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Im Irak Gerechtigkeit walten lassen

Von Kenneth Roth (*)
18. Juli 2003


Zu diesem Thema

US-Pläne für Irak Tribunale „ein Fehler“

Background on War in Iraq


Die Massengräber, die im Irak entdeckt wurden, sind ein Vermächtnis Saddam Husseins und zeugen von den Grauen der Vergangenheit. Unter den Leichen befinden sich 100000 kurdische Männer und Jugendliche, die 1988 mit Giftgas aus ihren Häusern vertrieben und exekutiert wurden, 30000 Schiiten und Kurden, die während den Aufständen von 1991 wegen ihrer pro-iranischen Einstellung abgeschlachtet wurden. Unter den Leichen befinden sich Iraker aller Religionen und Volksgruppen, die man hinrichtete, weil sie verdächtigt wurden, mit der Opposition zu sympathisieren.


Wie zollt man diesen Opfern Respekt? Und wie zieht man die Täter zur Verantwortung? Gleichgültig, wie man zum Irak-Krieg steht, stellt sich die Frage, wie angesichts dieser Verbrechen Gerechtigkeit geübt werden soll. Deutschland wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Die deutsche Politik ist gefordert, damit Washingtons kurzsichtige Vision nicht Realität werden kann. Schon jetzt hat Washington feste Vorstellungen für das Justizsystem im Irak. Um Saddam und seinen willigen Gehilfen den Prozess zu machen, plant die Bush- Regierung, von Irakern geführte Tribunale einzurichten, die der Regierende Rat in Bagdad jetzt tatsächlich auch installieren will. Theoretisch ein guter Plan: Warum sollten die Iraker nicht selbst für Strafverfolgung ihrer Unterdrücker verantwortlich sein?


Doch der Teufel steckt im Detail. Verfahren bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind komplex und schwierig. Wie man an den Tribunalen in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien sehen kann, sind hochkarätige Juristen gefragt. Um Siegerjustiz zu vermeiden, muss das allerhöchste Maß an Fairness und Gerechtigkeit von Ankläger und Richter gewährleistet sein.


Das Justizsystem unter Saddam Hussein war von Brutalität und willkürlichen Verhaftungen geprägt. Es wird kaum integre Juristen gefördert haben, ganz zu schweigen von einer Tradition der Rechtsstaatlichkeit, die deren Unabhängigkeit sicherstellen könnte. Selbst unter Exil-Irakern und Irakern, die in der Vergangenheit von der Ba'ath-Partei unterdrückt wurden, wird es schwer sein, qualifizierte Juristen zu finden, die auch noch die nötige emotionale Distanz für solch ein Verfahren besitzen.


Sollte der Regierende Rat in Bagdad, wie jetzt geplant, irakische Richter und Ankläger selbst auswählen, würde dies zu weiteren Problemen führen. Die irakische Bevölkerung würde von Washington gewählte Juristen nicht als Hüter der Gerechtigkeit, sondern als Handlanger der Supermacht ansehen. Dadurch wird es noch schwieriger, den Menschen im Irak Rechtsstaatlichkeit näher zu bringen.


Ein internationales Tribunal, entweder ganz international (wie in Ruanda oder dem ehemaligen Jugoslawien) oder ein nationales/internationales Tribunal, (wie in Sierra Leone), wäre eine bessere Lösung. Da die Juristen von der UN und nicht dem Regierenden Rat ausgewählt würden, hätte solch ein Tribunal höhere Chancen, als legitim angesehen zu werden. Ein internationales Tribunal kann auf internationale Bewerber zurückgreifen und tut sich leichter, qualifizierte Kandidaten zu finden.


Zumindest sollte der UN-Sicherheitsrat eine internationale Expertenkommission berufen, um zu entscheiden, welche Art von Tribunal die beste Lösung für den Irak darstellen würde. Diese Kommission könnte die irakische Bevölkerung konsultieren, nicht nur die von Washington bevorzugten Iraker. Wie in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien könnte solch eine Kommission damit beginnen, wichtige Beweise sicherzustellen wie Massengräber und interne Dokumente, die zurzeit vor den Augen der US-Truppen beschädigt werden.


Trotz der offensichtlichen Vorteile eines internationalen Tribunals ist Washington strikt dagegen. Präsident Bushs Politik scheint von drei Überlegungen gesteuert zu sein: Zum einen kalkuliert Washington, dass ein von den USA gewähltes Tribunal leichter zu kontrollieren wäre. Dies würde peinliche Untersuchungen von Praktiken des Pentagon und seiner Alliierten ausschließen (wie die Anwendung von Streubomben). Zum anderen ist die Bush- Regierung fest entschlossen, die Todesstrafe einzusetzen. Dies würden internationale Tribunale nicht tun. Schließlich widerstreben ihr alle Maßnahmen, die die internationale Justiz und somit indirekt den von der Bush- Administration gehassten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterstützen könnten. Deutschland darf solch ein politisches Kalkül nicht unterstützen.


In den vergangenen Jahren war Deutschland einer der Hauptbefürworter eines internationalen Justizsystems. Kein anderes Land hat sich mehr für die Schaffung des IStGH eingesetzt. Kein anderes Land hat mehr getan, um die Vision zu verwirklichen, dass Menschenrechtsverbrechen weltweit geahndet werden. Aber wird Deutschlands Stimme erhört werden? Zweifellos haben die deutsch-amerikanische Beziehungen unter der deutschen Antikriegshaltung sehr gelitten. Eine Entspannung ist im Interesse beider Nationen – diese darf jedoch nicht auf Kosten juristischer Prinzipien erfolgen. Es wäre ein kapitaler Fehler, wenn Deutschland im Namen transatlantischer Freundschaft den Irakern ihren Wunsch nach einem unabhängigen Justizsystem versagen würde.


Ein internationales Tribunal im Irak ist nicht nur für die irakische Bevölkerung wichtig, sondern fördert auch ein effektives internationales Justizsystem. Derzeit steht die Integrität des Internationalen Strafgerichtshofs auf dem Spiel, weil es den USA immer wieder gelingt, amerikanische Staatsbürger von dessen Rechtssprechung ausnehmen zu lassen, was erst kürzlich durch einen Beschluss des Sicherheitsrats wieder abgesegnet wurde.


Ein faires Justizsystem für den Irak wäre also ein kleiner Schritt auf dem weiten Weg zu einem fairen und unabhängigen internationalen Strafrechts system. Ein internationales Tribunal ist die beste Methode, Saddams Getreue zur Rechenschaft zu ziehen und Rechtsstaatlichkeit einzuführen. Der Internationale Strafgerichtshof selber kann einen großen Teil von Saddams Verbrechen nicht verfolgen, da sich die Rechtssprechung des Gerichts nur auf Straftaten bezieht, die nach dem 1. Juli 2002 begangen worden sind. Ein Tribunal würde also auch verhindern, dass die Bemühung um ein internationales Strafrechtssystem, bei dem Deutschland eine so wichtige Rolle gespielt hat, einen Rückfall erleidet.


Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder genügend Rückgrat, sich für internationale Justiz und Gerechtigkeit einzusetzen? Trotz des verständlichen Anliegens, sich mit Bush auszusöhnen, sollte der irakische Wunsch nach unabhängiger Justiz nicht der transatlantischen Harmonie geopfert werden. Die freundschaftlichen deutsch-amerikanischen Beziehungen können wiederhergestellt werden – auch ohne dass der Anspruch aufgegeben werden muss, Menschenrechtsverbrechen auf der ganzen Welt zu verfolgen.


*Kenneth Roth ist der Direktor von Human Rights Watch.