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USA: Geistig Behinderte in US-Gefängnissen misshandelt
Mehr geistig Behinderte in Gefängnissen als in Krankenhäusern
(New York, 22. Oktober 2003) – In vielen US-Gefängnissen werden psychisch kranke Strafgefangene misshandelt und vernachlässigt, dokumentiert ein neuer Bericht von Human Rights Watch.


Zu diesem Thema

Ill-Equipped: U.S. Prisons and Offenders with Mental Illness
HRW Bericht, Oktober 2003



„US-Gefängnisse sind zu einer nationalen Auffangeinrichtung für psychisch Kranke geworden. Jedoch kann für mental Kranke ein Gefängnis der schlimmste vorstellbare Ort sein“.

Jamie Fellner
Direktorin des USA Programms von Human Rights Watch und Koautorin des Berichts


 
Einer von sechs US-Strafgefangenen ist geistig krank. Viele von ihnen leiden an ernsthaften Krankheiten wie Schizophrenie, manisch-depressiver Erkrankung oder schweren Depressionen. In US-Gefängnissen sind drei Mal mehr Männer und Frauen mit psychischen Krankheiten untergebracht als in psychiatrischen Einrichtungen.

Mittlerweile ist die Rate geistig Kranker drei Mal höher in Gefängnissen als in der gesamten Bevölkerung.

Der 215-seitige Bericht: Ill-Equipped: U.S. Prisons and Offenders with Mental Illness, zeigt, dass Gefängnisse für geistig kranke Menschen gefährlich und schädigend sind. Sie werden von anderen Gefangenen schikaniert und ausgenutzt. Vom Gefängnispersonal werden sie häufig wegen der Symptome ihrer Krankheit bestraft – unter anderem wenn sie laut sind oder Anweisungen verweigern, oder wenn sie sich selbst verstümmeln, bzw. sich versuchen umzubringen. Geistig kranke Häftlinge werden wahrscheinlicher harschen Bedingungen ausgesetzt als andere Häftlinge – wie z.B. Isolationshaft.

„US-Gefängnisse sind zu einer nationalen Auffangeinrichtung für psychisch Kranke geworden“, sagte Jamie Fellner, Direktorin des USA Programms von Human Rights Watch und Koautorin des Berichts. „Jedoch kann für mental Kranke ein Gefängnis der schlimmste vorstellbare Ort sein“.

Durch die erschreckend mangelhaften psychologischen Dienste in vielen Gefängnissen erfahren Gefangene schlechte bzw. gar keine Behandlung. Wegen Mangel an qualifiziertem Personal, Fehlen von psychologischen Einrichtungen und Gefängnisbestimmungen, die eine Behandlung verhindern, können Gefangene im gesamten Staatsgebiet keine angemessene Behandlung bekommen.

Dem Bericht zufolge ist die hohe Rate mental kranker Häftlinge auf unterfinanzierte, schlecht organisierte und unstrukturierte öffentliche psychiatrische Einrichtungen zurückzuführen. In den gesamten Vereinigten Staaten sind in den letzten Jahren immer mehr Psychiatrien geschlossen worden, ohne dass angemessener Ersatz geschaffen wurde. Viele mental Kranke – darunter insbesondere arme, obdachlose oder süchtige Menschen – haben keine Aussicht auf eine psychologische Behandlung. Hinzu kommt, dass die Strafgesetzte, selbst für einfache Vergehen, auf Haftstrafen plädieren.

„Wer nicht reich ist, hat in den USA so gut wie keine Chance auf eine psychologische Behandlung“, sagte Fellner. „Viele der Häftlinge wären nicht hinter Gittern gelandet, wenn medizinische Behandlung öffentlich zu Verfügung gestanden hätte“.

Der Bericht von Human Rights Watch umfasst eine zweijährige Studie mit hunderten durchgeführten Interviews mit Gefangenen, Gefängnispersonal, Psychologen und Anwälten.

Der Bericht beschreibt, wie geistig kranke Gefangene belästigt, physisch und sexuell misshandelt und von anderen Gefangenen manipuliert werden. Beispielsweise wurde ein mental kranker und leicht zurück gebliebener Gefangener in Georgia wiederholt vergewaltigt und tauscht Sex gegen Zigaretten und Kaffee.

Mental kranke Gefangene sind sogar für Selbstverstümmelung und Selbstmordversuche schon bestraft worden - wegen "Zerstörung von Staatseigentum" oder für Lautsein und Türtreten, weil sie Stimmen hören – wegen "Unruhestiftung". Nicht ausgebildete Beamte verursachen Konfrontation mit mental kranken Gefangenen, indem sie physische Gewalt anwenden. Einige sind erstickt, weil Beamte sie in einer Auseinandersetzung mit unangemessenen Mitteln beruhigen wollten.

Obwohl sich die Lage psychologischer Dienste in US-Gefängnissen in den letzten zwei Jahrzehnten verbessert hat, besteht nach wie vor Mangel an ausgebildetem Personal. Die Verantwortlichen haben nötige Geldmittel verweigert, um angemessene psychologische Behandlungen für alle bedürftigen geistig Kranken zu gewährleisten.

Human Rights Watch forderte den US-Kongress auf, ein bereits vorgeschlagenes Gesetz umzusetzen, dass darauf abzielt, psychisch Kranke eher in besonderen therapeutischen Einrichtungen als in Gefängnissen unterzubringen und psychologische Einrichtungen in Gefängnissen zu verbessern. Außerdem sei es notwendig, dass unabhängige Experten jedes einzelne Gefängnissystem begutachten.