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Somalia: Kriegsverbrechen haben verheerende Auswirkungen auf Bevölkerung

Ausländische Akteure verschärfen Krise durch gescheiterte Politik

(Nairobi, 8. Dezember 2008) – Alle an dem eskalierenden Konflikt in Somalia beteiligten Parteien haben während des letzten Jahres regelmäßig Kriegsverbrechen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen, die zu der humanitären Katastrophe in dem Land geführt haben, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Human Rights Watch fordert die USA, die EU und andere internationale Akteure dazu auf, ihre fehlerhafte Herangehensweise an die Krise zu überdenken und Bemühungen zu unterstützen, die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der 104-seitige Bericht „'So Much to Fear': War Crimes and the Devastation of Somalia” beschreibt, wie die Föderale Übergangsregierung Somalias, äthiopische Truppen, die zu deren Unterstützung interveniert haben, und Rebellen weit verbreitete und schwerwiegende Verstöße gegen das Kriegsrecht begangen haben. Dazu zählen wahllose Angriffe, Tötungen, Vergewaltigungen, die Verwendung von Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ und Plünderungen. Seit Anfang 2007 hat der eskalierende Konflikt Tausenden Zivilisten das Leben gekostet, mehr als eine Million wurden vertrieben und der Großteil der Bevölkerung musste die Hauptstadt Mogadischu verlassen. Zunehmende Angriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen im letzten Jahr haben Hilfsaktionen stark eingeschränkt und zu der immer deutlicher werdenden humanitären Krise beigetragen.

„Die sich in Somalia bekämpfenden Parteien haben sich gegenseitig weniger Schaden zugefügt als der Zivilbevölkerung“, so Georgette Gagnon, Direktorin der Afrika-Abteilung von Human Right Watch. „Es gibt keine schnelle Lösung für Somalia, aber ausländische Regierungen müssen aufhören, den Konflikt mit fehlgeleiteten politischen Maßnahmen zu schüren, die den Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen mehr Macht zukommen lassen.“

Somalia hat seit 1991 keine funktionierende Regierung mehr, und 1995 zog sich eine erfolglose UN-Friedenstruppe aus dem Land zurück. Seitdem herrscht Gewalt und Chaos. Im Dezember 2006 haben äthiopische Truppen eingegriffen, um Somalias schwache Übergangsregierung vor den Truppen des Rats der Islamischen Gerichte zu schützen, die die Kontrolle über Mogadischu erlangt hatten. In den vergangenen zwei Jahren ist der Konflikt dramatisch eskaliert und internationale Friedensgespräche haben zu keiner Veränderung in dem Land geführt.

Der Bericht stützt sich auf Interviews mit mehr als 80 Zeugen und Opfern von Misshandlungen, die Angriffe seitens aller Kriegsparteien detailliert beschreiben.

Fast täglich hat jede Kriegspartei willkürlich auf von Zivilisten bewohnte Gebiete in Mogadischu gefeuert, Häuser ohne Vorwarnung zerstört und Zivilisten auf offener Straße getötet. Aufständische Truppen haben regelmäßig aus dem Hinterhalt angegriffen, Bomben auf Märkten und in Wohngebieten gelegt und wahllos Mörsergranaten in von Zivilisten bewohnte Stadtteile geschossen. Äthiopische Truppen haben mit willkürlichem, schwerem Raketen- und Artilleriebeschuss auf Rebellenangriffe reagiert, mit verheerenden Auswirkungen für die Zivilbevölkerung.

Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung und verbündete Milizen haben Gefangene gefoltert, Zivilisten getötet, vergewaltigt und ihre Häuser geplündert, zum Teil gemeinsam mit äthiopischen Truppen im Rahmen von Hausdurchsuchungen. Äthiopische Streitkräfte, die 2007 relativ diszipliniert waren, haben sich dieses Jahr stärker an gewaltsamen Verbrechen beteiligt. Rebellentruppen haben Zivilisten bedroht und getötet, von denen sie ihrer Meinung nach nicht unterstützt wurden. Sie haben zudem Zivilisten, einschließlich Kinder, als Soldaten zwangsrekrutiert.

Das volle Grauen dieser Menschenrechtsverletzungen kann nur durch die Geschichten von Somaliern, die sie selbst erlitten haben, erfasst werden. Human Rights Watch hat Interviews geführt mit Mädchen, die von Sicherheitskräften der Übergangsregierung vergewaltigt wurden, mit Eltern, deren Kinder in ihrem eigenen Haus von äthiopischen Raketen zerrissen wurden, und mit Menschen, die auf der Straße nur deshalb von Rebellen angeschossen wurden, weil sie als schlecht bezahlte Boten für die Übergangsregierung arbeiteten. Ein junger Mann beschrieb, wie er zusehen musste, wie eine Gruppe äthiopischer Sodaten seine Mutter und seine Schwester zu Hause vergewaltigten. „Und ich saß hilflos da“, sagte er. „Ich konnte weder meiner Mutter noch meiner Schwester helfen.“

Für viele ist es das Schlimmste, zwischen die Fronten der politischen Gruppierungen zu geraten. Einem jungen Mann stellte die militante Al-Shabaab Miliz der Union Islamischer Gerichte in seiner Nachbarschaft ein Ultimatum, er könne sich entweder ihnen anschließen oder er müsse Vergeltung fürchten. Als er einige Tage später von der Schule nach Hause kam, war seine Mutter getötet worden und sein Haus durch Artilleriebeschuss zerstört.

„Die Welt hat das Grauen in Somalia weitgehend ignoriert, aber somalische Familien sind nach wie vor Gewalt ausgeliefert, die mit jedem Tag zunimmt“, so Gagnon. „Selbst die, die versuchen zu fliehen, stellen fest, dass sie Misshandlungen nicht entgehen können.“

Hunderttausende der ärmsten Bewohner Mogadischus, die kein Geld haben, weiter zu reisen, haben sich in immer größer werdenden Flüchtlingslagern entlang der Straße zwischen Mogadischu und Afgoyee versammelt. Aber auch dort sind sie Opfer wahlloser Angriffe.

Zehntausende somalische Flüchtlinge haben außerdem dieses Jahr das Land verlassen. Die Flüchtlingslager von Dadaab in Kenia haben mittlerweile mit fast 250.000 Menschen die größte Konzentration an Flüchtlingen weltweit erreicht. Doch die Flucht selbst ist äußerst gefährlich. Human Rights Watch hat mit vielen Flüchtlingen gesprochen, die von unabhängigen Milizen ausgeraubt, vergewaltigt oder geschlagen wurden, als sie Somalia verlassen wollten. Die Grenze zwischen Kenia und Somalia ist geschlossen, so dass die Flüchtlinge verbrecherischen Schmugglern und korrupten kenianischen Polizeibeamten ausgeliefert sind.

Hunderte von Somaliern sind ertrunken, als sie über den Golf von Aden in den Jemen gelangen wollten. Häufig wurden sie von Schleppern über Bord geworfen oder auf offener See zurück gelassen.

Die USA, die EU und Regierungen in der Region haben wenig unternommen, um die sich verschlimmernde Situation in Somalia anzugehen oder haben sie sogar häufig noch verschärft.

Obwohl Äthiopien eine Konfliktpartei ist, hat das Land nicht sichergestellt, dass Menschenrechtsverletzungen durch ihre Soldaten verfolgt werden. Die USA sehen in Somalia in erster Linie ein Schlachtfeld für den „globalen Kampf gegen den Terrorismus“. Unkritisch unterstützen sie die Übergangsregierung und die äthiopischen Truppen. Die daraus folgende mangelnde Bereitschaft, die Verantwortlichen für Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, hat die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen geschürt. Die Europäische Kommission hat sich für eine direkte Unterstützung der Polizeikräfte der Übergangsregierung ausgesprochen, ohne darauf zu bestehen, dass Misshandlungen seitens der Truppen beendet werden.

In den letzten Monaten hat sich der Konflikt in Form von Bombenanschlägen und anderen Angriffen immer mehr auf benachbarte Regionen und Länder ausgeweitet. Genau dies wollte Äthiopien mit der militärischen Intervention im Jahr 2006 vermeiden. Während der zweiten Hälfte des Jahres 2008 gab es Bombenanschläge in den vorher stabileren semi-autonomen Regionen Somaliland und Puntland; Piratenangriffe auf hoher See und Geiselnahmen an der Grenze in Kenia nahmen stark zu.

„Die Krise in Somalia ist nicht nur für die Menschen dort ein Alptraum, sie ist eine regionale Bedrohung und ein globales Problem“, so Gagnon. „Die Welt kann es sich nicht leisten, länger zu warten, um effektivere Wege zu finden, diese Krise anzugehen.“

Human Rights Watch forderte eine fundamentale Überarbeitung der politischen Strategien bezüglich Somalia und dem gesamten Horn von Afrika in den Hauptstädten Europas und in Washington, wo die neue Regierung unter Obama die gescheiterte Politik der Vorgängerregierung beenden kann. Zudem forderte Human Rights Watch die Einrichtung eines von der UN geförderten Untersuchungsausschusses, um Verletzungen des Völkerrechts zu überprüfen, die schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und den Grundstein für die Verfolgung der Verantwortlichen zu legen.

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