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Thailand: Flüchtlingspolitik zu kurzfristig gedacht und unangemessen

Geschlossene Flüchtlingslager und Arbeitsverbot führen zu Stagnation und Misshandlung

(Bangkok) – Die thailändische Politik gegenüber Flüchtlingen im eigenen Land führt zu willkürlicher Behandlung und Menschenrechtsverletzungen, obwohl das Land bereits jahrzehntelange Erfahrungen als Aufnahmeort für Millionen von Menschen hat, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 143-seitige Bericht „Ad Hoc and Inadequate: Thailand’s Treatment of Refugees and Asylum Seekers” kommt zu dem Ergebnis, dass die thailändische Flüchtlingspolitik keine Gesetzesgrundlage hat und dazu führt, dass Flüchtlinge aller Nationalitäten ausgebeutet sowie unnötigerweise festgehalten und abgeschoben werden. Der Bericht konzentriert sich auf das Schicksal der burmesischen Flüchtlinge, der zurzeit größten Flüchtlingsgruppe in Thailand. Er untersucht sowohl die Behandlung und die Lebensbedingungen der burmesischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern an der thailändisch-burmesischen Grenze als auch außerhalb der Lager, wo sie nichtoffiziell als Flüchtlinge anerkannt werden. Der Bericht dokumentiert auch die Auswirkungen der politischen Entwicklungen in Burma auf eine mögliche Rückkehr und die Hindernissen für eine Lösung der verfahrenen Flüchtlingssituation.

„Thailand stellt die burmesischen Flüchtlinge vor die unfaire Wahl, entweder jahrelang in abgeschiedenen Flüchtlingslagern zu leben oder außerhalb der Lager zu leben und zu arbeiten, ohne vor Verhaftung und Abschiebung geschützt zu sein“, so Bill Frelick, Direktor des Flüchtlingsprogramms von Human Rights Watch und Mitverfasser des Berichts. „Flüchtlinge aus anderen Ländern werden kaum toleriert, und die thailändischen Behörden verhaften sie manchmal und halten sie für unbestimmte Zeit fest.“

Thailand hat die Flüchtlingskonvention von 1951 nicht ratifiziert und besitzt weder ein Flüchtlingsgesetz noch ein funktionierendes Asylverfahren. Es betrachtet Flüchtlinge aller Nationalitäten, die außerhalb der vorgesehenen Flüchtlingslager für Burmesen leben, als illegal im Land.

Die thailändische Regierung hat nur rund 60 Prozent der 140.000 Menschen in den neun Flüchtlingslagern entlang der burmesischen Grenze als Flüchtlinge registriert. Sie bietet den Registrierten minimalen Schutz, solange sie sich im Lager aufhalten. Seit Mitte 2006 hat die Regierung jedoch kaum mehrneue Flüchtlingeoffiziell in die Lager aufgenommen, so dass dort noch 40 Prozent der Bewohner nicht registriert und deshalb besonders gefährdet sind.

Die Burmesen außerhalb der Flüchtlingslager laufen Gefahr, festgenommen und sofort abgeschoben zu werden, es sei denn sie präsentieren sich nicht als Flüchtlinge, sondern als Arbeitsmigranten. Dafür müssen sie jedoch einen teuren, schwierigen und oft von Korruption geprägten Prozess durchlaufen, um einen Status als Arbeitsmigrant zu erhalten. Rechtlich anerkannte Arbeitsmigranten erhalten ein zweijähriges Visum, das einmal erneuert werden kann, und müssen anschließend in ihre Heimatländer zurückkehren. Die Pflcht zur Rückkehr hält die Flüchtlinge in der Praxis davon ab, diesen Status zu beantragen.

„Thailand soll allen Asylsuchenden eine faire Chance geben, ihren Fall darzulegen, und soll allen Flüchtlingen erlauben, sich frei zu bewegen und zu arbeiten“, so Frelick. „Dadurch könnten Flüchtlingen neue Fähigkeiten erlernen und das Risiko der Ausbeutung würde sinken, während sie zugleich einen Beitrag zu Thailands Wirtschaftsentwicklung leisten.“

Thailand erlaubt dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) nicht, Prüfungsverfahren für Asylsuchende aus Burma, Laos oder Nordkorea durchzuführen. Das UNHCR darf sogenannte „Persons of Concern“-Zertifikate für andere Flüchtlinge ausstellen, aber diese Zertifikate stellen keine Arbeitserlaubnis dar und bieten nur wenig Schutz, wenn die Polizei Kontrollen auf der Straße oder in Häusern durchführt.

Die jüngsten Entwicklungen in Burma könnten Auswirkungen auf die thailändische Flüchtlingspolitik haben. Nach Jahrzehnten bewaffneter ethnischer Konflikte und Unterdrückung wecken die jüngsten Veränderungen – einschließlich der Unterzeichnung eines vorläufigen Waffenstillstandsabkommens zwischen der burmesischen Regierung und nahezu allen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen – die Hoffnung, dass die burmesischen Flüchtlinge in den thailändischen Camps bald nach Hause zurückkehren können. Doch es bestehen noch große Hindernisse, wie instabile politische Verhältnisse, Landminen und Burmas Weigerung, dem UNHCR die Arbeit auf der burmesischen Seite der Grenze zu erlauben.

„Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass Thailand abwartet, wie sich die Situation in Burma entwickelt,und nicht auf eine überhastete Rückkehr der burmesischen Flüchtlinge drängt“, so Frelick. „Daher ist jetzt ein guter Moment für die thailändischen Beamten, kreativ und strategisch darüber nachzudenken, wie man die Flüchtlinge am besten auf eine mögliche sichere Heimkehr und Wiedereingliederung in Burma vorbereitet.“

Thailands Politik, die Bewegungsfreiheit der burmesischen Flüchtlinge in den Lagern einzuschränken und ihnen das Arbeiten zu verbieten, hat zu einer sozialen Destabilisierung geführt. Die Richtlinie verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Flüchtlinge gut auf die Reintegration in ihren Dörfern vorbereitet sind, falls sie tatsächlich zurückkehren sollten. Die meisten Flüchtlingslager befinden sich in abgelegenen und isolierten Bergregionen, die nur über Feldwege zu erreichen sind. Einige sind überfüllt und grundlegende Hilfsangebote wie Essen und Unterkunft sind zurückgegangen, da die Geldgeber ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf Programme innerhalb Burmas gerichtet haben.

Die Isolation hat zu Machtmissbrauch und Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen geführt, auch bei thailändischen Beamten, die eigentlich die Aufgabe haben, die Flüchtlinge zu beschützen. Angst, Unsicherheit und ein Gefühl der Machtlosigkeit tragen zu einer schicksalsergebenen Einstellung unter den Flüchtlingen bei, wenn es darum geht, ob sie sich an die Polizei oder andere Sicherheitsbeamte wenden können, um ihre Rechte einzufordern.

„Wir befinden uns auf thailändischem Boden, deshalb müssen wir uns unterwürfig verhalten“, sagt einer. „Wir können uns nicht beschweren, und wir müssen geduldig und passiv sein. Wenn wir uns zu viel beschweren, werden sie die Schlingen um uns enger schnallen.“

Viele der besser gebildeten und höher qualifizierten Flüchtlinge in den Lagern – darunter viele Lehrer und Gesundheitsfachkräfte – sind in andere Länder umgesiedelt, sodass nun eine Lagerbevölkerung zurückgeblieben ist, die weniger soziale Unterstützung und geringere Qualifikationen hat. Nach so vielen Jahren der eingschränkten Bewegungsfreiheit und der Abhängigkeithaben nun viele Lagerbewohner mit häuslicher Gewalt, Depressionen sowie anderen sozialen und psychischen Problemen zu kämpfen.

Nach thailändischen Gesetzen wird der Flüchtlingsstatus nicht auf Burmesen außerhalb der Flüchtlingslager angewandt. Die Behörden betrachten Flüchtlinge, die die Lager verlassen, als illegale Einwanderer, welche mit Inhaftierung rechnen müssen. Die thailändische Polizei, Soldaten oder Paramilitärs, die Camp-Bewohner außerhalb des Lagers antreffen, schicken diese zurück, oftmals nachdem sie Zwangsarbeit oder Bestechungsgelder eingefordert haben. In anderen Fällen schicken sie die Flüchtlinge in eines von Thailands Gefangenenlagern für illegale Immigranten, von denen aus sie nach Burma abgeschoben werden.

Einige Flüchtlinge berichteten Human Rights Watch, dass die thailändischen Behörden sie körperlich misshandelt hätten, nachdem sie außerhalb des Lagers angetroffen wurden. Ein 33 Jahre alter Karen, der im Mae La Lager lebt, berichtete über das Verhalten der Polizei nach seiner Verhaftung im Mai 2008: „Sie fragten mich nach Geld... Ich sagte, ‚Ich habe kein Geld.’ Dann begann einer, mich hier zu schlagen und dann zweimal hier hinten [an Rücken und Schultern], und dann traten sie mich einmal... Sie fingen an, unsere Tasche nach Geld zu durchsuchen. Sie fragten uns nach 2000 Baht [US$64], und so viel Geld hatten wir nicht. Dann schaute er in meine Tasche, sah meine Ausweiskarte vom UNHCR und nahm sie mir weg.“

Thailand soll mit dem UNHCR zusammenarbeiten, um ein faires und transparentes Überprüfungs- und Registrierungsverfahren für die 40 Prozent der Campbewohner zu entwickeln, die noch nicht erfasst sind. Die Regierung soll sich mit Flüchtlingsvertretern, Nichtregierungsorganisationen, dem UNHCR und Geldgebern absprechen, um einen geordneten Übergang zu einem offenen Lager-Modell zu ermöglichen. Dadurch soll den Flüchtlingen die Möglichkeit gegeben werden, selbstständig zu leben, und sie sollen auf die Wiedereingliederung in Burma vorbereitet werden, sobald sie ohne Gefahren zurückkehren können.

Einige Geber, insbesondere asu Europa, haben schon damit begonnen, ihre Hilfe auf eine sogenannte „Existenzgrundlagen-Strategie“ umzustellen, die den Flüchtlingen hilft, Fähigkeiten zum Leben und Arbeiten außerhalb der Lager zu erlernen. Solch ein Ansatz wird nur funktionieren, wenn die Flüchtlinge die Camps zum Arbeiten verlassen dürfen.

„Die thailändischen Behörden sollen sicherstellen, dass alle Flüchtlinge, auch in den Camps, uneingeschränkten Zugang zum thailändischen Rechtssystem haben. Zudem sollen die Polizei und andere Beamte, die Flüchtlinge erpressen und misshandeln, entsprechend bestraft werden“, so Frelick. „Eine Politik, die die Flüchtlinge bei Entscheidungen über ihre Zukunft mit einbezieht und auf die Entwicklung ihrer Fähigkeiten ausgerichtet ist, wird Thailand nicht nur kurzfristig zugute kommen. Dies wird auch den Weg frei machen für eine freiwillige und erfolgreiche Rückkehr der Flüchtlinge, was nach ihrer erfolgreichen Wiedereingliederung ein großes Wohlwollen gegenüber Thailand auslösen wird.“

Wenn Burmesen außerhalb der Lager festgenommen werden, verbringen sie in der Regel nur einige Tage bis eine Woche in Hafteinrichtungen für Migranten, bevor sie zurückgeführt oder freigelassen werden. Jedoch verwenden thailändische Behörden nur selten Regierungsgelder,um die Flüchtlinge in Länder abzuschieben, die nicht an Thailand angrenzen, sodass sie solange festgehalten werden, bis ihre Verwandten Flugtickets bereitstellen. Migranten ohne finanzielle Mittel oder Flüchtlinge, die sich aufgrund einer drohenden Verfolgung weigern, in ihr Heimatland zurückzukehren, können lange Zeit - manchmal Jahre - in diesen Hafteinrichtungen verbringen, obwohl sie nicht für Langzeithäftlinge bestimmt sind.

Ein nepalesischer Flüchtling berichtete Human Rights Watch, dass er trotz seiner Anerkennung als Flüchtling durch den UNHCR schon seit drei Jahren und neun Monaten inhaftiert ist: „Die Bibel spricht von der Hölle. Dies ist ein Teil der Hölle... Ich teile mir mit 80 Leuten den Raum, manchmal 150, es gibt drei Toiletten. Immer gibt es irgendwelche Probleme... Wenn du dich nicht an die Regeln hälst, bekommst du Handschellen angelegt, eine Woche, zwei Wochen... Wir haben kein Telefon... um Informationen von draußen zu bekommen.“

Die thailändische Regierung soll die Flüchtlingskonvention von 1951 sowie ihr Protokoll von 1967 ratifizieren und Flüchtlingsgesetze verabschieden, um die Vorgaben der Konvention zu erfüllen und ein faires Asylverfahren einzuführen. Thailand soll den Flüchtlingsstatus auf Personen aller Nationalitäten mit den gleichen Kriterien anwenden, im Einklang mit der internationalen Flüchtlingsdefinition, einschließlich des Schutzes für Menschen, die vor einem Konflikt fliehen. Außerdem soll Thailand mit sofortiger Wirkung Flüchtlinge freilassen, die vom UNHCR anerkannt sind. Zudem sollen sie nicht unbegrenzt festgehalten und ihre Familien gezwungen werden, für ihre Abschiebung zu zahlen.

Internationale Organisationen und Geberländer sollen weiterhin Nahrung und andere humanitäre Hilfe für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, oder die Hilfe für eine Übergangsperiode benötigen. Die thailändischen Behörden sollen auch umgehend sicherstellen, dass alle Flüchtlinge, auch in den Camps, uneingeschränkten Zugang zum thailändischen Rechtssystem bekommen, und dass die Polizei und andere Sicherheitsbeamte, die Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten erpressen und misshandeln, entsprechend diszipliniert oder bestraft werden.

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