HUMAN RIGHTS WATCH

Brief an den deutschen Wirtschaftsminister Glos betreffend Turkmenistan

An den  
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie  
Herrn Michael Glos  
Scharnhorststraße 34-37  
10115 Berlin  
 
21. Februar 2008  
 
Sehr geehrter Herr Bundesminister,  
 
die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch möchte sich anlässlich  
Ihrer bevorstehenden Reise nach Turkmenistan mit diesem Schreiben an Sie  
wenden. Die Reise stellt eine herausragende Gelegenheit dar, um europäische  
Werte und Erwartungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit Turkmenistan  
zu artikulieren, zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung des  
Landes die selbst auferlegte internationale Isolation der Nijasow-Ära beenden  
will. Obwohl die turkmenische Regierung unter Präsident  
Berdimuhammedow damit begonnen hat, einige der verheerenden Maßnahmen  
der Sozialpolitik und des Personenkults der Herrschaft Nijasows rückgängig  
zu machen, ist dies äußerst wichtig. Die Regierung bleibt weiterhin,  
wie im Folgenden beschrieben wird, eine der repressivsten und autoritärsten  
weltweit. Ihre Politik und Praktiken stehen im Gegensatz zu den europäischen  
Werten.  

Wenn Sie bei Ihrem Besuch in Aschgabat darauf hinweisen, dass Menschenrechte  
und Rechtsstaatlichkeit höchste Priorität haben und alle Aspekte der  
Politik Deutschlands gegenüber Turkmenistans betreffen, wäre dies ein  
herausragender Beitrag, damit Turkmenistan als angemessener Partner für  
die weitere Zusammenarbeit betrachtet werden kann.  
 
Die Position der Europäischen Union bezüglich der Zusammenarbeit  
mit Turkmenistan
 
 
Gestern hat das Europäische Parlament eine Resolution zu Zentralasien  
verabschiedet. Darin werden Kriterien aufrechterhalten, die vom Ausschuss  
für Internationalen Handel des Parlaments im November aufgestellt worden  
waren und die von der turkmenischen Regierung erfüllt werden sollen, bevor  
die EU ein Interim-Handelsabkommen mit dem Land abschließt. Diese  
Kriterien sind nicht bindend für bilaterale Beziehungen der EU-Mitgliedsländer.  
Human Rights Watch wendet sich jedoch an Ihre Delegation, damit  
sie im Sinne gemeinsamer europäischer Werte handelt. Deutschland sollte  
klarstellen, dass es die Kriterien des Europäischen Parlaments unterstützt,  
und die turkmenische Regierung dazu auffordern, umgehend Maßnahmen zu  
ihrer Umsetzung zu ergreifen.  
 
Die Kriterien beinhalten:  
 
 
Positive Veränderungen  
Was das Bildungswesen betrifft, so hat Präsident Berdimuhammedow seit seiner Amtsübernahme das  
zehnte Schuljahr in den weiterführenden Schulen sowie die fünfjährige Universitätsausbildung wieder  
eingeführt und Gespräche mit ausländischen Regierungen über umfassende und wichtige Reformen  
abgehalten, besonders zur akademischen Ausbildung. In der Sozialpolitik wurden Pensionen und  
soziale Beihilfen wieder eingeführt. Die Akademie der Wissenschaften wurde wieder eröffnet. Zirkus  
und Oper dürfen wieder Veranstaltungen abhalten, was unter Nijasow nicht erlaubt war (Ballett-  
Aufführungen bleiben jedoch weiterhin verboten). Die Regierung hat einen Menschenrechtsbeauftragten  
der Vereinten Nationen, den Sonderbeauftragten für Religionsfreiheit, eingeladen, das Land  
zu besuchen.  
 
Menschenrechtsprobleme  
Zugleich fand jedoch in Turkmenistan während der einjährigen Amtszeit des Präsidenten  
Berdimuhammedow keine wirkliche Reform im Bereich der Menschenrechte statt. Human Rights  
Watch hat im November in einem Bericht dokumentiert, wie in Turkmenistan weiterhin die Rechte auf  
freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit und Glaubensfreiheit  
massiv eingeschränkt werden. Unabhängige Nichtregierungsorganisationen, die zu Menschenrechtsthemen  
arbeiten, und unabhängige Medien können wegen Drohungen und Schikanen der  
Regierung nicht wirksam handeln. Einheimische und internationale Organisationen, darunter auch  
das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, haben weiterhin keinen Zugang zu turkmenischen  
Gefängnissen.  
 
Politische Gefangene  
Hunderte Personen, vielleicht sogar wesentlich mehr, sitzen in Gefängnissen fest, nach unfairen  
Gerichtsverfahren auf der Basis oftmals politisch motivierter Anklagen. Darunter befindet sich auch  
Mukhametkuli Aymuradow, der 1995 zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. In dem politisch motivierten  
Verfahren wurden ihm staatsfeindliche Aktivitäten vorgeworfen. 1998 wurde er ein weiteres Mal, nun  
zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, da er angeblich versucht hatte, aus dem Gefängnis zu fliehen.  
Annakurban Amanklychew und Sapardurdy Khjiew, die Mitglieder in einer turkmenischen Menschenrechtsgruppe  
im Exil sind, wurden 2006 zu sieben Jahren Haft aufgrund nicht bestätigter Vorwürfe  
des Waffenbesitzes verurteilt.  
Auch ist der Aufenthalt von mehreren hochrangigen politischen Gefangenen, die sich in Gewahrsam  
befinden, nicht bekannt. Dazu gehören der frühere Außenminister Boris Shikhmuradow und der  
ehemalige turkmenische Botschafter bei der OSZE Batyr Berdyew sowie andere Personen, die im  
Rahmen eines angeblichen Mordanschlags gegen den verstorbenen Saparmurat Nijasow angeklagt  
waren.  
 
Freizügigkeit  
Obwohl einige Personen die Erlaubnis erhalten haben, ins Ausland zu reisen, bleibt das in der  
Nijasow-Ära etablierte System der Reisebeschränkungen intakt, und es werden weiter willkürlich  
Auslandsreiseverbote verhängt. So auch im Fall Andrey Zatoka: Drei Monate nachdem er eine  
Ausreiseerlaubnis beantragt hatte, wurde dem bekannten Umweltaktivisten mitgeteilt, dass er seine  
Reise nicht antreten dürfe. Gründe wurden ihm nicht mitgeteilt.  
Auch Rashid Ruzimatow, der mit einem heute im Exil lebenden früheren Regierungsbeamten verwandt  
ist, darf seit 2003 nicht ins Ausland reisen. Ruzimatow hat den Behörden bereits vier Mal  
geschrieben, um in Erfahrung zu bringen, weshalb er nicht ausreisen darf und um eine Genehmigung  
für eine Ausreise zu erhalten. Das letzte Mal hat er sich im Mai 2007 an die Behörden gewandt, um  
für eine Gedenkveranstaltung zu Ehren seines toten Vaters nach Usbekistan reisen zu dürfen. Am  
7. Juni erhielt er einen Brief vom Generalstaatsanwalt mit der Aussage, dass seine Anfrage  
„bearbeitet und abgewiesen“ worden sei.  
 
Religions- und Glaubensfreiheit  
Unter der Herrschaft Nijasows war die Religionsfreiheit massiv eingeschränkt. Gläubige mussten mit  
Strafverfolgung, Übergriffen durch die Polizei, Abschiebung und teilweise gar Zerstörung ihrer  
religiösen Einrichtungen rechnen. Dies betraf vor allem Personen, die sich nicht zum sunnitischen  
Islam oder dem russisch-orthodoxen Glauben bekannten.  
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der US-amerikanischen Kommission für Internationale Religionsfreiheit,  
die im August 2007 nach Turkmenistan gereist war, vermerkt einige positive Entwicklungen.  
So sei etwa der frühere Obermufti aus der Haft entlassen worden und die Regierung habe ihre Bereitschaft  
geäußert, Reformen der nationalen Religionsgesetze in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig  
unterstreicht der Bericht jedoch, dass weiterhin ein System repressiver Gesetze und Praktiken  
angewandt werde. So würden etwa Führer oder Anhänger friedfertiger nicht registrierter Glaubensgemeinschaften  
verhaftet, deren Aktivitäten als ‚illegal’ eingestuft werden, sowie der Import und  
Druck religiöser und anderer Materialien verboten.  
Die unabhängige Organisation „Forum 18 News Service“ berichtet außerdem, dass seit dem Amtsantritt  
von Präsident Berdimuhammedow ein Anstieg repressiver Maßnahmen gegen die friedlichen  
religiösen Aktivitäten von Baptisten, Protestanten und Zeugen Jehovas in Turkmenistan zu verzeichnen  
ist.  
Human Rights Watch fordert die Delegation auf, die Notwendigkeit echter Reformen im Menschenrechtsbereich  
zu unterstreichen und von der Regierung eine Verbesserung der Menschenrechtsbilanz  
zu verlangen. Die Delegation kann insbesondere darauf hinarbeiten, dass politische Gefangene freigelassen  
werden und dass es eine landesweite und transparente Überprüfung politischer Verfahren  
der letzten Jahre gibt. Außerdem sollte es den Bürgern erlaubt sein, frei ins Ausland zu reisen. Die  
Schikanierung der Zivilgesellschaft, etwa von unabhängigen NGOs, Medien und Religionsgemeinschaften,  
soll beendet werden.  
Wir bedanken uns bei Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie den in diesem Brief angesprochenen  
Problemen widmen.  
 
Mit freundlichen Grüßen  
 
Holly Cartner  
Direktorin  
Abteilung Europa- und Zentralasien  
Human Rights Watch  
 
Marianne Heuwagen  
Direktorin  
Deutschland-Büro  
Human Rights Watch