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(Brüssel) - Die kosovarischen Behörden sollen gemeinsam mit Gebern der internationalen Gemeinschaft die mit Blei verseuchten Flüchtlingslager, in denen vertriebene Roma leben, unverzüglich schließen. Zudem sollen die Bewohner umgesiedelt und die medizinische Versorgung zur Behandlung von Bleivergiftungen sichergestellt werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 68-seitige Bericht „Poisoned by Lead: A Health and Human Rights Crisis in Mitrovica's Roma Camps" dokumentiert das seit nunmehr zehn Jahren bestehende Versäumnis der Vereinten Nationen und anderer Organisationen, eine angemessene Unterbringung und medizinische Versorgung für die Roma bereit zu stellen. Der Bericht belegt außerdem die verheerenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in den Lagern.

„Seit zehn Jahren sitzen die Roma in diesen vergifteten Lagern fest", so Wanda Troszczynska-van Genderen, Balkanexpertin bei Human Rights Watch. „Wie lange würden die Beamten der UN und der Behörden des Kosovo es wohl dulden, wenn ihre eigenen Familien an einem solchen Ort leben müssten?"

Das Roma-Viertel in Mitrovica im Norden des Landes wurde im Juni 1999 von ethnischen Albanern angegriffen. Am 24. Juni war das Viertel geplündert und komplett niedergebrannt worden; die 8.000 Bewohner waren geflohen. Viele wurden von den Vereinten Nationen in Lager umgesiedelt, die sich auf einem stark kontaminierten Gelände nahe einer stillgelegten Bleimine befinden. Dieser Umzug sollte ursprünglich nur eine Zwischenlösung sein, aber noch immer leben 670 Roma in diesen Lagern - mit gesundheitsschädigenden Folgen.

Obwohl die hohe toxische Belastung in den Regionen im Umkreis der stillgelegten Trepca-Minen weithin bekannt ist und von den UN im Jahr 2000 erstmals dokumentiert wurde, befinden sich - abgesehen von einem - alle Roma-Lager in unmittelbarer Nähe der Abraumhalden. Das andere Lager befindet sich in Leposavic, 45 Kilometer weiter im Nordwesten. Die Lage und die schlechten Lebensbedingungen in den Lagern haben die Gesundheit der dort lebenden Menschen beeinträchtigt. Die Kinder sind durch die erhöhte Bleibelastung besonders gefährdet.

„Die hohe Bleibelastung führte ganz eindeutig zu gesundheitlichen Schäden bei den Menschen in diesen Lagern", so Troszczynska-van Genderen. „Kinder sind besonders schwer betroffen, manche sind körperlich und geistig unterentwickelt."

Zwischen 2004 und 2007 gab es einige wenige Untersuchungen zur Bleibelastung. Ärzte und Krankenschwestern führten „Chelat-Therapien" (Behandlungen zur Beseitigung von Blei im Blut) durch, die auf Kinder fokussiert waren. Beides wurde von der UN-Mission im Kosovo (UNMIK) und der Weltgesundheitsorganisation koordiniert. Eine umfassende Untersuchung und Behandlung hat es allerdings nie gegeben.

Im Jahr 2007 beschloss die UNMIK, die Therapien zu beenden. Auch die Untersuchungen wurden eingestellt, da man sie für nicht mehr notwendig hielt. Ein Trugschluss, der auf der Annahme beruhte, dass die Roma bald umgesiedelt würden. Spätere Untersuchungen im Krankenhaus in Nord-Mitrovica, die auf Bitten der Lagerbewohner durchgeführt wurden, zeigten, dass einige Kinder weiterhin gefährlich hohe Bleiwerte in ihrem Blut hatten. Überhöhte Bleikonzentrationen im Körper können zu Fehlfunktionen von Nervensystem und Fortpflanzungsorganen sowie zu Nierenversagen führen, sehr hohe Bleikonzentrationen sogar zu Koma und Tod. Blei ist vor allem für Kinder schädlich, da sie zu irreversiblen Hirnschäden führen können.

Bis 2004 wurde die prekäre gesundheitliche Situation in den Lagern kaum zur Kenntnis genommen. Damals äußerten Roma-Aktivisten vor Ort und weltweit erstmals Bedenken gegenüber den Medien und wollten mit (letzendlich erfolglosen) Klagen vor kosovarischen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Entscheidung erzwingen.

Auf Drängen von Menschenrechtsorganen der UN und Nichtregierungsorganisationen sowie kritischer Berichterstattung in den Medien schloss die UNMIK im Jahr 2006 zwei der drei am stärksten kontaminierten Lager: Zitkovac und Kablare. Etwa 450 Bewohner erhielten Unterstützung bei ihrer Rückkehr nach Mitrovica, andere wurden in ein weiteres provisorisches Lager (Osterode) umgesiedelt, das sich in 150 Metern Entfernung befindet. Dieses neue Provisorium ist einer hohen Belastung durch toxische Stoffe ausgesetzt, die von den Abraumhalden dorthin geweht werden. Die Behörden behaupteten jedoch, dieses Lager sei „unproblematisch", weil betonierte Böden und fließendes Wasser die Bleibelastung abschwächten.

Das dritte Lager (Cesmin Lug) blieb bestehen, weil deren Bewohner sich weigerten, in das neue provisorische Lager zu ziehen, da es sich ebenfalls auf verseuchtem Gelände befindet.

In den vergangenen zehn Jahren wurde nur wenig unternommen, um die Roma, die noch immer in den Lagern leben, entweder in ihr früheres Zuhause in Mitrovica oder an andere Orte umzusiedeln. Einige Roma kehrten 2007 nach der Schließung zweier Lager nach Mitrovica zurück, mussten aber feststellen, dass sie weder Zugang zum Arbeitsmarkt noch zu Sozialleistungen hatten und somit über keinerlei Einkommen verfügten.

Als die UNMIK im Mai 2008 Vorbereitungen zum Truppenabbau in Kosovo traf, übertrug sie die Verantwortung für die noch bestehenden Lager an das kosovarische Ministerium für Gemeinden und Rückkehr, dem es jedoch an einer Strategie zur Bewältigung dieser Krise fehlt. Außerdem befinden sich die Lager in einer Gemeinde, die ethnischen Serben unterstehen, die die Zuständigkeit der neuen kosovarischen Regierung unter der Führung ethnischer Albaner nicht anerkennen.

Vor kurzem haben die kosovarischen Behörden, gemeinsam mit den USA und der Europäischen Kommission, eine Koordinierungsgruppe unter der Führung des Premierministers eingesetzt, um einen Plan zur Bewältigung der Krise auszuarbeiten. Um die Ideen in die Tat umsetzen zu können, bedarf es jedoch noch weiterer Anstrengungen, einschließlich einer stärkeren finanziellen und politischen Unterstützung seitens der Hauptgeberländer sowie eine stärkere Fokussierung auf medizinische Untersuchungen und Therapien.

„Nach nunmehr zehn Jahren ist es höchste Zeit, dass wir das Problem endlich lösen", so Troszczynska-van Genderen. „Es ist unerlässlich, dass die USA und die EU gemeinsam mit den Behörden im Kosovo, auch den serbisch kontrollierten Gemeinden, diese Krise bewältigen."

Human Rights Watch empfiehlt eine gemeinsame Verständigung der kosovarischen Behörden und der internationalen Geberländer auf eine nachhaltige Lösung, die folgende Punkte beinhalten soll:

  • die sofortige medizinische Betreuung der derzeitigen Lagerbewohner und ihre Evakuierung in eine akzeptable provisorische Unterbringung;
  • die endgültige Schließung der noch bestehenden Lager;
  • die sofortige Behandlung von Bleivergiftungen für alle derzeitigen und früheren Bewohner der Lager;
  • eine langfristige Lösung zur Unterbringung entsprechend der Wünsche der Bewohner;
  • Zugang zu Sozialleistungen, ärztlicher Behandlung, Bildung und zum Arbeitsmarkt.

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