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Griechenland: Zunehmende Gefahr für Migranten und unbegleitete Kinder

EU soll neue Regierung auf Reform des Asylsystems und auf ein Ende der Übergriffe drängen

(Brüssel, 13. Oktober 2009) – Die Europäische Union soll die neue griechische Regierung auffordern, die missbräuchliche Inhaftierung und Massenabschiebung von Migranten, insbesondere von unbegleiteten Kindern, zu beenden und das mangelhafte griechische Asylsystem zu reformieren, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Zwischen Juni und August 2009 haben die griechischen Behörden bei groß angelegten Razzien im ganzen Land Hunderte von Migranten festgenommen, sie gewaltsam aus baufälligen Behausungen in Athen vertrieben und ein Übergangslager in Patras zerstört. Neuankömmlinge wurden auf den Inseln inhaftiert. Unter den vielen Menschen, die anschließend in Internierungszentren in den Norden des Landes nahe der türkischen Grenze abtransportiert wurden, befanden sich auch unbegleitete Kinder. Eine große Anzahl, möglicherweise sogar Hunderte von Migranten, unter ihnen unbegleitete Kinder und Flüchtlinge, wurden von der griechischen Polizei in Nacht- und Nebelaktionen gewaltsam über die Grenze in die Türkei abgeschoben.

„Die illegale Abschiebepraxis hat in Griechenland eine neue Dimension erreicht“, so Simone Troller, Researcherin der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Die Migranten werden jetzt im ganzen Land festgenommen und dann in die Türkei abgeschoben. Es ist offensichtlich, dass schutzbedürftige Personen in Griechenland nicht in Sicherheit sind.“

Griechenlands nicht funktionierendes Asylsystem liegt voll und ganz in den Händen von Polizeibeamten, die die Beantragung von Asylanträgen erschweren und Asylbewerbern eine faire Anhörung und Prüfung ihrer Anträge verweigern. Über 99 Prozent der Asylanträge werden bereits nach der ersten Anhörung abgelehnt. Die Vorgängerregierung hatte im Juli 2009 die Berufungskommissionen, die laut europäischen und internationalen Menschenrechtsnormen verpflichtend sind, faktisch abgeschafft. Damit haben Erwachsene und Kinder keinen effektiven Rechtsschutz mehr. Entsprechend erhöht sich das Risiko einer Abschiebung in Länder, in denen ihr Leben und ihre Sicherheit möglicherweise in Gefahr sind.

Human Rights Watch sprach mit insgesamt 16 Personen, die sich zwischen Juli und September 2009 in Griechenlands nördlicher Grenzregion in Haft befanden. Zwei von ihnen berichteten, dass die griechische Polizei sie über den Grenzfluss Evros gewaltsam in die Türkei abgeschoben hatte, von wo aus sie nach Afghanistan zurückgeschickt worden waren. Acht weitere Personen hatten beobachtet, wie Migranten von der griechischen Polizei bei Einbruch der Dunkelheit in Lastwagen oder Kleinbussen aus den Internierungszentren abtransportiert worden waren. Vier von ihnen berichteten, dass die Abtransportierten später mit den Zurückgebliebenen Kontakt aufgenommen und berichtet haben, dass sie von der Polizei in die Türkei abgeschoben worden waren.

Diese neuen Berichte stimmen mit früheren Informationen über Griechenlands systematische und illegale Abschiebung von Migranten und Flüchtlingen überein, die Human Rights Watch im November 2008 in dem Bericht „Stuck in a Revolving Door: Iraqis and Other Asylum Seekers and Migrants at the Greece/Turkey Entrance to the European Union“ veröffentlicht hat. Human Rights Watch hatte damals an unterschiedlichen Orten in Griechenland und in der Türkei mit insgesamt 41 Asylbewerbern und Flüchtlingen vertrauliche Gespräche unter vier Augen geführt. Sie hatten ausnahmslos übereinstimmende Berichte über das Vorgehen der griechischen Behörden geliefert: den nächtlichen Abtransport zum Grenzfluss Evros und dessen erzwungene Überquerung. Die aktuellen Berichte liefern neue Erkenntnisse über die Praxis der griechischen Behörden, die inzwischen nicht nur Migranten des Landes verweisen, die in Grenznähe aufgegriffen werden, sondern auch solche, die in anderen Teilen des Landes festgenommen werden. Unter ihnen befinden sich auch Flüchtlinge und unbegleitete Kinder.

Asylbewerber, Kinder und andere Migranten, die in Hafteinrichtungen im Norden Griechenlands festgehalten wurden, berichteten Human Rights Watch von Überfüllung, mangelnder Hygiene sowie von unzureichender Versorgung mit Nahrung und fehlender Krankenversorgung. Einige berichteten auch von Misshandlungen durch das Aufsichtspersonal. Die Berichte decken sich mit früheren Human Rights Watch-Dokumentationen über die Haftbedingungen und die Misshandlung von Migranten und unbegleiteten Kindern.

Das Asylsystem und die Haftbedingungen in Griechenland verstoßen eindeutig gegen EU-Recht und gegen europäische und internationale Menschenrechtsnormen, so Human Rights Watch. Ungeachtet der anhaltenden Kritik sowie der jüngsten Verschärfung der Rechtslage und deren Umsetzung in die Praxis hüllt sich die Europäische Kommission beharrlich in Schweigen und hat es bisher versäumt, Griechenland zur Rechenschaft zu ziehen.

„Schon viel zu lange wird nichts gegen die missbräuchliche Inhaftierung und die Massenabschiebung von Migranten in Griechenland unternommen“, so Troller. „Jetzt, da eine neue Regierung an der Macht ist, sollten das Ende der Übergriffe, der Schutz von asylsuchenden Kindern und die Reform der Asylpraxis oberste Priorität haben – für die Regierung in Athen, aber auch für Brüssel.“

Human Rights Watch forderte die neue griechische Regierung zu einem sofortigen Stopp der illegalen Abschiebungen über den Evros auf. Die Regierung soll außerdem durch ein Verbot verhindern, dass Menschen in Griechenland selbst oder als Folge einer Abschiebung aus Griechenland Misshandlungen ausgesetzt sind. Des Weiteren soll die Regierung allen Migranten Zugang zum Asylverfahren garantieren und für die Wiedereinführung der Berufungsinstanz sorgen.

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