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World Report 2012: Aserbaidschan

Ereignisse in 2011

Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan hat sich im vergangenen Jahr verschlechtert. Die Regierung schlug jegliche Art von Protest nieder und ließ Dutzende Jugendliche nach unfairen Gerichtsverfahren inhaftieren. Obwohl die Anzahl der von offizieller Seite eingeleiteten Straf- und Zivilverfahren gegen Journalisten zurückging, blieb das Umfeld für Journalisten und Regierungskritiker feindselig. Im Zuge des staatlichen Programms zur „Verschönerung“ der Hauptstadt Baku kam es zu Zwangsenteignungen und zum unrechtmäßigen Abriss von Gebäuden. Die Einschränkung der Religionsfreiheit sowie die Folter und Misshandlung von Häftlingen dauerten an. Aserbaidschan verweigerte dem Sonderberichterstatter des Europarats für politische Gefangene in Aserbaidschan weiter die Einreise.

Pressefreiheit

Das Institut für die Freiheit und Sicherheit von Journalisten, eine lokale Organisation zur Beobachtung der Pressefreiheit, berichtete, dass im Jahr 2011 mehr als 50 aserbaidschanische und ausländische Journalisten bedroht oder angegriffen wurden. Im März entführten und verprügelten sechs maskierte Männer Seymur Haziyev, einen Reporter der oppositionellen Tageszeitung Azadlig. Die Angreifer warnten Haziyev davor, die Regierung weiter in seinen Artikeln zu kritisieren. Im April entführten drei Unbekannte den Azadlig-Reporter Ramin Deko, hielten ihn acht Stunden lang fest und warnten ihn davor, die Regierung weiter in Sozialen Netzwerken zu attackieren. Die Polizei leitete keine wirksamen Ermittlungen gegen die Angreifer ein. Im Oktober entschied ein Gericht, den Chefredakteur der Tageszeitung Khural, Avaz Zeinalli, für drei Monate in Untersuchungshaft festzuhalten, um dubiose Erpressungsvorwürfe gegen ihn zu prüfen. Zuvor hatte ein anderes Gericht angeordnet, die Büroeinrichtung der Khural-Redaktion zu pfänden, um im Jahr 2009 verhängte Bußgelder zu bezahlen. Damals hatten der Chef des Präsidialamts und andere Beamte das Blatt erfolgreich wegen übler Nachrede in drei Fällen verklagt. Im April beschlagnahmte die Polizei die Kameras eines schwedischen Fernsehteams und löschte ihr gesamtes Filmmaterial, um sie an der Berichterstattung über eine Demonstration zu hindern. Im Juli ließen die Behörden die Bloomberg-Markets-Fotografin Diana Markosian über den Flughafen von Baku abschieben. Im Juni griffen vier Männer die US-Journalistin Amanda Erickson und die britische Menschenrechtlerin Celia Davies an und brachen Davies einen Arm. Gegen zwei der mutmaßlichen Täter läuft derzeit ein Strafverfahren. Obwohl internationale Partner die aserbaidschanische Regierung wiederholt aufforderten, den Tatbestand der Beleidigung zu entkriminalisieren und nicht mit zivil- und strafrechtlichen Anklagen wegen Beleidigung gegen kritische Stimmen vorzugehen, leiteten die Behörden in der ersten Hälfte des Jahres 2011 sieben Gerichtsverfahren wegen Beleidigung gegen Journalisten und andere Personen ein. Mindestens zwei der Anklagen zogen eine Freiheitsstrafe nach sich. Im Mai entließen die Behörden die prominente Verlegerin und Regierungskritikerin Eynulla Fatullayev aus der Haft, die sie 2007 nach einem politisch motivierten Prozess angetreten hatte. Im April 2010 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Freilassung eingefordert.

Versammlungsfreiheit

Die Regierung schränkte die Versammlungsfreiheit auch im vergangenen Jahr massiv ein. Die Behörden genehmigten keine einzige Demonstration im Zentrum von Baku. Unangemeldete Proteste löste die Polizei unverzüglich und häufig gewaltsam auf. Die Regierung ließ eine Reihe von Demonstrationen niederschlagen, in denen die Ideen der Demokratiebewegungen des Arabischen Frühlings aufgegriffen wurden. Im März verhaftete die Polizei nach einer zweitägigen Protestaktion mehr als 50 Demonstranten. Dutzende Aktivisten wurden in nächtlichen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen von bis zu zehn Tagen verurteilt. Bei einer unangemeldeten Kundgebung am 2. April hinderte die Polizei Demonstranten mit Gewalt daran, sich zu versammeln, und nahm über 200 Menschen fest, darunter auch Prominente, Journalisten und Oppositionelle. Am 17. April räumte die Polizei erneut einen Kundgebungsort, verhaftete mehr als 100 Personen und erstattete Dutzende Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten.

Politische Gefangene

Politisch motivierte Inhaftierungen stellen weiterhin ein Problem dar. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 zählten lokale Menschenrechtler zwischen 23 und 45 politische Häftlinge, darunter mehrere Personen, die an den Demonstrationen im März und April teilgenommen hatten. Im März verhaftete die Polizei den 29-jährigen Onlineaktivisten Bakhtyar Hajiyev im Vorfeld einer für den 11. März geplanten Demonstration, für die Hajiyev in sozialen Netzwerken geworben hatte. Hajiyev wurde in einem politisch motivierten Verfahren wegen Wehrdienstentziehung angeklagt und zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl er zuvor beantragt hatte, einen gesetzlich zulässigen Ersatzdienst zu leisten. Ebenfalls im März wurde der Onlineaktivist und Anhänger der oppositionellen Volksfront-Partei Jabbar Savalanli (20) unter fingierter Anklage wegen Drogenbesitzes zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. In den Tagen vor seiner Festnahme hatte Savalanli im Internet regierungskritische Kommentare veröffentlicht. Die Behörden weigern sich nach wie vor, dem Sonderberichterstatter des Europarats für politische Gefangene in Aserbaidschan, dem seit März 2009 die Einreise verweigert wird, ein Visum zu erteilen. Misshandlungen und Todesfälle in Haft In Aserbaidschan kommt es weiter zur Folter und Misshandlung von Gefangenen. Im vergangenen Jahr starben zwei Männer in Polizeigewahrsam. Beim Aserbaidschanischen Komitee gegen Folter, einer unabhängigen Organisation zur Überwachung von Gefängnissen, gingen allein in der ersten Hälfte des letzten Jahres 89 Beschwerden wegen Misshandlungen in Haft ein. Im Januar starb der 31-jährige Elvin Askerov nach einer Verfolgungsjagd mit und der anschließenden Festnahme durch die Polizei. Während die Polizei behauptet, Askerov habe sich auf der Flucht schwere Prellungen zugezogen, glaubt seine Familie, dass dieser auf der Polizeiwache des Bakuer Stadtbezirks Nizami geschlagen wurde. Der Forderung von Askerovs Familie, eine Untersuchung des Todesfalls einzuleiten, wurde nicht entsprochen. Am 24. August wurde der 31-jährige Turac Zeynalov wegen Spionagevorwürfen verhaftet. Er starb wenig später im Gewahrsam des Ministeriums für Nationale Sicherheit der Autonomen Republik Nakhichevan. Verwandte, die Zeynalov am Tag nach seiner Festnahme besucht hatten, erklärten, er sei geschlagen worden und habe sich nicht bewegen können. Drei Tage später starb Zeynalov offiziellen Angaben zufolge an Hautkrebs. Die Behörden leiteten eine Untersuchung seines Todes ein. Im September ließ das Sicherheitsministerium den Aserbaidschan-Korrespondenten von Radio Free Europe, der über Zeylanovs Tod recherchiert hatte, festnehmen und des Landes verweisen.

Zwangsenteignungen und unrechtmäßiger Abriss von Gebäuden

Seit 2009 hat die Stadtverwaltung von Baku im Rahmen der „Stadtverschönerung“ Hunderte Bewohner teilweise gewaltsam zur Aufgabe ihrer Wohnungen gezwungen und ihre Häuser abreißen lassen. Wohnungseigentümer wurden häufig weit unter Marktwert entschädigt und verfügten nur über begrenzte Möglichkeiten, um sich auf dem Rechtsweg gegen die Bescheide zur Wehr zu setzen. Zwangsenteignungen wurden auch zur Schikanierung von Menschenrechtlern eingesetzt. Im Verstoß gegen eine richterliche Anordnung ließen die Behörden am 11. August ein Gebäude der Bürgerrechtlerin Leyla Yunus abreißen, in dem sich die Büros des Instituts für Frieden und Demokratie, der Aserbaidschanischen Kampagne zum Verbot von Landminen und des einzigen Schutzentrums für Frauen in Baku befanden. Yunus hatte sich wiederholt kritisch über die Abrisskampagne der Regierung geäußert.

Religionsfreiheit

Die Regierung verschärfte die Einschränkungen und Auflagen für Religionsgemeinschaften. Sie erhöhte die Bußgelder für unerlaubte religiöse Aktivitäten drastisch und verpflichtete alle religiösen Gruppen, Versammlungen im Voraus behördlich genehmigen zu lassen. Im Juni löste die Polizei ein privates Treffen von 40 Zeugen-Jehovas-Mitgliedern in Ganja auf. Einige Teilnehmer wurden bis zu zehn Stunden lang festgehalten und befragt. Gegen drei von ihnen wurden Bußgelder wegen Verstößen gegen die Bestimmungen für religiöse Zusammenkünfte verhängt. Am selben Tag führte die Polizei in der Baptistengemeinde von Sumgait eine Razzia durch und warnte ihren Vorsteher davor, Gottesdienste ohne staatliche Genehmigung abzuhalten. Die Zeugen-Jehovas-Gemeinde in Ganja hat seit Juni 2010 bereits zweimal erfolglos versucht, sich offiziell registrieren zu lassen. Im Dezember 2010 verbot die Regierung das Tragen von Kopftüchern in Schulen und Universitäten. Daraufhin brachen Tausende Frauen und Mädchen ihre Ausbildung ab. Im Oktober verurteilte ein Gericht fünf Personen wegen der Planung unangemeldeter Proteste und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt bei einer Demonstration im Mai zu Freiheitsstrafen von bis zu zweieinhalb Jahren. Im Januar 2011 verhafteten Beamte Movsum Samadov, den Vorsitzenden einer verbotenen islamischen Partei, nachdem auf YouTube eine Rede aufgetaucht war, in der Samadov den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev angriff. Im Oktober wurde Samadov des versuchten Staatsstreichs für schuldig befunden und zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Menschenrechtsverteidiger

Im August wurde Vidadi Isganderov, Leiter einer Menschenrechtsorganisation, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der fragwürdigen Anklage zufolge soll Isganderov die Parlamentswahlen im November 2010 gestört haben. Die Behörden erhoben ihre Anklage gegen Isganderov erst Monate nachdem dieser eine offizielle Beschwerde wegen Wahlbetrugs für den Bezirk seiner Kandidatur eingereicht hatte. Im April war Isganderov zudem zweimal wegen der Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen festgenommen worden. Mehrere Menschenrechtsanwälte begegneten politisch motivierten Disziplinar- und Strafmaßnahmen. Die Regierung behinderte zudem die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen. Im August entzog die Aserbaidschanische Anwaltskammer Khalid Bagirov, der die Familie des im Januar in Polizeigewahrsam getöteten Elvin Askerov vertreten hatte, nach einer Beschwerde des Polizeipräsidenten die Lizenz. Auch gegen den Rechtsanwalt Elchin Namazov gingen die Behörden mit einem Berufsverbot und strafrechtlichen Sanktionen vor. Im März ließ das Justizministerium das Aserbaidschanisches Menschenrechtshaus, ein Mitglied im Internationalen Menschenrechtshaus-Netzwerk, schließen. Die eingetragene Organisation war Anlaufstelle, Fortbildungs- und Tagungszentrum für lokale Gruppen. Ebenfalls im März verfügte das Ministerium gegenüber dem Nationalen Demokratic Institut (NDI), seine Arbeit in Aserbaidschan bis zur offiziellen Anerkennung einzustellen. Die Behörden haben die durch das NDI seit 2006 wiederholt gestellten Anträge regelmäßig abgelehnt. Das Justizministerium verweigerte auch dem Media Monitoring Institute, das seit 2009 bereits sechsmal eine behördliche Anerkennung beantragt hat, weiter die Registrierung. Im März räumten die Lokalbehörden und die Polizei von Ganja, der zweitgrößten Stadt in Aserbaidschan, ohne Begründung die Büros dreier Nichtregierungsorganisationen: des Regionalen Zentrums für Entwicklung und Demokratische Bildung, der NGO Demos und des Zentrums für Wahlbeobachtung und Demokratieforschung. Internationale Akteure Obwohl die Europäische Union, die USA und andere internationale und regionale Partner die Menschenrechtsbilanz der aserbaidschanischen Regierung kritisierten, knüpften sie ihre Zusammenarbeit nicht an konkrete Verbesserungen auf dem Gebiet der Menschenrechte. Die EU, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die US-Botschaft in Baku äußerten sich besorgt über die Festnahmen junger Demonstranten. Im Mai zeigte sich das Europaparlament in einer Resolution „tief besorgt über die wachsende Anzahl von Drohungen, Angriffen und Gewaltakten gegen Bürgerrechtler, Social-Media-Aktivisten und Journalisten in Aserbaidschan“. Im gleichen Monat veröffentlichte die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der EU-Kommission eine Erklärung, in der sie ihre Besorgnis über die Inhaftierungen von Jabbar Savalanli und Bakhtyar Hajiyev äußerte. Am 16. August kritisierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte den Abriss des Gebäudes von Leyla Yunus und rief die Regierung auf, ein sicheres Arbeitsumfeld für Menschenrechtler herzustellen. Die EU und die US-Vertretung bei der OSZE äußerten sich ebenfalls ablehnend über den Abriss. In seinen im September veröffentlichten Bericht zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan kritisierte der Menschenrechtkommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, das Versagen der Behörden beim Schutz der freien Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit.