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(New York, 8. Juli 2009) - Die iranischen Behörden machen von langwierigen, harschen Verhörmethoden, Schlägen, Schlafentzug und Folterdrohungen Gebrauch, um den seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 12. Juni Inhaftierten falsche Geständnisse abzuringen, so Human Rights Watch. Diese Schuldbekenntnisse sollen offenbar die haltlosen Behauptungen hochrangiger Regierungsbeamter stützen, wonach die Proteste nach den Wahlen im Iran, bei denen mindestens 20 Menschen getötet wurden, von ausländischen Regierungen unterstützt wurden und darauf abzielten, die Regierung zu stürzen.

„Die iranische Regierung will die brutalen Übergriffe auf friedliche Demonstranten unbedingt rechtfertigen", so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Sind Geständnisse über eine Verschwörung des Auslands, die aus den Inhaftierten heraus geprügelt werden, dafür nicht die beste Entschuldigung?"

Human Rights Watch hat Berichte von Inhaftierten nach deren Freilassung gesammelt, die veranschaulichen, wie die Behörden die Gefangenen bewusst misshandeln und bedrohen, damit sie ein falsches Geständnis ablegen.

Ein 17-jähriger Junge, der am 27. Juni verhaftet und am 1. Juli wieder freigelassen wurde, berichtete Human Rights Watch, wie der Vernehmungsbeamte im Gefängnis ihn und andere dazu gezwungen hat, ein Blankogeständnis zu unterschreiben:

„Am ersten Tag brachte mich der Vernehmungsbeamte in ein Parkhaus, meine Augen waren verbunden. Wir mussten 48 Stunden lang im Stehen verharren und durften nicht schlafen. In der ersten Nacht fesselten sie uns die Hände und schlugen uns und andere Gefangene mehrmals mit Schlagstöcken. Ständig beschimpften sie die Gefangenen. Es herrschte eine sehr beängstigende Atmosphäre. Alle hatten sich vor lauter Angst und Stress eingenässt. Kinder mit gerade einmal 15 Jahren und Männer mit 70 Jahren befanden sich dort. Sie flehten um Erbarmen, aber die Wärter blieben gleichgültig.

Nach zwei Tagen Verhör mit verbundenen Augen wollten sie alles wissen: wo wir studiert hatten, was unsere Eltern machen, wen wir gewählt haben, welche Familienangehörigen studiert haben, ob jemand aus der Familie beim Militär ist. Wir wurden gezwungen, alle Namen zu nennen. Die Situation war beängstigend, weil sie uns drohten und äußerst harsch mit uns umgingen. Das einzige, was wir hören konnten, war das Weinen und Schreien der anderen.

Einmal bekamen wir ein großes Stück Brot, aber kein Wasser. Am letzten Tag nahmen sie uns die Augenbinde ab und zwangen uns, ein leeres Stück Papier zu unterschreiben, auf dem lediglich am Ende stand: ‚Ich stimme allen obengenannten Aussagen zu'".

Leitenden iranischen Beamten zufolge hätten Inhaftierte ihre Beteiligung an einer Verschwörung des Auslands gestanden, deren Ziel es gewesen sei, die Regierung durch eine „samtene" Revolution zu stürzen. Mojtaba Zolnour, Stellvertreter des geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei bei den Revolutionsgarden, sagte am 2. Juli, dass alle prominenten Inhaftierten bis auf einen gestanden hätten. Ayatollah Ahmad Jannati, ein hochrangiges Mitglied des Wächterrats, sagte in seinem Freitagsgebet am 3. Juli, dass die Regierung Geständnisse von Inhaftierten veröffentlichen würde.

Die staatlichen Medien haben die Schuldbekenntnisse einiger Inhaftierter bereits ausgestrahlt. Amir Hossein Mahdavi, Redakteur bei der reformorientierten Zeitung Andishe No, gab am 27. Juni im iranischen Fernsehen zu, dass reformorientierte Gruppen geplant hätten, vor den Wahlen am 12. Juni für Unruhen zu sorgen. Freunde von Mahdavi, die dieses Geständnis gesehen haben, berichteten Human Rights Watch, dass sein Auftreten deutlich gezeigt habe, dass er zu dem Geständnis gezwungen wurde.

Zu den Inhaftierten, die in letzter Zeit dazu gezwungen wurden, im iranischen Fernsehen auszusagen, gehört Maziar Bahari, Korrespondent der Newsweek im Iran. Er wurde am 21. Juni verhaftet und soll im Evin-Gefängnis in Teheran festgehalten werden. Human Rights Watch hatte bereits über Fälle von Folter und Misshandlung von Inhaftierten in diesem Gefängnis berichtet. Bahari, der sowohl die iranische wie auch die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, durfte weder mit einem Anwalt sprechen noch seine Mutter sehen, bei der er normalerweise wohnt. Bisher wurde keine Anklage gegen ihn erhoben.

Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars berichtete am 30. Juni, Bahari hätte auf einer Pressekonferenz die Bestrebungen der westlichen Medien verurteilt, einen Aufstand ähnlich der „Samtenen Revolution" in der Tschechoslowakei im Jahr 1989 im Iran zu initiieren, und zugegeben, dass er über diese „illegalen Demonstrationen" berichten sollte. Newsweek hat Baharis Unschuld energisch verteidigt und seine sofortige Freilassung gefordert.

Vajiheh Marsousi, die Ehefrau des Regimekritikers und Intellektuellen Saeed Hajjarian, den die Behören am 15. Juni verhafteten, glaubt, dass ihr Mann stark unter Druck gesetzt wird, um ein falsches Geständnis zu unterzeichnen. Nachdem sie ihn im Evin-Gefängnis besucht hat, befürchtet sie, dass sein Leben aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands und fehlender medizinischer Versorgung im Gefängnis in Gefahr ist.

Informationen über die Misshandlung iranischer Gefangener in Untersuchungshaft kommen weiter an die Öffentlichkeit. Ein Augenzeuge, der sich am 1. Juli vor dem Islamischen Revolutionsgericht einfand, berichtete Human Rights Watch:

„Hunderte Familienangehörige der Gefangenen hatten sich vor dem Eingang des Gerichts versammelt. An der Mauer hing ein Zettel mit den Namen von 1.349 Gefangenen, die das Gericht demnächst aus der Haft entlassen würde. Es gab noch einen anderen Zettel mit 223 weiteren Namen. Darauf hieß es, dass die Behörden im Fall der auf der Liste genannten Personen noch Ermittlungen anstellen und die Familienangehörigen in einigen Wochen wiederkommen sollen. In den wenigen Stunden, die ich vor dem Gericht verbrachte, habe ich gesehen, wie etliche Gefangene freigelassen wurden. Fast alle hatten Blutergüsse im Gesicht und an den Händen. Einige der Angehörigen weinten, als sie ihre Töchter und Söhne in diesem schlimmen Zustand sahen, andere wiederum meinten, dass ihre Töchter und Söhne verschollen seien, ihre Namen aber nicht auf der Liste stünden."

Während des scharfen Vorgehens im ganzen Land, das darauf abzielte, die Massenproteste auf den Straßen zu beenden, haben die Behörden tausende von Menschen festgenommen. Die Proteste begannen am 13. Juni in Teheran und anderen Städten, nachdem den offiziellen Wahlergebnissen vom 12. Juni zufolge der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad einen überwältigenden Sieg davongetragen hatte. Die Behörden ließen zwar viele Inhaftierte anschließend wieder frei, haben aber weitere Festnahmen angeordnet. Human Rights Watch hat die Namen von 450 Personen gesammelt, die seit dem 13. Juni von Sicherheitskräften festgenommen wurden. Unter ihnen befinden sich auch mehr als hundert politische Akteure, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Akademiker und Anwälte.

Viele der bekanntesten Inhaftierten befinden sich nunmehr seit bis zu drei Wochen in Isolationshaft. Sie haben keinen Zugang zu Anwälten oder Familienangehörigen, was Anlass zu ernster Besorgnis gibt, da sie wahrscheinlich misshandelt und zu falschen Schuldbekenntnissen gezwungen werden.

Die iranische Regierung hat politische Gefangene früher häufig auf unterschiedliche Weise unter Druck gesetzt, durch Schläge, Schlafentzug, Isolationshaft, Folter und Folterdrohungen, um Geständnisse zu erzwingen. Sie wurden dann publik gemacht, um Kritik an der Regierung zu diskreditieren und unter Strafe zu stellen.

Aufgrund dieser Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit zeigten sich Verwandte, Freunde und Kollegen etlicher prominenter Inhaftierter, die von Human Rights Watch kontaktiert wurden, besorgt über deren mutmaßliche Misshandlung in Haft und der Wahrscheinlichkeit, dass sie gezwungen werden, ein falsches Geständnis abzulegen.

Die Misshandlung von Inhaftierten, einschließlich erzwungener „Geständnisse", ist gemäß internationaler Menschenrechtsstandards eindeutig verboten. Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, der vom Iran ratifiziert wurde, besagt, dass jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte Anspruch auf „einen Verteidiger seiner Wahl" hat und „nicht gezwungen werden [darf], gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen". Grundsatz 21 des UN-Grundsatzkatalogs für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen besagt, dass „der Inhaftierte [...] während seiner Vernehmung keinen Gewalttätigkeiten, Drohungen oder Vernehmungsmethoden unterworfen werden [darf], die seine Entscheidungs- oder Urteilsfähigkeit beeinträchtigen". Sämtliche Beweise, auch Geständnisse, die durch Folter oder andere Misshandlung erreicht wurden, sind gemäß internationaler Menschenrechtsstandards grundsätzlich nicht zulässig.

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