Pressemitteilungen
Serbien: Notstand darf Grundrechte nicht missachten
(New York, 25. März 2003) – Einige Rechtseinschränkungen, die unmittelbar nach der Ermordung des Premierministers Djindjic von der serbischen Regierung eingeführt wurden, sind nicht mit internationalem Völkerrecht vereinbar, sagte Human Rights Watch heute in einem Brief an Premierminister Zoran Zivkovic.


Zu diesem Thema

Serbien und Montenegro: Djindjic in Belgrad ermordet
HRW Pressemitteilung, 12. März 2003

Human Rights Developments in Serbia and Montenegro
HRW Weltbericht 2003



„Es ist schwer zu verstehen, wieso Berichte über die sozialen und politischen Umstände, die zu der Ermordung am 12. März 2003 führten und Berichte über den Ausnahmenzustand, die Untersuchungen behindern könnten. Selbst in derart schwierigen Zeiten - und vielleicht gerade jetzt - müssen die Behörden Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektieren.“

Elizabeth Andersen
Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch


 
Der Brief forderte die serbische Regierung dazu auf, in der Lage zu sein, alle rechtlichen Maßnahmen, die im Rahmen des Ausnahmezustandes verhängt worden waren, rechtfertigen zu können. Nach internationalem Völkerrecht muss jede rechtliche Maßnahme, die Menschenrechte beschneidet, so beschränkt werden, dass sie strikt der Dringlichkeit der Lage entspricht.

Nach der Ermordung des Serbischen Premierministers Zoran Djindjics wurde am 12. März 2003 der Ausnahmezustand ausgerufen. Obwohl die Täter bis heute nicht gefasst sind, wurden mehr als 1000 Personen gemäß den Notstandsermächtigungen festgenommen.

„Die serbische Regierung scheint die Sicherheitslage tatsächlich unter Kontrolle zu haben und sollte daher die Absetzung jener Maßnahmen erwägen, die die Grundrechte einschränken,“, sagte Elizabeth Andersen, Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch.

Gemäss der Ausnahmezustandsregelungen kann die Polizei jeden, der „die Sicherheit anderer Bürger der Republik gefährdet“ bis zu 30 Tagen in Gewahrsam nehmen - ohne dass der Zugang zu einem Anwalt, Familienmitgliedern oder einer gerichtlichen Überprüfung des Haftbefehls gewährleistet sein muss. Human Rights Watch sagte, dass eine solche Isolationshaft ohne gerichtliche Überprüfung sehr bedenklich sei, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass während der letzten zwei Jahre wiederholt von Polizeimisshandlungen in Untersuchungshaft berichtet worden war.

Human Rights Watch drängte die serbische Regierung, das Kontaktverbot zwischen Inhaftierten und ihren Rechtsanwälten und Familien aufzuheben. Die Menschenrechtsorganisation schlug zudem vor, dass die serbische Regierung ihre Gefängniseinrichtungen unabhängigen Beobachtern zugänglich mache. Dies würde demonstrieren, dass sich Serbien der Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt. Human Rights Watch argumentierte auch, dass solche unabhängigen Kontrollen eine effektive strafrechtliche Verfolgung vereinfachen könnten, da Gefangene in Untersuchungshaft, während des Strafverfahrens behaupten könnten, dass Geständnisse vor dem untersuchungsführenden Richter nur unter Androhung von Folter oder Misshandlung durch die Polizei, erzwungen wurden.

Weiterhin rief Human Rights Watch die Behörden zu einer gerichtlichen Überprüfung der Verhaftungen kurz nach Festnahme auf. Der Brief an den Premierminister Zivkovic beruft sich auf verbindliche Quellen des internationalen Völkerrechts, welche den Zeitraum begrenzen, den ein Staat vor einer periodischen und effektiven gerichtlichen Überprüfung der Verhaftung abweichen kann.

Human Rights Watch erinnerte die serbische Regierung auch daran, dass selbst während eines Ausnahmezustandes, die staatliche Verpflichtung, das Recht auf Leben zu respektieren, voll gültig sei. In dem Versuch, die Ermordung Djindjics aufzuklären, hatte der serbische Innenminister kürzlich angekündigt, dass die Polizei „alle, die sich der Polizei widersetzen, liquidieren wird“. Tatsächlich angewandt, würde dieses Vorgehen die strikten Beschränkungen des internationalen Völkerrechts über die Anwendung von tödlichem Waffengebrauch durch Gesetzeshüter überschreiten.
Human Rights Watch rief die Regierung des weiteren dazu auf, das Medienverbot, über die Gründe für die Anordnung des Ausnahmezustandes zu berichten, aufzuheben.

„Es ist schwer zu verstehen, wieso Berichte über die sozialen und politischen Umstände, die zu der Ermordung am 12. März 2003 führten und Berichte über den Ausnahmenzustand, die Untersuchungen behindern könnten,“ sagte Andersen. „Selbst in derart schwierigen Zeiten - und vielleicht gerade jetzt - müssen die Behörden Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektieren.“

Für den Brief von Human Rights Watch an Premierminister Zoran Zivkovic, (auf Englisch) klicken Sie hier.