Die Europäische UnionDie USA haben sich selbst als Fürsprecher für die Menschenrechte disqualifiziert, China und Russland unterlaufen jegliche Bemühungen und der Süden ist noch nicht dazu bereit, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. So ist es unerlässlich, dass die Europäische Union die Gelegenheit ergreift und die Führung übernimmt. Die EU ist immer noch der weltweit größte Zusammenschluss von Demokratien, der auf der Verpflichtung für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gegründet worden ist. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass die EU weit davon entfernt ist, die Führung zu übernehmen. Viel zu oft wird eine von der Union ausgearbeitete Erklärung zu einem Menschenrechtsproblem nicht von einem Staatschef oder einem Außenminister vorgetragen, sondern von einem Brüsseler Bürokraten verlesen oder als schriftliche Pressemitteilung der EU-Ratspräsidentschaft veröffentlicht. Selten folgen solchen Erklärungen handfeste Aktionen oder Druck für den Menschenrechtsschutz. Die hinter den Erwartungen bleibende Politik der EU im Menschenrechtsbereich ist einerseits eine Folge struktureller Probleme, andererseits ist fehlender politischer Wille dafür verantwortlich. Die Führungsrolle kann die EU dadurch nicht übernehmen. Die Rolle der EU im UN-Menschenrechtsrat verdeutlicht das Problem. Weil die USA befürchtete, nicht in den Rat gewählt zu werden, haben sie sich nicht einmal der Wahl gestellt. Dass der Rat seinen Idealen gerecht wird, dafür muss nun die EU sorgen, mit ihren engsten Partnern Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen und der Schweiz. Der Rat ist zwischen traditionellen Verfechtern und Gegnern des Menschenrechtsschutzes gespalten. Demokratien in Asien und Afrika haben daher die entscheidende Stimme. Wenn die europäischen Regierungen mit den Regierungen Lateinamerikas zusammenarbeiteten, um gemeinsam mit den unentschlossenen Ratsmitgliedern die Kräfte zu bündeln, dann könnten sie eine tragfähige Mehrheit zustande bringen und Themen aufgreifen, wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur, die Politik der usbekischen Regierung und den Bürgerkrieg in Sri Lanka. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass menschenrechtsverachtende Regime, die trotz gegenteiliger Versprechen den Rat torpedieren, gegenüber der Europäischen Union und ihren Verbündeten an Bedeutung gewinnen. Diejenigen, die sich für Menschenrechte einsetzen, flüchten sich hauptsächlich in Resignation und Entschuldigungen. Die EU und andere Menschenrechtsbefürworter haben niemals eine überzeugende Vision darüber vorgetragen, wie der Rat mit menschenrechtsverachtenden Regierungen umgehen soll. Sie leisteten nie die notwendige Überzeugungsarbeit, um unentschlossene Länder davon abzuhalten, dem von den Gegnern angeführten Regionalblock zu folgen und stattdessen die eigenen Menschenrechtsprinzipien zu unterstützen. Sie haben nie zu einer Sondersitzung zu Darfur aufgerufen oder zur verschlechterten Lage in Sri Lanka, um die Fixierung auf Israel zu beenden. Viele Fürsprecher übernahmen sogar den von den Gegnern angestimmten Slogan Zusammenarbeit, nicht Verurteilung, als ob die Gefahr, für Menschenrechtsverletzungen verurteilt zu werden, nichts damit zu tun hätte, Unterstützung im Kampf gegen Missbrauch zu erhalten. Aus diesen und anderen Gründen hinterließ der Rat einen sehr schlechten Eindruck. Entscheidungen treffenDie Ungeschicklichkeit der EU kann teilweise mit mühsamen Entscheidungsprozessen begründet werden. Einen notwendigen Konsens unter 27 Mitgliedern zu finden, verursacht Verzögerungen und die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Lediglich eine Regierung ist ausreichend, wie etwa Zypern im Hinblick auf die Türkei, Deutschland hinsichtlich Russland und Frankreich bezüglich Tunesien, um eine schlagkräftige Stellungnahme der EU zu verhindern. So torpediert Deutschland mit seiner neuen Ostpolitik eine starke Menschenrechtsposition der EU zu Zentralasien. Im November 2006 hat Deutschland durch starken Druck die schwachen Sanktionen gegen Usbekistan, die als Folge des Massakers in Andischan im Mai 2005 gegen das Land verhängt worden waren, weiter abgeschwächt. Die usbekische Regierung hatte keine wesentlichen Schritte unternommen, um die Bedingungen für eine Aufhebung der Sanktionen zu erfüllen. Statt eine unabhängige Untersuchung des Massakers zu erlauben, bot Usbekistan lediglich einen Dialog und ein Seminar mit Experten zu Andischan an. In der Zwischenzeit geht die Unterdrückung gegen Oppositionelle weiter, dutzende Menschenrechtsaktivisten wurden aus politischen Gründen alleine 2006 verurteilt und ins Gefängnis geworfen. Um die Position gegenüber Usbekistan, ein Land mit großen Gasreserven und einem von deutschen Truppen für den Einsatz in Afghanistan genutzten Militärstützpunkt, zu stützen, argumentierte Deutschland, die Sanktionen hätten keine Wirkung erzielt. Doch Deutschland hat alles unternommen, um die Sanktionen zu unterlaufen. Das von der EU verhängte Reiseverbot für hochrangige usbekische Regierungsvertreter war kaum verkündet, als Berlin einem der Verantwortlichen für das Massaker von Andischan, dem früheren usbekischen Innenminister Sakir Almatow , der ganz oben auf der Liste der EU stand, die Einreise nach Deutschland zur medizinischen Behandlung erlaubte. Als Familienangehörige der Opfer unter großen persönlichen Risiken seine Strafverfolgung forderten, weigerte sich der deutsche Generalbundesanwalt, Almatow in Haft zu nehmen, und eröffnete nicht einmal ein Strafverfahren gegen ihn. Die Politik Usbekistan kann in keinster Weise den deutschen Ansatz, der einer Kapitulation gleichkommt, rechtfertigen. Dennoch scheint Deutschland die EU für seine Politik gewinnen zu können, trotz des Widerstandes einer beträchtlichen Gruppe von Mitgliedsstaaten. Deutschland ist auch verantwortlich dafür, dass die EU eine schwache Position gegenüber Kasachstan einnimmt. Deutschland unterstützt das Land darin, 2009 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu übernehmen. Dabei wurde die Möglichkeit verpasst, den Wunsch des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew nach einer Führungsrolle für konkrete Forderungen nach politischen Reformen zu nutzen. Als der König in Nepal im Februar 2005 einen Staatstreich durchführte, wollten die skandinavischen Regierungen den Putsch hart verurteilen und die Militärregierung daran hindern, Finanzhilfen der EU zu verwenden. Dänemark spielte eine besonders positive Rolle dabei, doch andere EU-Regierungen, einschließlich Frankreich und Deutschland, schwächten den EU-Konsens ab. Auch Großbritannien verfolgte eine eigenwillige Politik gegenüber dem Land und berief sich auf historische Beziehungen zu Nepal. Die EU vertrat unmittelbar nach dem Staatsstreich einen so schwachen Standpunkt, dass der nepalesischen Zivilgesellschaft das Gefühl vermittelte wurde, sie werde weder unterstützt noch ermutigt. Die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners in der EU verdeutlicht, dass Einheit vor Effizienz steht. Dass gemeinsame Positionen für eine Gemeinschaft europäischer Staaten wichtig sind, ist verständlich. Zusätzlich können die EU-Regierungen jedoch gemeinsam mehr als jeder für sich erreichen; und sie riskieren weniger Widerstand. Wenn jedoch die EU nie über die Wünsche der zögerlichsten Mitglieder hinausgeht, wird sie am Ende nur wenig oder gar nichts erreichen. Eine Option könnte sein, dass für die gemeinsame Außenpolitik anstelle der Einstimmigkeit eine deutliche Mehrheit genügt. Dann müsste jedoch jedes Mitgliedsland auf das Vetorecht und auf seine Souveränität zu Gunsten eines einheitlichen Vorgehens der EU verzichten. Der Status quo jedoch fordert auch einen hohen Preis: von den unterdrückten Menschen weltweit, deren Hilferufe die EU unbeantwortet lässt. Selbst wenn das Einstimmigkeitsprinzip erhalten bleibt, sind Verbesserungen möglich. Zum einen fordert die EU für gemeinsame Entscheidungen im UN-Menschenrechtsrat einen Konsens unter den Mitgliedsstaaten. Anstatt sich auf eine Strategie festzulegen und dann auf die EU-Vertreter im Menschenrechtsrat zu vertrauen, beharren die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten darauf, den genauen Wortlaut einer jeden vorgeschlagenen Erklärung bestätigen zu müssen. Diese Selbstbindung bis ins kleinste Detail führt dazu, dass die EU nicht effektiv auf Veränderungen reagieren und sich nicht an einer Diplomatie des Gebens und Nehmens beteiligen kann, um mehrheitsfähige Bündnisse zu bilden. In Menschenrechtsfragen könnte die EU ihren gemeinsamen Standpunkt als Ausgangsbasis anstatt als Maximalposition betrachten. Es ist sinnvoll, dass keine Regierung bei wesentlichen Fragen der Menschenrechtspolitik hinter dem gemeinsamen Standpunkt zurückbleibt. Aber warum sollte es einzelnen Regierungen untersagt sein, mehr zu unternehmen? Ein formelles Hindernis besteht dafür nicht. Gelegentlich kommt es sogar vor, dass Regierungen über die gemeinsame Position hinausgehen, so beispielsweise bei den Verträgen zum Internationalen Strafgerichtshof, zu Landminen und zum gewaltsamen Verschwindenlassen von Personen. Dänemark hat diesen Ansatz im Fall Darfur vorgeschlagen. Zu oft benutzen EU-Regierungen eine fehlende gemeinsame Position dazu, schwache nationale Stellungnahmen zu rechtfertigen. Das macht Sinn bei Themen wie Steuern oder Handel. Doch es macht keinen Sinn, den Einsatz einzelner Ländern oder mehrerer Staaten für die Menschenrechte zu begrenzen, indem man auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verweist. Damit wird die einheitliche Entschlussfassung über die Effektivität gestellt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass sich die EU trotz ihrer Ideale, trotz ihrer Versprechungen definitiv dafür entschieden hat, eine schwache, auf Konsens beruhende Verteidigung der Menschenrechte über eine wirksame Menschenrechtspolitik zu stellen. Eine willkommene Ausnahme von der Konsensregelung war die Entscheidung vom November 2006. 14 EU-Mitgliedstaaten unterstützen in der UN-Generalversammlung eine Resolution zu Usbekistan, nachdem Versuche gescheitert waren, eine Einigung unter allen Mitgliedsstaaten zu erzielen. Weitere derartige Initiativen sind notwendig. Das Ziel ist nicht, zu einer unabhängigen Außenpolitik der 25 Länder zurückzukehren. Allein die Zahl verleiht Stärke. Die relativ schwache europäische Präsenz in Afghanistan, wo viele Regierungen ihre eigenen bilateralen Projekte verfolgen, ohne die Möglichkeiten eines koordinierten Ansatzes zu nutzen, verdeutlicht den Preis einer nicht koordinierten Politik. Obwohl die EU-Vertretung in Kabul gut informiert ist, nutzen die Mitgliedsstaaten sie kaum. Die von Deutschland betriebene Reform der Polizei war deshalb auch nicht mit der von Italien geleiteten Justizreform abgestimmt (letztere endete 2006). Regierungen mit Wiederaufbauteams in den Provinzen sprachen ihre Arbeit nicht miteinander ab. EU-Staaten, die an den von der NATO geführten Operationen teilnehmen, haben jeweils bilaterale Beschränkungen: Die deutschen Truppen engagieren sich nicht im unmittelbaren Kampf gegen Aufständische zum Schutz der Zivilbevölkerung; britische Truppen unternehmen nichts gegen den Anbau von Drogen, selbst wenn dadurch die Aufständischen unterstützt werden; holländische Truppen sind zurückhaltend bei der Gefangennahme von Häftlingen. All dies verhindert, dass ein sicheres Umfeld für die afghanische Bevölkerung geschaffen wird. Und dennoch gibt es Zeiten, in denen ein schlagkräftiges Vorgehen von wenigen besser ist als ein schwaches oder gar kein Handeln. Selbst wenn ein gemeinsamer Standpunkt erreicht worden ist, schwächt die zentrale Rolle der Ratspräsidentschaft das Durchsetzungsvermögen der Union. Im UN-Menschenrechtsrat hat dies dazu geführt, dass gegnerische Staaten die Debatte beherrschen. Die EU vertritt dort ihre Position nur ein einziges Mal durch den Repräsentanten der Ratspräsidentschaft. Einzelnen EU-Regierungen ist es nicht erlaubt, den gemeinsamen Standpunkt in weiteres Mal vorzutragen. Es ist auch kaum eine weniger wirksame Methode vorzustellen als der sechsmonatige Wechsel in der EU-Ratspräsidentschaft. Kontinuität wird damit nicht erzielt und Fachwissen geht verloren. Manchmal, wie im Fall der finnischen Präsidentschaft während der kritischen ersten sechs Monate des UN-Menschenrechtsrats, schien die finnische Regierung überfordert. Sie versuchte, Konsens herzustellen und nicht eine Führungsrolle zu übernehmen. Selbst wenn größere Länder die Präsidentschaft übernehmen: Auch sie müssen ihr Programm innerhalb von sechs Monaten verwirklichen. Dass die nachfolgende Präsidentschaft sowie der Europäische Rat und die Kommission eine Rolle in der Troika übernehmen, mildert diese selbst auferlegte Schwäche etwas, doch ist dies nicht genug. Die rotierende Präsidentschaft bekräftigt die Gleichheit aller EU-Mitgliedstaaten. Doch dass die einzelnen Regierungen immer nur kurzfristig Verantwortung übernehmen, wodurch sich Fachwissen und langfristige Strategien nicht entwickeln können, verhindert eine effektive Menschenrechtspolitik. Manchmal überwindet die EU diese Schwäche, wie bei den Verhandlungen mit Iran über dessen Nuklearprogramm, als Großbritannien, Frankreich und Deutschland die EU über einen längeren Zeitraum vertraten. Ähnliches ist bei Menschenrechtsthemen jedoch noch nicht vorgekommen. Die EU muss anerkennen, dass ihre unterschiedlichen Mitglieder eher ein Vorteil sind, als ein formales Problem. Sie verfügen über unterschiedliche Erfahrungen und Beziehungen, die durch auf Dauer angelegte Expertentroikas oder Troikas der Effizienz besser genutzt werde können als durch rotierenden Troikas. Der Einfluss der EU ließe sich verbessern, wenn immer dieselben drei Regierungen in Konfliktregionen präsent wären und somit ein kontinuierliches Interesse und ein beständiger Wille zur Problemlösung sichtbar würden. Die Wirksamkeit der EU-Politik wird auch durch mangelnde Transparenz verringert. Das Eintreten für Menschenrechte widerspricht oft anderen Regierungsinteressen. Im Hinterzimmer entwickelte Menschenrechtsstrategien machen es der Öffentlichkeit unmöglich zu erfahren, wie die EU solche Gegensätze löst - besonders wenn die Entscheidungen in Brüssel und nicht in den Hauptstädten der einzelnen Mitgliedsstaaten oder in öffentlichen Parlamentsdebatten fallen. Für die Regierungen ist es angenehm, öffentliche Kontrolle zu vermeiden. Doch die Konsequenzen werden in der Menschenrechtspolitik deutlich und zeigen sich in geringer Einsatzbereitschaft und mittelmäßigem Ergebnis. Die prozeduralen Schwächen können nicht vollständig die mangelhafte Führung in der EU-Menschenrechtspolitik erklären. Der Großteil des Problems liegt am fehlenden politischen Willen. Die Verteidigung der Menschenrechte kann teuer und schwierig sein und viele Regierungen wollen sich damit nicht beschäftigen, zumindest sobald mehr als Lippenbekenntnisse gefordert ist. Aber ob nun das Verfahren oder die politischen Positionen zu beklagen sind, die Glaubwürdigkeit der EU als eine prinzipienfeste Verfechterin der Menschenrechte steht auf dem Spiel. Will man eine mögliche Führungsrolle der EU in der Menschenrechtspolitik genauer untersuchen, so muss ihre Reaktion auf die folgenden Herausforderungen betrachtet werden: die Politik der wichtigsten Mächte China, Russland und die USA; Krisen wie in Darfur; und weitere Menschenrechtsprobleme innerhalb der EU. ChinaDie EU hat beständig ihre Kritik an der chinesischen Menschenrechtspolitik abgeschwächt und fast alle öffentlichen Kommentare in Form von inhaltslosen schriftlichen Stellungnahmen können leicht ignoriert werden. Die EU unterhält einen Menschenrechtsdialog mit China, der von mittleren EU-Beamten und einemwechselnden Präsidentschaftsvertreter geleitet wird. Es gibt jedoch keine erkennbaren Zieldaten, mittelsderersichFortschritte oder Ergebnisse ablesen ließen.Im Gegensatz dazu entwickelte Peking für den Dialog ein Team an Spezialisten, das der Kritik etwas entgegensetzt und jeglichen Reformansatz zu verhindern versteht. Im Ergebnis wird der Dialog vom Außenministerium gelenkt, ohne dass die Öffentlichkeit eingebunden ist. Dadurch wird verhindert, dass Chinas Ruf gefährdet wird und politische Reformen vorangetrieben werden könnten. Die Bedeutungslosigkeit des Dialogs wurde während des letzten EU-China-Gipfels im September 2006 in Helsinki deutlich, an dem der chinesische Regierungschef Wen Jiabao teilnahm. Im Namen der EU-Präsidentschaft kündigte der finnische Botschafter in Peking, Antii Kuosmanen an Menschenrechte spielten beim Gipfel keine wesentliche Rolle und Menschenrechte seien eine sensible und delikate Angelegenheit,.....weil wir es mit Werten zu tun haben. Mit dieser Aussage degradierte die EU universell geltende Menschenrechtsstandards auf das Niveau der Subjektivität. Wie abzusehen war, dominierten Geschäfts- und Sicherheitsthemen die Tagesordnung, wie bereits beim letzten Treffen von Wen mit dem britischen Premierminister Tony Blair und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sowie beim anschließenden Besuch des französischen Präsidenten Jacques Chirac in Peking. Zudem drängten die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und Handelskommissar Peter Mandelson auf eine umfassende Neuausrichtung der Beziehungen zwischen der EU und China. Sie erwähnten jedoch dabei mit keinem Wort die Menschenrechte. Profite waren wichtiger als Prinzipien. Der fehlende Einsatz für die Menschenrechte wurde besonders deutlich bei dem Thema Freiheit des Internets. Ohne die Hilfe der EU (oder auch der USA) gegen den Druck der chinesischen Regierung vorzugehen, liefern sich Internetfirmen Schlachten auf niedrigstem Niveau und erledigen die Schmutzarbeit der chinesischen Regierung, indem sie als Zensoren des Internets agieren. Im Bereich der Menschenrechte gab es auch hoffnungsvolle Momente in den Beziehungen zwischen der EU und China. Während ihres ersten Staatsbesuchs in China traf sich die deutsche Kanzlerin Merkel mit chinesischen Bürgerrechtlern und sprach mit ihnen über die Probleme und Unruhen auf dem Land. Trotz chinesischem Drängen weigerte sich die EU, das Waffenembargo aufzuheben, das nach der blutigen Niederschlagung des Protests auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 verhängt worden war ein seltener Fall, in dem das Konsensprinzip eine starke Position ermöglichte. Die Aufhebung des Embargos, das ursprünglich ohne Befristung verhängt worden war, muss einstimmig beschlossen werden. Obwohl China die Aufhebung des Embargos vor den Olympischen Spielen 2008 fordert, hat die EU immer noch nicht die zu erfüllenden Bedingungen formuliert, wie etwa Transparenz und eine glaubwürdige Untersuchung der Ereignisse am Platz des Himmlischen Friedens, und verschwendet somit ihre Einflussmöglichkeit. RusslandDie Politik der EU gegenüber Russland wird von Deutschland dominiert, das die EU- Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 übernehmen wird. Die neue Ostpolitik Berlins spiegelt die offensichtliche Entschlossenheit wieder, sich ohne Einschränkungen zu engagieren, koste es was es wolle. Als Russlands wichtigster und am meisten geschätzter Gesprächspartner verschwendet die deutsche Regierung ihren Einfluss, indem sie offensichtlich davon ausgeht, dass Energiesicherheit, ein wichtiger Faktor in der europäischen Politik, nicht zu erreichen ist, wenn Russlands erschreckender Umgang mit den Menschenrechten thematisiert wird. Das Zögern Deutschlands, sich auf ein kritisches Verhältnis mit der russischen Regierung einzulassen, könnte auch von Schuldgefühlen gegenüber Millionen von Russen geprägt sein, die durch die deutsche Invasion im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen. Unerklärlich ist jedoch, warum die heutigen Opfer der russischen Menschenrechtsverletzungen leiden sollten, weil ihre Vorfahren litten. Die EU hat zwar halbjährliche Konsultationen zu Menschenrechtsthemen mit Russland durchgeführt. Sie werden jedoch nicht von hochrangigen Diplomaten geführt, und bei Treffen zwischen Russland und der EU standen Menschenrechte nie an oberster Stelle auf der Tagesordnung. Wie bei China reagiert die EU von Zeit zu Zeit auf individuelle Fälle oder Ereignisse, etwa auf das neue russische Gesetz über Nichtregierungsorganisationen. Selten jedoch werden Menschenrechtsthemen von hochrangigen Vertretern öffentlich angesprochen. Gräueltaten in Tschetschenien sind im Wesentlichen vergessen, ohne dass die Verantwortung für die Verbrechen oder das Schicksal der Verschwundenen thematisiert worden wäre. Wie bei ihrer Reise nach China traf sich die deutsche Kanzlerin auch in Russland mit Menschenrechtsaktivisten. Auch thematisierte sie die Bedeutung von Menschenrechten und des Rechtsstaates bei ihrem Besuch. Aber kein anderer europäischer Politiker folgte ihrer Stellungnahme, und diese Position findet sich auch nicht in einem gemeinsamen Standpunkt der EU wieder. Frankreichs Präsident Chirac ehrte Putin sogar mit dem Grossen Kreuz der Ehrenlegion. Im Gegensatz dazu entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Russland habe wegen der Rolle der russischen Truppen und ihrer Verbündeten bei den Zwangsverschleppungen in Tschetschenien das Recht auf Leben verletzt. Die durch die Gerichtsentscheidung entstandene einmalige Chance, Russland zur Beendigung der Menschenrechtsverletzungen zu drängen, wurde von den europäischen Politikern jedoch verpasst. USADie Menschenrechtspolitik der EU gegenüber den USA ist unterschiedlich zu beurteilen. Die Gefangenentransporte und die geheimen Gefängnisse der USA in Europe machten die europäischen Regierungen zu Komplizen bei Folter, willkürlicher Inhaftierung und Zwangsverschleppung. Beweise liegen vor, dass Polen und Rumänien die geheime Inhaftierung von verschwundenen Verdächtigen auf ihrem Gebiet unterstützen. Während der amerikanische Kongress nichts unternahm, um diese Operationen aufzuklären, veranlasste das Europäische Parlament eine Untersuchung. Der eingesetzte Parlamentsausschuss hält es für völlig unplausibel, dass diese Aktivitäten ohne Wissen der europäischen Geheim- oder Sicherheitsdienste hätten stattfinden können. Der Ausschuss bestätigte auch, dass offizielle Stellen die Festsetzung von Verdächtigen auf europäischem Boden und deren Überstellung an Regierungen, die systematisch foltern, unterstützt hätten Die klare Verantwortung liegt jedoch nach Erkenntnissen des Ausschusses bei dem amerikanischen Auslandsnachrichtendienst CIA. Angesichts der Enthüllungen weigerte sich Polen, bei den verschiedenen Untersuchungen über geheime Gefangenenlager zu kooperieren. Im Gegensatz dazu erließ ein italienisches Gericht Haftbefehle gegen CIA-Mitarbeiter und deren italienische Komplizen, die angeblich für die Entführung von Osama Mustafa Hassan Nasr, bekannt als Abu Omar, verantwortlich waren. Er wurde nach Ägypten ausgeliefert und dort gefoltert. Im November wechselte die neue Regierung von Premierminister Romano Prodi die Spitze des Militärgeheimdienstes SISMI aus, dessen Rolle bei der Entführung untersucht wird, und bezeichnete die Veränderungen als natürliche Rotation. Der eigentliche Test für Italien wird sein, ob die Regierung das gerichtliche Auslieferungsgesuch an die USA weiterleitet und Informationen über mögliche Kenntnisse im Vorfeld der Entführung bekannt gibt. Was das amerikanische Verhalten außerhalb Europas betrifft, so gab es keine öffentliche Einschätzung durch einen führenden EU-Vertreter zu den Erkenntnissen der UN-Kommission gegen Folter, die die amerikanische Komplizenschaft bei Folter und anderen missbräuchlichen Verhörmethoden feststellte. Es dauerte Jahre, bis zum EU-USA Gipfeltreffen im Juni 2006, um sich gemeinsam für die Schließung des amerikanischen Gefangenenlagers in Guantanamo Bay auszusprechen. Großbritannien, Deutschland und Spanien hatten bereits davor die Schließung gefordert. Doch die EU weigert sich immer noch in Form einer humanitären Geste, Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen, die die USA freilassen würde, die jedoch wegen möglicher Folter nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können. Nur Albanien war letztendlich bereit, fünf aus Guantanamo entlassene uigurische Gefangene, die aus Sicherheitsgründen nicht nach China zurückgeschickt werden konnten, sowie ägyptische, algerische und usbekische Gefangene aufzunehmen. DarfurWenn sich die EU mit der Krise in Darfur befasst, betont sie meist die Mittel, die sie zur Unterstützung der schlecht ausgerüsteten und personell schlecht ausgestatteten Truppe der Afrikanischen Union (AMIS) bereit gestellt hat. Dennoch hat sie wenig getan, um Khartum davon zu überzeugen, eine besser ausgerüstete und personell besser ausgestattete UN-Schutztruppe zu akzeptieren. Sie wurde im August vom UN- Sicherheitsrat beschlossen. Während des Bürgerkriegs zwischen dem Norden und dem Süden des Landes verhängte die EU ein Waffenembargo gegen den Sudan. Seit Beginn der Krise in Darfur unternahm sie jedoch nichts für dessen Durchsetzung. Die EU weigert sich, Konten einzufrieren und Reisebeschränkungen für hohe sudanesische Regierungsvertreter zu verhängen, die für Verbrechen in Darfur verantwortlich sind. Weit davon entfernt die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen zu erreichen, stieg das Handelsvolumen der EU, besonders Frankreichs mit dem Sudan, steil an. Dass Khartum keine Fortschritte bei der von der EU und den Vereinten Nationen geforderten Entwaffnung der Dschandschaweed-Milizen oder bei der Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechern gemacht hat, veranlasste die EU nicht dazu, einen härteren Kurs gegenüber dem Sudan einzuschlagen. Teilweise besteht das Problem darin, dass die ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, Großbritannien und Frankreich, darauf bestanden, dass die Darfur-Politik der EU in New York und nicht in Brüssel gemacht wird. Die EU und besonders Deutschland und Frankreich waren jedoch die treibende Kraft bei der Einsetzung einer UN-Untersuchungskommission, die zu den Gräueltaten in Darfur errichtet wurde, und bei der späteren Überweisung der Verbrechen in Darfur zum Internationalen Strafgerichtshof. Die wichtige Aufgabe, Gerechtigkeit für die Opfer zu schaffen, ersetzt jedoch nicht das Ziel, weiterhin stattfindende Morde, Vergewaltigungen und Zwangsvertreibung zu beenden. Um weitere Staaten für sich zu gewinnen, hat die EU das Thema Darfur mit China im Vorfeld des chinesisch-afrikanischen Gipfeltreffens im November 2006 besprochen. Und die deutsche Kanzlerin Merkel hat das Thema bei ihren Besuchen in Russland und China angesprochen. China und Russland dafür zu gewinnen, Druck auf Khartum auszuüben, um Sudans Zustimmung für eine UN-Schutztruppe und ein Ende der brutalen Politik in Darfur zu bewirken, wurde nicht ausreichend genug verfolgt. Die Situation vor Ort änderte sich nicht und Khartum und die Dschandschaweed-Milizen greifen weiterhin Zivilisten an. Weitere MenschenrechtsthemenIn vielen weiteren Ländern hat die EU bei Menschenrechtsthemen versagt. Oft spielten Wirtschaftsinteressen eine wichtige Rolle.
Dennoch: Die EU spielt in einigen Fällen auch eine positive Rolle, besonders bei Einsätzen in Krisenregionen:
Auch durch den Erweiterungsprozess kann die EU zu einer treibenden Kraft für Menschenrechte werden. Das Konsensprinzip kann dabei zugunsten der Menschenrechte wirken, statt den Einfluss der EU zu verringern. Das Prinzip hebt die Beitrittsschwelle für die Kandidaten, da jedes EU-Mitglied einwenden kann, es wäre noch nicht genug zur Verbesserung der Menschenrechtslage geleistet worden. Dieser positive Einfluss war besonders stark in den letzten Jahren auf dem Balkan spürbar, auch wenn es Brüssel nicht gelungen war, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies wurde auch im Fall der Türkei spürbar. Die wachsende Zurückhaltung einiger EU-Regierungen bezüglich der türkischen Mitgliedschaft verringerte die Einflussnahme der EU auf Fragen des Menschenrechtsschutzes. Diese positiven Ausnahmen ersetzen jedoch nicht politische Stringenz. Solange sie fehlt, kann die EU nicht auf die gegenwärtigen Herausforderungen im Menschenrechtsbereich erfolgreich reagieren. Wenn die EU eine globale Führungsrolle anstrebt, dann muss sie zu einer festen und einheitlichen Stimme in der Menschenrechtspolitik finden. Menschenrechte innerhalb der EUWas das Thema Migration und Asyl betraf, so war die Politik innerhalb der EU besonders enttäuschend. Die europäische Entschlossenheit, den Migrationsstrom um jeden Preis aufzuhalten, führte dazu, dass die Rechte der Migranten missachtet und deren Asylrecht in Europa eingeschränkt wurde. Im Januar 2006 trat die Richtlinie zum Asylverfahren in Kraft. Demnach müssen die Mitgliedsstaaten Asylsuchende ablehnen, die aus von der EU festgelegten sicheren Herkunftsländern kommen. Da keine Übereinstimmung über die Liste erzielt werden konnte, da viele der vorgeschlagenen Länder nur zweifelhaften Schutz bieten, wurde sie nicht umgesetzt. Doch einige Mitgliedstaaten haben bereits nationale Listen mit sicheren Herkunftsländern zusammengestellt. Um die Migrationspolitik zu internationalisieren, hat sich die EU mit Unterdrückungsregimen wie Libyen verbündet. Das Land ist Durchgangsstation für tausende Migranten, die Schutz und Arbeit in Europa suchen. Die Zusammenarbeit zwischen Libyen und der EU im Bereich Migration ist nur darauf ausgerichtet, den Zugang zur EU zu verhindern, ohne dass dabei die Rechte oder Ansprüche der Flüchtlinge eine Rolle spielen. Um die Ostgrenze abzusichern, unterzeichnete die EU im Oktober ein Abkommen mit der Ukraine. Darin verpflichtet sich das Land, aus Drittländern stammende Flüchtlinge, die in der EU Schutz suchen, wieder aufzunehmen. Die Vereinbarung wurde trotz Besorgnis über Haftbedingungen und trotz einem mangelhaften Asylverfahren getroffen. Die zweijährige Übergangsfrist vor Inkrafttreten des Abkommens lässt kaum genug Zeit, das ukrainische Verfahren zu reformieren. Spanien, das 2006 am stärksten von der Einwanderung über den Seeweg betroffen war, verhandelt über Rückführungsabkommen mit Ländern wie Senegal und Mauretanien. Die meisten Regierungen der EU gehen gegen Terrorstraftaten im Rahmen regulärer Justizverfahren vor. Sie beschneiden jedoch bei Terrorverdächtigen Verfahrensgarantien und riskieren somit, den gesamten Rechtsstaat zu beschädigen. Großbritannien verabschiedete ein Gesetz, das die Haft ohne Anklageerhebung von 14 auf 28 Tagen erhöht, und führte eine Debatte darüber, sie sogar auf 90 Tagen zu erweitern. In den Niederlanden könnte im Rahmen eines neuen Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung die Haft ohne Anklageerhebung von drei auf 14 Tage ausgeweitet werden. Ab Januar 2006 können Terrorverdächtige in Frankreich bis zu 6 Tage in Polizeigewahrsam genommen werden, mit extrem geringen Möglichkeiten rechtlichen Beistand zu erhalten, während die Polizei die Gefangenen nach ihrem Ermessen verhören kann. Einige EU-Staaten versuchen, Strafverfahren gegen mutmaßliche Terroristen im eigenen Land dadurch zu vermeiden, dass sie Terrorverdächtige an Länder ausliefern, in denen sie dem Risiko der Folter ausgesetzt sind. Großbritannien hält Verdächtige weiter ohne Anklage fest und versucht, sie auf der Grundlage wager Versprechen auf menschliche Behandlung von Ländern wie Libyen und Jordanien zurückzusenden. Gerechtfertigt wird dieser Verstoß gegen internationales Recht mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Gleichzeit untersagt Großbritannien seinen Staatsanwälten jedoch, gerichtlich zugelassene Telefonabhörungen als Beweismaterial einzusetzen. Nur eine weitere westliche Demokratie, Irland, vertritt diese Position. Die britische Regierung hat sich nie dazu geäußert, warum fundamentale Rechte aufgegeben werden, bevor allseits akzeptierte Mittel angewendet worden sind. Die Niederlande versucht weiterhin, mutmaßliche Terroristen auf der Grundlage ähnlich wager Versprechen an die Türkei auszuliefern. Andere Länder, einschließlich der Schweiz, wollen diese zweifelhafte Praxis übernehmen. Während also das Europäische Parlament die Komplizenschaft Europas bei CIA-Überstellung in Länder mit Foltergefahr untersucht, führen EU-Staaten im Anti-Terrorkampf Abschiebungen in ähnliche Länder durch. |