Background Briefing

Russische Föderation

Flüchtlingsfall von Ivanovo

Im Juni 2005 wurden von der russischen Polizei in der russischen Stadt Ivanovo eine Gruppe von zwölf usbekischen Flüchtlingen und einem Kirgisen festgenommen. Die Männer sind Gegenstand eines Auslieferungsgesuchs der Regierung Usbekistans. Es wird ihnen vorgeworfen, im Mai 2005 an den Unruhen in der usbekischen Stadt Andischan beteiligt gewesen zu sein. Dabei wurden Hunderte Zivilisten durch usbekische Sicherheitskräfte getötet.31 Der russische Staatsanwalt ordnete am 3. August 2006 die Auslieferung der Männer an, obwohl das Büro des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) sie als Flüchtlinge anerkannt hatte, da bei ihrer Rückkehr nach Usbekistan eine begründete Gefahr für Verfolgung und Folter bestehen würde. Der Staatsanwalt argumentierte, dass die russischen Behörden von der usbekischen Regierung diplomatische Zusicherungen erhalten haben. Darin werde versprochen wurde, dass die Männer bei ihrer Rückkehr weder gefoltert noch zum Tode verurteilt werden würden.

Am 15. August 2006 gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf Antrag der Anwälte eine Anweisung für „einstweilige Maßnahmen“. Dadurch wurde die die russische Regierung angewiesen, die Männer so lange nicht auszuliefern, bis der EGMR Gelegenheit gehabt habe, diese Fälle zu überprüfen.32

Während der am 28. November 2006 stattfindenden Anhörung, in der die Betroffenen die Auslieferung vor dem Obersten Gerichtshof anfochten, wies der Staatsanwalt erneut darauf hin, dass die usbekische Regierung diplomatische Zusicherungen abgegeben hatte. Sie würden von den russischen Behörden als ausreichend betrachtet, um die Männer bei ihrer Rückkehr vor Missbrauch zu bewahren. Im Rahmen der Anhörung erläuterten die Anwälte der Männer, wie systematisch Folter und andere Formen der Misshandlung sowie ungerechte Gerichtsverfahren in der usbekischen Strafjustiz für mutmaßliche Täter eingesetzt werden. Dies gelte auch für diejenigen, denen die Beteiligung an den Ereignissen in Andischan vorgeworfen wird. Diplomatische Zusicherungen von usbekischen Behörden seien unzuverlässig.33 Trotzdem entschied der Oberste Gerichtshof jedoch, dass man mit der Auslieferung der Männer fortfahren könne.34

Aufgrund der Anweisung für „einstweilige Maßnahmen“ ist es der russischen Regierung allerdings untersagt, die Männer auszuliefern, bevor der EGMR diese Fälle überprüft hat. Bis dahin bleiben sie weiterhin in Ivanovo inhaftiert.



31 Human Rights Watch, „Bullets Were Falling Like Rain: The Andijan Massacre, May 13, 2005“ (Englisch), Vol. 17, Nr. 5(D), Juni 2005, http://hrw.org/reports/2005/uzbekistan0605/, und „Burying the Truth: Uzbekistan Rewrites the Story of the Andijan Massacre“ (Englisch), Vol. 17, Nr. 6(D), 19. September 2005, http://hrw.org/reports/2005/uzbekistan0905/.

32 „The Strasbourg Court Intercepts Vladimir Putin's Gift to Islam Karimov“ (Englisch), WPS: Central Asia News (Russland), 16. August 2006.

33 Ein Repräsentant von Human Rights Watch war im Gerichtssaal anwesend und verfolgte das Rechtsmittelverfahren der Männer in Bezug auf ihre Auslieferung am 28. November 2006.

34 „Russian Supreme Court Rejected Challenge to Extraditions of Uzbek Asylum Seekers“ (Englisch), The Times of Central Asia, 1. Dezember 2006.