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Europäische Union: Vorschlag zum Asylrecht verletzt Grundrechte
EU sollte Richtlinienentwurf zu Asylverfahren zurückziehen
(Brüssel, 29. März 2004) - Mehrere führende Nichtregierungsorganisationen kritisierten heute den EU-Richtlinienentwurf zu Asylverfahren. Die Richtlinie verletze internationale Menschen- und Flüchtlingsrechtsstandards und sollte zurückgezogen werden.


"Sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden, wird damit bestimmten Asylbewerbern ein vollständiges und faires Asylverfahren nicht ermöglicht. Sie könnten außerdem in nichteuropäische Staaten abgeschoben werden. Wir befürchten, dass die EU hier versucht, ihre Verantwortung gegenüber diesen Flüchtlingen anderen Ländern aufzubürden."

Ben Ward
Berater der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch


 
In einer beispiellosen Aktion appellierten Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen aus ganz Europa an die Europäische Union, einen der wesentlichen Punkte zum beabsichtigten "gemeinsamen europäischen Asylsystem" zu verwerfen.


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22. März 2004    Brief

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Human Rights Watch, Amnesty International, der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE) und andere Gruppen befürchten, dass die Hauptbestimmungen des Richtlinienentwurfs im Widerspruch zu internationalen Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten stünden. In den besagten Bestimmungen werden bestimmte Länder als "sichere Herkunftsländer" oder "sichere Drittstaaten" bezeichnet, und nicht allen Asylbewerbern wird garantiert, dass sie während ihres Verfahrens einschließlich einer möglichen Berufungsentscheidung in dem Asylland bleiben dürfen.

"Wir haben keine andere Wahl, als die EU zur Zurücknahme dieses Vorschlags aufzufordern, der ohnehin nur zu Stande gekommen ist, weil populistischer Druck Ängste vor einer nichtexistenten Flut von Flüchtlingen geschürt hat, die angeblich die EU überrollen wird", so Daphné Bouteillet Paquet von Amnesty International. "Der Vorschlag ist überhaupt nicht mehr glaubwürdig, weil die EU damit gegen selbst auferlegte Verpflichtungen aus ihrer eigenen Grundrechtscharta verstößt."

Die Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten heute einen gemeinsam verfassten Brief an Antonio Vitorino, den EU-Kommissar für Justiz und Inneres. Dieser wird in dem Brief dazu aufgefordert, den Vorschlag für eine "Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft" zurückzuziehen.

Die Angelegenheit soll von den EU-Justiz- und Innenministern während ihres morgigen Treffens besprochen werden, da die Verhandlungen bis zum Stichtag im Mai abgeschlossen sein müssen.

"Zwar ist uns klar, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind," erklärt María-Teresa Gil-Bazo vom Europäische Flüchtlingsrat (ECRE), "aber jetzt wo der Stichtag immer näher rückt, zeigt sich eine immer deutlicher werdende Kluft zwischen den EU-Vorschlägen und dem internationalen Völkerrecht. Es ist sehr bedauerlich, dass wiederholte Empfehlungen durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sowie durch bürgerrechtliche Organisationen von den EU-Mitgliedstaaten einfach ignoriert werden."

Der Brief fasst die Bedenken der Absender zusammen, die Richtlinie in ihrer jetzigen Fassung verstoße gegen internationale Menschen- und Flüchtlingsrechte. Hauptsächliche Sorge gilt folgenden Punkten:

  • dem Konzept der "sicheren Herkunftsländer", das vielen Asylsuchenden nur auf Grund ihrer Herkunft verfahrensrechtliche Sicherheiten verwehrt.
  • dem Konzept der "sicheren Drittstaaten", weil damit die Verantwortung für die Flüchtlinge dritten Staaten aufgebürdet werden kann, und zwar unabhängig davon, ob zwischen dem Asylbewerber und diesem dritten Land ein echter Zusammenhang besteht. Außerdem wird durch das feste System der "sicheren Drittstaaten" eine individuelle Untersuchung verhindert, die klarstellen würde, ob der jeweils vorgesehene Drittstaat für einen bestimmten Bewerber als unsicher eingestuft werden muss.
  • Der Tatsache, dass nicht allen Asylsuchenden ausdrücklich das Recht zugestanden wird, im Asylland zu bleiben, bis ihr Verfahren endgültig entschieden ist. Dies könnte zur Abschiebung von Bewerbern in Länder führen, in denen ihnen Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. In manchen Fällen könnte dies sogar zu einer (die Genfer Flüchtlingskonvention und andere internationale Menschenrechtsübereinkommen verletzenden) Zurückweisung schon an den Grenzen führen.

Ein weiterer in dem Brief an Kommissar Vitorino bemängelter Punkt ist die Tatsache, dass die Richtlinie ganz entscheidende Fragen dem alleinigen Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten unterstellt, wie zum Beispiel Möglichkeiten der Inhaftierung von Asylbewerbern oder deren Recht auf rechtlichen Beistand.

Ben Ward von Human Rights Watch stellt klar: "Sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden, wird damit bestimmten Asylbewerbern ein vollständiges und faires Asylverfahren nicht ermöglicht. Sie könnten außerdem in nichteuropäische Staaten abgeschoben werden. Wir befürchten, dass die EU hier versucht, ihre Verantwortung gegenüber diesen Flüchtlingen anderen Ländern aufzubürden."