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Thailand: Separatisten greifen Zivilbevölkerung an

Über 2.000 Personen bei Angriffen separatistischer Gruppen im Süden getötet

(New York, 28. August 2007) – Separatistische Gruppen töten und verstümmeln Zivilisten und verüben Anschläge auf Schulen, städtische Krankenhäuser sowie buddhistische Tempel, um in den südlichen Grenzgebieten Thailands einen unabhängigen Staat zu errichten, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

" Nach Jahrzehnten eher geringen Aufruhrs entwickelt sich die südliche Region Thailands zur Schaustätte eines grausamen bewaffneten Konflikts. "
Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung von Human Rights Watch
  

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Der 104-seitige Bericht „No One is Safe: Insurgent Attacks on Civilians in Thailand’s Southern Border Provinces” dokumentiert ausführlich Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten, die von Januar 2004 bis Juli 2007 separatistische Kämpfer gegen die Zivilbevölkerung in den überwiegend von der muslimischen Volksgruppe der Malai bewohnten Provinzen Pattani, Yala, Narathiwat und Songkhla begangen haben. Der Bericht stützt sich auf Interviews mit Augenzeugen, Angehörigen der Opfer, Wissenschaftlern, Journalisten, Rechtsanwälten, Menschenrechtsbeobachtern und Regierungsbeamten.  
 
Darüber hinaus enthält er Berichte aus erster Hand von Mitgliedern und Kämpfern der separatistischen Gruppen, in denen sie über die Motive der Angriffe sprechen und diese zu rechtfertigen versuchen.  
 
„Nach Jahrzehnten eher geringen Aufruhrs entwickelt sich die südliche Region Thailands zur Schaustätte eines grausamen bewaffneten Konflikts”, erklärt Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Separatistische Kämpfer gehen gezielt sowohl gegen die buddhistische als auch die muslimische Zivilbevölkerung mit Schießereien, Bombenanschlägen und Macheten-Angriffen vor.”  
 
Die aus der ländlichen Region stammenden Kämpfer namens Pejuang Kemerdekaan Patani (Patani Freiheitskämpfer), die bislang Teil des losen Netzwerks BRN-Coordinate (Nationale Revolutionäre Front-Koordinate) waren, erweisen sich nun als das Rückgrat der neuen Generation separatistischer Kämpfer. Sie behaupten immer häufiger, dass die südlichen Provinzen in Grenznähe nicht das Land der buddhistischen Thais, sondern eine „Zone religiöser Konflikte” sei, die unter der muslimischen Volksgruppe der Malai und den „Ungläubigen” aufgeteilt werden müsse. Die Separatisten versuchen, eine Befreiung der Patani Darulsalam (Islamisches Land der Patani) von der so genannten buddhistisch-thailändischen „Besatzung" zu erzwingen.  
 
Human Rights Watch dokumentiert, dass separatistische Kämpfer von Januar 2004 bis Juli 2007 mehr als 3.000 Anschläge auf Zivilsten verübt haben. In derselben Zeit gab es etwa 500 Anschläge, die gegen verschiedene militärische Einheiten gerichtet waren. Etwa ebenso viele Angriffe richteten sich gegen Polizeieinheiten und deren Personal.  
 
Von den 2.463 Personen, die bei Angriffen während der vergangenen dreieinhalb Jahre getötet wurden, waren 2.196 Zivilisten (89 Prozent). Getötet wurden buddhistische Thais sowie Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Malai bei Bombenanschlägen, Schießereien, Mordanschlägen, Angriffen aus dem Hinterhalt und Metzeleien mit Macheten. Mindestens 29 Opfer wurden enthauptet und verstümmelt. Es gab Hunderte von bewaffneten Angriffen auf Lehrer, Vertreter der öffentlichen Gesundheitsinstitutionen, Krankenhauspersonal und kommunale Gesundheitszentren. Zum ersten Mal in der Geschichte separatistischer Angriffe in der Region sind nun buddhistische Mönche und Novizen unter den Getöteten und Verletzten.  
 
„Die separatistischen Kämpfer setzen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ein, um die buddhistischen Thais aus den Provinzen zu vertreiben, die Kontrolle über die muslimische Volksgruppe der Malai zu behalten und die thailändische Regierung zu diskreditieren”, sagt Adams. „Aber es ist illegal and moralisch unhaltbar, gezielt Zivilisten anzugreifen, unabhängig von den Umständen.”  
 
Nit Jombadin, eine buddhistische Thai, erinnerte sich, wie sie mit ihrer zweijährigen Tochter an einem Imbissstand war, als am 28. Mai eine Bombe auf einem belebten Markt in Songkhla’s Saba im District Yoi explodierte. Vier Personen wurden dabei getötete und 26 weitere verletzt.  
 
    „Ich hielt meine Tochter auf dem Arm, sprach mit ihr und spielte mit ihr. Als ich sie fragte, welche Marmelade sie kaufen wolle, explodierte hinter uns die Bombe. Ich sah, wie ein Schrapnell durch ihren Körper schoss. Meine Tochter war sofort tot. Ich sah ein anderes kleines Mädchen in seiner Schuluniform, das nicht weit von meiner Tochter entfernt lag. Auch sie war tot ... Die Leiche meiner Tochter blieb stundenlang auf der Straße liegen, ich weinte mir die Augen aus. Ich hatte das Gefühl, mein Herz habe aufgehört zu schlagen. Wie konnten sie so etwas tun? ... Dieser Ort war voll von Eltern und Kindern nach der Schule ....”
 
 
Die separatistischen Kämpfer führten zahlreiche Schnellexekutionen von Zivilisten aufgrund von deren ethnischer Zugehörigkeit durch. Am 14. März wurde im Distrikt Yala’s Yaha ein Personenbus, der die Strecke zwischen Yala und Songkhla bediente, aus dem Hinterhalt angegriffen. Supawan Sae Lu, die den Angriff überlebte, bei dem ihre 18-jährige Tochter ums Leben kam, und acht weitere Passagiere berichteten:
     
     
    „Der Fahrer sah, dass die Straße versperrt war. Er versuchte, den Kleinbus zu wenden. Aber dann waren da diese bewaffneten Männer mit Sturmgewehren, alle in Grün, sie kamen vom Straßenrand auf uns zu gelaufen. Sie kündigten an, alle Buddhisten zu töten, und fingen an, uns zu erschießen, einen nach dem anderen. Meine Tochter versuchte, sich an mich zu lehnen, als man ihr in den Kopf schoss.”
 
 
Human Rights Watch dokumentiert außerdem separatistische Anschläge auf die muslimische Volksgruppe der Malai, die mit den thailändischen Behörden zusammengearbeitet oder sich gegen die Angriffe der separatistischen Kämpfer gewandt haben. Jene Malai werden beschuldigt, munafig (Heuchler) oder Verräter zu sein, die haram (verbotene Sünden) begangen haben, weil sie nicht dem radikalen Malai-Nationalismus und der islamistischen Ideologie folgen. Die Opfer sind häufig religiöse Führer oder Eltern, die sich der Anwerbung und Ausbildung neuer Mitglieder durch separatistische Kämpfer in ihren Dörfern entgegen stellten oder von denen bekannt ist, dass sie den Aufständischen kritisch gegenüber stehen.  
 
Usman Jaema, ein Angehöriger der muslimischen Volksgruppe der Malai, berichtete Human Rights Watch, sein 15-jähriger Sohn sei im Januar 2004 mit Macheten und Äxten von separatistischen Kämpfern zerstückelt worden. Er wollte ihm als Dorfvorsteher im Distrikt Narathiwat’s Muang die Botschaft übermitteln, sich den Separatisten nicht zu widersetzen:  
 
    „Es gibt hier im Dorf etwa zehn muslimische Jugendliche, die sich den Kämpfern angeschlossen haben. Sie sind als Guerillakämpfer ausgebildet worden. Sie mögen mich nicht ... Ich war nie für dieses sinnlose Töten zu haben. Es ist falsch, unschuldige Leute zu verletzen, egal, wer sie sind ... Aber seit dem Übergriff sehen die Dorfbewohner auf mich herab. Sie sagten, wenn ich schon nicht in der Lage sei, meinen eigenen Sohn zu beschützen, wie solle ich dann sie alle beschützen können? Einige von ihnen meinten, vielleicht sei es am besten, die Kämpfer zu unterstützen, damit man selbst in Sicherheit sei.”
 
 
Ein grundlegendes Prinzip des Kriegsrechts ist die Unterscheidung zwischen Zivilisten und militärischen Zielen. Die Behauptung der Kämpfer, dass die angegriffenen Zivilisten einer größeren Gruppe (den buddhistischen Thais) angehören, die Teil der kriegerischen Auseinandersetzungen seien, bietet keinerlei Rechtfertigung für solch schwerwiegende Verstöße gegen dieses Gesetz. Auch die angeblich radikale Auslegung des islamischen Rechts zur Rechtfertigung der Angriffe entbehren jeder Grundlage nach gültigem Kriegsrecht. Das humanitäre Völkerrecht verbietet ausdrücklich viele der von den Kämpfern angewandten Vorgehensweisen wie Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder Kriegsgefangene als Vergeltungsschläge, Schnellexekutionen von Zivilisten oder Kriegsgefangenen, Verstümmelung oder andere Misshandlung von Toten und Angriffe auf zivile Einrichtungen wie z.B. Heime, Schulen, Tempel und Krankenhäuser.  
 
„Die Furcht greift um sich im südlichen Thailand, und die Gewalt hat das Leben der normalen Leute in fast jeder Hinsicht zerstört”, sagt Adams.  
 
Die thailändische Regierung hat mit Gesetzen zur Wahrung der Sicherheit, darunter das Dekret zur Regierungsadministration in Krisensituationen und Kriegsrecht, auf die Angriffe reagiert und die Zahl der regulären und paramilitärischen Gruppen in den südlichen Grenzgebieten auf beinahe 30.000 erhöht. Bei ihrem Vorgehen waren die thailändischen Sicherheitskräfte und die Polizei für außergerichtliche Tötungen, das Verschwindenlassen von Personen und willkürliche Verhaftungen verantwortlich. Davon waren Personen betroffen, von denen man wusste oder vermutete, dass sie mit separatistischen Gruppen in Verbindung standen. Human Rights Watch dokumentierte viele dieser Fälle in einem Bericht vom März 2007. (Den Bericht „It Was Like Suddenly My Son No Longer Existed: Enforced Disappearences in Thailand’s Southern Border Provinces“ finden Sie unter: http://hrw.org/reports/2007/thailand0307/.)  
 
Die Übergangsregierung von General Surayud Chulanont, die seit dem Militärputsch im September 2006 an der Macht ist, hat sich für eine neue Vorgehensweise in der Region ausgesprochen. Am 2. November entschuldigte sich Premierminister Surayud öffentlich gegenüber den Bewohnern und gab zu, dass sie unter schwerwiegenden, auch von der Regierung verursachten Missständen litten. Außerdem kündigte er die Wiedereinrichtung des Southern Border Provinces Administrative Center (SBPAC) an, um den Beschwerden der muslimischen Bevölkerung über korruptes, missbräuchliches und unangemessenes Verhalten von Regierungsbeamten nachzugehen. Aber es bleibt unklar, was die Übergangsregierung konkret tun will, um dem vom Staat sanktionierten Missbrauch und der Kultur der Straflosigkeit ein Ende zu setzen.  
 
Human Rights Watch rief die separatistischen Gruppen und die thailändische Regierung dazu auf, konkrete Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung einzuleiten und sämtliche Angriffe sofort zu stoppen, die nicht zwischen Kriegsteilnehmern und Zivilisten unterscheiden. Zudem sollen die separatistischen Gruppen und die thailändischen Behörden mit unabhängigen, unparteiischen und wirkungsvollen Untersuchungen dem Vorwurf der Menschrechtsverletzungen entgegentreten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.  
 
„Die Verstöße gegen die Menschenrechte und anhaltende Straflosigkeit haben das feindselige Klima noch verschärft und die Kluft zwischen den buddhistischen Thais und den muslimischen Malai innerhalb der Gemeinden so stark vergrößert, dass eine friedliche Lösung dieses grausamen Konflikts unerreichbar scheint”, sagt Adams.  

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