Shabana arbeitete im April 2013 wie jeden Tag in einer Textilfabrik, wo sie als Näherin Stunde um Stunde, Tag um Tag die unersättlichen Nähmaschinen mit Stoff fütterte. Hierbei war sie eine von Hunderten Frauen in einem Raum, die alle das Gleiche taten.
Am Abend steckte Shabana fest unter dem Schutt des achtstöckigen Fabrikgebäudes am Stadtrand von Dhaka in Bangladesch. Sie wurde Opfer eines der verheerendsten Unglücke in einer Textilfabrik in jüngster Vergangenheit. Shabana überlebte. Mindestens 1134 andere Arbeiter kamen jedoch ums Leben, mehr als 2000 weitere wurden verletzt.
„Manchmal kann ich nur mit Tabletten einschlafen. Ich muss immer daran denken, wie viele Menschen an diesem Tag gestorben sind“, sagt sie noch Jahre später. Sie wirkt zerbrechlich und ausgebrannt. „Vielleicht hätte ich auch besser sterben sollen.“
Wie durch ein Wunder hat Shabana überlebt. Drei Tage lang lag sie unter den Trümmern des Rana Plaza-Gebäudes. Das Unglück löste weltweit Entsetzen aus und strafte die großen Modelabel Lügen, die behauptet hatten, sie würden ausreichende Maßnahmen ergreifen, um die Arbeiter zu schützen, die für ihre Produkte schuften.
Anwälte, die sich für eine Entschädigung der Opfer einsetzen wollten, mussten hierfür wissen, welche Modelabel in einer der fünf Fabriken produzieren ließen, die in dem eingestürzten Gebäude untergebracht waren. Damals wusste das jedoch niemand. Aktivisten, die sich für Arbeiterrechte einsetzen, und andere suchten in den Trümmern nach Firmenetiketten, noch während die Leichen der Arbeiter geborgen wurden. Die traumatisierten Überlebenden des Unglücks konnten sich häufig nicht an die Marken erinnern, für die sie gearbeitet hatten und für die sie fast gestorben wären.
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Als Verbraucher machen wir uns nicht viel Gedanken über die „Made in…”-Etiketten, die in unsere Kleidungsstücke eingenäht oder auf unsere Schuhsohlen gedruckt sind. Häufig fallen sie uns nicht einmal auf. Aber die Geschichten von Menschen – häufig sind es Frauen – sind unsichtbar mit in unserer Kleidung vernäht. Es sind die Geschichten der Frauen, die die Schuhe, Hemden und Hosen schneidern, nähen und kleben, bevor wir sie dann aus den Regalen holen und in unseren Kleiderschrank hängen.
Einstürzende Fabrikgebäude und Brände sind nicht die einzigen Probleme in der Welt der Textilproduktion. In der Bekleidungsindustrie, die mittlerweile einen Umsatz von 2,4 Billionen US-Dollar erzielt und in der weltweit Millionen Arbeiter beschäftigt sind, sind Verletzungen von Arbeitsrechten weit verbreitet. Überall auf der Welt kündigen Fabrikbesitzer und Manager häufig schwangeren Frauen oder verweigern ihnen einen Mutterschaftsurlaub. Arbeiter, die sich zusammenschließen oder Gewerkschaften gründen, werden schikaniert. Sie werden gezwungen, Überstunden zu leisten, andernfalls droht der Jobverlust. Fabrikbesitzer schauen weg, wenn Manager oder männliche Arbeiter ihre Kolleginnen sexuell belästigen.
Warum sollte das globale Bekleidungsfirmen interessieren? Und welche Rolle spielen sie dabei?
In erster Linie sind die Regierungen der Produktionsländer weltweit verantwortlich für die Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Arbeitsrechtsvorschriften in den Fabriken. Internationale Standards, die jedoch nicht bindend sind, besagen allerdings, dass globale Bekleidungs- und Schuhfirmen oder „Marken“, die in solchen Fabriken produzieren lassen, ebenfalls Verantwortung dafür tragen, dass die Rechte von Arbeitern entlang der gesamten Lieferkette eingehalten werden. Auch sie müssen Maßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und ihnen vorzubeugen.
Zu allererst sollten sie sicherstellen, dass Arbeiter und die Öffentlichkeit erfahren, in welcher Fabrik für welche Marken produziert wird. Zudem muss es Transparenz über die gesamte Lieferkette geben. Die Unternehmen gehen ihrer Verantwortung jedoch allzu oft aus dem Weg und veröffentlichen wichtige Informationen nicht, wie etwa Namen, Adressen und andere Angaben zu den Fabriken, in denen ihre Produkte hergestellt werden.
Diese Art der Offenlegung von Informationen bildet die Grundlage für Corporate Responsibility, die Unternehmensverantwortung. Immer mehr Firmen legen solche Informationen offen und zeigen, wo sie produzieren lassen und welche Produktionsstätten sie kontrollieren. Ende 2016 gehörten hierzu adidas, C&A, Columbia Sportswear, Cotton On Group, Disney, Esprit, Forever New, Fruit of the Loom, Gap Inc., G-Star RAW, Hanesbrands, H&M, Hudson’s Bay Company, Jeanswest, Levi Strauss, Lindex, Marks and Spencer, Mountain Equipment Co-op, New Balance, Nike, Pacific Brands, PAS Group, Patagonia, Puma, Specialty Fashion Group, Target USA, VF Corporation, Wesfarmers Group (Kmart, Target Australia und Coles) und Woolworth.
Das ist besonders wichtig, da unerlaubte Vereinbarungen mit Subunternehmern gerade in der Textilbranche ein häufiges Problem sind. Einige der schlimmsten Verletzungen von Arbeiterrechten ereigneten sich in den Produktionsstätten eben solcher Zulieferer, wo nicht ermittelt und niemand zur Verantwortung gezogen wird.
Derartige Offenlegungen zeigen also nicht nur, dass eine Firma ihre eigene Lieferkette lückenlos nachverfolgen kann, sie helfen ebenso dabei, gute Subunternehmer von schlechten zu unterscheiden, und sorgen dafür, dass verstärkte Überwachung dort stattfindet, wo sie am meisten gebraucht wird. Auch die Arbeiter brauchen diese Informationen, ebenso wie jene, die sich für sie einsetzen wollen, darunter Gewerkschaftsvertreter, lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen, Anwälte, Journalisten und Wissenschaftler. Je mehr Informationen zur Lieferkette verfügbar sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass menschenrechtswidrige Arbeitsbedingungen entweder dem entsprechenden Modelabel gemeldet oder an die Öffentlichkeit getragen werden. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass solche Probleme auch tatsächlich gelöst werden.
Einsatz für mehr Transparenz
2016 schloss sich Human Rights Watch mit acht internationalen Arbeitsrechtsorganisationen und globalen Gewerkschaften zusammen, um sich für ein Mindestmaß an Transparenz in der Bekleidungsindustrie einzusetzen. Dieses Bündnis entwickelte das „Transparenzversprechen“, ein einheitlicher Mindeststandard für Transparenz, abgeleitet aus bewährten Praktiken der Branche. Dieses Versprechen ist ein bescheidener Anfang dazu, wie Modeunternehmen Informationen offenlegen sollen. Sie können jedoch viel mehr tun als das, was das Versprechen ihnen abverlangt - beispielsweise auch veröffentlichen, woher sie ihre Baumwolle und andere Materialien beziehen.
Das Bündnis wandte sich an insgesamt 72 Modeunternehmen – darunter Vorreiter, was die Transparenz betrifft, und solche, die hinterherhinken – und drängte sie dazu, ihre Geschäftspraktiken mit dem Transparenzversprechen in Einklang zu bringen. Bis heute haben sich siebzehn der weltweit führenden Bekleidungs- und Schuhunternehmen dazu verpflichtet, alle in dem Versprechen gelisteten Informationen zu veröffentlichen.
Jedes dieser Unternehmen verpflichtet sich damit dazu, regelmäßig auf der eigenen Firmenwebsite eine Liste zu veröffentlichen mit allen Zulieferfabriken, in denen ihre Produkte hergestellt werden. Diese Liste sollte die vollständigen Namen aller zugelassenen Produktionseinheiten und Verarbeitungsstätten beinhalten, ebenso wie alle Standortadressen, Informationen zu den Mutterfirmen der Produktionseinheiten, die Art der hergestellten Produkte sowie eine grobe Angabe der Anzahl der Arbeiter jeder Produktionsstätte.
Zu den Unternehmen, die bereits vorher Informationen zu ihren Zulieferfabriken veröffentlicht hatten und die sich nun vollständig dem Transparenzversprechen verschrieben haben, gehören: adidas, C&A, Cotton On Group, Esprit, G-Star RAW, H&M Group, Hanesbrands, Levi’s, Lindex, Nike und Patagonia. Folgende Unternehmen haben erstmalig die entsprechenden Informationen veröffentlicht und sich ebenfalls dem Transparenzversprechen verschrieben: ASICS, ASOS, Clarks, New Look, Next und Pentland Brands.
Weitere 17 Unternehmen, die zwar die Kriterien des Versprechens nicht vollständig erfüllen, bewegten sich zumindest in eine positive Richtung und sicherten zu, Informationen zu ihren Zulieferfabriken zu veröffentlichen. Enttäuschend wiederum ist, dass viele Modeunternehmen sich schlichtweg weigerten, Transparenz zu schaffen, oder auf unsere wiederholten Bemühungen, mit ihnen zu arbeiten, gar nicht reagierten.
Transparenz ist keine Wunderwaffe, sie ist jedoch ein mächtiges Werkzeug, um Menschenrechtsverletzungen von Arbeitern und Gefahren in Fabrikgebäuden in den Fokus zu rücken und Aktivisten mit wichtigen Informationen zu versorgen, an wen sie sich mit Problemen wenden können. Transparenz sorgt auch für Vertrauen seitens der Verbraucher, denen eine ethische Geschäftspraxis von Modeunternehmen wichtig ist. Und schließlich lässt Transparenz Arbeiter hoffen, dass die Unternehmen, die von ihrer Arbeit profitieren, von ihren Problemen erfahren und entsprechend einschreiten.
Informationsbarrieren
2016 lernte ich einen Arbeiter einer Textilfabrik in Burma kennen. Das Management hatte den Arbeitern freigegeben, um das buddhistische Wasserfestival „Thingyan“ zu feiern, das jährlich begangen wird und ein nationaler Feiertag ist. Als die Arbeiter zurück in die Fabrik kamen, wurden sie gezwungen, an aufeinanderfolgenden Sonntagen zu arbeiten, um den Produktivitätsverlust auzusgleichen. Der Sonntag ist ohnehin ihr einziger freier Tag in der Woche. Die Fabrikchefs griffen sich die Arbeiter heraus, die sich weigerten, und gestatteten ihnen zwei Monate lang keine Überstunden, so dass die Niedriglohnarbeiter mit noch weniger Geld nach Hause gingen. Dieses Vorgehen war eine eklatante Verletzung der in Burma geltenden Gesetze.
Die Arbeiter verzweifelten: sie wollten den Modemarken, für die sie arbeiteten, von den Geschehnissen berichten, konnten aber nicht herausfinden, welche Unternehmen dies waren. So litten sie im Stillen weiter.
In einem anderen Fall erzählte mir eine im achten Monat schwangere Frau aus Kambodscha, dass eine Textilfabrik ihr aufgrund ihrer Schwangerschaft gekündigt hatte. Die Fabrik weigerte sich, die der Frau rechtlich zustehenden Mutterschaftsleistungen zu zahlen. Ihr wurde gesagt, sie solle nicht wiederkommen. Sie wand sich an eine lokale Nichtregierungsorganisation, die ihr helfen wollte, das entsprechende Modeunternehmen zu informieren. Es wusste jedoch niemand, welches Unternehmen Bestellungen in jener Fabrik aufgegeben hatte. Sie steckten in einer Sackgasse.
Bekleidungsfirmen wissen, auf welche Hindernisse Arbeiter treffen, die herausfinden wollen, für welche Modeunternehmen sie eigentlich arbeiten. Zu diesen Hindernissen gehören eine Kombination aus schlechten Lese- und Schreibkenntnissen, Sprachbarrieren und mangelndem Wissen über relevante Teile von Etiketten, die gesammelt werden müssen. Zudem haben sie keine Smartphones, um Fotos von den Etiketten zu machen, und es herrscht Angst vor Vergeltungsmaßnahmen.
Die Arbeiter in der Bekleidungsindustrie, die ich in Bangladesch, Burma und Kambodscha interviewt habe, gaben oft an, sie hätten zu viel Angst vor Vergeltung. Deshalb machten sie keine Fotos und sammelten keine Markenetiketten in Fabriken. Manchmal werden die Labels auch gar nicht in der Fabrik angebracht. Es ist schlicht und einfach unfair, den Arbeitern die Beweislast aufzubürden und sie so zu zwingen, herumzuschnüffeln, um herauszufinden, für welches Modelabel sie eigentlich arbeiten. Das macht ihre Lage nur noch prekärer.
Der lange Weg zu mehr Transparenz
In der Vergangenheit setzten die Verbraucher ihr Recht darauf durch, zu erfahren, wo ihre Produkte gefertigt wurden. Damit veränderten sie die Textilbranche. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren setzte sich die Studentenorganisation United Students Against Sweatshops (USAS) an vielen US-Universitäten dafür ein, dass Modefirmen, die lizensierte Kleidung mit ihrem Universitätslogo herstellten, die Namen und Standorte ihrer Fabriken angeben mussten. Dies führte dazu, dass Firmen wie Nike und adidas die Informationen über die Fabriken, in denen sie herstellen ließen, veröffentlichten - ein bedeutender Durchbruch im jahrzehntelangen Kampf für mehr Transparenz.
Seit 2005 veröffentlichen Nike und adidas Informationen zu ihren Zulieferfabriken. Ihrem Beispiel sind weitere Modelabels gefolgt. Einige Unternehmen, die Fabriknamen aus „Wettbewerbsgründen“ unter Verschluss gehalten hatten, gaben diese Daten schließlich frei. 2013 veröffentlichte das führende Unternehmen H&M, das laut einem Sprecher die Liste seiner Zulieferfabriken früher in einem Safe in Stockholm unter Verschluss gehalten hatte, als erstes Modelabel die Namen und Adressen aller ihrer Zulieferfabriken. Andere Unternehmen folgten diesem Beispiel an Transparenz im Jahr 2016, darunter große Namen wie C&A, Esprit, Marks and Spencer und Gap Inc.
Modeunternehmen, die sich ethischen Standards verpflichtet haben, schrecken nicht vor ihrer Verantwortung zurück, die ihnen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auferlegen. Diese besagen, dass Unternehmen „wissen und zeigen” sollen, dass sie entlang ihrer gesamten Lieferkette Menschenrechte respektieren, u.a. indem sie ihre Zulieferfabriken identifizieren. Branchenführer haben die Standards für ein solches „Zeigen“ gesetzt, indem sie die Informationen zu ihren Zulieferfabriken veröffentlichten. Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, Prof. John Ruggie, der die Leitprinzipien entworfen hat, erklärte gegenüber Human Rights Watch, warum es so wichtig ist, dass Unternehmen die Informationen zu ihren Zulieferern veröffentlichen, um die Leitprinzipien sinnvoll umzusetzen:
Im Zentrum der Leitprinzipien und der Unternehmensverantwortung stehen die Begriffe „wissen und zeigen”. Weiß ein Unternehmen etwas nicht und kann etwas nicht zeigen oder möchte etwas nicht zeigen, dann wirft das Fragen auf… ein Unternehmen, das die Menschenrechte respektiert,… schneidet sich ins eigene Fleisch, wenn es nicht transparent arbeitet. Wenn das Unternehmen glaubt, dass seine Geschäftspraktiken im Einklang mit den Menschenrechten stehen, dann sollte es offenlegen, welche Produktionsstätten es kontrolliert und darauf auch stolz sein.
Transparenz als Wettbewerbsvorteil
Einige Modelabel, die sich weigern, für mehr Transparenz zu sorgen, berufen sich häufig auf den angeblichen Wettbewerbsnachteil, der damit mehr einherginge. Sie behaupten, dass die Veröffentlichung der Namen und Standorte der Fabriken, in denen sie produzieren lassen, ihrer Wettbewerbsfähigkeit schaden würde. Doch das ist ein Trugschluss.
Zum einen ist die Vorstellung, dass solch ein Mindestmaß an Transparenz einen Wettbewerbsnachteil bedeutet, durch die Tatsache widerlegt, dass führende Unternehmen diese Informationen bereits veröffentlicht und über keinerlei daraus resultierende Einbußen berichtet haben.
Zum anderen teilen die meisten Modelabels diese Informationen bereits auf entsprechenden Industrie-Plattformen, so z.B. Sedex und the Fair Factory Clearinghouse. Auf diesen Plattformen tauschen sie Informationen über Zulieferfabriken aus, darunter auch Berichte zu den Arbeitsbedingungen.
Einige dieser angeblich „geheimen” Informationen zu Fabriknamen und Standorten sind für Mitbewerber auch in Datenbanken einsehbar, darunter Import Genius und Panjiva, die US-Zolldaten sammeln.
Die Veröffentlichung von Informationen zu Zulieferfabriken würde es Unternehmen, die in denselben Fabriken produzieren lassen, erlauben, wichtige Informationen über die dort herrschenden Arbeitsbedingungen auszutauschen. Somit könnten sie zusammenarbeiten, um die Verletzung von Arbeiterrechten oder gefährliche Arbeitsbedingungen zu verhindern.
Mindestens ein Unternehmen, Inditex (zu dem auch Zara und andere Modelabels gehören), weigerte sich, Zulieferinformationen zu veröffentlichen, mit der Begründung, dass diese Informationen „vertraulich” mit globalen Gewerkschaften geteilt würden. Mit diesen hat das Unternehmen eine globale Rahmenvereinbarung getroffen, das die Arbeitsbedingungen in allen seinen Zulieferfabriken weltweit verbessern soll.
Die Veröffentlichung von Informationen zu Zulieferfabriken würde den Effekt einer solchen Vereinbarung jedoch verstärken. Andere Marken wie ASOS, H&M und Tchibo, die ebenfalls globale Rahmenvereinbarungen getroffen haben, veröffentlichen dennoch die Informationen zu ihren Zulieferfabriken. Das zeigt, dass diese beiden Werkzeuge – die Rahmenvereinbarungen und Transparenz – gut Hand in Hand gehen können.
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Bekleidungsunternehmen, die Zulieferinformation veröffentlichen und andere Initiativen unterstützen
Zu den Mitgliedern des Bangladesh Accord gehören: adidas, ALDI Nord und ALDI Süd, Benetton, C&A, Cotton On, Esprit, G-Star RAW, Fast Retailing, H&M, Hugo Boss, John Lewis, Kmart Australia, LIDL, Lindex, Loblaw, Marks and Spencer, Next, New Look, Puma, PVH, Target Australia, Tchibo, Tesco und Woolworth.
Zu den Mitgliedern des Bündnisses für nachhaltige Textilien (kurz Textilbündnis), die Informationen über Zulieferfabriken veröffentlichen, gehören: adidas, ALDI Nord and ALDI Süd, C&A, Esprit, H&M, Hugo Boss, LIDL, Puma und Tchibo.
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Anreize für Transparenz schaffen - die Rolle der Investoren
Multistakeholder-Initiativen, die verschiedene Interessengruppen aus der Textilbranche zusammenbringen, so etwa Modelabels und Nichtregierungsorganisationen, wie z.B. die Ethical Trading-Initiative, die Fair Labor Association und die Sustainable Apparel Coalition, sollten eine wichtige Rolle dabei spielen, die Branche zu einem Mindestmaß an Transparenz zu bewegen.
Solche Initiativen sollten nur Unternehmen aufnehmen, die sich dazu verpflichten, Informationen zu Zulieferfabriken offenzulegen und Zeitpläne entwerfen, innerhalb derer die Mitglieder dieses Transparenzziel dann erreichen sollen. Zumindest sollten die Unternehmen, die sich in prominenten Führungsrollen – etwa im Vorstand solcher Initiativen - befinden, dazu verpflichtet werden, Informationen zu ihren Zulieferfabriken zu veröffentlichen. So ist beispielsweise Primark im Vorstand der Ethical Trading-Initiative. Das macht es umso schlimmer, dass das Unternehmen sich weigert, für Transparenz zu sorgen. Auch Wal-Mart, Gründungsmitglied der Sustainable Apparel Coalition, hat bislang keine Zulieferinformationen veröffentlicht.
Investoren, darunter Rentenversicherungen, können ihre Rolle als Eigentümer in Unternehmen nutzen, um zu mehr Transparenz zu drängen. Investoren wie APG beispielsweise und Anlegergruppen wie SHARE Canada und das Interfaith Center for Corporate Responsibility befassen sich in Unternehmen regelmäßig mit der Transparenz in der Zulieferkette.
Das ist nicht nur aus sozialen Gründen geboten, es kann auch dabei helfen, die finanziellen Risiken der Investoren zu reduzieren, indem durch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen bessere Präventivmaßnahmen ermöglicht werden. Der Corporate Human Rights Benchmark - unterstützt durch Investoren wie das Londoner Vermögensverwaltungsunternehmen Aviva Investors - verlangt ebenfalls, dass Modeunternehmen zumindest die obere Ebene ihrer Zulieferkette identifizieren und offenlegen.
„Bald wird es nicht mehr viel zu verstecken geben”, sagt Professor Ruggie und betont damit, dass Investoren immer größeren Wert auf wirtschaftliche, soziale und Governance-Indikatoren legen. „Menschen, die entweder Teil der Investorengemeinschaft sind oder für diese arbeiten, werden alles aufsaugen, was es da draußen gibt. Hierbei wird alles genutzt, von GPS bis Google Earth, um Informationen zu sammeln. Für die Unternehmen ist es besser, sie veröffentlichen selbst diese Informationen, bevor ein Datenprovider diese möglicherweise falsch deutet und sie als firmeneigene Information an ein Investmentgesellschaft oder eine Vermögensverwaltungsgesellschaft verkauft. Dies könnte zu negativen Bewertungen führen. Die Unternehmen werden selbst merken, dass mehr Transparenz besser für sie ist.“
Ein Appell an die Regierungen
Auch Regierungen sollen für Transparenz und die Umsetzung anderer obligatorischer Menschenrechtspraktiken in der Lieferkette von Modeunternehmen sorgen. Nur sie können Strafen für diejenigen Firmen verhängen, die sich nicht an die gesetzten Standards halten, und nur sie können solche durchsetzbaren Standards festlegen und so für faire Bedingungen für Firmen und Arbeiter sorgen.
Tragischerweise hat der Widerwille, Firmen zu regulieren, gepaart mit einer allgemeinen Trägheit der Regierungen dazu geführt, dass es weltweit kaum nennenswerte Gesetze gibt, welche die Menschenrechtsproblematik in der Textilindustrie aufgreifen. Vorschriften und Gesetze, die gezielt Bekleidungs- und Schuhfirmen dazu anhalten, ihre Zulieferinformationen zu veröffentlichen, wären hierbei ein wichtiger Schritt.
Dennoch könnten die Versuche einiger Regierungen, Unternehmen per Gesetz zum Einhalten der Menschenrechte entlang ihrer gesamten Lieferkette zu bringen, einiges ändern. So verlangt der britische Modern Slavery Act, der u.a. Unternehmen dazu anhält, moderne Sklaverei in ihrer gesamten Zulieferkette zu unterbinden, nicht ausdrücklich, dass Unternehmen Informationen zu ihren Zulieferfabriken veröffentlichen müssen.
Das Gesetz wurde jedoch ein Katalysator für mehr Transparenz: eine Reihe von britischen Bekleidungs- und Schuhunternehmen haben Zulieferinformationen veröffentlicht als Teil ihrer Risikominderungsstrategie für moderne Sklaverei in ihrer Zulieferkette. Das französische Gesetz zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist ein weiteres Gesetz, das als Vorbild dienen kann und auf dem aufgebaut werden kann.
Spätestens seit dem Rana Plaza-Unglück darf kein Modeunternehmen mehr zögern, ein Mindestmaß an Transparenz zu schaffen. Arbeiterrechte und Menschenleben müssen an erster Stelle stehen.
In Bangladesch versucht Shabana indes weiterhin, in ein normales Leben zurückzufinden. Albträume und Depressionen machen ihr das Leben und das Arbeiten schwer. Noch einmal einen Fuß in eine Textilfabrik zu setzen, ist für sie undenkbar. „Arbeiter sollten wissen, für welche Modelabels sie arbeiten, damit sie die ganze Wahrheit erzählen können“, sagt sie.