistischen Abgeordneten verübt und eine Bar der schwulen Szene in Budapest angegriffen.
Im Januar entschied der EGMR, dass geheime Überwachungsmaßnahmen der ungarischen Anti-Terror-Task Force das Recht auf Privatsphäre verletzt haben. Die Urteilsbegründung bezog sich darauf, dass die Maßnahmen der Task Force nicht richterlich beaufsichtigt wurden und auch keine anderen, ausreichend präzisen und wirksamen Schutzmaßnahmen vorgesehen waren.
Im Juli kam der EGMR zu dem Ergebnis, dass Ungarn einen iranischen, schwulen Mann willkürlich inhaftiert und seine besondere Verletzlichkeit in Haft auf Grund seiner sexuellen Orientierung nicht berücksichtigt hat.
Bis Ende Oktober wurden 26 obdachlose Menschen wegen Ordnungswidrigkeiten unter kommunalen Vorschriften angeklagt, die es obdachlosen Personen verbieten, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2015 waren es 71.
Italien
Dem UNHCR zufolge erreichten bis Mitte November 164.695 Migranten und Asylsuchende Italien auf dem Seeweg. Nigeria, Eritrea und der Sudan waren die wichtigsten Herkunftsländer. Die Zahl der unbegleiteten Kinder stieg deutlich an. Bis Mitte September reisten schätzungsweise 23.000 Kinder alleine ein, während es im gesamten Vorjahr 12.360 waren. Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass 80 Prozent aller nigerianischer Frauen, die in Italien ankamen, Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung waren oder davon bedroht sind.
Die Zahlen der Asylerstanträge und Ablehnungen nahmen im Vergleich zum Vorjahr zu, auch, weil verschärfte Grenzkontrollen der Nachbarländer Weiterreisen verhinderten. Die meisten Asylsuchenden lebten in unterschiedlich ausgestatteten Übergangsunterkünften. Die Kritik daran hielt an, dass Menschen dort gewaltsam gezwungen werden, sich ihre Fingerabdrücke abnehmen zu lassen, viele Einrichtungen überfüllt sind und unbegleitete Kinder in den „Hotspots“ nicht geschützt werden. Bei Redaktionsschluss waren erst 1.570 der unter dem EU-Plan vorgesehenen 39.600 Asylsuchenden in andere EU-Länder umverteilt worden.
Italien intensivierte Verhandlungen mit Ländern wie dem Sudan, Gambia und Libyen über Migrationskontrolle und zur Erleichterung von Abschiebungen. Nachdem es ein Memorandum mit dem Sudan geschlossen hatte, schob Italien im August 48 Sudanesen ab, die angeblich nicht um Asyl ersucht hatten. Am Verfahren wurde Kritik laut.
Bei Redaktionsschluss lag ein Gesetzesentwurf noch immer beim Senat, den das Parlament im Jahr 2015 verabschiedet hatte und der Folter als Straftatbestand in das nationale Recht aufnehmen würde.
Im Februar forderte der EGMR Italien dazu auf, einen als Abu Omar bekannten, ägyptischen Geistlichen zu entschädigen, da das Land in seine Verschleppung im Jahr 2003 verwickelt war und eine tatsächliche Bestrafung der Verantwortlichen nicht gewährleistet hat. Bei Redaktionsschluss wehrte sich eine der 22 CIA-Agenten, die in Abwesenheit von italienischen Gerichten wegen Beteiligung an diesem Fall verurteilt worden waren, in Portugal gegen ihre Auslieferung. Dabei geht es um Italiens Weigerung, ein Wiederaufnahmeverfahren zuzulassen.
Italien verweist weiterhin Terrorverdächtige in Verfahren des Landes, die den Betroffenen explizit das Recht auf einen Widerspruch im Land absprechen. In den ersten acht Monaten des Jahres wurden 47 Personen abgeschoben, viele nach Tunesien und Marokko.
Im April bemerkte der Ausschuss für soziale Rechte des Europarats, dass der Umstand, dass sieben von zehn Ärzten in Italien es aus Gewissensgründen teilweise oder grundsätzlich ablehnen, Abtreibungen durchzuführen, Frauen den Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen massiv erschwert.
Seit Mai haben gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, ihre Partnerschaft als eingetragene Lebensgemeinschaft anerkennen zu lassen. Allerdings haben sie nicht das Recht, Kinder zu adoptieren.
Lettland
Staatenlosigkeit bleibt ein zentrales Problem. Der UNHCR schätzt, dass Ende des Jahres 2015 etwa 252.000 Einwohner des Landes de facto staatenlos waren (die Behörden bezeichnen sie als „Nichtbürger“ oder „Personen mit unbestimmter Nationalität“). Trotz Reformen aus dem Jahr 2013 sind weiterhin mehrere Tausend Kinder staatenlos.
Russischsprachige Menschen werden weiterhin diskriminiert, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, hinsichtlich der Sprache, und im Bildungssystem. Lettische Nichtbürger dürfen diverse Positionen im öffentlichen Dienst und in anderen Berufen nicht bekleiden. Sie dürfen auch nur eingeschränkt Land besitzen.
Die Behörden sanktionieren weiterhin Personen, wenn diese in ihrer beruflichen Kommunikation nicht Lettisch sprechen. Dem lettischen staatlichen Sprachzentrum, einer Regierungsbehörde, zufolge erhielten in den ersten sechs Monaten des Jahres 180 Personen Bußgelder wegen Verstößen gegen das Gesetz über die Amtssprache. Im März wurde eine Reinigungskraft in einer russischsprachigen Schule nach einer Inspektion des staatlichen Sprachzentrums gefeuert, weil ihre Lettischkenntnisse ungenügend seien. Im Juni verlor eine Sprachtherapeutin ihre Stelle in einem Kindergarten nach einer ähnlichen Inspektion. Im Juli verhängte das staatliche Sprachzentrum ein Bußgeld über den Bürgermeister von Riga, weil die Stadtverwaltung in den sozialen Medien auch auf Russisch kommunizierte. Der Bürgermeister legte Widerspruch ein.
Im September bestätigte das lettische Parlament in der ersten Lesung Änderungsentwürfe für das Gesetz über Öffentliche Vereinigungen und Stiftungen, die eine breite Grundlage für die staatliche Überwachung von NGOs schaffen, die angeblich die nationale Sicherheit, die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung unterminieren.
Lettischen LGBT-Aktivisten zufolge wandten die Behörden ein Gesetz über „verfassungsgemäße Moralbildung“ an, um in mindestens zwei Schulen Diskussionen über LGBT-Personen zu zensieren.
Bei Redaktionsschluss hatte Lettland insgesamt 148 Asylsuchende aus Griechenland und Italien unter dem EU-Umsiedlungsplan aufgenommen.
Niederlande
Im Februar erweiterte die Regierung die Liste sicherer Drittstaaten. Bei Angehörigen von Staaten, die als sicher gelten, wird grundsätzlich angenommen, dass sie keines internationalen Schutzes bedürfen. Ihre Asylanträge werden in Schnellverfahren bearbeitet, bei denen die Gefahr besteht, dass individuelle Schutzansprüche nicht sorgfältig geprüft werden. Im September 2016 bestätigte das oberste Verwaltungsgericht, dass die Klassifizierung von Albanien als sicheres Herkunftsland rechtens ist.
Die niederländische Regierung unterstützt abgelehnte Asylsuchende weiterhin nur wenig und kurzfristig, wobei die Hilfe daran gebundenen ist, dass die betroffene Person bei ihrer Abschiebung kooperiert. Im Februar forderten mehrere UN-Sonderberichterstatter die Regierung auf, abgelehnten Asylsuchenden Nothilfe zukommen zu lassen.
Gruppen, die sich für die Rechte geflüchteter Menschen einsetzen, kritisierten die Behörden für die langen Wartezeiten im Asylverfahren und bei der Familienzusammenführung.
Anfang des Jahres 2016 berichteten NGOs, dass LGBT-Asylsuchende in Unterkünften bedroht und diskriminiert werden. Auch eine unabhängige Überprüfungsinstitution, der niederländische Rat zum Schutz der Menschenrechte, stellte im Februar fest, dass LGBT-Asylsuchende in einer großen Einrichtung diskriminiert werden.
Im Mai trat ein Gesetz in Kraft, unter dem die Behörden Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, auch 16-jährigen Jugendlichen, die niederländische Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie im Ausland einer terroristischen Gruppe beigetreten sind oder mit ihr gekämpft haben, und eine „unmittelbare Bedrohung“ der nationalen Sicherheit darstellen. Dazu ist kein Gerichtsurteil notwendig. Diejenigen, denen die Staatsangehörigkeit aberkannt wird, können dem nur innerhalb von vier Wochen widersprechen.
Im Januar ratifizierten die Niederlande das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Polen
Polen wurde international dafür kritisiert, dass das neugewählte Parlament unter der Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit versuchte, die Unabhängigkeit des Verfassungstribunal, des höchsten Gerichts des Landes, zu unterminieren.
Im November 2015 annullierte das Parlament die Ernennungen aller fünf Richter des Verfassungstribunals, die unter der vorherigen Regierung erfolgt war. Im Dezember verabschiedete sie ein Gesetz, das die Handlungsfähigkeit des Gerichts gefährdet. Als das Gericht im März 2016 urteilte, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, weigerte sich die Regierung, das Urteil zu veröffentlichen oder das Gesetz zu ändern.
Im Juli nahm das Parlament ein geändertes Gesetz über das Verfassungstribunal an. Polnische NGOs äußerten sich besorgt, da es das Gericht paralysieren und seine Unabhängigkeit beeinträchtigen könne. Das Verfassungstribunal urteilte, dass das neue Gesetz teilweise verfassungswidrig ist. Bei Redaktionsschluss lagen Berichte darüber vor, dass Recht und Gerechtigkeit an einem weiteren Änderungsentwurf arbeitet.
Im März kam die Venedig-Kommission, das Beratungsgremium des Europarats zu Verfassungsfragen, zu dem Ergebnis, dass das Gesetz vom Dezember 2015 die Rechtsstaatlichkeit gefährdet und rief die Regierung auf, das Urteil des Verfassungstribunals umzusetzen. Im Oktober kritisierte die Venedig-Kommission das im Juli geänderte Gesetz, da es die Leistungsfähigkeit und die Unabhängigkeit des Gerichts beschränke.
Diese Krise führte dazu, dass die Europäische Kommission im Januar erstmalig ihren Rechtsstaatlichkeitsmechanismus aktivierte, der im Jahr 2014 geschaffen wurde, um auf Rechte gefährdende Maßnahmen von EU-Mitgliedsstaaten reagieren zu können. Im Juli gab die Europäische Kommission der Regierung eine dreimonatige Frist, um die Entscheidungen des Verfassungstribunals zu veröffentlichen und die Empfehlungen der Venedig-Kommission umzusetzen. Bis Redaktionsschluss hatte sie noch keine Folgemaßnahmen angekündigt.
Im Januar nahm das Parlament Änderungen des Polizeigesetzes an, die den Schutz der Privatsphäre im Internet gefährden könnten. Im Juni setzte der Präsident Andrzej Duda ein neues Anti-Terror-Gesetz in Kraft, das ein vage definiertes „Ereignis terroristischer Natur“ einführt, Ermittlungskompetenzen insbesondere mit Blick auf Ausländer ausweitet, den Zugang zu Online-Inhalten reguliert und Festnahme- und Durchsuchungsbefugnisse ausdehnt.
Im Oktober zog das Parlament nach massenhaften Protesten den umstrittenen Vorschlag für ein nahezu absolutes Abtreibungsverbot zurück, den die Premierministerin Beata Szydło unterstützt hatte. Inmitten anhaltender Proteste versucht Recht und Gerechtigkeit weiter, das polnische Abtreibungsrecht restriktiver zu gestalten, obwohl es bereits zu den restriktivsten in Europa gehört.
Hassverbrechen auf Grund von sexueller Orientierung werden weiterhin kaum geahndet. Migrantenfeindliche Hassrede und Gewalt nahmen zu. Polnische NGOs warfen den Behörden vor, Asylsuchende an der Grenze zu Belarus daran zu hindern, polnisches Territorium zu betreten und dort Schutz zu suchen.
Nichts deutete auf Fortschritte in der seit Jahren laufenden Ermittlung der Staatsanwaltschaft des Krakauer Berufungsgerichts hin, die sich mit einem geheimen Inhaftierungs- und Befragungsprogramm der CIA auf polnischen Boden befasst.
Spanien
Sammelabschiebungen und verschärfte Kontrollen an Spaniens Grenze zu Marokko in seinen nordafrikanischen Enklaven führten dazu, dass Migranten zunehmend versuchen, Ceuta und Malta per Boot oder schwimmend zu erreichen. Verglichen mit dem Jahr 2015 verdreifachte sich die Zahl der Todesfälle auf dieser Route auf 45 in den ersten sechs Monaten des Jahres.
Mehrere Gruppen, allerdings weniger als im vergangenen Jahr, versuchten, die Zäune zu überklettern, die die Enklaven umgeben, und wurden daraufhin gesammelt zurückgedrängt. Im Juli forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Muižnieks, Spanien auf, Grenzverfahren einzuführen, die gewaltsames Zurückdrängen und kollektive Ausweisungen verhindern. Beim EGMR war bei Redaktionsschluss ein Verfahren wegen Sammelabschiebungen aus Melilla im Jahr 2014 anhängig.
Bis Mitte November hatte Spanien 398 Asylsuchende aus Griechenland und Italien aufgenommen, zugesagt hatte die Regierung 9.323. Auch hatte die Regierung angekündigt, 1.449 Flüchtlinge aus anderen Regionen aufzunehmen, bei Redaktionsschluss waren es allerdings erst 279.
Im April leitete die Europäische Kommission ein Verfahren gegen Spanien ein, weil es Konsumenten nicht vor unfairen Hypothekenbedingungen schützt. Im Juli empfahl der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, ein Urteil des spanischen obersten Gerichts aus dem Jahr 2013 zu bestätigen, nach dem Konsumenten Banken nicht wegen Zinszahlungen verklagen können, die auf später als gesetzeswidrig befundenen Hypothekenkonditionen beruhten. Der Europäische Gerichtshof hatte bei Redaktionsschluss noch kein Urteil gefällt.
Im Vorfeld der Prüfung eines Widerspruchs der Zentralregierung setzte das spanische Verfassungsgericht im Juni ein katalanisches Gesetz aus, das Personen schützt, denen Zwangsräumungen drohen, unter anderem wegen versäumten Hypothekenzahlungen.
Im Mai entschied der EGMR, dass Spanien die Foltervorwürfe eines Mannes nicht angemessen untersucht hat, dem Verbindungen zu der bewaffneten baskischen, separatistischen Gruppe ETA vorgeworfen wurde. Er gibt an, bei und unabhängig von Befragungen in der Geheimhaft gefoltert worden zu sein.
Im April wurde mindestens ein Journalist auf Grundlage eines kontroversen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit aus dem Jahr 2015 mit einem Bußgeld belegt, weil er Fotos einer Polizeioperation veröffentlicht hatte. Unter verschärften strafrechtlichen Vorschriften wurden mehrere prominente Verfahren gegen Musiker, Puppenspieler und Aktivisten eröffnet, denen die Verherrlichung von Terrorismus vorgeworfen wird, auch in den sozialen Medien.
Großbritannien
Die Entscheidung für einen Austritt aus der Europäischen Union in einem Referendum im Juni sandte politische Schockwellen durch das Land und schuf Unsicherheiten über zukünftige verfassungsrechtliche Regelungen und den Aufenthaltsstatus der mehr als 3 Millionen EU-Ausländer, die in Großbritannien leben.
Dem Brexit-Votum ging der Mord an der Parlamentarierin Jo Cox voraus, die sich engagiert für Asylsuchende eingesetzt hatte, und dafür, dass Großbritannien in der EU bleibt. Nach dem Referendum nahmen fremdenfeindliche und rassistische Übergriffe, Brandanschläge und andere Hassverbrechen deutlich zu, EU-Bürger aus Osteuropa waren Polizeistatistiken zufolge besonders betroffen. Polen entsandte im September Polizisten in ein englisches Dorf, nachdem dort ein Pole mutmaßlich aus Hass zu Tode geprügelt wurde.
Nach einer Überprüfung Großbritanniens äußerte sich der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung im August besorgt über „die Gesellschaft spaltende, einwanderungsfeindliche und xenophobe Rhetorik“ in der Brexit-Kampagne und die Hassverbrechen, die darauf folgten. Der Ausschuss forderte Amtsträger auf, sich öffentlich gegen solche Rhetorik auszusprechen.
Die Regierung unter Premierministerin Theresa May, die im Juli zur Führerin der Konservativen Partei gewählt wurde, erneuerte ihr Versprechen, die nationalen Gesetze zu Menschenrechten durch einer neuen Charta der Rechte zu ersetzen, unternahm aber keine erkennbaren Schritte in diese Richtung. Nach der Brexit-Entscheidung distanzierte sich May von früheren Vorschlägen, dass Großbritannien auch den Europarat und den EGMR verlassen solle.
Bei ihrer ersten Rede als Premierministerin bei einer Parteikonferenz sagte May, dass „aktivistischen, linken Menschenrechtsanwälten“ „nie wieder“ gestattet werden würde, Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch das britische Militär zu vertreten. Sie bezog sich augenscheinlich auf Klagen gegen das Verteidigungsministerium im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen im Irak und in Afghanistan. Die Regierung will Operationen ihrer Streitkräfte in Übersee augenscheinlich von menschenrechtlichen Verpflichtungen ausnehmen.
Großbritannien folgte teilweise Zusagen, syrische und andere Flüchtlinge aufzunehmen, stieg aber aus dem Umverteilungsplan der EU aus. Ende Oktober, als die französischen Behörden begannen, das Lager in Calais aufzulösen, verstärkte die Regierung schließlich Bemühungen, unbegleitete Kinder mit Familienangehörigen in Großbritannien aufzunehmen. Bis Mitte November wurden rund 300 Kinder aus dem Lager geholt. Trotz einer Rechtsvorschrift, nach der die Regierung unbegleitete, asylsuchende Kinder aus Calais und anderen EU-Ländern aufnehmen muss, auch wenn die Kinder keine familiäre Verbindungen nach Großbritannien haben, hatten nur wenige der aus Calais nach Großbritannien gebrachten Kinder keine Familienangehörigen dort. Außerdem nahm die Regierung nur Kinder aus bestimmten Ländern und innerhalb bestimmter Altersgrenzen auf.
Nach einer Überprüfung im Juni rief der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Großbritannien dazu auf, asylsuchende und eingewanderte Kinder nicht mehr zu internieren und die Familienzusammenführung zugunsten unbegleiteter Kinder außerhalb des Landes zu beschleunigen.
Im Januar empfahl eine von der Regierung beauftragte, unabhängige Überprüfung der gebundenen Visa von migrantischen Arbeitnehmern, deren Recht, ihren Arbeitgeber zu wechseln, wiederherzustellen. Dieses Recht stellt einen zentralen Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen durch Arbeitgeber dar. Die Regierung stellte das Recht wieder her, gestattete aber keine Visa-Verlängerungen über die bestehende Beschränkung auf sechs Monate hinaus, was die Wirksamkeit der Maßnahme schwächt.
Im Juni verkündete die Staatsanwaltschaft, dass keine britischen Beamten wegen Beteiligung an der Entführung, Überstellung und Folter von zwei libyschen Dissidenten und ihrer Familien im Jahr 2004 angeklagt werden würden. Faktisch endete damit die letzte strafrechtliche Untersuchung der Beteiligung britischer Behörden an weltweiten Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit Anti-Terror-Maßnahmen. Eine parlamentarische Überprüfung der britischen Beteiligung an Folter und Verschleppung dauerte bei Redaktionsschluss an.
Das Iraq Historic Allegations Team, ein Gremium, das mögliche Kriegsverbrechen der britischen Streitkräfte untersucht, setzte seine Arbeit im Jahr 2016 fort, trotz unberechtigter politischer Kritik an seiner Existenz und am Grundsatz der rechtlichen Kontrolle von Militäroperationen.
Im November bestätigte das Parlament die Investigative Powers Bill, ein problematisches Gesetz über Ermittlungsbefugnisse, das staatliche Überwachungsmaßnahmen ohne angemessene Schutzvorschriften verankert und ausdehnt.
Außenpolitik
Die außenpolitische Agenda der EU war geprägt von den Konflikten in Syrien und in der Ostukraine, sowie von den sich verschlechternden Beziehungen zur russischen Regierung in Folge von deren Beteiligung an diesen Konflikten. Ein anderer außenpolitischer Schwerpunkt reflektierte das Interesse der EU-Mitgliedsstaaten daran, die steigende Zahl von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten davon abzuhalten, nach Europa zu kommen.
Die EU übte erfolgreich Druck auf die Ukraine aus, die Zuständigkeit für schwere Verbrechen unter Artikel 12(3) des Römischen Statuts selbst an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu übertragen. Allerdings konnte die EU bis Redaktionsschluss nicht gewährleisten, dass die Ukraine ihrer Verpflichtung, das Römische Statut zu ratifizieren, nachkommt, obwohl das im rechtsverbindlichen EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen vorgeschrieben ist.
Die EU erhielt einen umfangreichen Sanktionskatalog gegen russische Individuen und Rechtspersonen aufrecht, der in Folge der russischen Beteiligung am Konflikt in der Ost-Ukraine und der Besetzung der Krim geschaffen wurde. Die Sanktionen umfassen das Einfrieren von Vermögen und Visa-Verbote und betreffen 149 Individuen und 37 Rechtspersonen.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten kritisierten, dass die russische Regierung massiv gegen die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit vorgeht, erweckten aber nicht den Anschein, dass sie eine gemeinsame Strategie dagegen verfolgen, dass sich die Menschenrechtslage in Russland rapide verschlechtert.
Allerdings schuf die EU eine neue und innovative Form, um auf russische Propaganda zu reagieren, nämlich das Twitter-Project „EU Mythbusters“ (@EUvsDisinfo), mit dem sie Lügen und Mythen mit Daten und Fakten widerlegt.
Die EU insgesamt blieb der größte, humanitäre Geber in der syrische Krise. Dabei ging die Hilfe der EU über Nothilfe hinaus und konzentrierte sich rasch stärker auf nachhaltige Unterstützungsmaßnahmen insbesondere, um den Zugang syrischer Flüchtlinge zu Bildung und Arbeit in ihren Aufnahmeländern Jordanien, Libanon und der Türkei zu gewährleisten.
Die EU und Jordanien stellten ein neues Abkommen fertig, das Handelszugeständnisse an Arbeitsmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge knüpft. Für einen Zeitraum von zehn Jahren betrifft das Abkommen 52 Produktgruppen, die in bestimmten Wirtschaftszonen in Jordanien hergestellt werden und deren Produzenten syrische Flüchtlinge beschäftigen. Das Personal muss zu mindestens 15 Prozent aus syrischen Menschen bestehen, deren Anteil muss nach drei Jahren ein Viertel erreichen. Das Abkommen soll als Win-Win-Modell für eine Gesellschaft dienen, die Flüchtlinge aufnimmt.
Die EU begann außerdem damit, mit Drittstaaten über einige fragwürdige Wiederaufnahme- und sonstige Abkommen zur Zusammenarbeit in Migrationsfragen zu verhandeln und solche abzuschließen. Diese sollen den Weg dafür ebnen, dass Asylsuchende und Migranten in Länder zurückkehren, die weder sicher noch stabil sind. Die meisten dieser Abkommen, die auch dazu dienen, Asylsuchende und Migranten davon abzuhalten, in die EU zu kommen, kennzeichnet nicht, dass sie besonders verletzliche Menschen schützen, sondern vielmehr, dass sie die EU davor schützen, sich mit ihnen auf ihrem eigenen Territorium zu befassen.
Die EU unterstützte weiter einige wichtige Länder-Resolutionen im UN-Menschenrechtsrat, etwa zu Burma, Nordkorea und Burundi, die gewährleisten, dass die UN dort weiterhin die Menschenrechtslage beobachten und über diese berichten kann. Die EU zeigte sich allerdings uneins über gemeinsame Stellungnahmen zu China und Aserbaidschan, sowie über die Resolution zum Jemen.
Angesichts der sich verschlechternde Menschenrechtslage in Turkmenistan, wo die Regierung sich weigert, auch nur anzugeben, ob bestimmte Gefangene tot oder am Leben sind, unternahm das Europäische Parlament den wichtigen Schritt, den Ratifikationsprozess eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens auszusetzen.
Das Europäische Parlament nahm ebenfalls eine starke Resolution an, in der es die sofortige Einführung gezielter Sanktionen gegen Amtsträger fordert, die für schwere Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo verantwortlich sind. Im Oktober nahmen die EU-Außenminister Entschließungen an, die den Weg für solche Sanktionen ebnen.
Die EU ergriff restriktive Maßnahmen gegen burundische Amtsträger, die mutmaßlich für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind und die Demokratie in Burundi unterminieren.