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Irak: Regierungsarchive sollten vor Plünderung geschützt werden
(New York, 10. April, 2003) – Amerikanische and alliierte Truppen sollten irakische Regierungsräume vor Plünderung schützen, da Regierungsdokumente unzweifelhaft wichtiges Beweismaterial für zukünftige Verfahren wegen Kriegsverbrechen sein werden, sagte Human Rights Watch heute in einem Brief an US-Außenminister Colin L. Powell und US-Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld.


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Brief an US-Außenminister Colin L. Powell und US-Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld
HRW Brief, 9. April 2003 (auf Englisch)



„Die Regierungsunterlagen sind bedeutendes Beweismaterial für 25-Jahre Gräueltaten. Unzählige Familien werden auf diese Archive angewiesen sein, um herauszufinden, was mit ihren vermissten Angehörigen geschehen ist.“

Kenneth Roth
Direktor von Human Rights Watch


 
Besonders in der Gegend um Kirkuk im Norden Iraks werden vertriebene Familien auf Regierungsdokumente angewiesen sein, um Eigentumsansprüche, ethnische Herkunft und Heimatort nachweisen zu können.

Werden die irakischen Sicherheitsarchive nicht geschützt, könnte dies zu Gewalt- und Vergeltungsakten beitragen, da die Namen von vielen Tausenden Sicherheitsagenten und Kollaborateuren in den Archiven bestimmt werden könnten, sagte Human Rights Watch.

Mit dem Zusammenbruch der irakischen Regierung kam es in vielen Städten zu Plünderungen. Die US- und Koalitionsstreitkräfte haben wenig unternommen, um dies zu unterbinden. In Basra erklärten britische Sprecher, dass sie die Plünderung von Baath Partei Gebäuden, die wichtige Archive beherbergten, ausdrücklich gestatteten, um der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass die Partei besiegt sei.

„Die Regierungsunterlagen sind bedeutendes Beweismaterial für 25-Jahre Gräueltaten,“ sagte Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch. „Unzählige Familien werden auf diese Archive angewiesen sein, um herauszufinden, was mit ihren vermissten Angehörigen geschehen ist.“

Nach Schätzungen von Human Rights Watch sind cirka 250.000 bis 290.000 Iraker während des Regimes der Baath-Partei „verschwunden“ – von irakischen Sicherheitskräften von zu Hause abgeholt und nie wieder aufgetaucht. Die Archive der irakischen Sicherheitskräfte könnten den verbliebenen Familien endlich erlauben herauszufinden, was mit ihren Angehörigen geschehen ist.

Nach den Aufständen von 1991 hatten kurdische Beamte cirka 18 Tonnen irakische Staatsdokumente sichergestellt, die in die USA überführt und von Human Rights Watch ausgewertet wurden. Diese Dokumente haben nicht nur nachgewiesen, dass die irakische Regierung für den Anfal Völkermord an den Kurden verantwortlich war, sondern haben auch einzelne Täter mit Namen genannt. Aber auch andere Repressionen des irakischen Regimes, wie z.B. die Kampagne gegen die im Süden lebenden Sumpfaraber konnte durch diese Unterlagen bewiesen werden.

Die Aufbewahrung von Dokumenten könnte weiterhin dazu beitragen, dass zukünftige Konflikte vermieden werden. So sind Regierungsdokumente für viele vertriebene Iraker die einzige Möglichkeit, ihre Identität, Geburtsort, ethnische Zugehörigkeit und Vermögenseigentum nachzuweisen. Human Rights Watch hatte bereits darüber berichtet, dass Dokumente wie „Nationalitätskorrekturformulare“ (nationality correction forms), Ausweisungsbefehle und Rationskarten während der Zwangsvertreibung von Irakern konfisziert wurden (http://www.hrw.org/reports/2003/iraq0303/ (auf Englisch)). Dies macht deutlich, wie wichtig die Regierungsarchive sind. Die jetzigen Bewohner von Häusern der ehemals Vertriebenen haben Interesse daran, dass die originalen Dokumente zerstört werden. Durch die Zerstörung von offiziellen Dokumenten werden jedoch nicht nur Eigentumsansprüche unterbunden, sondern wird es für die Vertriebenen auch unmöglich sein, ihre Identität oder die Identität ihrer Kinder nachzuweisen.

Im ehemaligen Jugoslawien wurden während der „ethnischen Säuberungskampagne“ viele Eigentumsdokumente absichtlich vernichtet. Dies hatte zur Folge, dass die Vertriebenen oft große Schwierigkeiten hatten, in ihre Häuser zurückzukehren.