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Türkei: Um Folter zu bekämpfen, müssen Polizeistationen überwacht werden

EU-Troika sollte Fortschritte erkennen, aber auf weitere Verbesserungen drängen

(Wien, 6. März 2006) Um Folter in der Türkei zu bekämpfen, müssen lokale Polizeistationen überwacht werden. Ein neues Programm, bei dem Menschenrechtsgruppen entsprechende Einrichtungen kontrollieren, kann zwar ein entscheidender Schritt im Kampf gegen Folter sein. Jedoch müssen die Kontrollmechanismen weiter ausgebaut und unabhängiger werden, fordert Human Rights Watch in einem Bericht, der noch vor dem am 8. März stattfindenden EU-Außenministertreffen mit der Türkei veröffentlicht wird.

" Diese Besuche der Menschenrechtsausschüsse sind ein effektives Werkzeug im Kampf gegen Folter in der Türkei. Häftlinge werden immer noch gefoltert bzw. misshandelt, obwohl es bereits wichtige Schutzmechanismen gibt. Regelmäßige, nicht angekündigte Besuche von unabhängigen Kontrolleuren können sicherstellen, dass diese Schutzmechanismen in der Praxis auch umgesetzt werden. "
Holly Cartner, Direktorin der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch
  

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Seit Anfang letzten Jahres kontrolliert ein landesweites Netz regionaler Menschenrechtsausschüsse – unter der Ägide des Premierministers – örtliche Polizeistationen. Sowohl angekündigte als auch spontane Besuche sollen sicherstellen, dass die Schutzmechanismen gegen Folter und Misshandlung von Häftlingen umgesetzt werden. Bis zum Ende des Jahres 2005 waren in 31 von 81 türkischen Provinzen Polizeistationen kontrolliert worden.  
 
„Diese Besuche der Menschenrechtsausschüsse sind ein effektives Werkzeug im Kampf gegen Folter in der Türkei“, meint Holly Cartner, Direktorin der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch. „Häftlinge werden immer noch gefoltert bzw. misshandelt, obwohl es bereits wichtige Schutzmechanismen gibt. Regelmäßige, nicht angekündigte Besuche von unabhängigen Kontrolleuren können sicherstellen, dass diese Schutzmechanismen in der Praxis auch umgesetzt werden.“  
 
In einem neuen Bericht bewertet Human Rights Watch die Arbeit der Kontrollteams, die in 81 Provinzen Interviews mit Ärzten, Richtern und Regierungsbeamten führte. Die Ergebnisse zeigen, dass es sowohl Fortschritte als auch Probleme gibt. Während einige Menschenrechtsausschüsse bereits einen positiven Einfluss ausüben, konnte das volle Potential des Kontrollsystems noch nicht umgesetzt werden.  
 
Die Kontrollausschüsse bestehen aus Regierungsbeamten, Vertretern von Berufsverbänden und Nicht-Regierungsorganisationen. Erstmals sind auch „normale“ Bürger wie Ärzte oder Anwälte involviert, um Sicherheitskräfte zu überwachen. Dieses Netzwerk kann wesentlich dazu beitragen, dass Folter in der Türkei ein Ende gesetzt wird – zumal dann, wenn es mit den bereits bestehenden Antiterrormaßnahmen kombiniert wird.  
 
Mehr als die Hälfte der 81 regionalen Ausschüsse haben jedoch noch keine Kontrollbesuche bei den Polizeistationen durchgeführt – oder die abgestatteten Besuche waren nicht gründlich genug. Andere Ausschüsse weigerten sich, Besuche durchzuführen, solange nicht eine formelle Beschwerde eines Folteropfers vorlag. Außerdem berichteten nur wenige Ausschüsse öffentlich über Häufigkeit, Methode und Ergebnis der Kontrollbesuche. Der überwältigende Einfluss, den regionale Regierungsbeamte auf diesen Prozess ausgeübt haben, stellt die Unabhängigkeit der Ausschüsse in Frage.  
 
Andererseits nehmen die meisten der den Ausschüssen angehörenden Ärzte und Anwälte ihre Verantwortung sehr ernst und engagieren sich dafür, dass dieses System als effektives Werkzeug im Kampf gegen Folter funktioniert. Mit dem Anstieg der Kontrollbesuche durch die Ausschüsse müssen jedoch die Behörden sicherstellen, dass alle Delegierte die bestmögliche Ausbildung und Unterstützung bekommen, um ihr Mandat erfüllen zu können. „Das Kontrollsystem ist ein wichtiger Anfang, doch es ist noch nicht perfekt“, so Holly Cartner. „Jetzt müssen die Ausschüsse unabhängig werden und ihre Kontrollen ausbauen.“  
 
Über Jahrzehnte war Folter durch die Polizei in der Türkei weit verbreitet – vor allem in den türkischen Antiterror-Einheiten. Folter mit Todesfolge fand Mitte der 90er Jahre ihren Höhepunkt. Sexuelle Übergriffe auf männliche, weibliche und jugendliche Häftlinge waren an der Tagesordnung, der Zugang zu den Verhörräumen für Zivilisten undenkbar. Ohne regelmäßige, unabhängige Kontrollen und ohne strafrechtliche Verfolgung von Misshandlung konnte Folter florieren. Die einzigen Gremien, die Zugang zu den türkischen Polizeistationen hatten, waren das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter sowie die Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments. Sie konnten nach ihren Besuchen bedeutende medizinische Beweise für Folter vorweisen. Darüber hinaus fanden sie geheime Verhandlungszimmer und Folterwerkzeuge.  
 
In den vergangenen Jahren hat die türkische Regierung unzählige Reformen veranlasst, um Häftlinge vor Folter und Misshandlungen zu schützen. Es wurden einige Gesetze verabschiedet, so zum Beispiel die Verkürzung der Haft, die Abschaffung der Isolationshaft und das Recht aller Häftlinge (einschließlich der unter Terrorverdacht stehenden) auf einen Anwalt.  
 
Dank dieser Reformen sind die Meldungen über Folter und tödliche Folterungen während der Haft in den letzten Jahren erheblich gesunken. Trotz alledem gibt es aber immer noch Berichte über Misshandlung und Folter, die häufig vorfallen, wenn Polizisten die Schutzmaßnahmen missachten. Human Rights Watch berichtet, dass ein effektives Kontrollsystem erheblich zum weiteren Rückgang von Folter und Misshandlung beitragen könnte und betont, dass diejenigen, die sich nicht an die Vorschriften halten, verantwortlich gemacht werden sollten.  
 
Im vergangenen Jahr übernahm die türkische Regierung zwei bedeutende Schritte zur Öffnung der Polizeistationen für unabhängige Kontrollen. Zuerst wurde das Fakultativprotokoll der UN-Konvention gegen Folter unterzeichnet. Dadurch verpflichtete man sich, ein „System von regelmäßigen Kontrollbesuchen in Haftanstalten durch unabhängige internationale und nationale Gremien zu errichten, um Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Bestrafungen zu verhindern.“ Dies signalisierte, dass die Regierung den Bedarf an unabhängigen Kontrollen in Haftanstalten befürwortet. Die vollständige Umsetzung könnte jedoch einige Jahre in Anspruch nehmen.  
 
Darüber hinaus begann das landesweite Netzwerk von Menschenrechtsausschüssen mit den Kontrollbesuchen. Dies ist eine Übergangslösung, bis ein dauerhaftes Kontrollsystem gegründet werden kann, das auf den Verpflichtungen des Fakultativprotokolls basiert.  
 
Das Kontrollsystem der Menschenrechtsausschüsse befindet sich immer noch in der Probephase. Es sind zusätzliche Schritte notwendig, um das volle Potential im Kampf gegen Folter ausspielen zu können. Human Rights Watch hat der türkischen Regierung einige Empfehlungen vorgelegt. Um die Unabhängigkeit der Ausschüsse zu erhöhen, sollte die Regierung Delegierte aus Rechtsanwalts- und Ärzteverbänden ermutigen, die Kontrollaktivitäten zu leiten und die Ausschüsse mit Informationen zu versorgen – und zwar unabhängig von regionalen Regierungsbeamten, die für die Provinzpolizei verantwortlich sind. Weiter sollte die Regierung Menschenrechtsorganisationen (wie z. B. Mazlum-Der und die Human Rights Association) einladen, die Ausschüsse zu beraten und sie bei ihren Besuchen zu unterstützen.  

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