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USA: Bundesstaaten nachlässig beim Einsatz der Giftspritze

Hinrichtungsmethode kann zu qualvollem Tod führen

(New York, 24. April 2006) – Durch Inkompetenz, Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit US-amerikanischer Bundesstaaten sind Gefangene dem unnötigen Risiko ausgesetzt, bei der Exekution durch die tödliche Injektion entsetzliche Schmerzen zu erleiden, erklärt Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. 37 der 38 amerikanischen Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe erlaubt ist, sowie die amerikanische Bundesregierung wenden die Giftspritze als Hinrichtungsmethode an. Im Jahr 2005 wurden sämtliche Exekutionen per Giftspritze vollzogen.

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Der 65-seitige Bericht „So Long as They Die: Lethal Injections in the United States“ (Solange sie sterben: Tödliche Injektionen in den USA) enthüllt die wenig fachgerechte Geschichte der Giftspritze als Exekutionsmethode, die auf einem Protokoll basiert, das vor drei Jahrzehnten ohne wissenschaftlichen Hintergrund erstellt wurde und das ohne jegliche Veränderung noch heute gültig ist. Bei der damals entwickelten Prozedur wird der Gefangene auf einer Liege festgeschnallt und das hinter einer Wand verborgene Vollstreckungspersonal injiziert eine Reihe von Medikamenten in seine Vene. Zuerst wird eine massive Dosis des Betäubungsmittels Natriumthiopental verabreicht, danach das Medikament Pancuroniumbromid, welches die willkürlich steuerbare Muskulatur lähmt, wobei der Gefangene jedoch bei vollem Bewusstsein ist und Schmerzen empfinden kann. Ein drittes Medikament, Kaliumchlorid, führt danach rasch zum Herzstillstand. Doch das Medikament löst derartig starke Schmerzen aus, dass tierärztliche Richtlinien seine Verwendung zum Einschläfern von Tieren verbieten, außer der Tierarzt stellt mit absoluter Sicherheit fest, dass das Tier hundertprozentig bewusstlos ist. Solche Schutzvorkehrungen existieren jedoch nicht für die Todeskandidaten.  
 
„Die USA gehen beim Einschläfern von Hunden schonender vor als bei der Hinrichtung von Menschen“, meint Jamie Fellner, USA-Programmdirektor von Human Rights Watch und Mitverfasser des Berichts. „Nur weil ein Gefangener rücksichtslos oder kaltblütig getötet hat, heißt das nicht, dass der Staat das Gleiche tun soll.“  
 
Human Rights Watch ist unter allen Umständen gegen die Todesstrafe und fordert ihre Abschaffung. Doch bis die 38 Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe gilt, und die amerikanische Bundesregierung Exekutionen abschaffen, müssen sie gemäß internationaler Menschenrechtsvereinbarungen sicherstellen, dass sie eine Hinrichtungsmethode entwickelt haben, die das Risiko geistiger oder physischer Schmerzen oder Schäden beim Todeskandidaten so weit wie möglich reduziert.  
 
Human Rights Watch fordert die betroffenen Bundesstaaten dazu auf, Exekutionen durch die Giftspritze so lange aussetzen, bis sie eine gründliche Untersuchung und Evaluierung der bestehenden und alternativer Methoden vorgenommen haben.  
 
Die in den USA verabreichte Medikamentenfolge wurde 1977 von einem Arzt in Oklahoma entwickelt, der keine Erfahrung im Bereich der Pharmakologie oder Anästhesie hatte. Texas übernahm die Vorgehensweise Oklahomas sofort und mindestens 34 weitere Bundesstaaten schlossen sich an (das Hinrichtungsprotokoll von Nevada bleibt geheim). Die Nachforschungen von Human Right Watch haben gezeigt, dass kein einziger amerikanischer Bundesstaat den Rat medizinischer Experten gesucht hat, um abzuklären, ob eine geänderte Abfolge der drei verabreichten Medikamente das Schmerzrisiko für die Gefangenen verringern könnte oder ob der Einsatz anderer Medikamente oder Verabreichungsmethoden zu einem geringeren Risiko führen könnte.  
 
„Blindes Nachahmen ist nicht der richtige Weg, um Menschen zu töten“, meinte Fellner. „Wenn ein Staat jemanden hinrichten will, muss er zuvor seine Hausaufgaben machen, Experten heranziehen und eine Methode wählen, die Schmerzen und Leiden so weit wie möglich vorbeugen.“  
 
Ohne angemessene oder korrekt verabreichte Betäubungsmittel sind die Gefangenen bei Bewusstsein, wenn sie durch die Wirkung des muskellähmenden Medikaments ersticken, und fühlen den glühenden Schmerz, den das Kaliumchlorid in ihren Venen auslöst. Protokolle von unlängst ausgeführten Exekutionen in Kalifornien und toxikologische Berichte von Hinrichtungen in North Carolina deuten darauf hin, dass Gefangene tatsächlich unzureichend betäubt wurden, bevor sie durch die Injektion exekutiert wurden.  
 
Gefängnisse haben die Möglichkeit zurückgewiesen, Todeskandidaten mit einer einzigen hoch dosierten Injektion eines Barbiturats zu exekutieren, obwohl diese Methode einen schmerzfreien Tod garantieren würde. Doch die Vollstrecker der Hinrichtung und die Zeugen müssten dabei etwa 30 Minuten länger warten, bis das Herz des Gefangenen zum Stillstand käme. Gefängnisbeamte haben sich auch dagegen gewehrt, den Einsatz des muskellähmenden Wirkstoffs Pancuroniumbromid einzustellen, obwohl durch seine Verwendung nur erschwert festgestellt werden kann, ob ein Gefangener ausreichend betäubt ist. Dieses Medikament wird weder dafür benötigt, den Gefangenen zu töten, noch bewahrt es ihn vor Schmerzen. Es scheint in erster Linie dazu zu dienen, ein Zucken oder Verkrampfen des Körpers während des Todeskampfes zu unterbinden. Darüber hinaus verschleiert es jegliche Schmerzen, die der Gefangene eventuell spürt, da er sich weder bewegen noch schreien und nicht einmal blinzeln kann.  
 
„Gefängnisbedienstete sind eher auf die Empfindlichkeiten des Vollstreckungspersonals bedacht als auf die Schmerzfreiheit des Verurteilten“, meinte Fellner. „Der äußere Anschein ist ihnen wichtiger als die Realität.“  
 
Obwohl Gefangene seit Jahren offizielle Beschwerden gegen tödliche Injektionen eingelegt haben und diese als verfassungswidrig grausam anprangern, haben die Gerichte ihre Argumente bis vor kurzem rasch abgefertigt. Aufgerüttelt durch neue und schlagkräftige Beweise für möglicherweise verpfuschte Hinrichtungen haben sich Bundesgerichte in Kalifornien und North Carolina in diesem Jahr jedoch geweigert, die standardmäßige Verabreichung der tödlichen Injektion für geplante Hinrichtungen zu genehmigen. Am 26. April findet vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten eine Anhörung zur Frage statt, durch welches Verfahren ein Gefangener den Einsatz der Giftspritze anfechten kann.  
 
Noch vor wenigen Jahren waren die Vereinigten Staaten das einzige Land der Welt, in dem die Giftspritze als Hinrichtungsmethode eingesetzt wurde. Doch einige andere Länder, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, folgten: China setzte die Giftspritze zum ersten Mal 1997 sein; in Guatemala wurde der erste Gefangene 1998 mit der Giftspritze hingerichtet; auf den Philippinen und in Thailand gelten seit 2001 Gesetze, die Exekutionen per Giftspritze erlauben (obwohl bis heute noch niemand mit dieser Methode hingerichtet wurde).  

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