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(Phnom Penh, 16. Juli 2010) - Die kambodschanische Regierung soll umgehend Maßnahmen einleiten, um die Gewalt gegen SexarbeiterInnen zu beenden sowie die Regierungseinrichtungen schließen, in denen die Betroffenen illegal inhaftiert und missbraucht wurden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Human Rights Watch fordert von der kambodschanischen Regierung zudem, einzelne Bestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung aus dem Jahr 2008 aufzuheben, da sie Belästigungen und Misshandlungen durch die Polizei begünstigen.

Der 76-seitige Bericht „Off the Streets: Arbitrary Detention and Other Abuses against Sex Workers in Cambodia" basiert auf mehr als 90 Interviews und Gruppengesprächen mit weiblichen und transgender SexarbeiterInnen in Phnom Penh, Battambang, Banteay Meanchey und Siem Reap. Den Ergebnissen zufolge sind SexarbeiterInnen, insbesondere in Phnom Penh, einer breiten Palette von Misshandlungen einschließlich Schlägen, Erpressung und Vergewaltigung durch Beamte ausgesetzt.

„Viel zu lange haben die Polizei und andere Behörden SexarbeiterInnen unrechtmäßig eingesperrt, sie geschlagen und sexuell missbraucht sowie ihr Geld und andere Besitztümer geraubt", so Elaine Pearson, stellvertretende Leiterin der  Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Die kambodschanische Regierung soll unverzüglich eine umfassende unabhängige Untersuchung dieser systematischen Verletzung der Menschenrechte von SexarbeiterInnen durchführen und die Einrichtungen schließen, in denen diese Menschen missbraucht wurden."

Die Polizei führt regelmäßig Razzien in den Straßen und Parks von Phnom Penh durch und verhaftet SexarbeiterInnen. Die Misshandlungen sind zum Teil willkürlich und zufällig. In regelmäßigen Abständen gehen Polizei und lokale Behörden allerdings auch gezielt gegen SexarbeiterInnen und andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen vor.

Polizisten können SexarbeiterInnen missbrauchen ohne mit rechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. SexarbeiterInnen berichteten Human Rights Watch, dass sie von Polizeibeamten mit Fäusten, Schlagstöcken und Holzknüppeln geschlagen oder mit Elektroschockgeräten misshandelt wurden. In einigen Fällen wurden inhaftierte SexarbeiterInnen von Polizisten auch sexuell missbraucht. Alle von Human Rights Watch interviewten SexarbeiterInnen hatten schon einmal Bestechungsgelder an Polizisten gezahlt oder sind von Polizisten bestohlen worden.

Ein kambodschanisches Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung aus dem Jahr 2008 stellt alle Formen des Menschenhandels einschließlich Zwangsarbeit unter Strafe. Abschnitte des Gesetzes verbieten die Förderung von Prostitution und das Anbieten von kommerziellem Sex. Laut Human Rights Watch werden diese Regelungen zum Teil von Polizisten missbraucht, um die Misshandlung von SexarbeiterInnen zu rechtfertigen. Auch sind die Bestimmungen so uneindeutig formuliert, dass sie sich auch verwenden lassen, um die politische oder öffentliche Unterstützung von SexarbeiterInnen durch Menschenrechtsgruppen unter Strafe zu stellen.

Human Rights Watch forderte die kambodschanische Regierung auf, die Auswirkungen des Gesetzes über Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung aus dem Jahr 2008 zu überprüfen und sicherzustellen, dass mit der Umsetzung von neuen Regelungen die Menschenrechte von SexarbeiterInnen geschützt werden. Dazu soll die Regierung mit Vertretern von SexarbeiterInnen und den Vereinten Nationen sowie mit Menschenrechtsorganisationen zusammen arbeiten, die sich insbesondere mit den Themen Menschenhandel und Gesundheit beschäftigen.

„Die kambodschanische Regierung muss einsehen, dass in einem Klima, in dem bereits jetzt Straffreiheit für die Polizei herrscht, die Ausübung von Menschenrechtsverletzungen durch die Kriminalisierung von Prostituierten gefördert wird", so Pearson. „Die Regierung sollte sich zurück ans Zeichenbrett begeben und sich intensiv mit SexarbeiterInnen und anderen Gruppen beraten, bevor sie fortfährt, die Bestimmungen umzusetzen, die von der Polizei zur Rechtfertigung von Misshandlungen missbraucht werden."

In Phnom Penh überweist die Polizei SexarbeiterInnen an die städtische Sozialbehörde und von dort weiter an verschiedene NGOs oder die öffentliche Sozialanstalt Prey Speu. Die Bedingungen in Prey Speu sind katastrophal. SexarbeiterInnen, Bettler, Drogenabhängige, Straßenkinder und Obdachlose, die in Prey Speu gefangen gehalten wurden, berichteten, wie Häftlinge, darunter auch Kinder, von Mitarbeitern geschlagen, vergewaltigt und misshandelt wurden.  Vertreter von lokalen Menschenrechtsorganisationen gehen auf Grund von Augenzeugenberichten davon aus, dass zwischen 2006 und 2008 mindestens drei Personen, möglicherweise noch mehr, von Wärtern zu Tode geprügelt wurden.

Nach Protesten von kambodschanischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen in den Jahren 2009 und 2010 begann die städtische Sozialbehörde, die meisten der in Razzien aufgegriffenen SexarbeiterInnen anstatt nach Prey Speu in die Obhut von Nichtregierungsorganisationen zu überweisen. Dennoch wurden seit Mai 2010 mindestens acht SexarbeiterInnen in Prey Speu inhaftiert. Im Juni 2010 in Prey Speu inhaftierte SexarbeiterInnen wurden in ihren Zimmern eingesperrt und konnten sie nur zwei Mal am Tag verlassen, um sich in einem schmutzigen Teich zu waschen oder von einem Wärter begleitet zur Toilette zu gehen.

Human Rights Watch fordert die kambodschanische Regierung auf, Einrichtungen wie Prey Speu, in denen Menschen illegal inhaftiert werden, endgültig zu schließen. Bereits in dem Bericht „Skin on the Cable" vom Januar 2010 dokumentierte Human Rights Watch schrecklichen Misshandlungen an den Insassen kambodschanischer Drogengefängnisse. Die kambodschanische Regierung soll eine spezielle Kommission ins Leben rufen, um eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Misshandlungen durchzuführen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Bislang konnten die Polizei und andere Behörden sich der Verantwortung für die Vorfälle entziehen.

„Die kambodschanische Regierung sollte Haftanstalten wie Prey Speu, in denen Menschen illegal inhaftiert werden, sofort und endgültig schließen", so Pearson. „Die strafrechtliche Verfolgung von denjenigen, die diese Verbrechen begehen, würde deutlich machen, dass die Misshandlung von SexarbeiterInnen nicht toleriert wird."

Die Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels sowie die Ausbildung der kambodschanischen Polizei werden von internationalen Gebern, insbesondere den USA, Australien, Japan, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen, unterstützt. Human Rights Watch fordert die Geber auf, ihre finanzielle Unterstützung für die Polizei und das Ministerium für Soziales zu überprüfen, bis eine vollständige und unabhängige Untersuchung der Vorwürfe gewährleistet ist, die verantwortlichen Täter strafrechtlich verfolgt werden und die sozialen Sicherungsanstalten endgültig geschlossen wurden. Trotz der intensiven Polizeiausbildung setzen sich die Missbrauchsfälle fort - selbst in Einheiten wie der Spezialeinheit zur Bekämpfung des Menschenhandels, deren Ausbildung von internationalen Gebern gefördert wurde.

„Die internationalen Geber sollten ihr Geld nicht für die Ausbildung von Polizisten ausgeben, die Misshandlungen verüben, sondern Maßnahmen ergreifen, um von der kambodschanischen Regierung Rechenschaft zu verlangen", so Pearson.

Aussagen von SexarbeiterInnen aus dem Human Rights Watch-Bericht "Off the Streets"

Neary, eine Mann-zu-Frau-transsexuelle Sexarbeiterin, wurde von der Polizei gefoltert:

„Drei Polizeibeamte haben mich in der Wat Phnom Polizeiwache schwer zusammengeschlagen, nachdem sie mich im Park festgenommen hatten. Einer der Polizisten richtete seine Waffe auf meinen Kopf und drückte ab, aber die Patrone zündete nicht. Sie traten mir ins Genick und in den Bauch und schlugen mit einem Besenstiel auf meinen Kopf und auf meinen ganzen Körper ein. Es dauerte etwa eine halbe Stunde. Ich flehte sie an, aufzuhören. Die Polizeibeamten waren unglaublich grausam und das alles, ohne mir einen Grund für ihr Verhalten zu nennen."

Tola, 20 Jahre, beschrieb, wie Polizisten von SexarbeiterInnen Geld erpressen:

„In der Polizeistation [Daun Penh Distrikt] wurden wir von Polizisten gefragt, ob wir einen „me-ka" [Zuhälter] haben. Sie erlaubten anderen SexarbeiterInnen und mir, unsere me-kas anzurufen, damit sie die lous [Bestechungsgelder] für unsere Freilassung zahlen. Fünfzehn von zwanzig [SexarbeiterInnen] wurden freigelassen, nachdem ihre Zuhälter das Geld an die Polizisten bezahlt hatten. Wir anderen wurden für drei Tage in der Polizeistation gefangen gehalten, bevor sie uns an die Sozialbehörde und dann in eine NGO-Einrichtung überstellten."

Srey Pha, 27 Jahre, beschrieb ihre Erfahrungen in Prey Speu:

"[Prey Speu] war wie die Hölle. Ich war mit 30 Männern, Frauen und Kindern in einem abgeschlossenen Raum inhaftiert.  Es gab keine Toilette im Zimmer. Wir mussten uns zwei Eimer als Toiletten teilen. Überall auf den Wänden waren Blutflecken. Vor Angst konnte ich nachts nicht schlafen. Jeden Tag erhielt ich zwei kleine Mahlzeiten - Reis mit Prahok [eine Paste aus fermentiertem Fisch] und einige Tamarinden. Da wir keine Teller oder Löffel bekamen, musste ich aus einer Plastiktüte essen. Einmal haben die Wachen einen Mann, der versucht hatte, in der Nacht zu fliehen, schwer zusammen geschlagen."

Nika, 28 Jahre, beschrieb, wie sie von Sicherheitskräften im Stadtpark zusammengeschlagen wurde:

„Zuerst kam ein Wachmann, trat nach mir und sagte: 'Warum?'. Dann kamen drei weitere Wachen. Zwei von ihnen hielten meine Arme fest, während mich die anderen beiden schlugen. Sie schlugen mir ins Gesicht. Wahrscheinlich waren sie betrunken. Sie schlugen mit Bambusstöcken und mit ihrem Funkgerät auf meinen Kopf und überall auf meinen Körper ein und rissen an meinen Kleidern. Die Polizei kam, doch sie taten überhaupt nichts. Für fast eine halbe Stunde haben die Sicherheitsleute einfach damit weitergemacht, mich zu schlagen. Viele Leute schauten zu, doch alle waren zu ängstlich, um etwas zu unternehmen. Der Chef des Sicherheitsdienstes sagte den anderen Wachen, dass sie mich zu Tode schlagen sollen, wenn sie mich je wieder sehen."

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