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Libyen: Festnahmen und Übergriffe im Vorfeld geplanter Proteste

Angriffe auf friedliche Demonstranten sollen beendet und Verhaftete freigelassen werden

(New York, 16. Februar 2011) - Libysche Sicherheitskräfte haben mindestens 14 Personen verhaftet, als im Vorfeld der geplanten friedlichen Demonstrationen am 17. Februar 2011 bereits Proteste stattfanden, so Human Rights Watch. Die libysche Regierung soll umgehend alle Aktivisten, Schriftsteller und Demonstranten freilassen, die nur wegen ihrer Rolle bei der Vorbereitung der Proteste für den 17. Februar festgenommen wurden. Zudem soll allen Libyern das Recht auf friedliche Demonstration gewährt werden.

Am Abend des 15. Februar setzten Regierungstruppen Schlagstöcke und Tränengas ein, um die Protestierenden auseinanderzutreiben, die in Bengasi, Libyens zweitgrößter Stadt, zusammengekommen waren. Dabei wurden sie von Angreifern in zivil unterstützt. 14 Personen wurden nach Angaben des Onlinemagazin Quryna verletzt. Quellen in Libyen teilten Human Rights Watch außerdem mit, dass mindestens eine Person getötet wurde.

„In Tunesien, Ägypten, Bahrain und dem Iran machen Menschen ihr Recht auf Protest geltend. Die libysche Regierung antwortet auf die Proteste im eigenen Land völlig falsch“, so Joe Stork, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Oberst Muammar al-Gaddafi soll von seinen ehemaligen Nachbarn lernen, dass Stabilität auch mit der Anerkennung friedlicher Proteste verbunden ist.“

Angesichts der weitverbreiteten Proteste in Tunesien und Ägypten haben libysche Websites dazu aufgerufen, am 17. Februar einen „Tag des Zorns“ auszurufen. Dieser soll im Gedenken an den Jahrestag der 2006 niedergeschlagenen friedlichen Proteste stattfinden, bei denen mindesten zwölf Demonstranten getötet worden waren.

Quellen in Libyen, welche nicht namentlich genannt werden wollen, teilten Human Rights Watch mit, dass die Demonstrationen am 15. Februar anfingen, nachdem die Regierung zwei Schlüsselfiguren festgenommen hatte, die mit den Familien der Opfer des Massakers im Abu Salim Gefängnis von 1996 verbunden waren. Die Gruppe der Opfer hat in den letzten zwei Jahren regelmäßig Proteste organisiert, bei denen sie eine unabhängige Untersuchung der Gefängnismorde sowie eine Strafverfolgung der Verantwortlichen forderte.

Etwa um 15.30 Uhr drangen fünf Sicherheitsbeamte in das Haus des Rechtsanwalts und Sprechers des Komitees, Fathi Terbil, ein, haben ihn verhaftet und seinen Laptop beschlagnahmt. Er berichtete, dass später noch ein weiterer prominenter Sprecher der Gruppe, Farag Sharany, festgenommen wurde. Beide wurden im Hauptquartier der Sicherdienstes in Bengasi festgehalten.

Um neun Uhr abends haben sich zahlreiche Familienmitglieder vor dem Hauptquartier des Sicherheitsdienstes versammelt, um deren Freilassung zu fordern. Bald schlossen sich ihnen einige hundert Menschen an, unter ihnen Schriftsteller und Aktivisten. Gegen 23 Uhr verhafteten Sicherheitskräfte Mohamed al-Sareet, einen Schriftsteller, der für die unabhängige Website Jeel Libya schreibt. Idris al-Mismari, ein Schriftsteller und ehemaliger politischer Gefangener sagte gegenüber Al-Dschasira, dass Sicherheitsbeamte in zivil die Menschenmenge durch den Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und heißem Wasser auseinandergetrieben haben.
Ein Protestierender berichtete Human Rights Watch: „Es ist genauso wie in Ägypten, sie schicken baltagiyya (Schläger), um uns zu verprügeln.“ Am 16. Februar um ein Uhr nachts entließen die Sicherheitskräfte Terbil und Sharany, aber al-Sareet ist weiter in Haft.

Die Verhaftungen gingen am 16. Februar weiter. Um fünf Uhr morgens während eines Live-Interviews von Al-Dschasira mit al-Mismari brach plötzlich die Telefonverbindung ab. Zeugen berichteten Human Rights Watch, dass Sicherheitskräfte al-Mismari verhaftet haben.

Gegen sieben Uhr morgens wurde Mohamed al-Sahim in seinem Haus von Sicherheitskräften festgenommen. Al-Sahim, der regelmäßig für unabhängige libysche Websites wie Al-Manara schreibt, hatte in der vorhergehenden Nacht an Protesten teilgenommen und Filmmaterial auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Der Film wurde im Internet schnell verbreitet. Sicherheitskräfte gingen auch zum Haus der Brüder Salem und Abu Bakr al-Elwani und verhafteten sie. Beide gehören auch zu den Angehörigen der Abu-Salim-Opfer, die in der vorherigen Nacht an den Protesten teilgenommen hatten. Später am selben Tag haben Sicherheitskräfte in Misrata die Brüder Habib und Mohamed al-Amin verhaftet, deren Bruder Hassan, von London aus, die oppositionelle Webseite Libya Al Mostakbal betreibt.

Nach Informationen von Human Rights Watch haben am 16. Februar Sicherheitskräfte in Tripolis vier ehemalige politische Gefangene festgenommen – die Brüder Farag, Al-Mahdi, Sadek and Ali Hmeid. Die Regierung hat sie im Februar 2007 verhaften lassen, nachdem sie mit zehn anderen Personen eine Online-Petition veröffentlicht hatten, in denen zu friedlichen Protesten am 17. Februar 2007 aufgerufen worden war. Sicherheitskräfte hatten sie einen Tag vor dem 17. Februar 2007 festgenommen und sie verschwanden für einige Monate, bis sie vor das staatliche Sicherheitsgericht in Tripolis gestellt wurden.

Am 10. Juni 2008 hat das Gericht sie zu sechs bis 25 Jahren Gefängnis verurteilt. In den folgenden Monaten wurden sie freigelassen, nachdem die Gaddafi-Stiftung, welche von Saif al-Islam al-Gaddafi, dem Sohn des libyschen Führers, geleitet wird, interveniert hatte. Jamal al-Haji war der letzte, der freigelassen wurde. Seitdem wurde er noch zwei weitere Male willkürlich zu unterschiedlichen Anlässen verhaftet, das letzte Mal am 1. Februar, nachdem er zu den Demonstrationen am 17. Februar aufgerufen hatte.

„Der 17. Februar ist ein Datum, das in Libyen eine große Wirkung hat, da es zum Symbol der friedlichen Proteste gegen Polizeibrutalität wurde“, so Stork. „Dieses Mal soll die libysche Regierung das Recht auf friedlichen Protest schützen, anstatt es zu verletzen.“

Liste derer, die bis heute festgenommen wurden:
1. Jamal al-Haji [festgenommen am 1.Februar]
2. Farag Hmeid
3. Ali Hmeid
4. Al Mahdi Hmeid
5. Al Sadek Hmeid
6. Mohamed El Sareet
7. Habib al-Amin
8. Mohamed al-Amin
9. Idriss al Mismari
10. Mohamed al-Sahim
11. Abu Bakr al-Elwani
12. Salem al-Elwani
13. Fathi Terbil [released]
14. Farag Sharany [released]

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