Ukraine: Gerechtigkeit gesucht nach einem Jahr der Gräueltaten
Am 24. Februar 2022 saß der Schock tief, als die Menschen in der Ukraine aufstanden und die groß angelegte russische Invasion ihres Landes sahen. Ein Jahr später haben russische Streitkräfte das Leben von Millionen von ukrainischen Zivilist*innen zerstört und die zivile Infrastruktur der Ukraine verwüstet. Die russischen Streitkräfte haben Gräueltaten begangen, deren Opfer Gerechtigkeit verdienen. Die Verantwortlichen, bis hin zur höchsten Ebene, sollten zur Rechenschaft gezogen werden.
Im Folgenden werden zwölf der Angriffe auf Zivilist*innen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen internationales Kriegsrecht aufgeführt, die Human Rights Watch im vergangenen Jahr dokumentiert hat:
1
Angriff der russischen Streitkräfte und Einsatz von Streumunition am 24. Februar. Die Rakete schlug am ersten Tag der groß angelegten Invasion direkt vor einem Krankenhaus ein. Es war der erste von vielen Angriffen dieser Art, bei denen weithin verbotene Streumunition und andere explosive Waffen mit großflächiger Wirkung in dicht besiedelten zivilen Gebieten eingesetzt wurden.
2
Russischer Angriff auf Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, in den ersten 11 Tagen der Großinvasion. Berichten zufolge wurden mehr als 450 Zivilist*innen getötet oder verletzt. Wohnhäuser, Schulen, Gotteshäuser und Geschäfte standen unter Beschuss. Die Angriffe erschwerten den Zugang zu Lebensmittel und Medikamenten. Die Infrastruktur wurde so beschädigt, dass die Zivilbevölkerung ohne Strom, Heizung und fließend Wasser auskommen musste.
- Bericht (englisch)
3
Beschuss einer Straßenkreuzung in Tschernihiw am 3. März. Russische Flugzeuge warfen zeitgleich mehrere Bomben ab, die eine Kreuzung in einem Wohnviertel trafen und 47 Menschen töteten und viele weitere verletzten. Ein bewohntes Hochhaus, ein Krankenhaus und mehrere Wohn- und Geschäftsgebäude wurden durch den Angriff beschädigt.
4
Belagerung von Mariupol von März bis Mai. Wiederholte Angriffe trafen Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, ein Theater und andere zivile Infrastruktur, wobei große Teile der Stadt zerstört wurden. Es ist davon auszugehen, dass Tausende starben bei den Angriffen oder bei der Unterbringung in Kellern ohne Zugang zu Medikamenten, Lebensmitteln, Wasser, Strom oder Kommunikationsmitteln und ohne sicheren Fluchtweg.
- Bericht (englisch)
5
Todesspur in Butscha nach der Besetzung durch die russischen Streitkräfte im März. Butscha wurde zu einem Tatort mit zahlreichen Beweisen für dutzende Hinrichtungen, unrechtmäßige Tötungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Folter, die allesamt Kriegsverbrechen und potenzielle Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.
6
Streumunitionsangriff auf den Bahnhof in Kramatorsk am 8. April. Eine mit 50 Submunitionen bestückte ballistische Kurzstreckenrakete vom Typ Totschka-U schlug im Hauptbahnhof von Kramatorsk ein, wo Zivilist*innen auf Evakuierungszüge warteten, um den russischen Streitkräften und den zunehmenden Angriffen zu entkommen. Bei dem Angriff wurden 58 Zivilist*innen getötet und über hundert weitere verletzt, darunter auch Kinder. Es war einer der tödlichsten Angriffe für die Zivilbevölkerung überhaupt.
8
Willkürliche Verhaftungen, Folter, gewaltsames Verschwindenlassen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und sexuelle Gewalt durch die russischen Besatzungstruppen, unter anderem in den Regionen Tschernihiw, Charkiw, Cherson und Kiew. Während der Besetzung der Regionen Cherson und Saporischja folterten russische Streitkräfte Menschen, unter anderem um Informationen zu erpressen, ihnen Angst einzujagen und sie zur Einhaltung der Besatzung zu zwingen.
9
Zwangsdeportation von Ukrainer*innen nach Russland und in russisch kontrollierte Gebiete sowie rechtsverletzende Prüfverfahren, sogenannte „Filtrationen“ für fliehende Zivilist*innen. Die russischen Streitkräfte ließen vielen Zivilist*innen, die vor den Feindseligkeiten, insbesondere in Mariupol, flohen, keine andere Wahl, als sich in diese Gebiete zu begeben. Zwangsumsiedlungen stellen ein Kriegsverbrechen und ein potenzielles Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
10
Einsatz von verbotenen Antipersonenminen sowohl durch russische als auch durch ukrainische Streitkräfte. Die russischen Streitkräfte haben mindestens acht Arten von Antipersonenminen eingesetzt. Die ukrainischen Streitkräfte verwendeten offenbar raketengestützte PFM-Antipersonenminen von April bis Anfang September im von Russland besetzten Isjum. Die Minen verletzten dutzende Zivilist*innen. Vielen mussten in Folge der Detonation Gliedmaßen amputiert werden.
11
Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine im ganzen Land im Oktober 2022 bis heute. Die wiederholten Angriffe auf die Energieinfrastruktur ohne erkennbaren konkreten militärischen Nutzen haben Millionen Zivilist*innen zumindest vorübergehend den Zugang zu Strom, fließendem Wasser, Heizung und den damit verbundenen lebenswichtigen Dienstleistungen verwehrt. Die Angriffe scheinen in erster Linie darauf abzuzielen, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und das zivile Leben unerträglich zu machen.
12
Massenplünderungen und Plünderungen von Kulturgütern in Cherson. Während der Besetzung von Cherson plünderten russische Truppen und von ihnen befehligte Zivilist*innen, Tausende von Kunstwerken und Artefakten. Sie stahlen Gemälde, Gold, Silber, antike griechische Artefakte, religiöse Ikonen und historische Dokumente. Die Plünderungen in Cherson und in anderen besetzten Gebieten stellen ein Kriegsverbrechen dar.
- Bericht (englisch)