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Russland: Verfolgung tschetschenischer Flüchtlinge in Inguschetien
(New York, 22. September 2003) - Ein neuer Bericht von Human Rights Watch dokumentiert, wie sich der brutale Konflikt in Tschetschenien auf die benachbarte Republik Inguschetien ausbreitet und die dorthin vertriebenen Tschetschenen von russischen Streitkräften belästigt und verfolgt werden. Bei seinem nächsten Treffen mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin, am 26. September in Camp David, sollte US-Präsident George W. Bush daher die Menschenrechtslage in Tschetschenien ansprechen.


Zu diesem Thema

Spreading Despair: Russian Abuses in Ingushetia
HRW Bericht, September 2003

Human Rights Situation in Chechnya
HRW Hintergrundpapier, 7. April 2003



„Präsident Bush sollte das bevorstehende Treffen nutzen, um Präsident Putin klarzumachen, dass diese Menschenrechtsverletzungen beendet und unschuldige Flüchtlinge geschützt werden müssen. Niemand darf gezwungen werden, nach Tschetschenien zurückzukehren.“

Rachel Denber
Stellvertretende Direktorin der Human Rights Watch Abteilung für Europa und Zentralasien


 
Der 28-seitige Bericht, „Spreading Despair: Russian Abuses in Ingushetia“ dokumentiert, wie russische Streitkräfte unschuldige Personen willkürlich festnehmen, in Gefangenschaft halten, misshandeln und Privateigentum plündern. Der Bericht verdeutlicht weiterhin, dass dieser Missbrauch von den russischen Behörden als Taktik eingesetzt wird, um vertriebene Tschetschenen zur Rückkehr nach Tschetschenien zu zwingen.

Human Rights Watch beklagte die Haltung der Bush-Regierung, die seit dem 11. September keinerlei Kritik an der russischen Politik übt. Das bevorstehende Bush-Putin-Treffen wird nur kurz vor der Präsidentenwahl in Tschetschenien, am 5. Oktober, stattfinden. Der Kremlin will mit dieser Wahl beweisen, dass sich die Situation in Tschetschenien normalisiert hat. Jedoch hat sich gerade in der letzten Zeit die Situation in Tschetschenien massiv zugespitzt und die Menschenrechtslage gravierend verschlechtert.

„Die Vereinigten Staaten und Russland mögen Partner im globalen Kampf gegen den Terrorismus sein, doch muss die Partnerschaft ein Ende haben, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht,“ sagte Rachel Denber, stellvertretende Direktorin der Human Rights Watch Abteilung für Europa und Zentralasien. „Präsident Bush sollte das bevorstehende Treffen nutzen, um Präsident Putin klarzumachen, dass diese Menschenrechtsverletzungen beendet und unschuldige Flüchtlinge geschützt werden müssen. Niemand darf gezwungen werden, nach Tschetschenien zurückzukehren.“

Der Bericht beschreibt sieben Sicherheitsoperationen, die von regionalen und überregionalen Sicherheitskräften, im Juni 2003, sowohl in Vertriebenlagern, als auch in inguschetischen Dörfern durchgeführt wurden. Diese Operationen folgten einem bereits in Tschetschenien bekannten Muster; große bewaffnete Gruppen, die in Schützenpanzern erscheinen, trieben Menschen in Gruppen zusammen und führten wahllose Kontrollen durch. Mindestens 18 Menschen wurden in diesen Sicherheitsoperationen willkürlich festgenommen. Sie wurden oft erst Tage oder Wochen später wieder freigelassen und nicht darüber informiert, warum sie in Gewahrsam genommen wurden. Während einer anderen Operation wurde ein Zivilist durch die russische Staatspolizei getötet und zwei weitere verletzt.

Doch wenden russische Behörden noch andere Mittel an, um die ungefähr 84.000 Vertriebenen, die noch in Inguschetien – zum großen Teil in Zeltlagern, nach Tschetschenien zurückzuführen. Die Mittel umfassen Haftandrohungen, willkürliche Abmeldungen von den Lagerlisten und die Unterbrechung von Infrastruktur. Vor wenigen Tagen waren lokale Behörden dabei, eines der fünf verbleibenden Lager zu schließen, wobei die Bewohner in ein anderes Lager umgesiedelt wurden. Humanitären Helfern und Menschenrechtsgruppen wurde immer wieder der Zugang zu den Lagern verweigert.

„Die Vertriebenen in Inguschetien unter Druck zu setzen und zu missbrauchen, ist Teil einer Strategie, das Tschtschenien-Problem nach Tschetschenien zu bringen, um so Untersuchungen von außen zu vermeiden, sagte Denber. „Präsident Bush sollte die Lage erkennen und von Präsident Putin fordern, dass er sich öffentlich dazu verpflichtet, die Menschenrechtslage zu verbessern.“

Human Right Watch fordert, dass sich Präsident Putin verpflichtet, Vertriebene zu schützen, Missbräuche aufzuklären und zu verfolgen und Zugang zu den Konfliktzonen zu gewähren.

Weitere Empfehlungen beinhalten:

  • Kein Vertriebener darf unfreiwillig, d.h. durch Gewalt, Bedrohung, Belästigung oder Kürzung von humanitären Hilfsgütern, nach Tschetschenien zurückgeführt werden.

  • Die russische Regierung sollte den Zugang für humanitäre Organisationen nach Inguschetien und Tschetschenien erlauben. Die russische Regierung sollte weitere UN-Beobachter ins Land lassen.

  • Russische Behörden sollten konkrete Schritte unternehmen, um vergangene und anhaltende Verletzungen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.