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Serbien und Montenegro: Mehr Schutz für Zeugen in Kriegsverbrecherverfahren
(Belgrad, 11. Dezember 2003) – Serbische Behörden müssen den Schutz für ein ehemaliges Mitglied der serbischen Sicherheitskräfte, das gestern eine erstaunliche Zeugenaussage über die Erschießung von 19 Albanern in dem Kosovo-Krieg im Jahre 1999 machte, garantieren, sagte Human Rights Watch heute. Noch nie wurde eine so bildliche und direkte Zeugenaussage von einem serbischen Zeugen bei einem öffentlichen Kriegsverbrecherverfahren gemacht.


Zu diesem Thema

Progress on War Crimes Accountability, the Rule of Law, and Minority Rights in Serbia and Montenegro
HRW Aussage, 4. Juni 2003



„Stoparic nahm ein großes Risiko auf sich, um vor Gericht auszusagen. Serbiens Behörden sind jetzt verpflichtet, ihn zu beschützen. Wenn ihm etwas zustoßen sollte, werden weitere mögliche Zeugen von einer Aussage abgeschreckt“.

Rachel Denber
amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch


 
Im Verfahren des Sasa Cvjetan sagte der Zeuge Goran Stoparic zwei Stunden lang über die Erschießungen von 19 Albanern – die meisten Frauen und Kinder – durch serbische Sicherheitsbeamte aus. Die Tötungen fanden am 28. März 1999 in der Stadt Podujevo im Kosovo statt – vier Tage nach Beginn der NATO-Bombardierung in Jugoslawien.

„Stoparic nahm ein großes Risiko auf sich, um vor Gericht auszusagen“, sagte Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. „Serbiens Behörden sind jetzt verpflichtet, ihn zu beschützen. Wenn ihm etwas zustoßen sollte, werden weitere mögliche Zeugen von einer Aussage abgeschreckt“.

Stoparic, seinerzeit Mitglied der speziellen Anti-Terroreinheit „Scorpions“ (SAJ) der serbischen Polizei, lieferte eine detaillierte Chronologie der Ereignisse, die den Tötungen vorausgingen. Er bezeugte, dass er die Erschießungen nicht sehen konnte, weil ihm eine Wand die Sicht versperrt habe. Doch habe er die Schüsse gehört und eine Gruppe der „Scorpions“ – darunter der Angeklagte Cvjetan – gesehen, die unmittelbar danach ihre Gewehre nachluden. Er sagte auch aus, dass er mitgehört habe, wie Mitglieder der Einheit einen Tag später über die Erschießungen diskutierten.

Stoparic hatte bereits am 8. Dezember aussagen sollen. Blieb dem Termin aber wegen angeblicher Krankheit fern. In der gestrigen Zeugenaussage sagte Stoparic, dass der Grund weshalb er vor zwei Tagen nicht in den Zeugenstand getreten sei, die Anwesenheit des Kommandanten seiner Einheit im Gerichtsgebäude gewesen ist. Dieser habe ihn kurz vor dem Zeugenaufruf gedroht, nicht die Wahrheit zu sagen. Nach Stoparics Aussage soll der Bruder des Kommandanten unter der Beschuldigten sein.

Der vorsitzende Richter hatte zwar formell Schutz für Stoparic angeordnet, doch, wie Human Rights Watch herausfand, fehlt es bereits in anderen Kriegsverbrecherverfahren in Serbien und Montenegro an einem systematischem und gut finanziertem Zeugenschutzprogramm.

Human Rights Watch machte zudem darauf aufmerksam, dass die serbische Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, Stoparics Beschuldigungen, dass andere Mitglieder der „Scorpions“ Einheit bei den Erschießungen in Podijevo beteiligt waren und generell allen Verfahrensbehinderungen, nachzugehen.

Hintergrund:

Am 28. März 1999 wurden in Podujevo 19 albanische Zivilisten von serbischen Sicherheitskräften getötet. Unter den getöteten waren sieben Frauen und sieben Kinder. Die „Scorpions“ kamen früh morgens in drei Bussen in Podujevo an. Kurz danach verließen Mitglieder der Einheit die Busse, um nach einer Nachtunterkunft zu suchen. Sie gingen in die Vorhöfe und forderten die Einwohner auf, ihre Hauser zu verlassen. Die Getöteten waren angeblich nicht den Anordnungen gefolgt und sind, nachdem sie aus dem Haus im Ortskern von Podujevo getrieben wurden, im Hof erschossen worden.