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Kenia: Neuauszählung der Stimmen zur Beendigung der Gewalt nötig

Regierung soll Einschränkung der Presse- und Versammlungs¬freiheit aufheben

Eine unabhängige Untersuchung der Präsidentschaftswahl ist erforderlich, um weitere Gewalt in Kenia zu verhindern. Human Rights Watch forderte die Regierung auf, die Pressefreiheit nicht unnötig einzuschränken und friedliche Demonstrationen wieder zuzulassen.

„Die Hinweise auf massiven Wahlbetrug haben sich verdichtet und gewalttätige Proteste in ganz Kenia ausgelöst", sagte Georgette Gagnon, stellvertretende Direktorin der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Eine unabhängige und transparente Überprüfung der Wahlergebnisse ist dringend erforderlich."

Nationale und internationale Wahlbeobachter lieferten zahlreiche Hinweise auf Unregelmäßig¬keiten bei der Stimmenauszählung nach der Präsidentschaftswahl am 27. Dezember, bei der der amtierende Präsident Mwai Kibaki zum Sieger erklärt wurde. Human Rights Watch forderte Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga auf, einer transparenten und unabhängigen Unter¬suchung des Auszählungsvorgangs unter internationaler Beobachtung und innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens zuzustimmen. Zudem sollen Regierungen anderer Länder den Prozess unterstützen.

Human Rights Watch äußerte sich besorgt über die Gewalt nach den Wahlen und das harte Durchgreifen der Regierung. Von den gewaltsamen Unruhen sind unter anderem Teile von Nairobi, Mombasa, Eldoret im Rift Valley und Kisumu in der Provinz Nyanza betroffen. Laut Medienberichten wurden bislang mindestens 350 Menschen getötet. Angehörige der Kikuyu, der Volksgruppe, zu der auch Präsident Mwai Kibaki gehört, wurden gezielt von bewaffneten Banden überfallen. Es kam zu brutalen Übergriffen wie dem Brandanschlag auf eine Kirche im Westen Kenias, in der zahlreiche Kikuyu, unter ihnen Frauen und Kinder, Zuflucht gesucht hatten.

Auch Anhänger der Opposition sind dem harten Durchgreifen der Sicherheitskräfte zum Opfer gefallen. Gegen Protestkundgebungen der Opposition, bei denen es zu Gewalt und Plünderungen kam, gingen Polizei und Militär äußerst brutal vor. Laut offiziellen Schätzungen der Vereinten Nationen befinden sich mittlerweile 180.000 Kenianer innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht. Die kenianischen Behörden sollen sicherstellen, dass alle Vertriebenen und andere Personen, die sich in einer Notlage befinden, Zugang zu humanitärer Hilfe haben. Human Rights Watch erklärte außerdem, dass eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Gewalt nach den Wahlen erforderlich sei, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Regierung hat Rundfunk und Fernsehen untersagt, live über politische Veranstaltungen zu berichten, und Protestkundgebungen verboten. Human Rights Watch forderte die kenianischen Behörden nachdrücklich dazu auf, die Pressefreiheit nicht unnötig einzuschränken und friedliche Demonstrationen wieder zuzulassen.

„Die Kibaki-Regierung hat die Niederschlagung der Proteste durch das Militär angeordnet und die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt", so Gagnon. „Führende Politiker in Kenia und mit dem Konflikt befasste Regierungen sollen gemeinsam ein Ende der Gewalt fordern."

Hintergrund
Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember verliefen friedlich und die Wahlbeteiligung war äußerst hoch. Bei der Parlamentswahl konnte die Oppositionspartei „Orange Democratic Movement" (ODM) 99 von 210 Sitzen gewinnen. Vizepräsident Moody Awori und 14 führende Minister der Kibaki-Regierung mussten ihre Mandate abgeben.

Die Stimmenauszählung nach der Präsidentenwahl deutete auf ein ähnliches Ergebnis hin: ODM-Chef Raila Odinga lag in allen Statistiken vorn. Dann kam es jedoch zu einer plötzlichen Wende. Die kenianische Wahlkommission gab bekannt, Kibaki habe die Führung übernommen. Die ODM und internationale Wahlbeobachter äußerten angesichts der Resultate Zweifel daran, fanden jedoch bei der Regierung kein Gehör. Als die Proteste lauter wurden, wurde in der Zentrale der Wahlkommission der Strom abgestellt und die Polizei eskortierte Kommissionsmitglieder aus dem Gebäude. Kurz darauf erklärte Samuel Kivuitu, der Vorsitzende der Wahlkommission, Kibaki mit rund 230.000 Stimmen Vorsprung vor Odinga zum Sieger der Präsidentschaftswahl. Die Regierung ließ Bilder von Kibakis Vereidigung im Fernsehen ausstrahlen, die kurz vor Mitternacht und in aller Eile in einer privaten Zeremonie im Präsidentenpalast stattgefunden hatte.

Später zitierten die Medien den Vorsitzenden der Wahlkommission mit den Worten, er sei sich nicht sicher, ob Herr Kibaki die Wahlen gewonnen habe. Er sei „unter Druck" gesetzt worden, rasch ein Ergebnis zu präsentieren, obwohl Wahlbeobachter um einen Aufschub bis zur Klärung offensichtlicher Unregelmäßigkeiten gebeten hatten. Vier weitere Kommissionsmitglieder räumten ebenfalls Bedenken angesichts der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ein und stellten die Richtigkeit des Wahlverlaufs ernsthaft in Frage.

Auch die Wahlbeobachtermission der Europäischen Union äußerte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ergebnisse. Gleich im Anschluss an die Präsidentenwahl erklärte sie, dass es der Stimmenauszählung an Glaubwürdigkeit mangelt und [...] die Wahlkommission ihre Aufgabe nicht erfüllt habe. Die EU-Wahlbeobachter berichteten über Unregelmäßigkeiten, die an der Richtigkeit der offiziellen Ergebnisse Zweifel aufkommen ließen. Sie führten den Wahlkreis Molo als Beispiel an, wo nachträglich 25.000 Stimmen zugunsten Kibakis zum Wahlergebnis hinzugerechnet worden seien. Es gab aber noch weitere Berichte über Wahlbetrug. So räumte ein Wahlleiter ein, es seien Stimmzettel zugunsten von Kibaki gefälscht worden. Die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung in Kibakis wie auch in Odingas Hochburg ist genauso umstritten wie die Tatsache, dass EU-Wahlbeobachter in einigen Wahlkreisen, vor allem in der kenianischen Zentralregion, der Hochburg von Kibaki, nicht zur Stimmenauszählung zugelassen wurden.

Bislang hat die Kibaki-Regierung Forderungen nach einer Untersuchung abgelehnt und der ODM mitgeteilt, sie solle vor Gericht Beschwerde einlegen. Allerdings wird die kenianische Justiz meist als parteiisch wahrgenommen. Der amtierende Oberste Richter war bei Kibakis Vereidigungszeremonie anwesend. Sein Amtsvorgänger wurde erst kürzlich gemeinsam mit anderen Richtern des Obersten Gerichts von Kibaki des Amtes enthoben und durch Gefolgsleute ersetzt.

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