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Wem gehören die Nachrichten?

Nichtregierungsorganisationen und der Wandel der Medienlandschaft

von Carroll Bogert

Es ist eine harte Zeit für Auslandskorrespondenten. Die Kombination von rasantem technologischem Fortschritt und ökonomischer Krise hat bei vielen westlichen Nachrichtenagenturen zu tiefen Einschnitten in den Haushalt für Auslandsberichterstattung geführt. Vielen Korrespondenten wurde gekündigt und viele sorgen sich um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft. Selbst die Leser der großen Zeitungen müssen einen Rückgang der Auslandsberichterstattung verzeichnen. Eine kürzlich erschienene Studie schätzt, dass der Anteil der Auslandsnachrichten in britischen Zeitungen zwischen den Jahren 1979 und 2009 um 80 Prozent gesunken ist.[i]  Und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vermutet, dass in 20 ihrer 31 Mitgliedsstaaten die Zeitungen mit zurückgehenden Leserzahlen zu kämpfen haben.[ii] Da die Auslandsberichterstattung verhältnismäßig teuer ist, wird hier oft als erstes gespart. 

Die Veränderungen in der Medienwelt wirken sich nicht nur negativ auf die Journalisten aus und sind nicht nur für die Zeitungsleser eine besorgniserregende Nachricht. Sie haben auch für internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Human Rights Watch ernste Folgen. Der Bereich der Auslandsnachrichten war für global agierende NGOs immer schon ein wichtiges Forum, um Informationen weiter zu geben. Ein weltweiter Rückgang der Auslandsberichterstattung bedroht deshalb die Wirksamkeit ihrer Arbeit. Gleichzeitig bringt dieser Wandel aber nicht nur negative Folgen, sondern auch einige Chancen mit sich. Dieser Essay möchte die mit dem Wandel in der Medienwelt einhergehenden Herausforderungen und Möglichkeiten für internationale NGOs[iii] untersuchen.

Natürlich leisten zahlreiche NGOs großartige Arbeit, ohne überhaupt auf die Medien zurückgreifen zu müssen. Viele Menschenrechtsverteidiger erzielen ihre Erfolge unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung: durch private Treffen mit Diplomaten, den vertrauensvollen politischen Austausch mit Regierungsvertretern, konzertierte Aktionen mit anderen NGOs und natürlich durch Interviews mit Augenzeugen und Opfern, deren Identität vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben muss. NGOs, die eigene Nachforschungen betreiben, mögen zuweilen eng mit Journalisten zusammen arbeiten. Diese Nachforschungen sind jedoch nur ein kleiner Teil ihrer eigentlichen Bemühungen, politische Veränderungen und einen besseren Schutz der Menschenrechte zu bewirken.

Nicht viele NGOs stehen in regelmäßigem Kontakt mit Auslandskorrespondenten. Tatsächlich konzentrieren sie sich meistens auf die eigenen nationalen Medien. Wenn diese zumindest ein Mindestmaß an politischem Freiraum genießen, bemühen sie sich in erster Linie um eine nationale Berichterstattung. Zwar mögen die überregionalen oder internationalen Medien eine ergänzende Rolle spielen, doch hat die schwindende Bedeutung der Auslandsberichterstattung nur einen geringen Einfluss auf ihre eigentliche Arbeit.

NGOs nehmen im Allgemeinen eine zwiespältige Haltung gegenüber Journalisten ein. Sie arbeiten mit einer anderen Geschwindigkeit, nehmen sich mehr Zeit für die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und distanzieren sich gewöhnlich von der reißerischen Berichterstattung und den 15-Minuten-Berühmtheiten, die in den kommerziellen Medien dominieren. Aus ihrer Sicht werden unter dem Druck der Berichterstattung zentrale Fakten vergessen oder aus dem Kontext gerissen. Und für die eigene Arbeit sind die schlagzeilenträchtigen Aspekte eines Berichts häufig nicht die wichtigsten oder wesentlichsten.

Gleichzeitig streben jedoch die meisten NGOs nach einer stärkeren Präsenz in den Medien. Die Veränderung der Medienlandschaft bringt neue Herausforderungen und Möglichkeiten für diese Organisationen mit sich, vor allem wenn sie auf die internationalen Medien zur Verbreitung ihrer Anliegen zurückgreifen.   

NGOs und Auslandskorrespondenten: eine Symbiose

Eines der wirkungsmächtigsten Instrumente des internationalen Menschenrechtsschutzes war schon immer das öffentliche Anprangern von Menschenrechtsverletzungen, die Berichterstattung über spezifische Vorfälle und die Identifizierung der Verantwortlichen. Welch große Rolle diese Methode spielt, lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass viele Regierungen versuchen, dies mit allen Mitteln zu bekämpfen. So führen zahlreiche Regierungen umfangreiche Kampagnen durch, um eine öffentliche Kritik vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf zu verhindern.

Durch ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit können Staaten zum Handeln gezwungen werden. Als im Jahr 2010 ein Video veröffentlicht wurde, das die Folterung von zwei Bauern aus Papua durch indonesische Soldaten zeigte, setzte das die indonesische Regierung unter Handlungsdruck. Für denselben Monat war ein Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama geplant und beide Regierungen fürchteten, dass dieses Thema die Schlagzeilen dominieren würde. Die indonesische Regierung, die ihre Soldaten bislang kaum für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zog, reagierte sofort und ließ vier Soldaten wegen Folter vor Gericht stellen.[iv] Die Regierung reagierte damit direkt auf den Druck der Medien und der Öffentlichkeit.

Für Organisationen, die nicht über eine große Anzahl an Mitgliedern verfügen oder eine Graswurzelbewegung hinter sich haben, können Medienberichte ein wesentlicher Faktor sein, um öffentlichen Druck zu erzeugen. Allerdings lässt sich nur in sehr wenigen Ländern und unter sehr besonderen Umständen die Öffentlichkeit auf Grund eines außenpolitischen Themas mobilisieren. Ohne Zweifel enthält der israelisch-palästinensische Konflikt das Potential für eine solche Massenmobilisierung, auch außerhalb der eigentlichen Konfliktregion. Ebenso verhält es sich mit der Diskussion über die Auslandseinsätze des amerikanischen Militärs. Und auch die Kampagne „Save Darfur" konnte weltweit Tausende Studenten und andere Unterstützer für Demonstrationen mobilisieren. Dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmen. Im Allgemeinen findet die Außenpolitik nur geringes gesellschaftliches Interesse. Manchmal kann allerdings eine ausgeprägte Berichterstattung die politischen Bedingungen beeinflussen, auch wenn die Öffentlichkeit zu einem Thema keinen Standpunkt bezieht. Man erinnere sich nur an das Beispiel der serbischen Gräueltaten im Kosovo Ende der 1990er Jahre. In diesem Fall hatte der Druck der öffentlichen Debatte in den Medien mit dazu geführt, dass die NATO-Mitgliedsstaaten aktiv wurden.

Die Medienberichterstattung kann manchmal auch die Funktion eines „Gütesiegels" für die Arbeit einer internationalen NGO haben. Wenn eine bekannte Zeitung die Stellungnahmen einer NGO zitiert, wird damit die Glaubwürdigkeit der Organisation untermauert. Erscheint ein Vertreter einer NGO in einer viel gesehenen Fernsehsendung, dann hat er sehr wahrscheinlich in zukünftigen Gesprächen mit Entscheidungsträgern ein größeres politisches Gewicht. Eine hohe Präsenz in den Medien stärkt das politische Drohpotential einer NGO und damit auch ihre öffentliche Anerkennung.

So wie Menschenrechtsgruppen häufig die Medien benötigen, so sind auch die Medien auf sie angewiesen. In vielen Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist, greifen Journalisten auf internationale Organisationen zurück, um bestimmte Informationen öffentlich zu machen. In Bahrain beispielsweise bezeichnet sich die herrschende Familie als reformorientiert. Der einzigen unabhängigen Zeitung jedoch war es nicht möglich, über die Wiedereinführung der Folter in Polizeiverhören zu berichten. Viele Aktivisten und ehemalige Häftlinge hatten Foltervorfälle bestätigt. Doch das Thema war zu sensibel, um es in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst als Human Rights Watch einen Bericht über die Vorfälle veröffentlichte,[v] konnte die Zeitung ebenfalls darüber schreiben und große Teile des Berichts zitieren, ohne allzu starke Repressalien fürchten zu müssen.

Auslandskorrespondenten, die in autoritären Staaten arbeiten, haben nicht mit denselben negativen Folgen zu rechnen, die lokale Journalisten fürchten müssen, wenn sie über Menschenrechts- oder Gerechtigkeitsfragen berichten. Doch auch sie müssen gegebenenfalls von Veröffentlichungen und öffentlichen Anklagen absehen, um Probleme mit ihrer Akkreditierung oder ihrem Visum zu vermeiden. Häufig ist es in diesen Fällen sicherer, den kritischen Kommentar einer NGO zu zitieren, als dieselbe Aussage selbst zu machen.

Einige Journalisten fühlen sich den NGOs, die sich gegen politische Unterdrückung und Machtmissbrauch einsetzen, eng verbunden. Viele Journalisten wollen Verbrechen von politischen Verantwortungsträgern aufdecken und Gerechtigkeit vorantreiben. Beispiele dafür sind die Washington Post-Korrespondenten Bob Woodward und Carl Bernstein, die den Watergate-Skandal ans Licht brachten, oder die internationalen Presseteams, die über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien berichteten.

Wer kommt an seine Grenzen?

Paradoxerweise sind heute gerade in den reichen Ländern die Medien in einem schlechten Zustand. In den Vereinigten Staaten hat der dreifache Rückschlag durch die Wirtschaftskrise, das schlechte Management einiger großer Zeitungen und die Revolution in der Informationstechnologie dazu geführt, dass die Anzahl der Auslandskorrespondenten dramatisch sank. Einige Tageszeitungen wie der Boston Globe und Newsday haben ihre Auslandsbüros komplett geschlossen. Auch viele Fernsehsender haben fast alle ihre Auslandsbüros aufgegeben und beschäftigen nur noch in wenigen Hauptstädten lokale Vertreter. Die in der Auslandsberichterstattung führenden Zeitungen, die New York Times und die Washington Post, unterhalten zwar weiterhin ihre Auslandsbüros, jedoch vor allem weil sich die Familien, die die Zeitungen besitzen, persönlich dazu verpflichtet fühlen. Zumindest für die Vereinigten Staaten kann man davon sprechen, dass das kommerzielle Modell einer umfangreichen Auslandsberichterstattung mit den entsprechenden Nachforschungen und Büros vor Ort am Ende ist.

Kaum jemand macht die negativen Folgen dieser Kürzungen so lautstark publik wie die Auslandskorrespondenten der Zeitungen selbst. Pamela Constable, eine angesehene Auslandskorrespondentin der Washington Post, schrieb im Jahr 2007: „Wenn die Zeitungen damit aufhören, über das Weltgeschehen zu berichten, dann werden wir, fürchte ich, dahin kommen, dass eine winzige Elite Foreign Affairs liest, während eine  unwissende Nation nur Blitzlichtbilder von Terroranschlägen sieht, die in einem Wirrwarr aus Kommentaren, Lauftexten und Promi-Klatsch untergehen."[vi] Und ein führender Auslandskorrespondent der New York Times erklärte: „Wenn mich junge Männer um Rat fragen, wie sie Auslandskorrespondent werden können, sage ich ihnen: 'Am besten gar nicht.' Es macht genauso wenig Sinn, wie im Jahr 1919 ein Hufeisenschmied zu werden. Auch wenn es sich immer noch um eine ehrbare und hochqualifizierte Tätigkeit handelt, das Pferd ist bereits dem Untergang geweiht."[vii]

Diese Aussage machte C.L. Sulzberger im Jahr 1969. Jede Zeit beklagt die eigene Vergänglichkeit, und altgediente Korrespondenten bilden heute die Ausnahme. Dennoch ist es nicht unbedingt sicher, dass die Öffentlichkeit in den USA oder in einem der anderen Staaten, in denen die Anzahl an Auslandskorrespondenten zurückgeht, tatsächlich weniger gut unterrichtet ist. Immerhin zeigte eine Studie, dass die amerikanische Öffentlichkeit heute ungefähr genauso gut über internationale Angelegenheiten Bescheid weiß wie vor zwanzig Jahren, also vor dem großen Niedergang der traditionellen Auslandsberichterstattung.[viii] Zudem steigt insgesamt, selbst in der westlichen Öffentlichkeit, der Medienkonsum an.[ix]

Währenddessen hat in Ländern wie Malaysia, Singapur und Vietnam die Öffentlichkeit inzwischen die Möglichkeit, durch das Internet ungefilterte Nachrichten und damit mehr Informationen über das Weltgeschehen zu erhalten, ohne von der Regierung kontrolliert zu werden.[x] Und die OECD schätzt, dass zwar die Leserschaft der Zeitungen in den meisten ihrer Mitgliedsländer rückläufig ist, dieser Rückgang aber mehr als ausgeglichen wird durch das weltweite Wachstum der Zeitungsindustrie.[xi]

Viele Medien aus dem globalen Süden konnten in den letzten Jahren ihre internationale Wahrnehmung stark erhöhen. Das arabische und das englische Al-Jazeera, finanziert durch den Emir von Katar, berichten in großem Ausmaß über internationale Ereignisse, auch wenn das Sendernetzwerk zuletzt eines seiner vier internationalen Rundfunkzentren schloss. Andere Medien sind weniger offen. Xinhua, die staatlichen Nachrichtenagentur Chinas, und andere chinesische Medien wie zum Beispiel CCTV berichten kaum über Menschenrechtsfragen und vor allem nicht, wenn diese mit China oder seinen Verbündeten zu tun haben.

Fluch und Segen

Die durch das Internet ausgelöste Revolution in der Datenübertragung ist für internationale NGOs, die mit dem Rückgang der Auslandsberichterstattung in den westlichen Medien kämpfen, sowohl Segen als auch Fluch. Einerseits gibt es ein überwältigendes Angebot an Online-Veröffentlichungen, Blogs, Facebook- und Twitter-Nachrichten, Kabel- und Satellitenfernsehkanälen und anderen Medienformen. Wie können Interessengruppen entscheiden, welches Format für sie wichtig ist? Wenn es, wie oben beschrieben, ein Ziel der eigenen Öffentlichkeitsarbeit ist, politische Entscheidungsträger zu erreichen, wie kann man dann herausfinden, welche Medien sie benutzen? Früher nutzten Politiker in den meisten Ländern im Wesentlichen ein paar Tageszeitungen, ein oder zwei Wochenzeitungen und einige wenige Radio- und Fernsehsender. Heute sind ihre Lesegewohnheiten nicht so leicht einzuschätzen. Der Markt für internationale Nachrichten ist viel fragmentierter geworden.

Eine Studie aus dem Jahr 2008 von Studenten der Columbia University fragte Beamte der Vereinten Nationen in New York, welche Medien sie regelmäßig nutzen. Wie zu erwarten antworteten fast drei Viertel der Befragten, dass sie täglich die New York Times lesen. Ebenso wenig überraschend gaben etwa fünfzig Prozent von ihnen an, den Economist zu lesen. Doch viele Befragte sagte auch, dass sie die regelmäßigen Einträge eines Bloggers der Inner City Press lesen, der über aktuelle UN-Angelegenheiten berichtet, aber außerhalb des UN-Systems nahezu unbekannt ist.[xii]

Vor allem das Überangebot an Informationen im Internet bringt Herausforderungen mit sich. Menschenrechtsorganisationen wollen schließlich nicht nur in den Medien präsent sein, sondern müssen auch auf Stellungnahmen und Meinungen aus den Medien antworten. Auf welche Anfragen soll eine NGO mit ihren begrenzten Möglichkeiten reagieren? Bei welchen Bloggern handelt es sich nur um Spinner, die unnötigerweise die Arbeitszeit der Mitarbeiter verschwenden und kaum öffentliche Wirkung versprechen? Wie erkennt man den Unterschied? Und wie viel Zeit sollte eine NGO darauf verwenden, die neuesten Datensammlungen von Wikileaks zu durchforsten?

Andererseits bieten sich unglaublich viele Chancen. Auch wenn das Internet ein Loch in den Medienetat reißt, schafft es doch gleichzeitig einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit. Technologien, die früher nur einer exklusiven Klasse zugänglich waren, sind nun allgemein verfügbar. Früher benötigte man eine teure Ausrüstung und seltene Übertragungstechnik, um beispielsweise ein Foto der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, das zeigt, wie Polizisten einen Demonstranten verprügeln. Nur wenige gut ausgebildete Journalisten waren dazu in der Lage. Heute lässt sich dasselbe Foto mit einem 35 US-Dollar teurem Mobiltelefon sowohl aufnehmen als auch versenden. Während der ägyptischen Parlamentswahlen Ende November 2010 beispielsweise verhinderte die Regierung eine unabhängige internationale Wahlbeobachtung und erschwerte die Arbeit lokaler Wahlbeobachter. Doch zivilgesellschaftliche Vertreter konnten einen Bürgermeister der Regierungspartei dabei filmen, wie er mehrere Wahlscheine gleichzeitig ausfüllte. An einem anderen Ort konnten Männer in Zivil dabei gefilmt werden, wie sie mit Stöcken ein Wahllokal zerstörten.

Die Lücke füllen?

Für Nichtregierungsorganisationen, die im großen Rahmen Feldforschung betreiben oder auch nur gelegentlich eigene Nachforschungen anstellen und Vertreter ins Ausland senden, bietet die Möglichkeit, Inhalte schnell produzieren und verbreiten zu können,  revolutionäres Potential. Allerdings reicht es nicht aus, mit einem Mobiltelefon ein Foto von einem Ereignis aufzunehmen und es auf Facebook zu veröffentlichen. Die Frage ist, ob NGOs systematisch damit beginnen, das von den kommerziellen Medien offen gelassene Vakuum zu füllen. Dafür müssen sie die gesammelten Informationen auf neue Art und Weise verbreiten, so dass sie die Öffentlichkeit direkt erreichen und ihre Aufmerksamkeit gewinnen können. Gegenwärtig haben nicht viele NGOs die Mittel, um ihre Informationen und Forschungsergebnisse in benutzerfreundliche Inhalte zu verwandeln. Viele von ihnen nutzen vor allem das geschriebene Wort. Häufig richten sie sich an andere Experten und nicht an die gesamte Öffentlichkeit. Vor allem fehlt es häufig an visuellen Informationen, um die zu vermittelnden Ergebnisse zu veranschaulichen.

Das beginnt sich jedoch zu ändern. Human Rights Watch beschäftigt professionelle Fotografen, Filmemacher und Radioproduzenten, um die Feldarbeit von Researchern zu unterstützen und die Ergebnisse nicht nur in geschriebener Form, sondern multimedial zu dokumentieren.[xiii] Amnesty International hat eine selbstständige „Nachrichtenabteilung" mit fünf professionellen Journalisten ins Leben gerufen, um aktuelle Menschenrechtsinformationen zu veröffentlichen. Ärzte ohne Grenzen verwenden gezielt Foto- und Videomaterialien. Und der Natural Resources Defense Council beschäftigt ebenfalls Journalisten, um über Umweltthemen zu berichten.

Doch auch wenn NGOs in der Lage sind, benutzerfreundlichere Inhalte zu produzieren, bleibt die Frage, wie diese Inhalte publik gemacht werden können. Eine NGO kann Nachrichten zwar auf ihre Homepage stellen und damit ein paar tausend, vielleicht ein paar zehntausend Interessierte erreichen. Werden Informationen über Facebook, Twitter, YouTube und andere Soziale Medien weiter gegeben, kann man vielleicht noch ein paar Tausend mehr erreichen. Inhalte, die sich jedoch großflächig und rasant verbreiten und von Millionen Menschen wahrgenommen werden, bleiben die seltene Ausnahme. Früher oder später wird es notwendig, die Mainstream-Medien zu nutzen, die immer noch eine bei weitem größere Reichweite als nicht-kommerzielle Medienformate besitzen. Damit stellt sich die Frage, ob diese Medien die von NGOs bereitgestellten Informationen verbreiten.

Da sich die Budgets der Auslandsabteilungen reduzieren, könnte man erwarten, dass Redakteure und Produzenten dankbar sind, wenn ihnen nichtkommerzielle Akteure Inhalte bereitstellen. Doch dies ist nicht immer der Fall. Die Art und Weise wie mit diesen externen Quellen umgegangen wird, hängt vom jeweiligen Land, dem Medienunternehmen und der jeweiligen NGO ab. BBC beispielsweise sendet nur äußerst selten Material von Nichtregierungsorganisationen. CBS in den USA verschärfte vor kurzem ebenfalls seine Richtlinien hinsichtlich der Verwendung von Inhalten, die aus externen Quellen stammen.[xiv] Und Time akzeptiert keine Bilder von Fotographen, die im Auftrag einer NGO arbeiteten. Auch viele Kommentatoren, die sich mit der wachsenden Bedeutung von NGOs als Informationslieferanten auseinandersetzen, sind gegenüber dem Trend noch skeptisch. „Während Journalisten zumindest versuchen, auf der Grundlage der Unvoreingenommenheit zu arbeiten, wollen Hilfsorganisationen normalerweise eine ganz bestimmte Nachricht vermitteln: um Geld zu sammeln, zu sensibilisieren, eine Situation zu verändern."[xv]

Eine Frage der Objektivität und Neutralität

NGOs wie Human Rights Watch berichten über Ereignisse nicht rein journalistisch, sondern verfolgen das Ziel, die Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen zu informieren und sich für den Schutz der Opfer einzusetzen. Dadurch unterscheidet sich ihre Arbeit vom traditionellen Journalismus, was Anlass zu der Frage gibt, inwieweit die von diesen NGOs gesammelten und weitergegebenen Informationen vertrauenswürdig sind. Gerade wenn eine NGO nicht absolut transparent hinsichtlich der eigenen Ziele, der Herkunft ihrer Informationen und der in den eigenen Nachforschungen befolgten Richtlinien ist, können Journalisten oder andere Leser zu Recht misstrauisch sein.

Die besten Medienprofis versuchen ihre gesamte Karriere lang, sich bestmöglich von ihrer eigenen Voreingenommenheit zu befreien und objektiv gegenüber allen Seiten zu sein. Zu Recht sind sie davon überzeugt, dass objektive Informationen ein öffentliches Gut sind. Einseitige Nachrichten können Leser und Entscheidungsträger zu schlechten politischen Entscheidungen provozieren und sogar soziale Unruhen und Gewalt auslösen. Organisationen, die Medienschulungen durchführen, setzen sich gerade in Konfliktgebieten dafür ein, das Ideal einer unvoreingenommenen Berichterstattung zu stärken, nachdem einseitige Berichte zuvor desaströse Folgen hatten. Gleichzeitig glaubt kaum jemand, dass die amerikanischen Medien, trotz der Propagierung einer neutralen und apolitischen Berichterstattung, wirklich unvoreingenommen arbeiten.

Forschungsorientierte NGOs legen ihren Schwerpunkt auf eine rein faktenorientierte Berichterstattung. Bei einem oberflächlichen und manipulativen Umgang mit den Tatsachen riskieren sie, an Glaubwürdigkeit und damit auch an Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger zu verlieren. Ihr öffentlicher Ruf hängt im Wesentlichen von der Qualität ihrer Feldarbeit ab. Gleichzeitig arbeiten sie aber auch im Dienst einer Sache und setzen sich für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und die strafrechtliche Verfolgung der Täter ein. Zwar haben die verschiedenen NGOs unterschiedliche Standards was die Art und Weise der Sammlung, Überprüfung und Verarbeitung von Fakten angeht. Das zentrale Ziel der Arbeit ist jedoch der Schutz der Menschenrechte. Diejenigen, die die Informationen sammeln, müssen unparteiisch und gegenüber allen Seiten objektiv sein, jedoch keineswegs neutral gegenüber Gräueltaten.

Aus guten Gründen wahren Medienunternehmen und Menschenrechtsgruppen eine professionelle Distanz zueinander. Schließlich verfolgen sie unterschiedliche Ziele. Die Vorsicht von Journalisten, das von anderen gesammelte Material weiterzuverwenden, schützt vor einem einseitigen Missbrauch der Medien. Und für Menschenrechtsgruppen ist es wichtig, ihre eigentliche Aufgabe nicht zugunsten des Mediengeschäftes zu vernachlässigen. In zumindest einigen Ländern bringen dennoch gleichzeitig die technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen beide Bereiche enger zusammen.

Je mehr sich NGOs bemühen benutzerfreundlichere Inhalte zu produzieren, desto mehr müssen sie auch danach streben, einige wesentliche Grundsätze zu befolgen, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten: Erstens eine vollständige Transparenz hinsichtlich der Methodik der Datenerfassung; zweitens eine nachweise Erfolgsbilanz und eine über viele Jahre hinweg bewährte Arbeit; und drittens vollständige Offenheit über die Urheberschaft der Inhalte und die Ziele der eigenen Organisation.

NGOs stehen vor der Frage, wie weit sie gehen wollen, um nutzerfreundliche Inhalte zu präsentieren. Nur wenige scheinen bereit zu sein, ihr Profil als Informationsproduzenten vor dem Hintergrund des neuen technologischen Zeitalters zu verändern. Um die Leerstelle im Bereich der Auslandsnachrichten zu füllen, braucht es Geld. Doch bereits jetzt kämpfen viele NGOs, um ihre Budgetziele zu erfüllen, und es bleibt kaum Spielraum, um neue Bereiche zu erschließen, die erst einmal als sekundär für die eigentlichen Ziele gelten.

Die Revolution in der Informationstechnologie und der Wandel der Medienlandschaft haben weitläufige Auswirkungen, nicht nur für eine Handvoll von Menschenrechtsgruppen. Jede Organisation, die inhaltsreiches Material für ein spezielles Publikum produziert, muss erkennen, dass diejenigen, die die Inhalte in eine für Laien verständliche Sprache übersetzen - also die Journalisten - am Verschwinden sind. Um in der heutigen Welt die größtmögliche Wirkung zu erzielen, müssen Inhalte neu und für eine breite Zielgruppe und unterschiedlichste Formate gestaltet werden, wie Saatgut, das in alle Richtungen sprießen kann. Dabei handelt es sich um einen Trend, den niemand, der Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen möchte, ignorieren kann.

Carroll Bogert ist stellvertretende Direktorin von Human Rights Watch.


 


[i]      Martin Moore, „Shrinking World: The decline of international reporting in the British press", London: Media Standards Trust, November 2010, S. 17. Die Studie untersuchte die Auslandsberichterstattung auf den ersten zehn Seiten vier wichtiger Tageszeitungen.

[ii]      Organisation for Economic Co-operation and Development: Directorate for Science, Technology and Industry Committee for Information, Computer, and Communications Policy, „The Evolution of News and the Internet" 11. Juni 2010, http://www.oecd.org/dataoecd/30/24/45559596.pdf (aufgerufen am 20. November 2010), S.7. Die stärksten Rückgänge waren in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Griechenland, Italien, Kanada und Spanien zu verzeichnen.

[iii]     Dieser Aufsatz beschäftigt sich vor allem mit NGOs, die Feldforschung und Lobbyarbeit in mehreren Ländern betreiben und deshalb regelmäßig mit Journalisten und Auslandskorrespondenten interagieren. Die Ausführungen beschäftigen sich dabei insbesondere mit NGOs, die sich für den Schutz der Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzen, und beispielsweise nicht gegen den Klimawandel oder für Umweltthemen, auch wenn die Herausforderungen zum Teil die gleichen sind.

[iv]      Die vier Soldaten wurden auf Grund von Folter in einem anderen Fall verurteilt, der aber ebenfalls durch ein Video dokumentiert wurde. Siehe „Indonesia: Investigate Torture Video From Papua," Human Rights Watch Meldung vom 20. Oktober 2010, http://www.hrw.org/en/news/2010/10/20/indonesia-investigate-torture-video-papua.

[v]      Human Rights Watch, „Torture Redux: The Rivival of Physical Coercion during Interrogations in Bahrain", 8. Februar 2010, http://www.hrw.org/en/reports/2010/02/08/torture-redux.

[vi]      Pamela Constable, „Demise of the Foreign Correspondent", The Washington Post, 18. Februar 2007.

[vii]     John Maxwell Hamilton, „Journalism's roving eye: a history of American foreign reporting", Lousiana State University Press, 2010, S. 457.

[viii]     The Pew Research Center for the People & the Press, „Public Knowledge of Current Affairs Little Changed by News and Information Revolutions: What Americans Know: 1989-2007", 15. April 2007, http://people-press.org/report/319/public-knowledge-of-current-affairs-little-changed-by-news-and-information-revolutions (aufgerufen am 29. November 2010).

[ix]      Richard Wray, „Media Consumption on the Increase," The Guardian, 19. April 2010 http://www.guardian.co.uk/business/2010/apr/19/media-consumption-survey (aufgerufen am 21. November 2010).

[x]      Vergleiche zum Beispiel Temasek Review aus Singapore; Malaysiakini und andere Online-Portale aus Malaysia; zahlreiche vietnamesische Blogger sowie unter anderem Democratic Voice of Burma and Mizzima.

[xi]      OECD, 2010.

[xii]     Columbia University School of International Public Affairs, „Mass Media and the UN: What the Advocacy Community Can Do to Shape Decision Making" Mai 2009, in den Akten von Human Rights Watch. Befragt wurden Angestellte im Sekretariat der Vereinten Nationen und in verschiedenen UN-Abteilungen, die sich mit Menschenrechten befassen, sowie Diplomaten die zwölf der fünfzehn Mitglieder des UN-Sicherheitsrates vertreten.

[xiii]     Viele Fotografen bemühen sich um Stiftungsgelder, um die Zusammenarbeit mit NGOs zu finanzieren. Zu den größten Gebern gehört zum Beispiel das Open Society Institute's Documentary Photography Project: http://www.soros.org/initiatives/photography (aufgerufen am 20. November 2010); Fotografen von Magnum sind vermehrt bereit, „mit ausgewählten Hilfsorganisationen zusammen zu arbeiten und einen kostenlosen oder preisreduzierten Zugang zu dem Magnum Fotoarchiv zu ermöglichen", http://magnumfoundation.org/core-programs.html (aufgerufen am 2. November 2010).

[xiv]     Privatgespräch mit einem CBS Produzenten, Oktober 2010.

[xv]      Glenda Cooper, „When lines between NGO and news organization blur", Nieman Journalism Lab, 21. Dezember 2009, http://www.niemanlab.org/2009/12/glenda-cooper-when-lines-between-NGO-and-news-organization-blur/ (aufgerufen am 20. November 2010).