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Ein Jahr danach: Dokumentation des Syrienprozesses in Koblenz

Materialsammlung zu Verfahren nach universeller Gerichtsbarkeit

Besucher*innen im Gerichtssaal in Koblenz, Deutschland, am 16. Juni 2021. Illustration © 2021 Moner Alkadri für Human Rights Watch

(Berlin) – Justizbehörden in Deutschland und in anderen Ländern sollte ihre Bemühungen verstärken, Opfern und Überlebenden von schweren Verbrechen Zugang zu Rechtsverfahren zu verschaffen, so Human Rights Watch heute.

Am 13. Januar 2023 jährt sich das wegweisende Urteil des Oberlandesgerichts in Koblenz im weltweit ersten Strafverfahren wegen staatlich geförderter Folter in Syrien. Anlässlich dieses bahnbrechenden Falles hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) mit Unterstützung von Human Rights Watch am 12. Januar eine Materialsammlung veröffentlicht, in der die wichtigsten Dokumente des Prozesses zusammengestellt sind und die ein besseres Verständnis des Verfahrens ermöglichen soll.

„Der Koblenzer Prozess war ein kleiner Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Gräueltaten in Syrien, und der ECCHR-Band soll verdeutlichen, was sich im Gerichtssaal abgespielt hat“, sagte Balkees Jarrah, stellvertretende Direktorin für internationale Justiz bei Human Rights Watch. „Der Band dokumentiert den Verlauf des Koblenzer Prozesses und wird hoffentlich Überlebenden und Rechtswissenschaftler*innen helfen zu verstehen, wie schwere Verbrechen in Syrien vor Gericht verhandelt wurden.“

Anwar R. ist der ranghöchste ehemalige syrische Regierungsbeamte, der wegen schwerer Verbrechen wie der Beaufsichtigung von Folter, Tötungen und sexuellen Übergriffen in Syrien verurteilt worden ist. Ein zweiter Angeklagter, Eyad A., wurde im Februar 2021 der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. Im Fall von Anwar R. hat die Verteidigung Revision eingelegt.

Der Prozess war möglich, weil das deutsche Recht die universelle Gerichtsbarkeit für bestimmte schwere Verbrechen nach internationalem Recht anerkennt. Diese ermöglicht die Untersuchung und Verfolgung dieser Verbrechen, unabhängig davon, wo sie begangen wurden und welcher Nationalität die Verdächtigen oder Opfer sind. Die vom ECCHR zusammengestellte Sammlung von Opferaussagen und anderen wichtigen Dokumenten zu dem Prozess soll den betroffenen Gemeinden, der Öffentlichkeit und anderen einen Einblick in den Koblenzer Fall geben, so Human Rights Watch.

Das Kompendium des ECCHR fasst die wichtigsten Dokumente zusammen, um das Verständnis für den Prozess in Koblenz zu fördern. Es enthält die vollständigen Anklageschriften gegen Anwar R. und Eyad A., Zusammenfassungen von Zeugenaussagen, Prozessbeiträge, Pressemitteilungen des Gerichts und die Schlusserklärungen der syrischen Opfer. Die Zusammenfassung ist in englischer, deutscher und arabischer Sprache verfügbar.

Die Schuldsprüche im Prozess gegen zwei ehemalige syrische Geheimdienstmitarbeiter gaben den Überlebenden, die eine Schlüsselrolle beim Vorantreiben des Falle spielten, ein wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit, so Human Rights Watch. Verhandlungen nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit bleiben eine der wenigen - wenn auch eingeschränkten – Möglichkeiten, für Gerechtigkeit bei schweren Verbrechen zu sorgen, die in Syrien begangen wurden.

In Koblenz war die Gerichtssprache Deutsch, so dass Überlebende, Betroffene und andere, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, auf die Berichte derjenigen angewiesen waren, die an den Gerichtsverhandlungen teilnehmen konnten, um den Prozess zu verfolgen.

Durch die fehlende Übersetzung der Verhandlung ins Arabische wurde die Beteiligung von Überlebenden und der Gemeinschaft am Koblenzer Prozess stark eingeschränkt. Nicht akkreditierte arabischsprachige Journalist*innen und Menschen aus betroffenen Gemeinschaften, die Arabisch sprachen, wurden zwar in den Gerichtssaal gelassen, erhielten aber keinen Zugang zu Übersetzungs- oder Dolmetschangeboten.

Gerichte, die mit Fällen der universellen Gerichtsbarkeit befasst sind, sollten dieses Problem angehen, indem sie für Prozessbeobachter*innen im Gerichtssaal Dolmetschleistungen in den relevanten Sprachen bereitstellen und Pressemitteilungen und zusätzliche Fallinformationen auf ihrer Website übersetzen. Damit könnten betroffene Gemeinschaften und andere Personen die Entwicklungen des jeweiligen Falls verfolgen.

„Strafverfahren in Deutschland und anderswo können den syrischen Opfern und Überlebenden zu einem gewissen Maß an Gerechtigkeit verhelfen“, sagte Jarrah. „Die entsprechende Justiz sollte sich dafür einsetzen, dass diejenigen, die von den Verbrechen am meisten betroffen sind, einen besseren Zugang zu Informationen über diese Fälle erhalten.“

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