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Die Reaktion der Täter

Verstärkte Angriffe auf die Verteidiger der Menschenrechte, ihre Organisationen und Institutionen

Von Kenneth Roth

Jede Regierung gerät bisweilen in die Versuchung, gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Deshalb hat es sich die Menschenrechtsbewegung zur Aufgabe gemacht, dass Menschenrechtsverletzungen einen hohen Preis haben und eine Regierung so teuer zu stehen kommen, dass die damit verbundenen Konsequenzen hinter dem Nutzen ihres Handelns in den Hintergrund treten.

Die Möglichkeiten dazu haben sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert. Heutzutage können Menschenrechtsaktivisten Verstöße an nahezu jedem Ort der Welt aufdecken, die Verantwortlichen an den Pranger stellen, Regierungen und Institutionen mobilisieren, damit sie ihren Einfluss zugunsten der Opfer geltend machen, und in gravierenden Fällen internationale Ankläger dazu bewegen, die Täter vor Gericht zu stellen. Es sind effektive Instrumente, die – selbst als die Unterstützung einiger langjähriger Verbündeter nachließ – ihre Wirksamkeit nicht verloren haben. Vielmehr löste ihr Erfolg eine Reihe von Reaktionen aus, die 2009 deutlich an Intensität gewonnen haben.

Manche Regierungen, die gegen die Menschenrechte verstoßen – dabei manchmal an einem Strang ziehen, mitunter auch die gleichen Ziele verfolgen –, greifen Menschenrechtsverteidiger, ihre Organisationen und Institutionen derzeit massiv an. Ihr Ziel ist es, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, den Druck abzuwenden und den Preis für Menschenrechtsverletzungen herabzusetzen.

Man könnte diese Angriffe als unfreiwilliges Kompliment an die Menschenrechtsbewegung auffassen: Würden die Regierungen den Druck nicht spüren, würden sie sich wohl kaum die Mühe machen, etwas dagegen zu unternehmen. Der Zynismus, der sich dahinter verbirgt, macht ihre Angriffe jedoch nicht weniger gefährlich. Denn diesen Regierungen ist jeder Vorwand recht, um das Fundament der Menschenrechtsbewegung anzugreifen.

Ihre Methoden reichen von subtil bis leicht durchschaubar, von ausgefeilt bis skrupellos. Zum Teil sind Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Rechtsanwälte, Petitionsführer oder andere Personen schikaniert, inhaftiert, manchmal auch umgebracht worden, weil sie Menschenrechtsverletzungen dokumentierten und publik machten oder die Opfer verteidigten. Organisationen wurden geschwächt oder verboten. Die Instrumente, die dabei zum Einsatz kamen, reichen von der klassischen Razzia bis hin zu den seit neuestem üblichen Einschränkungen durch staatliche Aufsichts- und Kontrollmechanismen.

Auch internationale Institutionen sind zur Zielscheibe geworden. Die Herausbildung eines internationalen Rechtssystems – und besonders der Internationale Strafgerichtshof – war Staats- und Regierungschefs, die eine Strafverfolgung befürchten, ein besonders großer Dorn im Auge. Es sieht fast so aus, als wollten sie gegen alle Institutionen zu Felde ziehen, die sie zur Rechenschaft ziehen könnten. Ihre Angriffe untermauern sie mit zahlreichen Argumenten, die zwar Befürworter finden, aber mit der Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer absolut unvereinbar sind. Selbst der Menschenrechtsrat, das wichtigste internationale Menschenrechtsorgan der Vereinten Nationen, ist Opfer einer konzertierten Aktion geworden, die sein Potenzial durch die Einschränkung regierungsunabhängiger Stimmen untergraben sollte.

Eine starke Menschenrechtsbewegung heißt natürlich nicht, dass es keine Menschenrechtsverletzungen mehr gäbe. Durch Druck können diese zwar bisweilen eingedämmt oder wenigstens abgemildert werden, aber in der Regel bringen Menschenrechtsverletzungen den Regierungen, die sie begehen, so viele Vorteile, dass sie den Preis, den sie dafür bezahlen müssen, in Kauf nehmen. Allerdings glauben auch immer mehr Regierungen, dass sie die Menschenrechte missachten können und gleichzeitig ungeschoren davonkommen. Diese, in den Augen der Täter paradiesischen Zustände wollen sie erreichen, indem sie die Personen und Institutionen schwächen, die sie für ihre Menschenrechtsverletzungen zur Kasse bitten wollen.

Angriffe auf lautstarke Kritiker sind natürlich nicht Neues. Dass Menschenrechtsverteidiger zensiert, inhaftiert, verschleppt oder umgebracht werden, hat eine lange und traurige Tradition. Aber mit der wachsenden Bedeutung der Menschenrechtsbewegung und ihren zunehmenden Erfolgen sind auch die Methoden vieler Regierungen subtiler und raffinierter geworden. Morde werden abgestritten, politisch motivierte Verfolgungen verschleiert, Finanzmittel blockiert und Zensur durch scheinbar neutrale Kontrollmechanismen möglich gemacht. Der UN-Sonderberichterstatter zur Situation von Menschenrechtsverteidigern sagte im August 2009, dass „die in bestimmten Ländern eingesetzten Mittel und Wege, um die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen einzuschränken, jetzt überall immer größere Verbreitung finden“.

Die Verantwortlichen sind nicht nur in autoritären Staaten wie Kuba und China zu finden. Demokratien wie Sri Lanka haben den Druck auf lokale und internationale Menschenrechtsgruppen erhöht, die Verstöße gegen die Menschenrechte dokumentiert haben. Genauso wie Staaten, in denen es zwar Wahlen gibt, die aber nicht demokratisch regiert werden, wie z. B. Russland.

Die Bemühungen dieser Regierungen konnten den von der Menschenrechtsbewegung ausgeübten Druck nicht mindern. Die meisten Menschenrechtsverteidiger fassen die Angriffe als unfreiwilliges Kompliment auf und verdoppeln ihre eigenen Anstrengungen. Trotzdem sind diese fortdauernden Angriffe gefährlich. Human Rights Watch möchte diese Entwicklung in die Öffentlichkeit bringen und zu einer Wende beitragen, deshalb liegt der Schwerpunkt des World Report 2009 auf diesem Thema. Eine konsequente Verteidigung der Menschenrechte braucht eine starke Menschenrechtsbewegung, die jedoch gerade einem regelrechten Feldzug zum Opfer fällt. Wir appellieren an alle Befürworter der Menschenrechte in den Regierungen, dazu beizutragen, die Verteidiger zu verteidigen, indem sie diese reaktionären Bemühungen richtig einschätzen und etwas dagegen tun.<.p>

Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger

Mord und andere gewaltsame Übergriffe

Mord ist schon immer ein Mittel gewesen, um Kritik an Menschenrechtsverletzungen verstummen zu lassen. Aber statt offen zu agieren, verstecken sich die Verantwortlichen heute gerne hinter “unbekannten Tätern”, deren Morde von den nationalen Rechtsinstitutionen geflissentlich ignoriert werden.

Russland

Russland war 2009 trauriger Spitzenreiter bei tödlichen Vergeltungsmaßnahmen gegen Menschenrechtsverteidiger. Viele der Opfer berichteten über willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen in der kriegszerrütteten Republik Tschetschenien, ausgeführt von Milizen, die faktisch unter der Kontrolle des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow standen. Die russischen Behörden ließen eine Kultur der Straflosigkeit entstehen, die diese Morde unweigerlich begünstigt hat:

  • Im Juli wurde Natalja Estemirowa, eine führende Mitarbeiterin der russischen Menschenrechtsgruppe Memorial, von Unbekannten in der Nähe ihres Wohnhauses in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt und später ermordet aufgefunden.
  • Im August wurden Sarema Sadulajewa und ihr Mann Alik Dschabrailow aus ihrem Büro in Grosny von Polizeibeamten entführt und tags darauf erschossen aufgefunden. Beide arbeiteten für Save the Generation, eine Wohltätigkeitsorganisation, die Kindern und Jugendlichen hilft, die Opfer des Tschetschenien-Konflikts geworden sind.
  • Im Januar wurde Umar Israilow, ein ehemaliger Leibwächter Kadyrows, von einem Unbekannten in Wien ermordet. Israilow hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen Kadyrow wegen Folter eingereicht.
    • Ebenfalls im Januar wurde der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow unmittelbar nach einer Pressekonferenz in Moskau umgebracht. Auch die Journalistin Anastasja Baburowa kam bei dem Anschlag ums Leben. Zwei Verdächtige wurden festgenommen. Einer der beiden machte Berichten zufolge persönliche Motive für die Tat geltend, die mit Markelows Arbeit gegen russische Neofaschisten in Zusammenhang stehen sollen. Bis dato ist unklar, was das tatsächliche Motiv für Markelows Ermordung war. Er vertrat unter anderem die Familie einer jungen Tschetschenin, die von einem russischen Oberst getötet worden war. Zuvor hatte er die Journalistin Anna Politkowskaja vertreten, die vor allem über Menschenrechtsverletzungen unter Kadyrow berichtet hatte. Sie wurde 2006 in Moskau getötet, der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. 

      Einige russische Menschenrechtsverteidiger waren aufgrund ihrer Arbeit außerhalb des Tschetschenien-Kontexts mit Gewalt konfrontiert:

      • Andrej Kulagin, der für die Organisation Sprawedliwost (Gerechtigkeit) in Petrosawodsk im Nordwesten des Landes tätig war, wurde im Juli 2009, zwei Monate nach seinem Verschwinden, tot aufgefunden. Ebenfalls im Juli wurde der Antikorruptionsaktivist Albert Ptschelinzew im Moskauer Vorort Chimki von zwei Männern angegriffen, die ihn in den Mund schossen, um ihn „zum Schweigen zu bringen“.
      • Im August wurde auf das Büro der Mütter Dagestans für Menschenrechte, einer Gruppe von Frauen, deren Söhne vermutlich verschleppt wurden, ein Brandanschlag verübt, nachdem unter anderen auch Mitarbeiter dieser Organisation namentlich auf Flugblättern genannt worden waren, die zur Ermordung von Menschenrechtsverteidigern aufgerufen hatten.
      • Im Juni wurde Aleksej Sokolow, ein Menschenrechtsverteidiger aus Jekaterinburg im Ural, unter offensichtlich haltlosen Beschuldigungen verhaftet. Er ist Mitglied einer öffentlichen Kommission für die Kontrolle von Hafteinrichtungen. Die Polizisten schlugen und verhöhnten ihn mit den Worten: „Und du dachtest, du könntest uns kontrollieren?“

      Weitere Länder

      Nicht nur in Russland wurden 2009 gewaltsame Übergriffe auf Menschenrechtsverteidiger verübt. Weitere Ländern, in denen Menschenrechtsaktivisten getötet, verschleppt oder schwer angegriffen wurden, sind:

      • Kenia - Oscar Kamau Kingara und John Paul Oulu von der Rechtshilfeorganisation Oscar Foundation wurden im März in Nairobi von Unbekannten ermordet, nachdem sie den UN-Sonderberichterstatter Philip Alston über außergerichtliche Hinrichtungen durch die Polizei informiert hatten.
      • Burundi - Ernest Manirumva von der Antikorruptionsorganisation OLUCOME wurde im April umgebracht. Die Regierung setzte zunächst eine Kommission ein, die Scheinermittlungen durchführte. Als sie unter Druck geriet, berief sie im Oktober eine angeblich unparteiische Untersuchungskommission ein. 
      • Sri Lanka - Stephen Sunthararaj vom Zentrum für Menschenrechte und Entwicklung wurde im Mai von bewaffneten Uniformierten entführt und verschleppt. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Er hatte gerade zwei Monate in Polizeigewahrsam verbracht und war auf Anweisung des Obersten Gerichts kurz vor seiner Entführung entlassen worden.
      • Afghanistan - die prominente Menschenrechtlerin Sitara Achakzai aus Kandahar wurde im April erschossen. Sie hatte sich bereits seit Wochen bei der Regierung über die ständigen Drohungen beklagt, aber es wurde nichts für ihren Schutz unternommen. Viele afghanische Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind mit diesem Problem konfrontiert, insbesondere Politikerinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivistinnen. Die Behörden haben so gut wie nichts unternommen, um Achakzais Mörder zu finden.
      • Malaysia - Finardo Cabilao, Sozialattaché der philippinischen Botschaft, wurde im August zu Tode geprügelt aufgefunden. Er war offenbar aufgrund seines Engagements im Kampf gegen den Menschenhandel angegriffen worden.
      • Indien - Rechtsanwälte, die Terrorverdächtige vor Gericht vertraten, wurden von anderen, oft militanten Hindu-Parteien nahestehenden Anwälten tätlich angegriffen und vom Mob bedroht. Die Regierung hat gegen die Verantwortlichen dieser Übergriffe nichts unternommen. Im März beispielsweise übernahm die Anwältin Anjali Waghmare ehrenamtlich die Pflichtverteidigung von Ajmal Amir Kasab, den einzig überlebenden Attentäter der Terrorangriffe von Mumbai im November 2008. Ein von kommunalen Vertretern der radikalen Shiv Sena-Partei angeführter Mob von 200 Menschen umstellte ihr Haus in Mumbai. Sie warfen Steine und riefen frauenfeindliche Parolen. Ein Richter ordnete permanenten Polizeischutz für die Anwältin an, aber keiner der Angreifer wurde bisher strafrechtlich verfolgt.
      • Usbekistan - drei Mitglieder der Menschenrechtsallianz Usbekistans, Elena Urlaewa, Salomat Bojmatowa und Ilnur Abdulow, wurden im Mai 2009 vermutlich von Polizisten in Zivil angehalten. Sie waren auf dem Weg zum UN-Büro in Taschkent, um einen Bericht über die Situation von Menschenrechtsverteidigern in Usbekistan abzugeben. Als sie gegen die Aufforderung, mit zur Polizeiwache zu kommen, Einwände erhoben, versetzten drei der Polizisten Abdulow Schläge und zwangen ihn und die beiden anderen, in ein bereitstehendes Polizeiauto zu steigen. Auf der Wache wurden sie verhört, ohne dass man ihnen Fragen zu konkreten Straftaten gestellt hätte, und rasch wieder freigelassen. Urlaewa musste eine Erklärung unterzeichnen, dass sie sich bis 10. Juni, dem Termin für den Menschenrechtsdialog zwischen der Europäischen Union und Usbekistan, an keinerlei Menschenrechtsaktivitäten beteiligen würde. Trotz zunehmender Repressionen hob die EU im Oktober das Waffenembargo gegen Usbekistan auf, die letzte noch bestehende Sanktion, die 2005 als Folge des Massakers in Andischan verhängt worden war.

      Geschlossene Gesellschaften und erschwerte Bedingungen für menschenrechtliches Engagement

      Manche Regierungen sind so repressiv, dass Menschenrechtsbewegungen dort nur im Verborgenen existieren können. Niemand würde sich an die Öffentlichkeit wagen. Diese Regierungen lassen in der Regel auch keine Besuche von internationalen Menschenrechtsbeobachtern zu. Besonders hervorzuheben sind in dieser Hinsicht Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan. In Burma und Iran gibt es kleine, mutige Menschenrechtsbewegungen; internationale Organisationen erhalten allerdings keinen Zugang zum Land. In Saudi-Arabien sind unabhängige Menschenrechtsorganisationen nicht erlaubt. Die Regierung sieht zwar über einzelne Aktivisten bisweilen hinweg, aber sobald ihre Arbeit auf größere Resonanz – insbesondere in den westlichen Medien – stößt, geht sie hart gegen diese mutigen Einzelkämpfer vor. Somalia ist so gefährlich, dass eine offene Menschenrechtsüberwachung praktisch unmöglich ist. In den letzten drei Jahren des brutalen Konflikts wurde die Zivilgesellschaft dezimiert, viele Aktivisten wurden getötet oder sind geflohen. 

      Libyen hat zwar internationalen Beobachtern Zugang gewährt, aber eine unabhängige Überwachung durch libysche Organisationen ist verboten, weil das Konzept einer unabhängigen Zivilgesellschaft Muammar al-Gaddafis Theorie der direkten Volksherrschaft widerspricht. In Syrien gibt es nach wie vor keine einzige eingetragene Menschenrechtsgruppe, weil ihre Anträge zur Registrierung konsequent abgelehnt werden. Die Nationale Organisation für Menschenrechte hatte die Entscheidung des Ministeriums für Soziale Angelegenheiten und Arbeit bezüglich der Ablehnung ihres Registrierungsantrags vor einem Verwaltungsgericht angefochten. Das Ministerium forderte daraufhin, dass die Mitglieder der Organisation strafrechtlich verfolgt werden.

      Manche, in der Regel offene Gesellschaften verweigern internationalen Menschenrechtsgruppen den Zugang zu bestimmten Gebieten, in denen gravierende Menschenrechtsverstöße begangen wurden. Indonesien untersagte dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sowie internationalen Menschenrechtsgruppen den Zugang zu Papua. Israel verhinderte während des von Dezember 2008 bis Januar 2009 andauernden Gaza-Konflikts die Einreise israelischer und internationaler Menschenrechtsverteidiger und Journalisten in den Gazastreifen und sorgt seitdem dafür, dass Menschenrechtsaktivisten keinen Zugang haben (ein Zugang über Ägypten war jedoch seit Beginn des Konflikts möglich; Menschenrechtsverteidiger mit Sitz in Gaza konnten die ganze Zeit über dort arbeiten). Sri Lanka versperrte einheimischen und internationalen Menschenrechtsgruppen sowie unabhängigen Journalisten den Zugang zu einem Großteil der Gebiete, in dem der bewaffnete Konflikt stattfand, der 2009 seinen Höhepunkt erreicht hatte. Gleiches gilt für den Zugang zu den in Lagern festgehaltenen Binnenflüchtlingen.

      Etliche Regierungen verhindern, dass unabhängige Experten und Berichterstatter des UN-Menschenrechtssystems Zugang zu ihrem Land erhalten. Die Regierungen von Usbekistan, Turkmenistan und Vietnam verweigern den Mandatsträgern von mehr als einem halben Dutzend UN-Sonderverfahren (u. a. über Folter und die Situation von Menschenrechtsverteidigern) trotz jahrelanger und wiederholter Anfragen nach wie vor die Einreise. Ähnlich sieht es in Ägypten, Äthiopien, Eritrea, Pakistan und Saudi-Arabien aus. Ende Oktober 2009 verweigerte Zimbabwe dem UN-Sonderberichterstatter über Folter die Einreise, obwohl er zuvor eingeladen worden war und man sich auf diesen Termin für seinen Besuch geeinigt hatte. Und Russland lehnte es kategorisch ab, ihm die zur Durchführung seiner Aufgabe erforderlichen Bedingungen zu garantieren.

      Manche Regierungen haben offenbar keinerlei Skrupel, Menschenrechtsorganisationen einfach zu verbieten:

      • Nachdem der Internationale Strafgerichtshof im März 2009 den Haftbefehl gegen Präsident Omar al-Bashir erlassen hatte, verbot die sudanesische Regierung drei lokale Menschenrechtsorganisationen und verwies 13 internationale, in Darfur arbeitende humanitäre NGOs des Landes.
      • Die chinesische Regierung verbot im Juli die größte unabhängige Rechtshilfeorganisation Open Constitution Initiative. Die Organisation hatte sich zuletzt mit den Ursachen der Demonstrationen in Tibet im Jahr 2008 und dem Skandal um die mit Melamin verseuchte Milch beschäftigt, an der Hunderttausende Kinder erkrankt waren.
      • In Aserbaidschan wurde das Zentrum für Wahlbeobachtung im Februar 2008 kurzzeitig registriert, nachdem die Regierung dies vorher sechs Mal verweigert hatte. Drei Monate später wurde es wieder verboten, angeblich wegen falscher Namens- und Adressangaben und der Eröffnung weiterer Regionalbüros, ohne die Regierung darüber informiert zu haben. Die Organisation schloss sich 2009 unter neuem Namen – Zentrum für Wahlbeobachtung und demokratische Studien – wieder zusammen und beantragte eine Registrierung. Der Antrag wurde vom Justizministerium im Mai und im August verweigert.

      Festnahmen, Schikanen, Drohungen und andere Übergriffe

      Andere Regierungen schikanieren Menschenrechtsverteidiger offen oder nehmen sie fest:

      • Die kubanische Regierung weigert sich generell, die Rechtmäßigkeit unabhängiger Menschenrechtsorganisationen anzuerkennen. Lokale Menschenrechtsverteidiger werden regelmäßig schikaniert, mit Prügel- oder Gefängnisstrafen bedroht, falls sie ihre Arbeit nicht einstellen, und mit Hilfe weitreichender Gesetze, die praktisch jede Art von Dissens kriminalisieren, verurteilt. Dutzende Menschenrechtsverteidiger befinden sich derzeit in kubanischen Gefängnissen. Einige von ihnen wurden auf Grundlage eines orwellschen Gesetzesparagraphen wegen „Gefährlichkeit“ verurteilt. Aufgrund dieser Paragraphen können Personen verurteilt werden, nicht weil sie bereits eine Straftat begangen haben, sondern um sie daran zu hindern, eine solche zu begehen.
      • Die vietnamesische Regierung verbietet unabhängige Menschenrechtsorganisationen, weil sie an einer subversiven Verschwörung zur Unterwanderung der Kommunistischen Partei Vietnams durch die sogenannte „friedliche Evolution” beteiligt sein sollen. Menschenrechtsverteidiger werden häufig wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit inhaftiert, beispielsweise wegen „Missbrauchs demokratischer Freiheiten“ zur „Schädigung der Interessen des Staates“. Rechtsanwälte, die vietnamesische Menschenrechtler vor Gericht vertreten, werden bedroht, schikaniert, aus der Anwaltschaft ausgeschlossen, tätlich angegriffen oder verhaftet. Im Juni 2009 nahm die Polizei den Anwalt Le Cong Dinh fest und legte ihm zur Last, seine Position als Anwalt von Menschenrechtsaktivisten, die sich für mehr Demokratie und Religionsfreiheit einsetzen, missbraucht zu haben, um „Propaganda gegen die Regierung zu verbreiten und die Verfassung Vietnams und seine Gesetze zu verdrehen“. Die Rechtsanwältin Bui Kim Thanh wurde 2008 in die Psychiatrie zwangseingewiesen, weil sie sich für Bauern eingesetzt hatte, die Entschädigungen für Landenteignungen einklagen wollten.
      • Im Iran durchsuchten Sicherheitskräfte im Dezember 2008, im Vorfeld einer geplanten Feier zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, das Büro der Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, nahmen Akten und Computer mit und verhafteten einige Mitarbeiter. Im November 2009 beschlagnahmten die Behörden Ebadis Nobelpreismedaille und leiteten ein Verfahren wegen „Steuernachzahlungen“ auf das mit dem Nobelpreis verbundene Preisgeld ein. Prominente Menschenrechtsanwälte wurden festgenommen, um zu verhindern, dass sie nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 die Verteidigung von Vertretern der Reformbewegung übernehmen.
      • In Saudi-Arabien nahm die Geheimpolizei die Menschenrechtsaktivisten Muhammad al-Utaibi und Khaled al-Umair fest, als sie an einer friedlichen Solidaritätskundgebung für Gaza teilnehmen wollten. Die Untersuchungshaft währte länger als die nach saudischem Recht zulässige Höchstdauer von sechs Monaten, obwohl die Staatsanwaltschaft entschieden hatte, keine Anklage zu erheben. Im November 2009 wurde al-Umair in Einzelhaft verlegt. Die Behörden verdächtigten ihn, andere Menschenrechtsaktivisten über ein Mobiltelefon, das er unerlaubterweise bei sich hatte, über die Haftbedingungen im al-Hair-Gefängnis informiert zu haben, vor allem darüber, dass Insassen von den Wärtern geschlagen werden und Gefangene aufgrund mangelnder Gesundheitsversorgung sterben.
      • Im Oktober 2009 wurde der prominente Menschenrechtsanwalt Haytham al-Maleh, 78, von der syrischen Staatssicherheit verhaftet, nachdem er in der Sendung eines oppositionellen Fernsehsenders die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in Syrien kritisiert hatte. Im November wurde er vor einem Militärgericht wegen „Verbreitung falscher Informationen, die das Nationalgefühl schwächen“ verklagt. Das Verfahren ist noch anhängig.
      • In Kambodscha wurden 2009 mehr als 60 Menschenrechtsverteidiger und engagierte Bürger – nicht selten unter haltlosen Beschuldigungen – inhaftiert oder befanden sich in Untersuchungshaft. Sie hatten Mitglieder ihrer Gemeinde unterstützt, denen Zwangsräumungen oder illegale Landenteignungen durch private Unternehmen drohten, an denen ranghohe Politiker und Militärs beteiligt waren.
      • Im Jemen werden nach wie vor regelmäßig Personen verschleppt. Auch der Journalist Muhammad al-Maqalih, der für die Website www.aleshtiraki.net der oppositionellen Sozialistischen Partei Jemens schrieb, ist Opfer des „Verschwindenlassens“ geworden. Er wurde im September 2009 von einer Gruppe von Männern in der Hauptstadt Sanaa festgenommen, kurz nachdem er die Regierung wegen der fortdauernden Bombardierung von Rebellen im Norden des Landes kritisiert hatte. Seinen Kollegen zufolge soll er im Gefängnis des Politischen Sicherheitsdienstes, später in einem Gefängnis des Verteidigungsministeriums und im November in einem Gefängnis in Aden gesehen worden sein.

      Einige Regierungen nutzen Gewaltandrohungen explizit oder versteckt, um Menschenrechtsverteidiger abzuschrecken oder zu bestrafen:

      • In Kolumbien beschuldigten Präsident Álvaro Uribe und hochrangige Regierungsvertreter Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Gewerkschaftler der Komplizenschaft mit FARC-Rebellen – Anschuldigungen, die jeglicher Grundlage entbehrten. Solche Unterstellungen können extrem gefährlich sein, vor allem wenn man bedenkt, dass Menschenrechtsverteidiger in Kolumbien nach wie vor von illegalen bewaffneten Gruppen aufgrund ihrer Tätigkeit ermordet werden. Der kolumbianische Geheimdienst, der Uribe direkt unterstellt ist, hat Menschenrechtsgruppen durch das illegale Abhören von Telefonleitungen und das Abfangen von E-Mails kontrolliert und ständig überwacht.
      • Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo bezeichnete Menschenrechtsverteidiger als „humanitäre Terroristen“ und trug so erheblich zum Risiko bei, dem sie durch ihre Tätigkeit in den Kriegsgebieten im Ostkongo ohnehin ausgesetzt sind.
      • Etliche Aktivisten aus Sri Lanka haben das Land verlassen, weil sie schikaniert und bedroht wurden. Dr. Paikiasothy Saravanamuttu, der Direktor der regierungskritischen Forschungseinrichtung Zentrum für politische Alternativen, erhielt im August 2009 eine schriftliche Morddrohung von Unbekannten, die ihn dafür verantwortlich machten, dass Sri Lanka aufgrund seiner schlechten Menschenrechtsbilanz möglicherweise die Handelsprivilegien mit der EU verliert. Zwei Wochen später wurde er bei seiner Rückkehr aus dem Ausland am Flughafen von der Polizei kurzzeitig verhaftet und verhört.
      • In Nicaragua ermittelten die Behörden gegen Frauenrechtlerinnen, die sich gegen ein 2006 erlassenes absolutes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zur Wehr gesetzt haben. Die Frauen erhielten außerdem anonyme Drohanrufe und wurden Opfer von Vandalismus.

      Obwohl die sexuellen und reproduktiven Rechte völkerrechtlich weitgehend anerkannt sind, sind sie in vielen Teilen der Welt noch immer Gegenstand heftiger politischer und gesellschaftlicher Kritik. Nach wie vor werden Menschen, die diese Rechte einfordern, Opfer von Diskriminierung, brutaler Gewalt und mitunter sogar von Mord. Die Bekämpfung von HIV/AIDS, der Zugang für Frauen zu einem sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch sowie die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender sind gesellschaftlich und politisch umstritten, und ihre Befürworter werden nicht selten für ihr Engagement angegriffen. Ein neuer Gesetzesentwurf der ugandischen Regierung sieht beispielsweise vor, dass die „Beihilfe oder Begünstigung“ von Homosexualität geahndet und strafrechtlich verfolgt werden soll und Nichtregierungsorganisationen, die sich nicht an diese Regel halten, verboten werden sollen.

      Restriktive Vorschriften

      Diese Methoden, mit denen die Menschenrechtsbewegung zum Schweigen gebracht werden soll, sind alles andere als subtil. Aber gerade weil sie so leicht zu durchschauen sind, kommen sie die betreffenden Regierungen umgehend teuer zu stehen: Sie schaden ihrem Ansehen und ihren internationalen Beziehungen. Deshalb greifen menschenrechtsverletzende Regierungen nicht selten auf Methoden zurück, die weniger offensichtlich sind. Eine Taktik, die sich scheinbar immer mehr durchsetzt, ist die Verabschiedung dirigistischer Gesetze und Vorschriften: Sie sollen die Gründung von NGOs erschweren, ihren Handlungsspielraum begrenzen, sie kontrollieren und dezimieren. Der UN-Sonderberichterstatter zur Situation von Menschenrechtsverteidigern sagte 2006, dass „zwar manche Staaten nationale Gesetze verabschiedet haben, in denen ihre in der Erklärung [für Menschenrechtsverteidiger] beinhalteten internationalen Verpflichtungen zum Ausdruck kommen, viele Staaten jedoch tendenziell eher neue Gesetze verabschieden, die den Spielraum für die Menschenrechtsarbeit einschränken“. Regierungen, die diesen Weg einschlagen, geben gerne vor, dass es sich dabei um nichts weiter als um gewöhnliche Kontrollen eines wichtigen Tätigkeitsbereichs handle. Tatsächlich sollen und werden diese Gesetze die NGOs daran hindern, Regierungen für die Einhaltung der internationalen Menschenrechtsnormen in die Pflicht zu nehmen. 

      Russland verschärfte seinen Maßnahmenkatalog 2006 durch die Verabschiedung eines umstrittenen NGO-Gesetzes. Die gleiche Wirkung erzielten die Behörden mit Vorschriften zum Steuerrecht, Brandschutz und zu Software-Lizenzen. Manche NGOs haben die Auswirkungen kaum zu spüren bekommen. Menschenrechtsorganisationen und andere Einrichtungen, die sich dafür einsetzen, dass Regierungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, sahen sich hingegen mit lästigen Vorschriften, ständigen Kontrollen und gezielten Einsichtnahmen in ihre Bücher konfrontiert und wurden mit der Schließung bedroht, falls sie die Vorschriften nicht einhalten. Bestenfalls müssen diese Organisationen ihre kostbare Zeit den staatlichen Kontrolleuren widmen, anstatt ihre Arbeit fortzusetzen: Einer Untersuchung zufolge liegen die Kosten für die Registrierung einer NGO jetzt um 40 Prozent über den Kosten für die Anmeldung eines Unternehmens. Schlimmstenfalls werden diese Organisationen wegen relativ geringfügiger technischer Verstöße aufgelöst oder vorübergehend geschlossen bzw. durch die minuziösen Kontrollen daran gehindert, ihren eigentlichen Aufgabe nachzugehen. Zwei Regionalbüros der Organisation Bewegung für Menschenrechte wurden 2009 wegen technischer Verstöße per Gerichtsentscheid aufgelöst. Die regionale Menschenrechtsorganisation Agora wird seit Juli durch eine Vielzahl schikanöser Kontrollen an der Fortsetzung ihrer inhaltlichen Arbeit gehindert.

      Äthiopiens neues Gesetz gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, das im Januar 2009 verabschiedet wurde, hatte noch gravierendere Folgen: Es brachte die Menschenrechtsüberwachung im Land weitgehend zum Erliegen. Das Gesetz verbietet „ausländischen Organisationen“, und damit jeder Organisation, die zu mehr als zehn Prozent aus dem Ausland finanziert wird, sämtliche Tätigkeiten in Zusammenhang mit Menschen-, Frauen- und Kinderrechten und verantwortungsbewusster Regierungsführung. Da es in Äthiopien an Geldgebern mangelt, mussten die NGOs diese kritischen Themen vermeiden. Die äthiopische Regierung rechtfertigt das Gesetz damit, dass etliche Regierungen, darunter die der Vereinigten Staaten, Kandidaten für politische Ämter eine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ebenfalls untersagen. Allerdings gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen politischen Wahlkämpfern und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ausüben. Die äthiopische Regierung fügt hinzu, dass finanzielle Unterstützung aus dem Ausland im Bereich der humanitären Hilfe (eine Haupteinnahmequelle der Regierung) gestattet sei. Der beste Weg, um sicherzustellen, dass Entwicklungsgelder wirklich dort ankommen, wo die Hilfe am meisten benötigt wird, wäre allerdings die Anerkennung genau jener unabhängigen Organisationen, die durch das Gesetz zur Regulierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen verboten werden. Ein neues Gesetz zur Terrorismusbekämpfung, das auch dazu dient, friedliche Protestkundgebungen unter Strafe zu stellen, verschärft die Situation noch zusätzlich.

      Indien benutzte das Gesetz zur Regulierung von Zuwendungen aus dem Ausland (Foreign Contribution Regulation Act), um Organisationen wegen einer regierungskritischen Haltung zu schikanieren und ihre Gelder zu blockieren. Das Gesetz wurde ursprünglich erlassen, um ausländische Spenden an politische Parteien, Politiker und Wahlkampfkandidaten zu verbieten und damit zu gewährleisten, dass die Wahlen nicht von ausländischen Interessen beeinflusst werden. Weitere vorgeschlagene Gesetzesänderungen werden NGOs, deren Arbeit dem „Interesse des Staates“ abträglich sein soll, weiter einschränken und ihr Recht auf finanzielle Unterstützung untergraben.

      In Israel nutzte Premierminister Benjamin Netanyahu anstatt des Gesetzes seinen politischen Einfluss, um die Finanzierungsgrundlage einer wichtigen Menschenrechtsorganisation anzugreifen. Im August forderte er europäische Regierungen öffentlich dazu auf, die israelische Reservistengruppe Breaking the Silence nicht weiter finanziell zu unterstützen. Sie hatte kurz zuvor einen höchst kritischen Bericht über das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen veröffentlicht. Der Bericht beinhaltete Zeugenaussagen von 26 Soldaten, die an der Militäroperation teilgenommen hatten. Ein ranghoher Mitarbeiter am Amtssitz von Netanyahu erklärte öffentlich: „Wir werden dem Kampf gegen diese Organisationen viel Zeit und Energie widmen. Wir werden bestimmt nicht wehrlos zusehen, wie Menschenrechtsgruppen uns ins Visier nehmen und dann ungestraft davonkommen.“

      Weitere Regierungen mit restriktiven Gesetzen gegen NGOs und gemeinnützige Organisationen:

      • In Ägypten sieht das Gesetz zur Regulierung von Vereinigungen strafrechtliche Sanktionen vor, die das rechtmäßige Engagement von NGOs einschränken, einschließlich politisch und gewerkschaftlich ausgerichtete Tätigkeiten. NGOs können außerdem auf Anordnung der Behörden aufgelöst werden. Ferner gibt es jede Menge reglementierender Eingriffe seitens des Staates, die eine normale Entwicklung der Zivilgesellschaft einschränken und reichlich Möglichkeiten für eine Einmischung durch Politik und Verwaltung schaffen. Die Sicherheitsbehörden kontrollieren oder verweigern NGOs routinemäßig die Registrierung, ihre Aktivitäten, ihre Finanzierung und die Geschäftsführung werden genauen Überprüfungen unterzogen.
      • In Jordanien gibt es seit 2009 ein Gesetz, dass es der Regierung ermöglicht, die Geschäftsführung einer NGO zu entlassen und durch staatliche Funktionäre zu ersetzen. Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz die NGOs, sich jede Spende aus dem Ausland von den Behörden genehmigen zu lassen.
      • In Uganda sind NGOs seit 2007 gesetzlich verpflichtet, jeden „direkten Kontakt mit Personen in den ländlichen Regionen Ugandas“ eine Woche im Voraus anzukündigen.
      • Turkmenistan macht keinen Hehl daraus, dass es die Unabhängigkeit von NGOs nicht anerkennt. Um sich überhaupt registrieren lassen zu können, sind NGOs gesetzlich verpflichtet, mit einer Regierungsbehörde zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus müssen sie zu allen Treffen Regierungsvertreter einladen und sämtliche Fördermittel beim Justizministerium anzeigen.
      • In Libyen gibt es ein Gesetz, nach dem NGOs von einem politischen Gremium genehmigt werden müssen und die Behörden jederzeit das Recht haben, sich in die Entscheidungen unabhängiger Organisationen einzumischen. Gruppierungen, die sich der Ideologie der libyschen Revolution von 1969 widersetzen, werden kriminalisiert und Widerstand kann als Kapitalverbrechen ausgelegt werden.

      Diese Regulierungsmaßnahmen eignen sich hervorragend, um die Überwachung der Menschenrechte einzuschränken. Deshalb haben zahlreiche Regierungen – nicht nur in ohnehin repressiven Staaten – ähnliche Gesetzesvorschläge eingebracht:

      • In Venezuela liegt der Nationalversammlung seit 2006 ein Gesetzentwurf vor, der vage Vorschriften zur Registrierung von NGOs enthält, die Hilfen aus dem Ausland erhalten, und sie verpflichten würde, der Regierung über ihre Arbeit sowie über Spenden und Ausgaben Auskunft zu geben.
      • In Peru hat ein Kongressausschuss bereits ein Gesetz zur Wiedereinführung regierungsbehördlicher Kontrollen von NGOs in die Wege geleitet, das vom peruanischen Verfassungsgericht aufgehoben worden war.
      • In Kambodscha verkündete Premierminister Hun Sen im November 2009, dass in Kürze ein NGO-Gesetz verabschiedet werden soll, um „unerwünschte NGOs“ aus dem Weg zu räumen, die „ihren Mund zu weit aufmachen“, ihre Tätigkeit als Vorwand für politische oder terroristische Aktivitäten nutzen oder vom Ausland finanziert werden, um gegen die Regierung zu opponieren. Die Nationalversammlung soll sich demnächst mit einem entsprechenden Gesetzentwurf befassen, obwohl er den zivilgesellschaftlichen Gruppen bisher noch nicht zur Prüfung und Bewertung vorgelegt wurde.
      • In Ruanda hat die Regierung einen Entwurf eingebracht, der die ohnehin dirigistischen Vorschriften noch weiter verschärfen soll: NGOs müssen der Regierung eine detaillierte Finanzauskunft, Informationen über Mitarbeiter und Vermögenswerte und einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorlegen.
      • In Kirgisien liegt ein Gesetzentwurf vor, der NGOs strikte Anforderungen zur Berichterstattung auferlegt, „politische“ Aktivitäten verbietet und neue staatliche Überprüfungs- und Abmahnverfahren vorsieht. Die parlamentarische Anhörung über den Gesetzentwurf wurde verschoben, nachdem es auf nationaler und internationaler Ebene zu heftigen Protesten kam.
        • Berufsverbote für Rechtsanwälte

          Rechtsanwälte spielen oft eine herausragende Rolle bei der Verteidigung von Menschenrechten und sind deshalb häufig Angriffen besonderer Art ausgesetzt. Um Rechtsanwälte daran zu hindern, die Verteidigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, entzog man ihnen in China und im Iran aus politischen Gründen ihre Zulassung.

          • In China brachte die Regierung engagierte Rechtsanwälte zum Schweigen, indem sie ihnen die Verlängerung ihrer Lizenz verweigerte, Druck auf ihre Anwaltskanzleien ausübte und ihnen Fälle entzog. Bei der bisher größten Vergeltungsmaßnahme wurden fast 30 Rechtsanwälte aus dem Anwaltsregister von Peking gestrichen. Alle waren in Aufsehen erregende Verfahren gegen die lokalen Behörden oder die Zentralregierung involviert: in den Skandal um verseuchtes Milchpulver, die Korruptionsvorwürfe beim Bau der Schulen, die 2008 bei dem Erdbeben in Sichuan eingestürzt waren, eine Klage gegen die staatliche Überwachung der Pekinger Anwaltskammer und eine schier unüberschaubare Anzahl von Menschenrechtsfällen, angefangen bei Zwangsräumungen bis hin zu politisch motivierten Verfolgungen von Dissidenten und Andersgläubigen.
          • Die iranische Regierung erließ im Anschluss an die umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 neue Vorschriften, die die Unabhängigkeit der iranischen Anwaltskammer massiv einschränken und der Regierung die Kontrolle über die Berufsausübungsrechte von Rechtsanwälten übertragen. Die Anwaltskammer hat das alleinige Recht zur Bewilligung oder Verweigerung von Anwaltslizenzen und bisher war es ihr gelungen, sich gegen Versuche der Regierung zur Wehr zu setzen, Anwälte an die Kandare zu nehmen, die für die Achtung der Menschenrechte eintreten.
          • Im Juli wurde Muhannad al-Hassani, der Vorsitzende der syrischen Menschenrechtsorganisation Swasiah, vom syrischen Geheimdienst festgenommen. Ein Untersuchungsrichter beschuldigte ihn in Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der Überwachung der Rechtspraxis des Obersten Staatssicherheitsgerichts der „Schwächung des nationalen Bewusstseins“ und der „Verbreitung falscher Informationen“. Das Verfahren ist noch anhängig. Im November ordnete die syrische Anwaltskammer an, ihm seine Zulassung dauerhaft zu entziehen.

          Strafrechtliche Anklagen

          Viele Regierungen brachten Menschenrechtsverteidiger mittels fingierter Anklagen zum Schweigen:

          • In ihren Bemühungen Chinas führende, unabhängige Rechtshilfeorganisation Open Constitution Initiative zu zerschlagen, inhaftierten die chinesischen Behörden im August 2009 ihren Gründer Xu Zhiyong und einen weiteren Mitarbeiter drei Wochen lang wegen des Verdachts auf „Steuerhinterziehung“. In der Begründung hieß es, die Organisation hätte auf eine von der Yale University erhaltene Spende keine Steuern abgeführt. Die mit der Organisation verbundene Kanzlei wurde aus dem Anwaltsregister gestrichen. Heftige Proteste in China und im Ausland trugen zwar zu Xus Freilassung bei, aber die NGO konnte ihre Arbeit noch nicht wieder aufnehmen.
          • Im November wurde der prominente Menschenrechtsaktivist Huang Qi von einem chinesischen Gericht des „Besitzes von Staatsgeheimnissen“ für schuldig befunden und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu drei Jahren Haft verurteilt. Um welche Geheimnisse es sich dabei gehandelt haben soll, wurde nie bekannt gegeben. Die Anklage erfolgte, nachdem Huang Beschuldigungen nachgegangen war, wonach bauliche Mängel am Einsturz von Schulgebäuden bei dem Erdbeben in Sichuan im Mai 2008 verantwortlich gewesen sein sollen. Auch gegen den Autor und Umweltschützer Tan Zuoren ging die Regierung gerichtlich vor. Er wurde im August 2009 in Chengdu wegen „Subversion“ in Zusammenhang mit einer von ihm erstellten Liste verurteilt, auf der die Namen der Kinder aufgeführt waren, die bei dem Erdbeben in Sichuan getötet wurden. 
          • Usbekistan erhob mehrfach fingierte Anklagen, vor allem gegen Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte von Bauern einsetzten. Der Menschenrechtsverteidiger Ganikhon Mamatkhanov, der auf Radio Ozodlik, dem usbekischen Ableger von Radio Free Europe/Radio Liberty, regelmäßig über die Menschenrechtssituation im Land berichtete, wurde im November 2009 zu fünf Jahren Gefängnis wegen Betrugs und Bestechung verurteilt. Er war bereits einen Monat zuvor nach einem offensichtlichen Versuch, ihm etwas anzuhängen, inhaftiert worden. Mamatkhanov hatte einen Anruf von einem Unbekannten erhalten, der ihn um ein Treffen auf einem Markt bat. Als er dort auftauchte, versetzte ihm der Mann Schläge und ließ etwas in seine Tasche gleiten. Als Mamatkhanov klar wurde, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handelt, hatte er noch versucht, den Mann daran zu hindern. Er wurde jedoch sofort von der Polizei festgenommen, die seine Tasche konfiszierte. Darin befanden sich, wie sich später herausstellte, 500.000 usbekische Som (etwa 330 US-Dollar). Mamatkhanov versicherte, den Täter noch nie zuvor gesehen zu haben.
          • Ruanda bediente sich eines Gesetzes, das „Völkermord-Ideologie“ unter Strafe stellt, um Personen zum Schweigen zu bringen, die die aktuelle Politik der Regierung kritisieren oder die Menschenrechtsverletzungen der Ruandischen Patriotischen Front kritisch hinterfragen. Auch die informellen Gacaca-Gerichte – eine Art Volksgericht, das eine Reihe wichtiger Garantien für ein faires Verfahren vermissen lässt – wurden eingesetzt, um Regierungskritiker zu Unrecht zu beschuldigen, 1994 am Völkermord beteiligt gewesen zu sein. Paradoxerweise haben ausgerechnet die Maßnahmen, die der nationalen Versöhnung dienen sollten, die Herausbildung von unabhängigen, zivilgesellschaftlichen Gruppen beeinträchtigt, die die Kluft zwischen den Ethnien überwinden und die Spannungen mindern könnten.
          • Die iranische Regierung verhaftete etliche NGO-Vertreter und verurteilte sie wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ oder „Spionage“ zu Gefängnisstrafen. Wesentlich höhere Strafen verhängte die Regierung gegen die Mitglieder kurdischer Menschenrechtsorganisationen: Sie wurden aufgrund ihrer Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen die kurdische Gemeinschaft zu langjährigen Gefängnisstrafen bzw. zum Tod verurteilt. Im Jahr 2008 verhängte die Regierung die Todesstrafe gegen Farzad Kamangar, ein Mitglied der Organisation zum Schutz der Menschenrechte in Kurdistan, und behauptete, ohne einen Beweis zu liefern, er sei Mitglied der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gewesen. Der Leiter der Organisation Sadigh Kaboudvand wurde für seine NGO-Tätigkeit zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Zwölf weitere Kollegen erhielten ebenfalls Gefängnisstrafen.

          Evgeniy Zhovtis, der prominenteste Menschenrechtsverteidiger Kasachstans und Gründungsdirektor des Internationalen Büros für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, wurde nach einem Autounfall im September 2009, bei dem ein junger Mann ums Leben kam, der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Die erheblichen Verfahrensmängel bei den Ermittlungen und die Tatsache, dass Beweise der Verteidigung im Prozess nicht zugelassen wurden, geben Anlass zur Sorge, dass diese menschliche Tragödie zu politischen Zwecken ausgenutzt wurde.

          Anklagen wegen Verleumdung sind ebenfalls zu einem beliebten Instrument geworden, um Kritik an Menschenrechtsverletzungen verstummen zu lassen:

          • Im Juni verurteilte ein marokkanisches Gericht Chekib el-Khayari, den Vorsitzenden der Vereinigung für Menschenrechte in der Region Rif, wegen „schwerer Beleidigung“ staatlicher Institutionen zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe. Er hatte die angebliche Verwicklung von Beamten in den Drogenhandel kritisiert. Das Gericht befand ihn außerdem geringfügiger Devisenvergehen schuldig.
          • Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow leitete ein Zivil- und eine Strafverfahren wegen Verleumdung gegen Oleg Orlow, den Leiter der Menschenrechtsgruppe Memorial, ein. Er hatte Kadyrow für den Mord an der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa verantwortlich gemacht. Im Oktober, noch bevor die Ermittlungen zum Mord an Estemirowa abgeschlossen waren, entschied das Zivilgericht zu Kadyrows Gunsten. Derzeit laufen die polizeilichen Ermittlungen gegen Orlow wegen strafbarer Verleumdung.
          • Natasa Kandic, Direktorin des Fonds für humanitäres Recht, hatte wiederholt Serbiens Versäumnis kritisiert, sich mit seiner Rolle bei den Menschenrechtsverletzungen während des Krieges auf dem Balkan in den 1990er Jahren auseinanderzusetzen. In 2009 reichten mehrere serbische Amtsträger zivil- und strafrechtliche Klagen gegen sie ein. Unter den Klägern befinden sich Vertreter des Innenministeriums und hochrangige Polizeibeamte. Sie alle wurden von Kandic beschuldigt, direkt oder indirekt an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die serbische Regierung hat dazu offiziell keine Stellung genommen.
          • In Indonesien wurde Usman Hamid, der Direktor von Kontras, einer der führenden indonesischen Menschenrechtsorganisationen, von Muchdi Purwopranjono, dem ehemaligen Befehlshaber der Spezialeinheiten und früheren Vize-Geheimdienstchef wegen Verleumdung angeklagt. Hamid hatte den Freispruch in dem von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleiteten Prozess gegen Muchdi kritisiert, der wegen des Giftmordes an Munir Said Thalib, dem Gründer von Kontras, vor Gericht stand.

          In einer leicht abgewandelten Variante wurden in Sri Lanka vier staatliche Ärzte wegen angeblicher „Verbreitung von Falschinformationen“ mehrere Monate lang inhaftiert: Sie hatten über die willkürliche Bombardierung von Krankenhäusern in den von den Tamil Tigers kontrollierten Gebieten während der letzten Wochen des bewaffneten Konflikts berichtet.

          * * *

          Regierungen sind in ihren Bemühungen, Menschenrechtsverteidiger einzuschränken und zu bestrafen, äußerst erfinderisch, aber ihre Motive sind im Großen und Ganzen die gleichen. Menschenrechtsverletzungen sind heute mehr denn je mit einem hohen Preis verbunden, und eigentlich möchte man meinen, dass dies für viele Regierungen ein Grund mehr sein sollte, ihre rechtlichen Verpflichtungen anzuerkennen und die Menschenrechte zu achten. Trotzdem versuchen einige Regierungen, diesen Preis herabzusetzen, indem sie Menschenrechtsverteidiger angreifen oder ihren Handlungsspielraum einschränken. Ob sie damit Erfolg haben, hängt auch vom Engagement der Regierungen ab, die sich dem Schutz der Menschenrechte verschrieben haben. Wir hoffen, dass diese Besorgnis erregende Entwicklung, die wir zum Schwerpunktthema dieses Berichts gemacht haben, ein starkes Engagement hervorrufen wird.

          Angriffe auf Menschenrechtsinstitutionen

          Der Internationale Strafgerichtshof

          Der wahrscheinlich größte Erfolg der Menschenrechtsbewegung der letzten Jahre war die Schaffung eines neuen internationalen Rechtssystems, insbesondere der 2002 ins Leben gerufene Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, vor dem sich die größten Menschenrechtsverbrecher verantworten müssen. Bis dahin konnten Regierungen, die für gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Massenmord verantwortlich waren, mehr oder weniger davon ausgehen, dass sie ungestraft davonkommen. Sie mussten lediglich ihr eigenes nationales Rechtssystem durch Gewalt oder Drohungen schwächen. Auf den IStGH und andere internationale Tribunale, wie den Strafgerichtshof für Ruanda, Sierra Leone oder das ehemalige Jugoslawien, haben Tyrannen und Diktatoren keinen Zugriff. Sie zeigen, dass Gerechtigkeit möglich ist.

          Die Möglichkeiten dieser Institutionen sind noch sehr begrenzt, und ihre Kapazitäten werden nie ausreichen, um alle mutmaßlichen Täter strafrechtlich verfolgen zu können. Zudem sind manche Täter als Staatsangehörige bestimmter Staaten oder weil sie von diesen unterstützt werden, dem Risiko einer internationalen Strafverfolgung weniger ausgesetzt als andere. Grund dafür ist ein tief verankertes Machtungleichgewicht, das nicht selten darüber entscheidet, welche Menschenrechtsverletzungen einer genaueren Überprüfung unterzogen werden. Viele Verbrechen werden deshalb gar nicht erst untersucht. Von entscheidender Bedeutung ist hier jedoch, dass eine internationale Justiz angerufen werden kann, wenn die Bemühungen der nationalen Justiz scheitern. Die Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden, damit den Opfern Gerechtigkeit widerfährt, und zukünftigen Täter muss mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht werden, damit weitere Gräueltaten vermieden und Leben gerettet werden.

          So willkommen diese Entwicklung aus Sicht der Opfer und Überlebenden ist, so bedrohlich ist sie aus Sicht der Täter. Und so wie Menschenrechtsverteidiger angegriffen wurden, weil sie Verstöße aufgedeckt und Druck ausgeübt haben, um Veränderungen zu bewirken, wird jetzt das internationale Rechtssystem angegriffen, weil die Täter befürchten, dass sie für ihre Verstöße gegen die Menschenrechte schon bald zur Verantwortung gezogen werden könnten.

          Auslöser für diesen neuen Feldzug gegen die internationale Justiz war der Antrag des Chefanklägers des IStGH auf einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir im Juli 2008 wegen Verbrechen der sudanesischen Armee und verbündeter Milizen gegen die Zivilbevölkerung in Darfur. Im März 2009 erließ der IStGH den Haftbefehl gegen al-Baschir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er war das erste amtierende Staatsoberhaupt, das vom IStGH angeklagt wurde.

          Man hätte eigentlich erwartet, dass die afrikanischen Staats- und Regierungschefs diesen Schritt begrüßen. Schließlich konnte sich die internationale Staatengemeinschaft mehr als fünf Jahre lang nicht entschließen, etwas zu unternehmen, während es in Darfur zu Massenmord und Zwangsvertreibungen kam. Endlich hatte jemand entschieden gehandelt. Allerdings wirkten einige afrikanische Staatsoberhäupter weniger besorgt über das Gemetzel an ihren Landsleuten, als über die Möglichkeit, dass ein amtierender Staatschef für diese grausamen Verbrechen wahrscheinlich vor Gericht gestellt wird.

          Im Juli 2009 während des Gipfels der Afrikanischen Union im libyschen Sirte war der Tiefpunkt erreicht. Auf Druck des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi und der Regierungen einiger nordafrikanischer Staaten hatte die AU eine Resolution verabschiedet, die die afrikanischen Staaten aufforderte, nicht mit dem IStGH zu kooperieren und den Haftbefehl gegen al-Baschir nicht zu vollstrecken. Einige Regierungen, vor allem Botswana und Südafrika, änderten ihre Haltung zwar später. Aber das Bedenkliche daran ist, dass die AU, eine Institution, die auf menschenrechtlichen Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit beruht, sich auf die Seite eines mutmaßlichen Massenmörders gestellt hat und nicht auf die Seite der Opfer.

          Die AU brachte verschiedene Gründe für diese Entscheidung vor, kein einziger davon war wirklich schlüssig. Ein Grund war, dass der UN-Sicherheitsrat auf den Antrag der AU, den Haftbefehl zu suspendieren, keine formale Antwort gegeben hatte. Dieser Antrag war, gelinde gesagt, kontrovers. Er gründete auf der fragwürdigen These, dass ein Staatschef, der schwerste Verbrechen in Darfur unterstützt hatte, plötzlich zu einem Mann des Friedens werden sollte, wenn man ihm nur eine zweite Chance gäbe. Der Sicherheitsrat war in der Frage der Aussetzung des Haftbefehls gespalten und ohne die Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder nicht in der Lage zu reagieren.

          Darüber hinaus hatten einige afrikanische Staatschefs beanstandet, der IStGH strebe einseitig nach Gerechtigkeit, weil alle vier Fälle, mit denen sich der IStGH damals befasste, Afrika betrafen (der Chefankläger des IStGH hat inzwischen die Einleitung von Ermittlungen in einem fünften Fall, nämlich Kenia, beantragt). Dabei hätte das eigentlich ein Grund zum Feiern sein sollen: Zum ersten Mal beschäftigte sich ein internationales Gericht mit schweren Verbrechen auf dem afrikanischen Kontinent. Als das Gericht gegen mehrere Warlords Anklage erhob, hatte es seitens der afrikanischen Staatsoberhäupter keine Einwände gegeben.

          Aber mit dem Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten al-Baschir im Jahr 2008 änderte sich der Ton. Unter der Führung einiger der schlimmsten Autokraten Afrikas warf die AU dem Strafgerichtshof plötzlich vor, Afrika zu Unrecht ins Visier zu nehmen. In Wirklichkeit versuchten diese Staatschefs, auf zynische Weise sich selbst zu schützen. Sie wussten nur allzu gut, dass die afrikanischen Regierungen in drei von vier dieser Fälle das Gericht selbst darum gebeten hatten, Ermittlungen einzuleiten. Der vierte Fall – Darfur – wurde vom Sicherheitsrat an den IStGH verwiesen, nach einer Abstimmung, die auch von Benin und Tansania, die damals einen Sitz im Sicherheitsrat hatten, klar unterstützt worden war. Selbst eine hochrangig besetzte Kommission der AU, die 2009 unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten Südafrikas Thabo Mbeki ins Leben gerufen wurde, unterstrich die Notwendigkeit, die in Darfur begangenen Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Die afrikanische Zivilgesellschaft und die progressiven afrikanischen Staaten durchschauten diese offensichtlichen Versuche, an der Straffreiheit festhalten zu wollen, und erinnerten zu Recht daran, dass alle Regierungen verpflichtet sind, die Rechtsstaatlichkeit zu achten, und alle IStGH-Mitgliedstaaten mit dem Gerichtshof kooperieren müssen.

          Was nicht heißen soll, dass es mit der Reichweite des IStGH nicht auch Probleme gegeben hätte. Voruntersuchungen wurden auch in Ländern außerhalb Afrikas durchgeführt, insbesondere in Kolumbien, Afghanistan, Georgien und Gaza, offizielle Ermittlungen stehen dort allerdings noch aus. Das mag zum Teil daran liegen, dass der Chefankläger generell ungern Ermittlungen aus eigener Initiative aufnimmt (im Gegensatz zur Überweisung eines Falles an den IStGH, im Fall Kenia wurde er allerdings aus eigener Initiative tätig) oder Fälle von hoher rechtlicher Komplexität an sich zieht. Die nachweisliche Bereitschaft, jede Person strafrechtlich zu verfolgen, die schwerste Verbrechen zu verantworten hat, würde die Legitimität des IStGH in der Außenwahrnehmung deutlich erhöhen.

          Ein weiteres Problem ist das Fehlen einer umfassenden Ratifizierung. In eindeutigen Fälle wie Sri Lanka, Irak, Gaza oder Tschetschenien, wird eine Anklage erschwert, weil die verantwortlichen Regierungen das Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof nicht unterzeichnet haben. Aber anstatt dem IStGH diesen Mangel vorzuwerfen, würden diejenigen, die an einer größeren Reichweite des IStGH Interesse haben, besser daran tun, für eine möglichst breite Ratifizierung zu werben.

          Ein größeres Problem liegt auch in der Doppelmoral und Inkonsequenz der westlichen Großmächte. Ihr Interesse an einer Strafverfolgung von Verbrechen beispielsweise in Guinea, Kenia oder Darfur steht in deutlichem Kontrast zur zögerlichen Haltung gegenüber Israel, die für Kriegsverbrechen in Gaza mutmaßlichen Verantwortlichen zumindest vor nationale Gerichte zu bringen. Diese Tendenz, Verbündete, die gegen die Menschenrechte verstoßen, in Schutz zu nehmen, trägt lediglich dazu bei, dass die AU ihre Reihen schließt.

          Das ändert aber nichts daran, dass die Hauptverantwortung für den Schulterschluss mit al-Baschir bei der AU liegt. Dass die Appelle der Opfer von Verbrechen, die außerhalb Afrikas begangen wurden, unbeantwortet blieben, ist kein Grund, die Opfer in Afrika und ihre Suche nach Gerechtigkeit zu ignorieren. Der Westen darf der Rücksichtslosigkeit der AU gegenüber seiner eigenen Bevölkerung jedoch nicht weiter Vorschub leisten. Ein konsequentes Eintreten für Gerechtigkeit ist die beste Voraussetzung, um viele Nachahmer zu finden und Gerechtigkeit zu fördern. Dabei darf es keine Rolle spielen, wo und von wem ein Verbrechen begangen wurde.

          Der UN-Menschenrechtsrat

          Der Menschenrechtsrat ist ein „Problemkind“. Wiederholt kritisierte er die Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung, vernachlässigte oder verharmloste aber gleichzeitig ähnliche und noch gravierendere Situationen. Im Mai 2009 berief beispielsweise eine kleine Gruppe von traditionell menschenrechtsfreundlichen Mitgliedern eine Sondersitzung zu Sri Lanka ein. Dort waren kurz zuvor Tausende Zivilisten, die von den Tamil Tigers gewaltsam festgehalten wurden, bei einem Angriff der Regierung ums Leben gekommen. Nach Beendigung der Kämpfe hielt die Regierung fast 300.000 Zivilisten gefangen. Anstatt eine unabhängige Untersuchung über die von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen zu fordern, beglückwünschte der Menschenrechtsrat die srilankische Regierung zu ihrem Sieg, ignorierte deren Menschenrechtsverletzungen und beschuldigte die Tamil Tigers, schwere Kriegsverbrechen begangen zu haben.

          Diese beschämende Resolution war, wie manch andere enttäuschende Resolution des Menschenrechtsrats, von den Mitgliedern freilich vorher nicht absehbar. Bei den meisten Mitgliedern handelt es sich um demokratische Staaten, und man hätte eigentlich davon ausgehen können, dass ihre Stimmabgabe im Menschenrechtsrat den gleichen Prinzipien folgt, an denen sie sich zuhause orientieren. Dass dem oftmals nicht so war, zeigt, dass einige der repressivsten Regierungen der Welt in der Lage sind, andere davon zu überzeugen, zugunsten einer abwegigen Auffassung von regionaler Solidarität bzw. von Solidarität mit dem Süden zu stimmen, statt nach den menschenrechtlichen Prinzipien, die sie zuhause befürworten. Das heißt, dass es den repressiven Staatschefs gelungen ist, im Menschenrechtsrat, wie bereits beim IStGH und in der AU, diese demokratischen Staaten davon zu überzeugen, sich mit den menschenrechtsverletzenden Staatschefs des Südens zu solidarisieren anstatt mit deren Opfern.

          Allerdings hat der Westen mit der eigenen Neigung zur Blockbildung und mit seiner unangebrachten Solidarität zur Stärkung dieser Position beigetragen. Die Europäische Union verwendet so viel Zeit auf die Erarbeitung gemeinsamer Standpunkte, dass sie kaum noch Energien für andere aufbringt. Die Vereinigten Staaten nimmt Israel reflexartig in Schutz und griff den im September 2009 veröffentlichten Gaza-Bericht der UN-Untersuchungskommission unter der Leitung des ehemaligen südafrikanischen Richters Richard Goldstone an. Ein solches Verhalten macht es repressiven Staatsoberhäuptern leichter, sich versammelt hinter ihre – die Menschenrechte missachtenden – Verbündeten zu stellen.

          Mit einer ganzen Reihe politischer Siege gaben sich diese repressiven Staatschefs allerdings nicht zufrieden. Im Menschenrechtsrat können sich, obwohl er ein aus Regierungen zusammengesetztes Gremium ist, seit jeher auch unabhängige Stimmen Gehör verschaffen. Es gibt routinemäßig Berichte von unabhängigen Experten und Berichterstattern, NGOs teilen ihre Standpunkte mit, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat Mitspracherecht. Sie alle bilden einen wichtigen Gegenpol zu einem System, das aktuell von vielen jener Länder dominiert wird, die gegen die Menschenrechte verstoßen und eigentlich Gegenstand für ein Einschreiten des Menschenrechtsrates sein sollten.

          Jetzt sind die repressiven Regierungen offenbar entschlossen, die kritischen Stimmen im Menschenrechtsrat so weit wie möglich zum Schweigen zu bringen. Sie haben bereits eine ganze Reihe von Methoden vorgeschlagen, angefangen bei „Verhaltensregeln“ über Kontrollen bis hin zu restriktiven Vorschriften. Diese Einschränkungen würden einige der wichtigsten Maßnahmen untergraben, die den Rat trotz der derzeitigen Überlegenheit repressiver Staaten zu einem nützlichen Instrument machen. Wenn es nicht gelingt, die Regierungen zu mobilisieren, die normalerweise für die Menschenrechte eintreten, könnte dieses Vorhaben Erfolg haben. Die binnen fünf Jahren vorgesehene Überprüfung der Arbeit des Rates findet 2011 statt.

          Kuba ist ein gutes Beispiel dafür, wie menschenrechtsverletzende Regierungen manipulative Methoden einsetzen, um zu verhindern, dass unabhängige Stimmen zu Wort kommen. Der Hintergrund dazu war das „Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren“, eine wichtige Neuerung im Menschenrechtsrat, bei der die Menschenrechtsbilanz aller Mitgliedstaaten regelmäßig überprüft wird. Weil dieses Verfahren in erster Linie von einer aus Mitgliedstaaten besetzten Arbeitsgruppe durchgeführt wird, scheute Kuba keine Mühen, um sicherstellen, dass sich möglichst viele, mit Kuba partnerschaftlich verbundene Regierungen positiv zur dortigen Menschenrechtslage äußern. Da der Zeitrahmen in diesem Verfahren begrenzt ist, konnte Kuba die Zahl der kritischen Stimmen dadurch weitgehend reduzieren. Den Stellungnahmen kritischer NGOs versuchte die kubanische Regierung die Schärfe zu nehmen, indem sie Dutzende staatlich organisierte Institutionen aufforderte, ausnahmslos positive Berichte zur Menschenrechtslage in Kuba einzureichen. Auf diese Weise konnte die kubanische Regierung Vorwürfe zu politischen Gefangenen oder zur Einschränkung der Meinungsfreiheit zurückweisen, was völlig abwegig ist. Hinzu kommt, dass die Regierung bei der Erstellung ihres eigenen Berichts offensichtlich nicht eine einzige unabhängige Institution konsultiert hat, wie eigentlich nahe gelegt wird.

          Das NGO-Komitee der Vereinten Nationen

          Angriffe auf unabhängige NGO-Stimmen innerhalb der Vereinten Nationen gab es nicht nur im Menschenrechtsrat. Eine NGO muss, um überhaupt vor den UN-Gremien sprechen zu dürfen, vom NGO-Komitee der Vereinten Nationen, das sich ebenfalls aus Regierungsvertretern zusammensetzt, „Beraterstatus“ erhalten. Wie im Menschenrechtsrat bemühen sich Regierungen, die eine eher restriktive NGO-Politik betreiben, aktiv um die Mitgliedschaft in diesem Komitee und sind dort auch überrepräsentiert. Zu den aktuellen Mitgliedern gehören Ägypten, Angola, China, Kuba, Russland und Sudan. Zu den NGOs, die vom Komitee abgelehnt wurden, gehören eine christliche Organisation aus China (weil sie sich weigerte, eine Liste ihrer Mitglieder in China vorzulegen, was möglicherweise zu Vergeltungsmaßnahmen gegen die Mitglieder geführt hätte), der Äthiopische Menschenrechtsrat (weil die Organisation angeblich die Auflagen eines neuen, restriktiven Gesetzes über zivilgesellschaftliche Organisationen in Äthiopien nicht erfüllen konnte), das Democracy Coalition Project aus den USA (weil China, Kuba und Russland protestierten, da sie von dieser Gruppe angeblich diskriminiert werden, die Ablehnung wurde jedoch später durch ein höheres UN-Organ widerrufen). Für Gruppen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, war es besonders schwierig, den Beraterstatus zu erhalten, weil die Komitee-Mitglieder ihre eigene Moral über das Recht von NGOs stellen, für die Rechte aller Menschen einzutreten.

          Regionale Mechanismen in Europa

          Nicht nur UN-Institutionen müssen mit Gegenreaktionen menschenrechtsverletzender Staaten rechnen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist die internationale Institution, die die russische Regierung am konsequentesten für die schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zur Rechenschaft zieht. Der Gerichtshof fällte über 100 Entscheidungen gegen Russland wegen Entführung, Folter und Hinrichtungen in Tschetschenien und das Versäumnis, diese Verbrechen ordnungsgemäß zu untersuchen. Russland bezahlt zwar die angeordneten Entschädigungen, weigert sich aber konsequent, die vom Gerichtshof auferlegten strukturellen Reformen wie die Einleitung effektiver Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung der Täter umzusetzen, damit die Verantwortlichen nicht mehr ungestraft davonkommen. Besonders auffällig ist dieses Versäumnis in Fällen, bei denen die Identität des verantwortlichen Kommandeurs oder der verantwortlichen Einheit der Sicherheitskräfte bekannt ist. In etwa 40 dieser Fälle verstieß die russische Regierung gegen ihre Verpflichtung, dem Gerichtshof die relevanten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus ist Russland der einzige Mitgliedstaat im Europarat, der das Protokoll Nr. 14 blockiert, ein neues Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das einem zwischenstaatlichen Ministerkomitee ermöglichen würde, eine Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil sie sich weigert, die Urteile des Gerichtshofs zu erfüllen. Die russische Regierung zögert außerdem einen seit langem geplanten Besuch von Dick Marty hinaus, dem Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Menschenrechtssituation in Nordkaukasus.

          Die Menschenrechtskommission der ASEAN-Staaten

          Die Institution, von der man 2009 positive Impulse erwartet hatte, hat sich letztendlich kaum Beifall verdient. Im Oktober 2009 riefen die zehn Mitgliedstaaten des Verbandes der Südostasiatischen Nationen (ASEAN) die bereits seit Jahren geplante Regierungskommission für Menschenrechte ins Leben. Der Anfangsphase nach zu urteilen hat sich das Warten aber nicht wirklich gelohnt. Die Kommission hatte einen „konstruktiven“, „nicht konfrontativen“ und „auf Entwicklung beruhenden“ Ansatz für die Menschenrechte versprochen. Obwohl die Förderung und der Schutz der „Menschenrechte und Grundfreiheiten der ASEAN-Völker“ zum Aufgabenbereich der Menschenrechtskommission gehört, ist ihre Reichweite aufgrund der Verpflichtung eingeschränkt, „sich nicht in die inneren Angelegenheiten von ASEAN-Mitgliedstaaten einzumischen“, Entscheidungen „durch Rücksprache und im Konsens“ zu treffen, „nationale und regionale Eigenheiten sowie unterschiedliche geschichtliche, kulturelle und religiöse Hintergründe zu respektieren und das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten zu berücksichtigen“. Diese Prinzipien räumen jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht ein, kein Mitglied kann von einem anderen verklagt werden, mutmaßlich gegen die Menschenrechte verstoßende Mitgliedstaaten dürfen nicht überwacht werden und sind vor Ermittlungen und Sanktionen geschützt.

          Der thailändische Premierminister Abhisit Vejjajiva erklärte in seiner Rolle als Vorsitzender der ASEAN, dass es aus Sicht des Verbandes nicht darum gehe, Menschenrechtsverstöße zu verurteilen, sondern darum, ein Bewusstsein für Menschenrechte zu schaffen, und fügte noch hinzu, dass eine Verbesserung der Menschenrechtslage ein „auf Entwicklung beruhender Prozess“ sei. Da zu den Mitgliedstaaten der ASEAN auch Diktaturen wie Vietnam und Laos sowie das von einer skrupellosen Militärregierung beherrschte Burma gehören, dürfte dieser nicht auf Druck, sondern auf Entwicklung beruhende Prozess eine Weile dauern.

          Die neue Kommission hatte ursprünglich eine Begegnung mit Vertretern der Zivilgesellschaft geplant. Doch der thailändische Vorsitzende verweigerte fünf der insgesamt zehn vorgeschlagenen Personen – aus Burma, Kambodscha, Laos, den Philippinen und Singapur – die Teilnahme, was dazu führte, dass drei der fünf übrigen Vertreter die Gesprächsrunde ebenfalls verließen. Bei einem vorausgegangenen Treffen der Außenminister hatten die ASEAN-Mitglieder beschlossen, dass jeder Staat die zivilgesellschaftlichen Teilnehmer der Gesprächsrunde selbst auswählen würde, was darauf hindeutet, dass Unabhängigkeit wohl kaum das vorrangige Kriterium gewesen sein dürfte.

          Schlussfolgerung

          Die Menschenrechtsbewegung kann auf die zweifelhafte Anerkennung, die einige Regierungen mit ihren Angriffen auf Aktivisten und Institutionen zum Ausdruck bringen, gut und gerne verzichten. Es ist zwar schön zu wissen, dass die Täter den ausgeübten Druck zu spüren bekommen, aber ihre Gegenreaktion kann den Betroffenen erheblichen Schaden zufügen. Alles in allem hat die Menschenrechtsbewegung nichts von ihrer Wirksamkeit eingebüßt und weiß sich gegen diese reaktionären Bemühungen zur Wehr zu setzen. Aber einzelne Aktivisten und Organisationen sind trotzdem gefährdet und brauchen Unterstützung.

          Etliche repressive Regierungen sind fest entschlossen, den Preis für Menschenrechtsverletzungen herabzusetzen und die Möglichkeiten der Menschenrechtsbewegung, sie zur Kasse zu bitten, einzuschränken. Diese Feststellung ist eine Sache. Die andere Sache ist, etwas dagegen zu unternehmen. Der Erfolg dieser Bemühungen darf jedoch nicht nur vom Mut einzelner Menschenrechtsaktivisten abhängen. Die Menschenrechtsbewegung braucht auch Rückendeckung all jener Regierungen, die sich den Schutz der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben haben. Die in dieser Einführung dokumentierten Vergeltungsmethoden sind, auch wenn sie in den letzten Jahren immer raffinierter wurden, mehr als offensichtlich. Ob die Befürworter der Menschenrechte in den Regierungen diese Angriffe kontern oder geflissentlich die Augen davor verschließen, kann den Erfolg oder das Scheitern dieses Vorstoßes erheblich beeinflussen.

          Regierungen müssen Menschenrechtsaktivisten und Menschenrechtsinstitutionen auf der ganzen Welt endlich entschiedener verteidigen. Das setzt voraus, dass sie sich energischer für die Menschen und für die Prinzipien, die angegriffen werden, einsetzen, auch wenn es sich bei dem Angreifer um einen Verbündeten handelt. Und es setzt auch voraus, dass sie diese Vergeltungsakte durchschauen, damit sie als das erkannt und verurteilt werden können, was sie tatsächlich sind. Denn: Einen Menschenrechtsverteidiger willkürlich zu inhaftieren oder zu töten, einer Menschenrechtsorganisation die Lizenz zu entziehen oder eine internationale Menschenrechtsorganisation anzugreifen, dies ist nicht irgendeine Menschenrechtsverletzung. Es ist ein stillschweigendes Bekenntnis zu Menschenrechtsverletzungen, die noch weitaus gravierender sind. Diese Regierungen versuchen, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, damit ihre Kritik nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Die zuverlässigste Methode, diese „Zensur“ zu überwinden, sind verstärkte Anstrengungen, um die Menschenrechtsverletzungen, die diese Regierungen verbergen wollen, strafrechtlich zu verfolgen.