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Usbekistan: Unfairer Prozess für Menschenrechtsverteidiger
Verdacht auf Folter
(Taschkent, 12. August 2003) - Ein usbekischer Menschenrechtsverteidiger, der wegen angeblicher homosexueller Handlungen angeklagt ist, muss sofort aus der Haft entlassen werden, forderte Human Rights Watch heute.

"Durch die Art der Vorwürfe will man ganz offensichtlich Vorurteile gegenüber schwulen Männern schüren und dadurch auch die Internationale Gemeinschaft davon abhalten, sich für Scharipow einzusetzen. Wir müssen der usbekischen Regierung laut und deutlich zeigen, dass dieser Plan nicht aufgeht".

Elizabeth Andersen
Direktorin der Abteilung für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch


 

Seit dem 23. Juli 2003 steht der Menschenrechtler und engagierte Journalist Ruslan Scharipow in Taschkent vor Gericht. Das Verfahren wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Am 8. August deuteten verschiedene Umstände ernsthaft darauf hin, dass Scharipow in der Haft gefoltert wurde: So verzichtete der Angeklagte unerwartet auf seinen Anspruch auf rechtlichen Beistand, erklärte sich dazu bereit, sich in allen Anklagepunkten schuldig zu bekennen und beantragte, dass seine Mutter, die einzig außenstehende Prozessbeobachterin, des Saales verwiesen werde.


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Zusätzlich bot Scharipow an, Präsident Karimow, den Innenminister, sowie die örtliche Polizei öffentlich um Vergebung zu bitten. Außerdem distanzierte er sich von den Inhalten aller seiner regierungskritischen Artikel, die er im Zeitraum zwischen 2001 und 2003 im Internet veröffentlicht hatte.

Einer der von Scharipow nun entlassenen Strafverteidiger konnte nach dem besagten Gerichtstermin noch mit seinem Mandanten sprechen und bestätigte gegenüber Human Rights Watch, dass Scharipow sich aus Angst um seine eigene Sicherheit, sowie der Sicherheit seiner Mutter und seiner Anwälte, gezwungen sah, auf Rechtsbeistand zu verzichten und sich schuldig zu bekennen.

"Das politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen Ruslan Scharipow muss sofort eingestellt, die Anklage nach Artikel 120 fallengelassen und Scharipow sofort aus der Haft entlassen werden, bis die verbleibenden Vorwürfe durch eine unparteiische und unabhängige Untersuchung geprüft werden", sagte Human Rights Watch in einem Brief an den Präsidenten, Islam Karimow. "Human Rights Watch verurteilt die Verhaftung Scharipows und betrachtet sie als Versuch das Recht auf freie Meinungsäußerung in Usbekistan zu beschneiden. Außerdem stellt sie eine ungeheuerliche Diskriminierung und Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung dar".

Der 25-jährige Scharipow wurde am 26. Mai 2003 in Taschkent von Polizeibeamten unter dem Vorwurf homosexueller Handlungen verhaftet. Die Anklage stützt sich auf Artikel 120 des usbekischen Strafgesetzbuches, wonach "besakalbazlyk" - die "einvernehmliche Befriedigung sexueller Bedürfnisse zwischen zwei Männern" - mit bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird. Das Verbot der männlichen Homosexualität stammt noch aus der Zeit der Sowjetunion, wo es unter Stalin eingeführt worden war. Abgesehen von Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan haben die Nachfolgestaaten der Sowjetunion das Gesetz jedoch inzwischen aufgehoben.

"Ruslan Scharipow hat jahrelang als unverblümter Kritiker der usbekischen Regierungspolitik auf sich aufmerksam gemacht," sagte Elizabeth Andersen, Direktorin der Abteilung für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch, "und sah sich dadurch ständigen Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Der Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist ganz offensichtlich rein politisch motiviert und diskriminierender Natur. Wir fordern seine Freilassung und die Aufhebung des Artikels 120 des Strafgesetzbuches."

Nach seiner Verhaftung im Mai wurden von der Polizei weitere Anklagen gegen Scharipow erhoben. So soll er angeblich Minderjährige zu "unsozialen Handlungen" verleitet (Strafgesetzbuch, Artikel 127) und auch sexuelle Kontakte zu Minderjährigen gehabt haben (Artikel 128). Alle diese Vorwürfe hat Scharipow bis zum 8. August, an dem er eine unerwartete Aussage machte, vehement bestritten. Man habe sie konstruiert, erklärte er, um ihn zum Schweigen zu bringen und seinem Engagement für die Menschenrechte eine Ende zu setzen.

"Durch die Art der Vorwürfe will man ganz offensichtlich Vorurteile gegenüber schwulen Männern schüren und dadurch auch die Internationale Gemeinschaft davon abhalten, sich für Scharipow einzusetzen," sagte Andersen. "Wir müssen der usbekischen Regierung laut und deutlich zeigen, dass dieser Plan nicht aufgeht".

Human Rights Watch befürchtet, dass der für sein menschenrechtliches Engagement schließlich so bekannte Scharipow auf die ihm zustehenden Rechte kaum freiwillig verzichten oder sich von seiner eigenen Arbeit distanzieren würde. Sein Verhalten sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass er gefoltert und sein Geständnis erzwungen worden sei.

"Keineswegs beweisen Scharipows neue Aussagen seine Schuld", so Andersen, "sondern vielmehr, dass usbekische Behörden einen schutzlosen Gefangenen manipulieren und nötigen."

So hätten Polizeibeamte Scharipow in den ersten Tagen nach seiner Verhaftung Vergewaltigung mit einer Flasche und andere körperliche Misshandlungen angedroht.

Human Rights Watch befürchtet, dass Scharipow in der Haft weiterer psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Der Brief von Human Rights Watch an Präsident Karimow:
http://hrw.org/german/europe/usbek081203-ltr.de.htm