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(Moskau, 28. November 2011) – Das Abgeordnetenhaus von St. Petersburg soll seine Beratungen über den diskriminierenden Gesetzentwurf beenden, der das Recht auf freie Meinungsäußerung der dort lebenden Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender (LGBT) beschneiden würde, so Human Rights Watch heute.

Die zweite Lesung des Gesetzentwurfs, der Strafen für „öffentliche Aktivitäten zur Förderung von Sodomie, Lesbentum, Bisexualität und Transsexualität“ vorsieht, ist für den 30. November 2011 anberaumt. Laut seiner Befürworter soll das Gesetz Minderjährige vor „LGBT-Propaganda“ schützen. Privatpersonen müssen bei Verstößen mit Strafen von bis zu 5.000 Rubel (120 Euro) rechnen, Organisationen mit bis zu 50.000 Rubel (1.200 Euro). Das Gesetz ist derart weit und vage gefasst, dass sogar Verbote von Regenbogenfahnen, T-Shirts mit „schwulenfreundlichen“ Aufdrucken oder LGBT-Kundgebungen in der Stadt ermöglichen könnte.

„Das ist ein schamloser Angriff auf die freie Meinungsäußerung und ein durchsichtiger Versuch, die russische LGBT-Bewegung zum Schweigen zu bringen“, so Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Der Vorstoß in St. Petersburg, das als Hauptstadt des russischen Nordens gilt, könnte all jenen als Beispiel dienen, die die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender im ganzen Land etablieren wollen.“

Das Gesetz würde sowohl gegen die russische Verfassung als auch internationale Menschenrechtsstandards zur freien Meinungsäußerung und zum Schutz vor Diskriminierung verstoßen.

In der ersten Lesung Mitte November wurde die Novelle mit 37 zu 1 Stimmen gebilligt. Ähnliche Gesetze wurden bereits in zwei anderen russischen Regionen verabschiedet: 2006 in Rjasan und im September 2011 in Archangelsk. Lyudmila Stebenkova, die Leiterin des Gesundheitsausschusses des Moskauer Stadtrats, kündigte einen ähnlichen Gesetzentwurf an. Die Sprecherin des Föderationsrats Valentina Matvienkohas signalisierte ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf in St. Petersburg.

Der Gesetzentwurf sieht zwei Ergänzungen des St. Petersburger Orndungsrechts vor, neben dem Verbot von „LGBT-Propaganda“ auch ein Verbot von Propaganda für Pädophilie.

„Es ist empörend, dass hier versucht wird Pädophilie, eine Straftat, mit Homosexualität in einen Topf zu werfen. Diese infame Lüge muss bloßgestellt werden“, so Williamson. „Die Verfasser der Novelle behaupten, sie wollten Kinder schützen. Tatsächlich geht ihnen bei dem Gesetz darum, die LGBT-Gemeinde von der Bildfläche verschwinden zu lassen.“

Der Gesetzentwurf hat einen weltweiten Sturm der Empörung ausgelöst. Viele Nichtregierungsorganisationen und Bürgerrechtler haben den Vorschlag verurteilt und die russischen Behörden aufgerufen, seine Verabschiedung zu verhindern. Das britische und das US-Außenministerium zeigten sich ebenfalls besorgt.

In Russland herrscht ein äußerst feindseligen Klima für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender. LGBT-Aktivisten werden Opfer von Belästigungen und körperlicher Gewalt. Demonstrationen von Schwulen werden routinemäßig durch die Behörden untersagt bzw. gewaltsam aufgelöst. Im Oktober 2010 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Russland durch die wiederholten Verbote von Gay-Pride-Märschen die Versammlungsfreiheit verletzt habe.

Die Richter wiesen die Argumentation der russischen Regierung entschieden zurück, wonach über die Behandlung sexueller Minderheiten kein allgemeiner Konsens herrsche. Laut dem Urteil herrscht „keine Unklarheit“ über „das Recht von Individuen, sich offen als schwul, lesbisch oder einer anderen sexuellen Minderheit zugehörig zu zeigen und für ihre Rechte und Freiheiten einzutreten, insbesondere auch durch die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung“. Trotz dieses rechtlich bindenden Urteils löste die Polizei im Mai 2011 die Gay-Pride-Kundgebung im Zentrum von Moskau gewaltsam auf. Am 24. November erklärte der Moskauer Bürgermeister Juri Sobjanin in einem Radiointerview, er bleibe bei seiner Ablehnung von Gay-Pride-Paraden in der Landeshauptstadt.

Russland ist durch die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet, die Rechte auf Diskriminierungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung zu garantieren. Russland unterstützte zudem die im März 2010 verabschiedete Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats zur Beendigung von Diskriminierung auf der Grundlage der sexuellen Orientierung oder Genderidentität. Das Dokument enthält Bestimmungen zur Versammlungsfreiheit und zur freien Meinungsäußerung, frei von Diskriminierung.

Die Staatsoberhäupter der EU-Mitgliedstaaten sollten ihre Sorge über homophobe Maßnahmen in Russland zum Ausdruck bringen, insbesondere im Vorfeld des EU-Russland-Gipfels, der im Dezember in Brüssel stattfindet.
„Als Mitglied des Europarats und wichtiger Partner der EU sollte Russland europäische Menschenrechtsstandards respektieren“, so Williamson. „Die russische Regierung muss ihren regionalen und städtischen Behörden unmissverständlich deutlich machen, dass Russland dieses Verhalten nicht duldet.“

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