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Die schwer bedrängte Condoleezza Rice hätte an jenem Dezembertag wenigstens einen einzigen Stich machen können, wenn sie ihre Zuhörer in Europa darauf hingewiesen hätte, dass die Idee der „diplomatischen Versicherungen“ gegen Folter ursprünglich aus Europa stammte. Die Vereinigten Staaten übernahmen sie erst später, um sie für die Zwecke der Terrorbekämpfung weiter zu entwickeln. Nachdem dann nach 2001 die Vereinigten Staaten diese Formel übernahmen, um Gefangenenverlegungen zu rechtfertigen, gehören die diplomatischen Versicherungen heute wiederum zum Alltag einer Anzahl europäischer Staaten, die mutmaßliche Terroristen außer Landes schaffen wollen – und zwar um jeden Preis. Aber der Preis ist hoch: Gefangene, die aufgrund solcher leerer Versprechungen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wurden, sind gefoltert worden. Die Bräuche der Diplomatie, die Eigenlogik der Folter und die Unmöglichkeit, diplomatische Versicherungen tatsächlich durchzusetzen, laden insgesamt geradezu zum Missbrauch ein. Zahlreiche internationale Experten lehnen die Verwendung diplomatischer Versicherungen ab. Zu ihnen zählt auch Louise Arbour, die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Sie hat erklärt, diplomatische Versicherungen funktionierten nicht, verhinderten keine Folter und sollten nicht verwendet werden. Warum also werden sie von europäischen Regierungen ebenso wie von den Vereinigten Staaten und von Kanada noch immer befürwortet?

Die Dynamik der Folter und die „Kunst der Diplomatie“ Paradoxerweise begann der Gebrauch der „diplomatischen Versicherungen“ als ernsthafter Versuch europäischer Regierungen, das grundlegendste aller Rechte zu schützen: das Recht auf Leben. Regierungen von Staaten, die die Todesstrafe verbieten, fordern vor Gefangenenauslieferungen in Länder, die die Todesstrafe zulassen, seit langem Garantien gegen die Verurteilung zum Tode. Das Völkerrecht verbietet die Todesstrafe nicht, aber in den meisten Ländern Europas ist sie verboten. Die Vereinten Nationen sowie alle großen zwischenstaatlichen Organisationen und zivilgesellschaftliche Menschenrechtsgruppen verurteilen diese Praxis ebenfalls. Die Geschichte dieser Versicherungen gegen die Todesstrafe reicht zurück bis ins frühe 20. Jahrhundert. Portugal hatte die Todesstrafe bereits im Jahr 1867 abgeschafft und verlangte fortan das Versprechen, dass diese Strafe nicht angewandt werden würde, wenn es eine Person in die Vereinigten Staaten auslieferte. Diese Praxis wurde immer gebräuchlicher. 1990 schließlich erlaubte ein von den Vereinten Nationen entworfener Musterauslieferungsvertrag den Staaten, die Auslieferung einer Person an einen Todesstrafenstaat zu verweigern, „es sei denn, dieser Staat gibt Versicherungen, die den zur Auslieferung aufgeforderten Staat ausreichend davon überzeugen, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder, sofern sie verhängt wird, nicht vollstreckt wird“ 2. Heute finden sich Formulierungen dieser Art in vielen Auslieferungsverträgen mit den Vereinigten Staaten. Sie werden üblicherweise als erforderlich angesehen, um das reibungslose Funktionieren der internationalen Zusammenarbeit in Strafrechtsfällen zu gewährleisten. Als Folge dieser „Keine Todesstrafe“-Versicherungen haben die Garantien eine gewisse Legitimität als bilaterale Abkommen gewonnen, die tatsächlich Menschenrechte schützen können. Viele Regierungen und selbst einige hoch angesehene Menschenrechtsexperten aus der Wissenschaft fragen, warum diplomatische Versicherungen nicht auch angewendet werden können, um eine Person vor dem physischen und psychologischen Missbrauch durch Folter zu schützen. Solche Fragen verraten allerdings ein beklagenswertes Unverständnis für die Dynamik der Folter und die „Kunst“ der Diplomatie. Versicherungen gegen Folter entstanden in den neunziger Jahren in einer Atmosphäre, die der schwedische Rechtsexperte Gregor Noll das „Schweigen des Völkerrechts“ nennt. Das Völkerrecht sagt nämlich absolut nichts darüber aus, wie rechtmäßig es ist, wenn sich zwei Staaten darauf einigen, dass einer von ihnen eine verdächtige Person ausliefert, sofern der andere verspricht, diese Person nicht zu foltern. 3 Alles, was das Völkerrecht insoweit zu den Menschenrechten besagt, ist, dass es rechtswidrig ist, eine Person an einen Ort auszuliefern, an dem sie gefoltert werden könnte. Ferner steht fest, dass das Folterverbot absolut ist; es gibt keine Ausnahmen, ganz gleich, was eine Person getan hat oder welcher Taten sie beschuldigt wird. Zur außerordentlichen Verärgerung vieler Regierungen gilt das auch noch nach dem 11. September 2001 und ebenso für Terroristen sowie andere Personen, die vermeintlich oder tatsächlich die nationale Sicherheit bedrohen.

Die Regierungen haben vom „Schweigen“ des Rechts profitiert, indem sie das Regime der diplomatischen Versicherungen auf die Folter angewendet haben, ohne den grundlegenden Unterschied einzuräumen, der zwischen der Logik der Todesstrafe und der Logik der Folter besteht. Wie abstoßend sie den meisten Menschenrechtsverteidigern auch erscheinen mag: Die Todesstrafe ist eine rechtliche Sanktion, eine Strafe, die nach einem mutmaßlich fairen Verfahren ausgesprochen wird, dem oft verschiedene Berufungsmöglichkeiten folgen, sofern solche Fairness nicht gewährleistet war. Hinrichtungen werden im Voraus angekündigt, was es dem ausliefernden Staat ermöglicht, Protest einzulegen und die Exekution zu verhindern. In drastischem Gegensatz dazu ist die Folter immer verboten. Sie ist eine brutale und kriminelle Tat, die üblicherweise im Verborgenen ausgeführt wird. Wird ein Fall von Folter aufgedeckt, folgt normalerweise das heftige Leugnen der Täter. Wenn ein Staat verspricht, die Todesstrafe nicht anzuwenden, und dann doch einen Menschen hinrichtet, ist es vergleichsweise einfach festzustellen, dass er sein Versprechen gebrochen hat. Es ist zudem viel einfacher, Versprechen hinsichtlich der Todesstrafe zu überprüfen und gegen mögliche Zuwiderhandlungen zu protestieren, bevor eine Hinrichtung stattfindet. Dem Washingtoner Death Penalty Information Center zufolge haben die Vereinigten Staaten noch niemals einen Menschen hingerichtet, nachdem sie einem anderen Staat formell versprochen hatten, dies nicht zu tun. Das macht die Behauptung glaubwürdig, dass auf solche Versprechen Verlass ist. In Fällen hingegen, in denen diplomatische Versicherungen gegen Folter gegeben wer- den, riskieren Staaten, die Verdächtige an andere Staaten ausliefern, dass sie einen Bruch solcher Versprechen nicht überprüfen können. Und wenn die betreffende Person doch gefoltert wird, werden sie angesichts der üblichen Geheimhaltung allenfalls später davon erfahren. Eine Entscheidung des kanadischen höchsten Gerichts aus dem Jahr 2002 fasst die grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Arten von Garantien so zusammen: „Eine Unterscheidung kann getroffen werden zwischen der Versicherung eines Staates, die Todesstrafe (aufgrund eines gerichtlichen Verfahrens) nicht anzuwenden, und der Versicherung eines Staates, nicht zum Mittel der Folter (einer illegalen Handlung) zu greifen. Wir möchten auf die Schwierigkeit hinweisen, sich zu sehr auf Versicherungen eines Staates zu verlassen, er werde in Zukunft auf Folter verzichten, wenn dieser Staat in der Vergangenheit selbst Folter vorgenommen oder dies anderen auf seinem Territorium erlaubt hat. Die Schwierigkeit wird in Fällen akut, in denen Folter nicht nur mit dem Einverständnis dieses Staates angewandt wird, sondern aufgrund dessen Unfähigkeit, das Verhalten seines eigenen Personals zu überwachen. Daher muss zwischen Versicherungen hinsichtlich der Todesstrafe und Versicherungen bezüglich Folter unterschieden werden. Erstere sind leichter zu kontrollieren und grundsätzlich verlässlicher als Letztere.“

Eine Google-Suche nach den Schlüsselbegriffen „diplomatic assurances and torture“ („Diplomatische Versicherungen und Folter“) ergab Ende 2003 nur ganz wenige Treffer – so wenige, dass die Mitarbeiter von Human Rights Watch überzeugt waren, bei den Fällen, von denen sie gehört hatten, müsse es sich um Ausnahmen handeln. Nach ausgiebigen Recherchen steht jetzt fest, dass zu den Ländern, die (in manchen Fällen schon seit 1995 / 1996) um solche diplomatischen Versicherungen nachgesucht haben, die folgenden gehören: Österreich, Kanada, Georgien, Deutschland, Kirgisistan, die Niederlande, Norwegen, Russland, Schweden, die Schweiz, die Türkei, die Ukraine, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Die tatsächliche Zahl der Fälle, in denen diese Vereinbarungen eine Rolle spielen, ist seit Nine- Eleven exponentiell gestiegen, besonders wenn man Condoleezza Rices Behauptung in Rechnung stellt, dass sämtliche Überstellungen, bei denen das Risiko der Folter bestehe, mit diplomatischen Versicherungen durchgeführt würden. Heute fördert eine Google-Suche mit den gleichen Schlüsselbegriffen über eine Viertelmillion Treffer zutage. Die ersten Schritte in die Welt der „Versicherungen gegen Folter“ tat Großbritannien, das hinsichtlich der Förderung dieses Verfahrens in Europa auch weiterhin ganz vorne liegt. Einer der ersten bekannten Fälle betrifft jenen von Karamjit Singh Chahal, einem Sikhaktivisten, der zur Bedrohung für die nationale Sicherheit erklärt wurde und 1990 deportiert werden sollte. Der Fall führte zu umfangreichem verfahrenstechnischen Gezerre einschließlich der Verweigerung politischen Asyls. Schließlich ordnete Großbritannien 1995 endgültig die Ausweisung des Mannes an. Sorgen um dessen Sicherheit nach der Rückkehr traten die Behörden entgegen, indem sie zwei verschiedene diplomatische Versicherungen der indischen Regierung vorlegten. Im Jahr 1992 und nochmals 1995 reagierte die indische Regierung auf die Bitte der britischen Regierung um Versicherungen gegen Folter und schlechte Behandlung mit dieser eindrucksvollen Demarche: „Wir haben Ihre Anfrage zur Kenntnis genommen, eine formelle Versicherung darüber zu erhalten, dass Herr Karamjit Singh Chahal, sofern er nach Indien deportiert würde, denselben Rechtsschutz wie jeder andere indische Bürger genieße und keinen Grund habe, irgendeine schlechte Behandlung vonseiten der indischen Behörden zu erwarten. Ich [Vertreter der Regierung von Indien] habe die Ehre, Obenstehendes zu bestätigen.“

Die britische Regierung erklärte, dass Chahals hohe Bekanntheit in Großbritannien und Indien ihm eine faire Behandlung sichern würde (eine Behauptung, auf die die britische Regierung und andere Regierungen noch immer gerne zurückgreifen). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof jedoch glaubte nicht an die britische Verteidigung diplomatischer Versicherungen mit dem Argument, alle Augen seien auf den Ausgelieferten gerichtet. Es entschied 1996, dass Chahal in Indien einer besonderen Gefahr ausgesetzt sei, gefoltert zu werden: In Großbritannien sei der Auszuliefernde öffentlich als „Terrorist“ gebrandmarkt worden, und die indische Regierung übe keine Kontrolle über ihre brutalen Sicherheitskräfte im Punjab aus: „Die Verletzung von Menschenrechten durch bestimmte Mitglieder der Sicherheitskräfte im Punjab ist ein fortdauerndes und hartnäckiges Problem … Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass die oben genannten Versicherungen Herrn Chahal mit einer angemessenen Sicherheitsgarantie ausstatten würden … Der Gerichtshof gelangt ferner zu der Einschätzung, dass die hohe Bekanntheit des Antragstellers dessen Risiko eher erhöhen als mindern wird … Die [britische] Regierung hat schwere, jedoch unbewiesene Vorwürfe hinsichtlich seiner Beteiligung an terroristischer Aktivität vorgebracht, die den indischen Behörden zweifellos bekannt sind. Der Julia Hall ist Rechtsanwältin und arbeitet als Senior Researcher in der Abteilung Europa und Zentralasien der Organisation Human Rights Watch Verabredung zur Folter Gerichtshof ist der Auffassung, dass er aufgrund dieser Faktoren wahrscheinlich ein Objekt des Interesses für rigide Elemente innerhalb der Sicherheitskräfte sein wird, die bereits in der Vergangenheit der Militanz verdächtige Sikhs gnadenlos verfolgt haben.“6 Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof erkannte damit implizit den Zwiespalt zwischen der Antwort an, die Diplomaten auf der Makroebene für eine geeignete Lösung Das Instrument der diplomatischen Versicherung ist nur ein Feigenblatt. Vor Folter schützt es die „verbrachten“ Verschleppten nicht des „Chahal-Problems“ hielten, und der Wirklichkeit in Indien. Jüngere Fälle illustrieren, wie die Grenzen der Diplomatie den Interessen des Staates dienen, nicht aber jenen der Person, um deren Schutz es gehen soll.

Chahal hatte Glück. Er wurde nicht nach Indien zurückgeschickt. Ahmed Agiza und Mohammed al-Zari, ägyptischen Staatsbürgern, die in Schweden Asyl beantragt hatten, erging es weniger gut. Am Nachmittag des 18. Dezember 2001 wurden beide Männer gleichzeitig von der schwedischen Polizei verhaftet und geschlagen. Ihnen wurde die Gelegenheit verweigert, Kontakt zu ihren Rechtsanwälten aufzunehmen. Man fuhr sie zum Flughafen Bromma außerhalb von Stockholm, wo sie vermummten Agenten der CIA übergeben wurden. Die CIA-Männer schnitten den Männern die Kleidung vom Leib, verbanden ihnen die Augen und setzten sie (mittels der Einführung von Zäpfchen) unter Drogen. Dann wurden Agiza und al-Zari an Bord eines von der amerikanischen Regierung geleasten Gulfstream- Jets gebracht und nach Kairo geflogen. Diese Einzelheiten blieben zwei Jahre lang unbekannt, bis die schwedische Fernsehsendung Kalla Fakta sie im Mai 2004 nach einer genauen Recherche öffentlich machte. Im Gefolge der Ausstrahlung kam eine Reihe von Vertuschungsmaßnahmen im Fall der beiden Männer ans Tageslicht. Diese deuteten auf die direkte Verstrickung der schwedischen Regierung in das Überstellungsprogramm der Vereinigten Staaten hin. Klar wurde dabei, dass das Instrument der diplomatischen Versicherung nur ein Feigenblatt ist, hinter dem sich Folter verbergen kann. Als die Rechtsanwälte von Agiza und al-Zari sowie schwedische Menschenrechtsgruppen die Regierung über die plötzliche Abreise der Männer befragten (Agizas Frau und seine fünf Kinder blieben in Schweden), leugnete die Regierung jegliche Beteiligung anderer Kräfte an der „Ausweisung“ der beiden. Sie behauptete, für die Rückkehr der Männer nach Kairo um Versicherungen der Ägypter gegen Todesstrafe, Folter und unfaire Verfahren nachgesucht zu haben. Ebenfalls versprach die schwedische Regierung, die Behandlung der Männer in Ägypten zu beobachten, aber diese wurden zunächst fünf Wochen lang in Isolationshaft gehalten, ohne dass irgendein Mitarbeiter der schwedischen Botschaft Kontakt zu ihnen aufnehmen konnte. In einem Fernsehinterview wurde der ehemalige schwedische Botschafter in Ägypten, Sven Linder, gefragt, warum er fünf Wochen verstreichen ließ, bevor er die beiden Ägypter besuchte. Linder gab sich verblüfft über die Frage: „Was glauben Sie, was passiert wäre, wenn ich schon nach vier oder fünf Tagen angerannt gekommen wäre, um diese Leute zu sehen? Das hätte doch von Anfang an signalisiert, wir trauen euch Ägyptern nicht.“7 Diese Logik ist aus dem engen Blickwinkel eines Diplomaten heraus völlig plausibel. Pervers erscheint sie nur, wenn man unterstellt, es könnte Linders vordringliche Aufgabe gewesen sein, sicherzustellen, dass der mittels der Versicherungen versprochene Schutz von Agiza und al-Zari tatsächlich gewährleistet werde. Genau das ist der Haken: Diplomatie gebietet das ewig taktvolle Management auswärtiger Beziehungen, um die Interessen des Staates insgesamt zu vertreten. Die Menschenrechte mögen zwar zu diesen Interessen gehören, aber sie sind selten das einzige Interesse oder auch nur eine überragende Priorität. Folglich kann Diplomatie für sich genommen kein verlässlicher Hebel sein, um die Menschenrechte zu schützen.

Beim ersten Kontrollbesuch schwedischer Diplomaten klagten sowohl Agiza als auch al-Zari, sie seien sehr schlecht behandelt worden. Ihre Beschwerden betrafen das brutale Vorgehen der schwedischen Polizei, Verhöre mit verbundenen Augen, winzige Zellen sowie Schläge von Gefängniswärtern vor und nach Verhören. Außerdem war den beiden Männern gedroht worden, Mitglieder ihrer Familien könnten zu Schaden kommen, falls keine Geständnisse abgelegt würden. Diese Angaben jedoch wurden aus dem Bericht getilgt, der den schwedischen Anwälten der beiden Männer zur Verfügung gestellt wurden; sie gerieten erst im Mai 2004 in dem Bericht der Sendung Kalla Fakta an die Öffentlichkeit. Die schwedische Regierung hielt den vollständigen Bericht zunächst auch vor dem Komitee gegen Folter der Vereinten Nationen verborgen, als dieses im Jahr 2003 begann, den Fall zu untersuchen. Die zwischenstaatlichen Beziehungen auf der Ebene der Diplomatie sind ihrem ganzen Wesen nach delikat. Sie bedürfen oft der „Vorsicht“ und der „Diskretion“ im diplomatischen Umgang und bei diplomatischen Verhandlungen. Deshalb werden ernste Menschenrechtsangelegenheiten, selbst solche, in denen es um das vollständige Verbot von Folter geht, oft diplomatischen Erwägungen untergeordnet. Schon die laue Reaktion einiger Regierungen auf die offensichtlich illegale Inhaftierung ihrer Staatsbürger im Lager Guantanamo Bay belegt dies deutlich. Die kanadische Regierung zum Beispiel ist viel kritisiert worden für ihre „stille Diplomatie“ zugunsten von Omar Khadr, einem Gefangenen in Guantanamo Bay, der als Kind in das Gefangenenlager geraten war.8 Dem kanadischen Außenministerium zufolge verlangte die kanadische Regierung von den amerikanischen Behörden bereits die Versicherung, dass Khadr human behandelt werde, als die ersten Medienberichte über die schlechte Behandlung der Gefangenen in Guantanamo Bay auftauchten. 9 Doch Khadr gab an, im Lager misshandelt worden zu sein. Er sei in schmerzhaften Positionen angekettet worden, man habe ihm Vergewaltigung angedroht und ihn als „menschlichen Mopp“ behandelt, nachdem er während eines Verhörs auf den Boden uriniert hatte. Khadrs Rechtsanwälte zogen daraus den Schluss: „Kanada war stärker daran interessiert, den Amerikanern dabei zu helfen, Informationen von Khadr zu erlangen, als daran, sein Wohlergehen sicherzustellen.“10 Es gibt eine alte Redensart unbekannter Herkunft: „Ein vornehmer Diplomat könnte seinen Mund in zehn verschiedenen Sprachen halten.“ Diese Begabung kann allerdings gefährlich sein. Die schwedische Regierung behauptete nicht nur, dass das Fundament jeglicher diplomatischer Beziehungen – das Prinzip Vertrauen – unter allen Umständen geschützt werden müsse. Sie gab erstaunlicherweise auch zu Protokoll, dass ihre Diplomaten den Vereinten Nationen über Agizas Misshandlungsvorwürfe deshalb nichts gesagt hätten, weil sie ihn hätten schützen wollen – und zwar ausgerechnet vor der ägyptischen Polizei. In einem Interview im Dezember 2004 in der schwedischen Radiosendung Ekot erklärte zudem Carl Henrik Ehrenkrona, Chefrechtsberater des Außenministeriums, die schwedischen Behörden hätten Angst davor gehabt, die Vereinten Nationen über die Misshandlung in Kenntnis zu setzen, weil „diese Art“ von Information die diplomatischen Beziehungen zu den Ägyptern beschädigen könnte: Ehrenkrona Man meinte, wenn man Informationen dieser Art verbreiten würde, dann könnte das nicht nur ihm [Agiza] schaden, sondern zusätzlich noch die Beziehungen zu Ägypten beschädigen. Es ging ganz einfach darum, dass in Agizas Fall noch ermittelt wurde. Und dass es für ihn negativ sein könne, wenn unbestätigte Berichte verbreitet würden, nach denen er gesagt habe, er sei gefoltert oder unmenschlich behandelt worden. Interviewer Warum sollte das negativ für ihn sein? Ehrenkrona Weil man nicht sicher sein konnte, wie die ägyptische Polizei damit umgehen würde. Interviewer Warum ist das so? Ehrenkrona Man konnte es in der Situation nicht wissen. Es gibt immer ein Risiko, und es bestand kein Grund, eine Person diesem Risiko auszusetzen … Interviewer Aber Sie hatten doch Garantien aus Ägypten erhalten, dass er nicht gefoltert werden würde. Haben Sie diesen Garantien nicht geglaubt? Ehrenkrona Die Sache war nicht nur, dass er gefoltert werden könnte. Es hätte auch in anderer Hinsicht schädlich für ihn sein können. Interviewer Also, es geschah zu seinem Schutz vor den ägyptischen Behörden, dass nicht öffentlich gemacht werden sollte, dass er gesagt hatte, er sei gefoltert worden? Ehrenkrona: Und dazu noch, um nicht dadurch Schwierigkeiten mit den Ägyptern zu riskieren, dass unbestätigte Informationen dieser Art verbreitet würden.

Das Schweigen der schwedischen Diplomaten über die Folterung von Agiza und al-Zari spiegelt die Alternative zwischen konkurrierenden Loyalitäten wider – wobei die politischen Imperative klar die Oberhand behielten. Für die Menschen, die derartig grausamer Misshandlung ausgesetzt werden und zum Schweigen darüber gezwungen sind, gibt es keinen so einfachen Ausweg. Zwar propagieren also manche Regierungen, darunter besonders die britische, weiterhin die Auffassung, dass diplomatische Versicherungen gegen Folter, ergänzt durch die Überprüfung der Behandlung von Gefangenen nach ihrer Rückkehr, das Risiko der Folter verringern könnten. Doch vielfältige Beweise widersprechen dieser These. Das perverseste Ergebnis solch eines Ansatzes ist, dass der Gefangene selbst gezwungen ist, über seine Misshandlung zu schweigen, weil er befürchten muss, er oder seine Familie hätten anderenfalls nur noch mehr Folter zu befürchten. Der gefolterte Mensch wird zum Komplizen seiner eigenen Misshandlung.

Maher Arar, ein kanadisch-syrischer Staatsbürger, der auf der Grundlage diplomatischer Versicherungen aus den Vereinigten Staaten nach Syrien zurückgeschickt wurde, erlebte dieses Dilemma am eigenen Leib. Im September 2002 nahmen amerikanische Beamte Arar auf dem New Yorker Flughafen John F. Kennedy fest. Er war dort zwischengelandet auf der Reise von Tunesien nach Kanada, wo er seit vielen Jahren lebte. Nachdem ihn die amerikanischen Einwanderungsbehörden fast zwei Wochen lang festgehalten hatten, ließen sie Arar nach Jordanien ausfliegen, wo er über die Grenze transportiert und den Syrern ausgeliefert wurde. Die amerikanische Regierung behauptet, vor Arars Abschiebung die Versicherung der syrischen Regierung erhalten zu haben, dass Arar nicht gefoltert werden würde. Nach seiner Freilassung im späten Oktober 2003 erzählte Arar eine grausige Geschichte des Missbrauchs und der Folter, die unter anderem von Schlägen, von psychologischer Grausamkeit und von der Einkerkerung in einer grabartigen, von Ratten bewohnten Zelle handelte. Über einen Besuch kanadischer Konsularbeamter im Oktober 2002 sagte Arar, er sei aus seiner Zelle abgeholt worden, und man habe ihm seinen Bart abrasiert: „Die Verhöre und Schläge hörten drei Tage vor dem ersten konsularischen Besuch auf … Man sagte mir, ich solle nichts über die Schläge verraten. Dann wurde ich für ein zehnminütiges Treffen mit dem Konsul in einen Raum gebracht. Der Oberst war da und drei andere syrische Beamte, einer von ihnen war der Übersetzer. Ich habe bei diesem Treffen viel geweint. Ich konnte nichts über die Folter sagen. Ich dachte, wenn ich es täte, würde ich keine Besuche mehr bekommen. Oder man würde mich wieder schlagen … Die konsularischen Besuche waren mein Rettungsseil, aber ich fand sie auch sehr frustrierend. Es gab sieben konsularische Besuche und einen Besuch von Parlamentsabgeordneten. Nach den Besuchen habe ich vor Enttäuschung mit dem Kopf und den Fäusten gegen die Wand geschlagen. Ich brauchte die Besuche, aber ich konnte ja nichts sagen.“

Nur Tage nachdem Maher Arar im Oktober 2003 aus der syrischen Gefangenschaft entlassen worden war, behauptete Präsident Bush in einer Rede, statt die nationale Ehre wiederherzustellen habe die syrische Regierung „ein Erbe der Folter, der Unterdrückung, des Leidens und des Untergangs“ hinterlassen.14 Im Januar 2005 bezeichnete die Regierung Bush Syrien als ein Land, das den Terrorismus aktiv fördere, und riet der syrischen Regierung, sie solle „die Tür zur Freiheit öffnen“.15 Bob Herbert von der New York Times schrieb daraufhin in einem Kommentar: „Aus der amerikanischen Perspektive wird Syrien von einem Gangsterregime regiert, das unter anderem den Terrorismus angestachelt, beim Aufstand im Irak geholfen und Folter betrieben hat. Deshalb hier die Frage: Wenn Syrien ein derartig schlimmer Akteur ist – und daran besteht kein Zweifel –, warum sollte die Regierung Bush dann einen kanadischen Staatsbürger auf dem Kennedy-Airport in New York ergreifen, in ein Flugzeug verfrachten, in Ketten in den Nahen Osten schaffen und dann den Syrern aushändigen, die ihn ohne Verzug folterten?“

Die Regierung Bush hat alle Fragen nach einer konkreten Erklärung hinsichtlich der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit syrischer diplomatischer Versicherungen ignoriert. Ein ehemaliger Antiterrorbeamter der CIA namens Vicent Cannistraro hat jedoch angemerkt: „Du hättest taub, dumm und blind sein müssen, um zu glauben, dass die Syrer keine Folter anwenden würden, auch wenn sie das Gegenteil behaupteten.“

Es gereicht der kanadischen Regierung zur Ehre, dass sie im Februar 2004 eine unabhängige Untersuchungskommission einrichtete – die Arar-Kommission –, um zu klären, welche Rolle die kanadische Polizei und die kanadischen Geheimdienste gespielt hatten, als Arar von der amerikanischen Regierung festgenommen und nach Syrien verfrachtet worden war. Der im September 2006 veröffentlichte Untersuchungsbericht erklärte klipp und klar, dass Arar keinerlei Verbindungen zum Terrorismus hatte. Es gebe keinen Beweis, dass Arar irgendeine Straftat begangen habe oder dass er an einer Aktivität beteiligt gewesen sei, die die Sicherheit Kanadas bedrohe. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass Arar das unschuldige Opfer unzutreffender und irreführender Informationen geworden sei, die den Vereinigten Staaten von der Königlich Kanadischen Berittenen Polizei zur Verfügung gestellt worden war. Diese Angaben bildeten die Grundlage für die Entscheidung der Amerikaner, Arar illegal nach Syrien fortzuschaffen. Der Bericht der Arar-Kommission bestätigte, dass Arar während seines Aufenthalts in Syrien „einen Alptraum“ der Folter erlebt hatte – mit anhaltend ruinösen Auswirkungen auf sein körperliches, psychisches, soziales und wirtschaftliches Wohlergehen. Zur Frage der diplomatischen Versicherungen und der amerikanischen Politik der Überstellung von Gefangenen in andere Staaten räumte die Kommission ein, dass der Fall Arar ein klares Beispiel für die Probleme sei, die solche Versicherungen mit sich brächten.

Und die kanadischen Konsularbeamten, die Maher Arar im syrischen Gefängnis aufsuchten? Sie hatten ihre Anweisungen. Leo Martel, zur betreffenden Zeit der leitende kanadische Konsularbeamte in Damaskus, erinnert sich daran, was Oberst Majed Saleh vom syrischen Militärgeheimdienst SMI ihm einschärfte. Martel solle Arars Fall während der konsularischen Besuche nicht diskutieren: „Ich sollte keine unbequemen Fragen stellen.“19 Martel sagte gegenüber der Arar-Kommission aus, Arar habe auf ihn unterwürfig und desorientiert gewirkt. Er habe „mit den Augen signalisiert, dass er nicht frei sprechen konnte“, und „wie eine verängstigte Person“ ausgesehen. Es sei „offensichtlich“ gewesen, dass Arar Fragen nicht habe beantworten dürfen.

Der kanadische Botschafter in Syrien in dieser Zeit, Franco Pillarella, gab offen zu, dass solche Besuche Folter nicht verhindern können. Vor der Arar-Kommission erklärte er, dass es unmöglich gewesen wäre, ein Gespräch unter vier Augen mit Arar zu erreichen. „In dieser Situation hatten die Kanadier keine Wahl. Wir waren auf deren Territorium, nicht auf unserem. Kanada konnte von Glück reden, überhaupt ein Gespräch mit Herrn Arar führen zu dürfen und ihn lebendig vorzufinden.“

Am 7. November 2006 trat Anthony Michael Leyden vor der britischen Berufungskommission für Einwanderungsfragen, der Special Immigration Appeals Commission (SIAC), auf. Bei dieser Gelegenheit stellte sich Leyden, bis April des Jahres Botschafter des Vereinigten Königreichs in Libyen, nur als ein „Beauftragter des Außenministeriums für Deportation mit Versicherung“ vor. Leyden war die wenig beneidenswerte Aufgabe zugefallen, den Vorschlag der britischen Regierung zu verteidigen, Terrorverdächtige zurück nach Libyen zu schicken, sofern die Libyer im Gegenzug versprächen, die Männer nicht zu foltern oder unfairen Gerichtsverhandlungen auszusetzen. Die britische Regierung hat „Memoranden des Einverständnisses“ mit Libyen, Jordanien und dem Libanon ausgehandelt, welche die Abschiebung von Terrorverdächtigen zu einem zentralen Bestandteil der britischen Antiterrorstrategie machen. Die SIAC wiederum ist die Instanz, vor der Terrorverdächtige aus Libyen und Jordanien gegen die auf der Grundlage der „Memoranden des Einverständnisses“ getroffenen Abschiebungsentscheidungen Einspruch eingelegt haben. Leyden hatte es bei seinem Auftritt vor der SIAC nicht leicht. Im intensiven Kreuzverhör durch Kronanwalt Edward Fitzgerald von der Menschenrechtskanzlei Doughty Street Chambers räumte Leyden ein, dass sich die libysche Regierung krimineller Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatte. Peinliche Wortwechsel waren die Folge. Der erfahrene Diplomat gab zu, dass sich die britische Regierung „ernsthafte Sorgen“ über die Menschenrechtssituation in Libyen mache. Diese Sorgen bezögen sich auch auf die Lage der Antragsteller. Diese seien dem Risiko schwerer Misshandlungen ausgesetzt, zum einen aufgrund der „kläglichen Folterbilanz“ Libyens im Allgemeinen, zum anderen, weil die Antragsteller Mitglieder der Libyschen Islamischen Kampfgruppe und damit politische Gegner des Gadhafi-Regimes seien. Das mache sie nach einer etwaigen Rückkehr zu „besonderen Zielen für Misshandlungen“.22 Rechtsanwalt Fitzgerald fragte, ob die Männer tatsächlich Gefahr laufen würden, in Isolationshaft zu geraten, unfairen Gerichtsverfahren ausgesetzt und im berüchtigten Abu-Salim-Gefängnis eingesperrt zu werden. Auf alle diese Fragen antwortete Leyden mit „ja“.

Allerdings schien Leyden Fitzgeralds Frage einfach abzuschütteln, ob die Männer in Gefahr seien, summarisch hingerichtet zu werden – obgleich ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters erst am 31. August 2006 eine Rede von Muammar al-Gadhafi dokumentiert hatte, in der dieser seine Landsleute dazu ermunterte, politische Gegner des Regimes umzubringen. Der Oberst, antwortete Leyden, „neigt zu Ausbrüchen“.

Leyden bestritt, dass die Männer nur aufgrund der auf hoher politischer Ebene ausgehandelten „Memoranden des Einverständnisses“ nach Libyen zurückgeschickt werden könnten – womit sich die Aufmerksamkeit diesen Vereinbarungen zuwandte. Nach den Bestimmungen aller dieser Memoranden müssen beide Regierungen einer unabhängigen Beobachtungsinstitution zustimmen. Diese muss frei sein von regierungsseitigem Einfluss und die Fähigkeit besitzen, „offene und ehrliche“ (aber nicht öffentliche) Berichte für die britische Seite vorzulegen. Und so kam es, dass Leyden als Nächstes behauptete, geeignet für die Überprüfung des Wohlergehens von Terrorverdächtigen, die nach Libyen zurück überstellt worden sind, sei ausgerechnet die „Internationale Gadhafi-Stiftung für Wohltätigkeit“ unter ihrem Vorsitzenden Salif al-Islam Muammar al-Gadhafi, dem Sohn von Oberst Gadhafi. Zwei der erstaunlichsten Stellungnahmen Leydens bezogen sich auf die Beziehungen der Gadhafi-Stiftung zum libyschen Geheimdienst sowie auf die öffentliche Behauptung der Stiftung im Jahr 2005, dass es in Libyen überhaupt keine Folter gebe. Rechtsanwalt Fitzgerald verwies auf einen Fall, in dem die Stiftung selbst die Versicherung gegeben hatte, dass eine nach Libyen zurück überstellte Person ihre volle Unterstützung erhalten werde. Anschließend jedoch war diese Person verschwunden. Fitzgerald fragte Leyden: „Würden Sie einräumen, dass aus einer direkten Konfrontation zwischen der Gadhafi-Stiftung und den Geheimdiensten die Gadhafi-Stiftung als Verlierer hervorgehen wird?“ Leyden antwortete mit „ja“.

Am 18. Oktober 2005 kritisierte eine Pressemitteilung von Human Rights Watch die britische Regierung dafür, dass sie ein „Memorandum des Einverständnisses“ mit Libyen ausgehandelt hatte. Es wurde darauf hingewiesen, dass Human Rights Watch Aussagen von Personen in Libyen vorlagen, denen zufolge sie geschlagen, an Wänden aufgehängt und mit elektrischen Schocks gefoltert worden seien.26 Die Gadhafi-Stiftung reagierte schnell und veröffentlichte bereits am 20. Oktober auf ihrer Internetseite eine öffentliche Stellungnahme zur Verteidigung Libyens: „Die Organisation Human Rights Watch hat einen Bericht über die Situation der Menschenrechte in Libyen veröffentlicht, in der die Organisation nicht existierende Fälle von Folter erwähnt … Was über die Existenz von Folter in libyschen Gefängnissen gesagt worden ist, ist unwahr und kann niemals geschehen, weil es ein Abkommen zwischen der Stiftung und den Gefängnisbehörden in Libyen gibt. Dieses Abkommen erlaubt Überraschungsbesuche einheimischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen in allen Gefängnissen und Bewährungseinrichtungen des Landes.“

Leyden räumte ein: „Wenn ich sie beraten hätte, dann hätte ich ihnen nicht empfohlen, diese Worte zu verwenden.“ Aber er bestand darauf, dass die Gadhafi-Stiftung die ihr zugewiesene Aufgabe erfüllen könne.28 Inzwischen ist die Stellungnahme der Gadhafi-Stiftung von deren Internetseite verschwunden. Im März 2006 legte das amerikanische Außenministerium seinen jährlichen Menschenrechtsbericht vor, der ausführlicher auf die durch Zeugenaussagen belegten Foltertechniken in Libyen einging. Demzufolge wurden Gefangenen Korkenzieher in den Anus eingeführt, es wurde Zitronensaft in offene Wunden geträufelt, Finger wurden (ohne anschließende medizinische Versorgung) gebrochen, Gefangene wurden mit Plastiktüten nahezu erstickt, sie wurden an einer Stange zwischen den Knien und Ellbogen aufgehängt sowie von Hunden bedroht. Diesmal veröffentlichte die Gadhafi-Stiftung kein Dementi wie noch im Oktober des Vorjahres.

Es versteht sich von selbst, dass die ägyptische Regierung rundheraus leugnete, Agiza und al-Zari gefoltert zu haben, und es war auch keine Überraschung, dass Syrien leugnete, Maher Arar misshandelt zu haben. Jack Straw, der frühere britische Außenminister, wies auf die Verbindung zwischen solchen Dementis und effektiver Überwachung hin, als er im Dezember 2005 dem Auswärtigen Ausschuss des britischen Parlaments Rede und Antwort stand: „Das Problem bei der Folter ist, dass diejenigen, die foltern, dies vor sich selbst genauso leugnen, wie sie es vor anderen leugnen. Folter festzustellen ist also sehr schwierig. Aber wir beobachten aufmerksam die Länder, bei denen wir glauben, dass dort Übeltaten aller Art verübt werden. Und wir versuchen, uns darum zu kümmern.“

Ob Straw selbst meinte, dass Überprüfungen nach der Rückkehr von Verdächtigen in ihre Herkunftsländer ein Mittel sind, sich „darum zu kümmern“, ist eine offene Frage. Aber wenn eine „unabhängige“ Gruppe wie die Gadhafi-Stiftung – ausersehen, um die korrekte Behandlung einer Person zu überprüfen – leugnet, dass das Problem, zu dessen Milderung sie beitragen soll, überhaupt existiert (und das es im Übrigen überhaupt erst notwendig machte, diplomatische Versicherungen von Libyen zu verlangen), dann wird das vermeintliche Allheilmittel der Überprüfung nach der Rückkehr zu einer surrealen Angelegenheit. Derart kerniges Leugnen von Verbrechen ist in der Tat ein Allheilmittel: für Großbritannien und Libyen, die beide ein enormes Interesse daran haben, dass Folter, sofern sie erfolgt, nicht entdeckt wird. Das Komitee der Vereinten Nationen gegen Folter und das Komitee der Vereinten Nationen für Menschenrechte haben beide festgestellt, dass Schweden gegen das internationale Verbot der Folter verstieß, als es Ahmed Agiza und Mohammed al-Zari zurück nach Kairo und damit in die Folter schickte. Zwar sind diese Komitees technisch gesehen keine Gerichte, dennoch sind ihre Beschlüsse rechtsverbindliche Ein kanadisches Bundesgericht beschuldigt die Regierung der Verlogenheit. Regime, die foltern, sind unglaubwürdig Entscheidungen, die nunmehr Bestandteil des internationalen Rechts in Menschenrechtsfragen sind. Das Komitee gegen Folter tadelte Schweden dafür, dass es dem Komitee nicht von Anfang an den ersten Prüfbericht offengelegt hatte, der die Behauptungen der Männer bezüglich ihrer Folterung enthielt. In dieser Entscheidung vom Mai 2005 stellte das Komitee gegen Folter fest: „Die Einholung diplomatischer Versicherungen [von Ägypten], die darüber hinaus keinen Mechanismus zu ihrer Durchsetzung vorsahen, genügte nicht als Schutz vor diesem offensichtlichen Risiko.“

In der Entscheidung des Menschenrechtskomitees vom November 2006 hieß es, Schweden habe nicht nachgewiesen, „dass die eingeholten diplomatischen Versicherungen im vorliegenden Fall tatsächlich ausreichten, um das Niveau des Risikos von Misshandlungen zu senken“ – und zwar so sehr, dass das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung ausreichend berücksichtigt worden wäre.

Vernichtende Kritik an den Methoden der kanadischen Regierung, diplomatische Versicherungen zur Deportation Terrorverdächtiger zu erlangen, hat ein kanadisches Bundesgericht geübt. Das Gericht verwies auf das Betrügerische daran, sich auf leere Versprechungen von folternden Regimes zu verlassen, zugleich aber legitime Informationsquellen zu ignorieren, welche die Unglaubwürdigkeit dieser Versicherungen nachweisen. Mohammed Zeki Mahjoub, in Kanada aus Gründen der nationalen Sicherheit seit Januar 2000 gefangen, ist ein anerkannter Flüchtling und angeblich Mitglied der „Vorhut der Eroberung“, einer Untergruppe von al-Jihad al-Islamiya, einer bewaffneten Islamistenorganisation in Ägypten. Ein bundesgerichtliches Urteil kam im Dezember 2006 zu dem Ergebnis, die Entscheidung der kanadischen Regierung, Mahjoub auf der Grundlage ägyptischer Keine-Folter-Versprechungen zu deportieren, habe „entscheidende Beweisgründe ignoriert, wichtige Faktoren nicht berücksichtigt und sich auf willkürlich ausgewählte Erkenntnisse gestützt. Dieser fehlerhafte Ansatz kann im Hinblick auf die Frage des Folterrisikos nur als offensichtlich unvernünftig bezeichnet werden.“ Besonders geißelte das Gericht die Regierung dafür, dass sie glaubwürdige Berichte ignoriert hatte, denen zufolge Versicherungen gegen Folter nicht funktionieren. Zu diesen Dokumenten gehörte auch die Entscheidung der Vereinten Nationen in einem anderen Ägypten betreffenden Fall – dem von Ahmed Agiza. In Europa haben einige nationalstaatliche Gerichte vorbeugend gehandelt, indem sie Abschiebungen und Auslieferungen erfolgreich verhinderten, bevor sie stattfinden konnten – und zwar selbst in Fällen, in denen diplomatische Versicherungen vorlagen. Es ist jedoch ebenfalls vorgekommen, dass Abschiebungen erfolgten, obwohl Gerichte Einspruch erhoben. Die Tatsache, dass es überhaupt in einer Reihe europäischer Länder solche Gerichtsverfahren gibt, zeigt zweierlei: die Tatsache, dass viele Regierungen noch immer auf der Grundlage willkürlicher und selektiver Informationen um diplomatische Versicherungen nachsuchen; und den Umstand, dass es gegenwärtig oft die Richter sind, die gegen dieses zweifelhafte Vorgehen die Stellung halten. Der Versuch der Niederlande, Nuriye Kesbir, eine Aktivistin der PKK, an die Türkei auszuliefern, scheiterte schließlich im September 2006, als das höchste Gericht der Niederlande die Regierung daran hinderte. Auch andere niederländische Gerichte wiesen ein Bündel offizieller Versicherungen aus der Türkei als unzureichenden Schutz vor Misshandlung zurück. Das höchste Gericht veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß: „Eine Auslieferung könnte den Bruch europäischer Menschenrechtsgesetze zur Folge haben“, da Kesbir der realen Gefahr ausgesetzt sei, „gefoltert zu werden oder unmenschliche oder demütigende Behandlung zu erleiden“, wenn sie in die Türkei überstellt werde.

Akhmed Zakajev, Gesandter der tschetschenischen Exilregierung in Großbritannien, entging 2003 der Auslieferung, als das Magistratsgericht in der Bow Street entschied, dass russische Versicherungen – in diesem Fall Aussagen des russischen Vizeministers für Gefängnisse im Zuge des Auslieferungsverfahrens – nicht verlässlich seien. Als Zeugen hörte das Gericht frühere russische Beamte, die die besondere Gefährdung von Tschetschenen im russischen Strafrechtssystem beschrieben. Zu dieser Gefährdung gehöre das bis zur Gewissheit gesteigerte Risiko, gefoltert zu werden. Ebenso hörte das Gericht die glaubwürdige Erklärung eines Zeugen, der angab, gegenüber den russischen Behörden unter Folter eine Aussage gemacht zu haben, die Zakajev belaste. Der amtierende Richter räumte ein, dass der russische Vizeminister seine Garantien einer menschlichen Behandlung für Zakajev in gutem Glauben ausgesprochen haben könnte. Er gab jedoch zu bedenken, es sei „angesichts der Eigenart und des Ausmaßes des russischen Gefängniswesens hochgradig unwahrscheinlich, dass der Minister in der Lage wäre, solch eine Absicht durchzusetzen … Solch eine Garantie wäre in jedem Land mit erheblicher Gefängnisbelegschaft fast unmöglich.“

Die Gerichte in Österreich und in Russland nahmen es weniger genau. Österreich suchte in Kairo seit November 2001 um diplomatische Versicherungen nach, um den ägyptischen Terrorverdächtigen Mohamed Bilasi-Ashri auszuliefern. Die Ägypter weigerten sich seinerzeit, irgendwelche Garantien zu geben, aber die Österreicher wurden 2005 erneut in Kairo vorstellig und erhielten diesmal die gewünschten Versicherungen. Auf der Grundlage dieser Versicherungen bestätigte das Landesgericht Krems im April 2005 die Auslieferung, aber der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat jegliche Überstellung so lange gestoppt, bis er das Risiko von Folter und unfairem Verfahren untersuchen kann. Bilasi-Ashris Rechtsanwälte wären gut beraten, die Entscheidungen der Vereinten Nationen in den Fällen Agiza und al- Zari als Beweismittel vorzulegen – als Beweise dafür nämlich, wie kläglich wenig sich Ägypten in der Vergangenheit an die eigenen Versicherungen gehalten hat. Nach verschiedenen Versuchen, den radikalen muslimischen Geistlichen Metin Kaplan an die Türkei zu deportieren, waren die deutschen Behörden im Jahr 2004 schließlich erfolgreich. Die deutschen Gerichte waren geteilter Ansicht darüber, ob Kaplan nach seiner Rückkehr Folter zu fürchten habe: Im Mai 2003 hatte ein deutsches Gericht Kaplans Auslieferung aufgrund von Menschenrechtserwägungen gestoppt; als Grund genannt wurde, dass die vorliegenden diplomatischen Versicherungen der türkischen Behörden gegen Folter und unfaire Verhandlungen nicht ausreichten. Die deutsche Regierung suchte daraufhin um verbesserte Versicherungen nach und erhielt diese auch. Sie betrafen besonders Zusagen hinsichtlich eines fairen Verfahrens. Danach scheiterten Kaplans weitere Einsprüche. Im Juni 2005 wurde er in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht befand ihn des Verbrechens schuldig, mithilfe seiner Kölner Extremistengruppe „Union Islamischer Gemeinschaften“, auch bekannt als „Hilafet Devleti“ oder „Kalifatsstaat“, das säkulare System der Türkei stürzen zu wollen. Ein türkisches Berufungsgericht kassierte dieses Urteil jedoch einstimmig und befand das Verfahren aufgrund prozessrechtlicher Mängel und ungenügender Beweislage für unfair. Kaplans Wiederaufnahmeverfahren läuft noch. Dass Russland im Fall Zakajev bereit war, diplomatische Versicherungen abzugeben, erscheint vergleichsweise mildtätig im Kontrast zur Gewohnheit der Russen, ihrerseits solche Versicherungen von Usbekistan zu akzeptieren – einem Land, das nachhaltig für Folter berüchtigt ist. Im Juni 2005 nahm die russische Polizei in der Stadt Ivanovo eine Gruppe von zwölf usbekischen Flüchtlingen und einem kirgisischen Staatsbürger fest. Für die Männer liegt ein Auslieferungsgesuch der usbekischen Regierung vor, die behauptet, sie seien im Mai 2005 an den Unruhen in der usbekischen Stadt Andijan beteiligt gewesen, die in einem Massaker usbekischer Regierungstruppen an Hunderten von Zivilisten geendet hatten. Der russische Generalstaatsanwalt ordnete am 3. August 2006 die Auslieferung der Männer an, obwohl ihnen der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechtsfragen (UNHCR) den Flüchtlingsstatus zuerkannt hatte, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, ihre Furcht vor Verfolgung und Folter sei begründet, sollten sie nach Usbekistan überstellt werden.

Der Generalstaatsanwalt behauptete, die russischen Behörden hätten diplomatische Versicherungen von der usbekischen Regierung erhalten, die versprachen, dass die Männer nach ihrer Rückkehr weder gefoltert noch zum Tode verurteilt würden. Am 28. November 2006 fand vor dem höchsten Gericht Russlands eine Anhörung aus Anlass des Einspruchs der Männer gegen ihre Auslieferung statt. Ihr Anwalt legte detailliert dar, dass Verdächtige im usbekischen Strafrechtssystem systematische Folter und offensichtlich unfaire Verfahren zu erwarten hätten, was auch für die Beteiligten der Ereignisse von Andijan gelte. Daher mangele es den diplomatischen Versicherungen der usbekischen Behörden an Glaubwürdigkeit. Trotz der erdrückenden Beweislage entschied das höchste Gericht, dass die Auslieferung der Männer erfolgen könne. Sie ist jedoch einstweilen vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gestoppt worden, der zunächst eine eigene Untersuchung der Fälle vornehmen will. Im Verlauf einer Anhörung im Rechtsausschuss des amerikanischen Senats erklärte der Ausschussvorsitzende Senator Patrick Leahy, ein Demokrat aus Vermont, gegenüber Justizminister Alberto Gonzales, dass er, Leahy, „erregt“ darüber sei, wie die Regierung Bush den Fall Arar gehandhabt habe. Er wolle nun einige Antworten hören. Der Wortwechsel trug sich zu, nachdem bekannt geworden war, dass Arar weiterhin auf einer Flugverbotsliste der Vereinigten Staaten stand, obwohl die Arar-Kommission festgestellt hatte, dass er keinerlei Verbindungen zu terroristischen Gruppen oder Aktivitäten unterhielt oder unterhält. Hinsichtlich der geforderten Antworten erhob Gonzales Rechtseinwände und versprach eine spätere Auskunft:

Leahy: Aber warum wurde er nach Syrien geschickt statt nach Kanada? Gonzales: Nun ja, noch einmal, Herr Senator, ich wäre froh, wenn ich diese Fragen beantworten könnte. Ich glaube, wir können eine Menge mehr darüber sagen, wenn Sie mir nur etwas zusätzliche Zeit geben. Leahy: Können Sie mir sagen, warum [der damalige Justizminister] John Ashcroft Schritte unternahm, um sicherzugehen, dass er nicht gefoltert würde? Was dann natürlich dennoch geschah. Gonzales: Ich glaube, diese Information ist öffentlich zugänglich. Es wurden Schritte unternommen. Ich meine, Justizminister Ashcroft hat das öffentlich bestätigt. Es wurde um Versicherungen nachgesucht, dass er von den Syrern nicht gefoltert werden würde. Leahy: Herr Justizminister … lacht … es tut mir leid. Ich möchte das hier nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir wussten verdammt gut: Wenn er nach Kanada käme, würde er nicht gefoltert. Er wäre da festgehalten worden. Man hätte seinen Fall untersucht. Wir wussten ebenfalls verdammt gut: Wenn er nach Syrien käme, würde er gefoltert … Sie wissen, und ich weiß, dass dies in den vergangenen Jahren in einer Anzahl von Fällen passiert ist – durch dieses Land. Das ist ein Schandmal für uns. Es hat uns die Verurteilung durch einige unserer engsten und besten Verbündeten eingebracht. Und es ist leicht für uns, bequem hier in diesem Raum zu sitzen und zu wissen, dass wir nicht in ein anderes Land geschickt werden, um dort gefoltert zu werden. Wir können das nicht behandeln, als ob … also, Justizminister Ashcroft sagt: ,Wir haben Versicherungen.‘ Versicherungen von einem Land, von dem wir jetzt zugleich sagen: ,Mit denen können wir nicht reden, weil wir sie für nichts beim Wort nehmen können‘?“36 Leahy war auch über die Kanadier besorgt – „Sie sind empört. Sie fragen sich, was mit uns passiert ist“ –, was sein echtes Interesse daran widerspiegelt, wie die loyalen Nachbarn im Norden die Vereinigten Staaten wahrnehmen. Doch auch die kanadische Regierung griff auf das Mittel diplomatischer Versicherungen zurück, um Terrorverdächtige nach Ägypten oder anderswohin fortzuschaffen. Die beiden langjährigen Verbündeten haben vielleicht mehr gemeinsam, als Leahy meint. In Kanada – und in Europa – können Terrorverdächtige, denen die Abschiebung auf der Grundlage von diplomatischen Versicherungen droht, zumindest vor Gericht ziehen. In den Vereinigten Staaten hingegen kann eine Person außer Landes gebracht werden, sobald das Ministerium für Heimatschutz und das Außenministerium beschließen, dass die vorliegenden diplomatischen Versicherungen glaubwürdig sind. Für die in Guantanamo Bay Inhaftierten trifft das Verteidigungsministerium diese Entscheidung. Es besteht kein Recht, die Verlässlichkeit oder Tauglichkeit der vorliegenden diplomatischen Versicherungen von einem Gericht der Vereinigten Staaten überprüfen zu lassen.

„Diese Versicherungen sind wertlos“: keine Rechtsmittel gegen Abschiebung Die Vereinigten Staaten sind der einzige Vertragsstaat der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen, der die Anwendung von diplomatischen Versicherungen in seinem nationalen Recht regelt. Nach dem Ende der neunziger Jahre beschlossenen amerikanischen Einwanderungsrecht (damals waren diplomatische Versicherungen in Europa schon gebräuchlich) kann die amerikanische Regierung in individuellen Fällen um Versicherungen gegen Folter nachsuchen. Sobald die Versprechen von der Regierung für „ausreichend verlässlich“ erachtet werden, kann die von der Abschiebung bedrohte Person keine Rechtsmittel mehr einlegen. Es ist die gängige Regierungspolitik der Vereinigten Staaten, diplomatische Versicherungen zu verwenden, um die Überstellung von Personen zu ermöglichen, wenn im betreffenden Land ein Risiko der Folter besteht. Ebenso nutzen die Vereinigten Staaten das Mittel der Versicherung, um Gefangene aus Guantanamo Bay in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Verschiedene hochrangige Regierungsangehörige und frühere Beamte der CIA haben allerdings offen zugegeben, dass sie wenig bis gar keine Kontrolle darüber haben, was mit einem Verdächtigen geschieht, nachdem er in ein anderes Land überstellt worden ist. Im Jahr 2005 gab der damalige CIA-Direktor Porter J. Goss zu, dass die Vereinigten Staaten nur begrenzte Möglichkeiten hätten, diplomatische Versicherungen gegen Folter tatsächlich durchzusetzen: „Wir haben eine Verantwortung. Wir müssen den Versuch machen, sicherzustellen, dass sie ordentlich behandelt werden. Und wir müssen unser Bestes tun, um das zu garantieren. Aber wenn sie erst einmal außerhalb unserer Kontrolle sind, können wir natürlich nicht mehr viel tun.“37 Justizminister Alberto Gonzales sagte im März 2005 in einem Interview, dass das amerikanische Außenministerium und die CIA zwar diplomatische Versicherungen darüber verlangten, dass Gefangene, die überstellt werden sollen, nach ihrer Rückkehr menschenwürdig behandelt werden. Aber wenn sich ein Gefangener erst einmal im Gewahrsam eines anderen Landes befinde, seien die Möglichkeiten überschaubar: „Wir können nicht vollständig überwachen, was das Land tun wird. Wir erwarten natürlich, dass sich ein Land, dem wir einen Gefangenen überstellt haben, an die Zusagen hält, die es uns gegenüber gegeben hat … Wenn Sie mich fragen: ‚Halten sich die Länder immer daran?‘, kann ich nur sagen: ,Darauf habe ich keine Antwort.‘“

Die erstaunlichen Eingeständnisse amerikanischer Regierungsbeamter belegen, dass es keine Möglichkeit gibt, diplomatische Versicherungen durchzusetzen und die Sicherheit eines Rückkehrers vollständig zu garantieren. In Reaktion auf die Behauptung von Porter J. Goss, dass diplomatische Versicherungen „geprüft und nochmals geprüft“ würden, antwortete die New York Times auf ihrer Meinungsseite: „Diese Versicherungen sind wertlos, und die Regierung Bush weiß das mit Sicherheit auch. Schon in normalen Zeiten haben die Regierungen dieser Länder unterirdische Standards im Hinblick auf Menschenrechte und menschenwürdige Behandlung. Sie hätten selbst dann keinerlei Problem damit, das Versprechen abzugeben, ein Gefangener werde nicht gefoltert – und ihn dann doch zu foltern. Aber die Zeiten sind nicht normal.“39 Den Verhandlungen, mittels deren diplomatische Versicherungen erlangt und bewertet werden, fehlt jegliche Transparenz. Dadurch entsteht eine Wissenslücke hinsichtlich der Fragen, wie und wann die Vereinigten Staaten dieses Instrument anwenden. Im Oktober 2001 fasste Samuel Witten, ein juristischer Berater des Außenministeriums, den Ansatz der Regierung auf dem Gebiet der diplomatischen Versicherungen zusammen. Er stellte fest, diese müssten auf der Grundlage strengster Vertraulichkeit behandelt werden, ohne öffentliche oder gerichtliche Überprüfung, damit den auswärtigen Beziehungen nicht geschadet werde und „akzeptable Übereinkommen“ mit den Staaten erzielt werden könnten, die um die Auslieferung von Gefangenen nachsuchen.40 Der Mangel an Informationen über die Versicherungen veranlasste im Juli 2006 die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) und die Human Rights Clinic der juristischen Fakultät der Columbia University, eine detaillierte Anfrage an die Regierung gemäß dem Freedom of Information Act (FOIA) zu stellen, welcher jedem Bürger das Recht gibt, Zugang zu Dokumenten der Regierung zu verlangen. Diese Anfrage betraf sämtliche rechtlichen, politischen und praktischen Aspekte der diplomatischen Versicherungen. „Bis jetzt wissen wir über die diplomatischen Versicherungen nur das, was die Regierung als Reaktion auf Lecks und Gerüchte preisgibt“, sagte Peter Rosenblum, der Direktor der Human Rights Clinic. „Die amerikanische Öffentlichkeit hat es verdient, dass diese geheimnisvolle, aber wichtige Praxis beleuchtet wird. Das ist die Absicht, die wir mit unserer FOIA-Anfrage verfolgen.“ Die Menschen, die von der Abschiebung auf der Grundlage diplomatischer Versicherungen bedroht sind, sind allesamt nicht amerikanische Staatsbürger – doch sie haben es verdient, mehr zu erfahren. Das gilt beispielsweise für Bekhzod Yusupov. Yusupov ist usbekischer Staatsbürger und „unabhängiger Muslim“, also eine Person, die den Islam außerhalb staatlicher Regulierung und Richtlinien praktiziert. Bis Januar 2007 war er von der US Immigration and Customs Enforcement (ICE), der amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde, im Pike County Prison von Milford im Bundesstaat Pennsylvania inhaftiert worden. Im August 2005 erkannte das US Board of Immigration Appeals, die Appellinstanz in Einwanderungssachen, dass die usbekische Regierung routinemäßig von der Folter Gebrauch macht, besonders gegen Personen, die wegen „religiösem Extremismus“ gefangen gehalten werden. Die Appellinstanz erklärte daraufhin, dass Yusupov „sehr wahrscheinlich“ Folter zu erwarten habe, falls er nach Usbekistan zurückgeschickt werde. Im Juli 2006 jedoch informierte die ICE Yusupov brieflich, dass sie Versicherungen der usbekischen Regierung darüber einhole, dass er nach seiner Rückkehr nicht gefoltert werde. Bis zum Eintreffen dieser Versicherungen müsse er in amerikanischer Haft bleiben.

Yusupovs Rechtsanwalt Lawrence Rudnick, ein Experte für das amerikanische Einwanderungsrecht mit 25 Jahren Berufserfahrung, hatte von diplomatischen Versicherungen gegen Folter niemals zuvor auch nur gehört. Er konnte kaum glauben, dass die Vereinigten Staaten Yusupov auf der Grundlage von Keine-Folter-Versprechungen in ein Land zurückschicken wollten, das berüchtigt ist für die grausamen Methoden körperlicher Misshandlung, die dort gegen politische und religiöse Gegner angewandt werden. Zum Beleg verwies Rudnick auf Berichte des amerikanischen Außenministeriums aus dem Jahr 2005, die Ersticken, Elektroschocks, Schläge, sexuellen Missbrauch sowie das Vorenthalten von Essen und Trinken als gängige usbekische Foltermethoden auflisteten. Rudnick wandte sich an Menschenrechtsorganisationen. Im September 2006 schrieben Human Rights Watch und die ACLU gemeinsam an amerikanische Regierungsbeamte. Sie machten ihr Entsetzen darüber deutlich, dass die Vereinigten Staaten um diplomatische Versicherungen der usbekischen Regierung nachsuchten, obgleich in Usbekistan unabhängige Muslime wie Yusupov noch immer inhaftiert und gefoltert würden. Die Gruppen erinnerten die Regierung daran, dass in ähnlichen Fällen das amerikanische Außenministerium selbst das hohe Folterrisiko erkannt habe, dem Dissidenten Dass Menschen im Schutz der Nacht fortgeschafft werden, ist in Guantanamo Bay gängige Praxis in Usbekistan ausgesetzt sind, wenn sie als Anhänger „illegaler religiöser Bewegungen“ beschuldigt werden. Daher habe das amerikanische Außenministerium sogar andere Staaten aufgefordert, gegenüber der usbekischen Regierung nicht nachzugeben, wenn diese die Auslieferung solcher Dissidenten verlange. Daraufhin teilte das Außenministerium Yusupov im Oktober 2006 mit, dass es nun nicht mehr um diplomatische Versicherungen der usbekischen Regierung nachsuche, sondern darauf hinarbeite, ihn in ein Drittland zu überführen, wofür Russland in Frage komme. Ein Bundesgericht erklärte nun Yusupovs fortdauernde Gefangenschaft für unrechtmäßig, und am 16. Januar 2007 wurde er nach über vier Jahren Haft entlassen. Es ist unmöglich festzustellen, wie viele andere Gefangene ähnliche Briefe von der amerikanischen Regierung erhalten haben. Human Rights Watch hat Kenntnis von drei anderen Fällen, für die mit Sicherheit feststeht, dass die Vereinigten Staaten diplomatische Versicherungen von Staaten anstreben, in denen Folter ein ernstes und endemisches Problem ist. Die Anwälte der betroffenen Männer möchten nicht, dass ihre Mandanten öffentlich bekannt werden, da sie fürchten, dass die Männer dann ohne Vorankündigung und Verfahren aus dem Land geschafft werden könnten. Das gibt Anlass zu der Vermutung, dass weitere Fälle wie jener von Maher Arar ins Haus stehen könnten.

Dass Menschen im Schutz der Nacht fortgeschafft werden, ist offenbar in Guantanamo Bay gängige Praxis. Beispielsweise wurden 15 Saudis im Mai 2006 ohne Vorankündigung zurück nach Saudi-Arabien gebracht, obgleich Anlass zu der Befürchtung bestand, dass sie dort gefoltert, willkürlich eingesperrt und unfair abgeurteilt werden könnten. Die Behandlung mehrerer schon früher nach Saudi-Arabien transferierter Gefangener aus Guantanamo Bay – unter anderem Haft ohne Anklage, Einzelarrest und Verweigerung des Rechtsweges – steigerte die Wahrscheinlichkeit, dass auch die 15 neuen Gefangenen willkürlich in Haft gehalten und misshandelt werden würden. Saudi-Arabien blickt auf eine lange und bis in die Gegenwart reichende Geschichte der Folter zurück, und die Gerichtsverfahren sind dort bis heute offensichtlich unfair. Die amerikanische Regierung behauptet, sie suche in solchen Fällen um Versicherungen gegen menschenunwürdige Behandlung nach, aber es existieren keine öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen darüber, worauf sich diese Garantien beziehen. Tony Blair ist das Schicksal der Verdächtigen egal: „Schickt sie zurück!“ Vor der Verabschiedung des Military Commissions Act of 2006 (MCA) erkämpfte eine Gruppe jemenitischer Gefangener vor einem amerikanischen Bundesgericht das Recht, 30 Tage im Voraus über eine Abschiebung aus Guantanamo Bay in Kenntnis gesetzt zu werden, sofern solch eine Abschiebung stattfinden solle. Ihre Rechtsanwälte hatten gehofft, dass diese Fristsetzung die Männer besser in die Lage versetzen würde, die Sorge vor Folter im Jemen öffentlich zu machen. Aber die Fristsetzung war an andere vor den Gerichten anhängige Eingaben geknüpft, die sich auf die Rechtmäßigkeit ihrer Gefangenschaft bezogen. Der 2006 verabschiedete MCA jedoch nimmt allen Nichtamerikanern im Gewahrsam der Vereinigten Staaten – überall auf der Welt – das Recht, überhaupt eine Eingabe zu machen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Gefangenschaft überprüfen zu lassen oder Schutz vor Misshandlung (einschließlich Folter) zu erlangen. Bereits von Guantanamo-Häftlingen vorliegende Eingaben wurden von Gerichten der Vereinigten Staaten für nichtig erklärt, nachdem der MCA verabschiedet worden war. Juristische Anfechtungen des MCA haben bereits begonnen, aber in der Zwischenzeit wird kein Insasse von Guantanamo Bay vorab über seine Verlegung aus dem Lager informiert werden.

Während des gesamten Jahres 1999 wurden das britische Innenministerium und das britische Außenministerium immer wieder in 10 Downing Street vorstellig, um darauf hinzuweisen, dass Versicherungen der ägyptischen Regierung gegen Folter nicht vertrauenswürdig seien. Deshalb sollten vier ägyptische Staatsbürger nicht auf ihrer Grundlage aus Großbritannien abgeschoben werden. Einmal informierte der Privatsekretär des Premierministers die beteiligten Ministerien, es sei „die Priorität des Premierministers, dass diese vier Mitglieder des Islamischen Jihad nach Ägypten zurückgebracht werden. Wir sollten das Möglichste tun, um dies zu erreichen.“ Tony Blair war zutiefst frustriert: über die andauernden juristischen Erfordernisse, die er zu berücksichtigen hatte, ebenso wie über die Unwilligkeit der ägyptischen Regierung, bestimmte Garantien zuzusichern. In dieser Situation sprach sich der Premierminister dafür aus, das Paket der Versicherungen, die seine Regierung verlangte, auf eine einzige einzudampfen: ein einfaches Versprechen der Ägypter, dass sie die Männer nach ihrer Rückkehr ins Land nicht foltern würden. Der Privatsekretär des Premierministers schrieb, dass Blair glaube, „wir sollten benutzen, was auch immer uns die Ägypter als Versicherungen anbieten, damit wir die Abschiebeprozedur in Gang bringen und unser Glück vor den Gerichten versuchen können“.

Blairs Bereitschaft, ein einziges – und offensichtlich leeres – Versprechen anzunehmen, illustriert drastisch den wahren Zweck des Griffs zu diplomatischen Versicherungen gegen Folter: Es geht darum, Terroristen – oder solche, die des Terrorismus verdächtigt werden – um jeden Preis loszuwerden. Den Schutz der Männer vor Folter sicherzustellen war überhaupt nicht der Punkt, um den es ging. Die Versicherungen waren ganz einfach ein Mittel, um „Feuerschutz“ zu organisieren für den Fall, dass die Regierung dafür in die Kritik geraten sollte, gegen das Verbot zu verstoßen, eine Person der Gefahr der Folter auszusetzen. Und dabei ist es bis heute geblieben. Selbst im Angesicht umfassender Beweise dafür, dass diplomatische Versicherungen einen Menschen nicht vor Folter schützen können, suchen Regierungen überall auf der Welt weiter um sie nach, rechtfertigen ihre Verwendung und leugnen ihre Nichtbeachtung. Einer der persönlichen Eingriffe Tony Blairs in den erwähnten Fall steht sinnbildlich für die Tatsache, dass diplomatische Versicherungen nicht mehr sind als ein Feigenblatt zum Verstecken der Folter. Quer über einen Brief des Innenministeriums, der ihn über die ablehnende Reaktion der ägyptischen Regierung auf die andauernden Versuche seiner Regierung informierte, angemessene Versicherungen zu erhalten, schrieb Blair einfach nur: „Schickt sie zurück.“

Aus dem Englischen von Tobias Dürr

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