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Menschliche Schutzschilder im Irak legen den USA Verpflichtungen auf
(New York, 20. Februar 2003) – Die Verwendung von menschlichen Schutzschildern im Irak würde die Gefahr für Zivilisten, sowie die Sorgfältigkeit mit der die USA und ihre Alliierten ihre Angriffe planen, dramatisch steigern, sagte Human Rights Watch heute.


Zu diesem Thema

International Humanitarian Law Issues In A Potential War In Iraq
HRW Hintergrundpapier, 20. Februar 2003

HRW Waffen



„Wenn der Irak Menschen als Schutzschilder benutzen würde, wäre dies ein Kriegsverbrechen... Doch hat US-Verteidigungsminister Rumsfeld gestern nur die halbe Geschichte erzählt. Sollten die USA Ziele angreifen, die von Zivilisten geschützt wären, ohne dass dafür eine überwältigende militärische Notwendigkeit bestehen würde, würde dies auch ein Kriegsverbrechen darstellen.“

Kenneth Roth
Direktor von Human Rights Watch


 
Mit Veröffentlichung eines 14-seitigen Instruktionspapiers, „International Humanitarian Law Issues in a Potential War in Iraq“, hebt Human Rights Watch eine Reihe ernsthafter Risiken für die irakische Zivilbevölkerung hervor, dazu gehören u.a. die Aussicht auf einen ausgedehnten Straßenkampf, die mögliche Verwendung von menschlichen Schutzschildern und Massenvernichtungswaffen und die Abhängigkeit der Zivilbevölkerung im Bezug auf Hilfsgüter wie Nahrungsmittel und medizinische Lieferungen.

In einer gestrigen Nachrichtenkonferenz teilte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit, dass die Verwendung von menschlichen Schutzschildern eine Verletzung des humanitären Völkerrechts und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstelle. Jedoch versäumte er, die rechtlichen Verpflichtungen der USA im Falle der Anwendung von menschlichen Schutzschildern zu erwähnen.

„Wenn der Irak Menschen als Schutzschilder benutzen würde, wäre dies ein Kriegsverbrechen,“ kommentierte Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch. „Doch hat US-Verteidigungsminister Rumsfeld gestern nur die halbe Geschichte erzählt. Sollten die USA Ziele angreifen, die von Zivilisten geschützt wären, ohne dass dafür eine überwältigende militärische Notwendigkeit bestehen würde, würde dies auch ein Kriegsverbrechen darstellen.“

Der Vorsitzende des US-Generalstabs, Gen. Richard Myers, sagte, dass das US-Militär bei der Auswahl von Zielobjekten menschliche Schutzschilder berücksichtigen würde.

Human Rights Watch bezieht keine Position hinsichtlich der Frage, ob die Anwendung von Gewalt rechtmäßig ist und beurteilt daher auch nicht den möglicherweise bevorstehenden Irak-Krieg. Unsere Arbeit im Irak konzentriert sich auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und, im Falle eines Krieges, auf die Einhaltung des internationalen humanitären Völkerrechts sowie den Schutz der irakischen Zivilbevölkerung von Seiten aller Kriegsparteien.

„Das internationale humanitäre Völkerrecht ist nicht nur ein Mittel, welches gegen Bagdad anzuwenden ist,“ sagte Roth. „Im Falles eines Krieges mit dem Irak legt das Völkerrecht legt auch den USA und ihren Alliierten wesentliche Verpflichtungen auf.“

In der Vergangenheit hat der Irak mindestens zwei Mal menschliche Schutzschilder verwendet - während des persischen Golfkrieges im Jahre 1991 und im Vorfeld von amerikanischen und britischen Bombardierungen im Jahre 1998. Die irakische Regierung gab an, dass sie ausländische Freiwillige und möglicherweise irakische Zivilisten als menschliche Schutzschilder verwenden werde. Unabhängig davon, ob dies mit der Zustimmung der involvierten Zivilisten geschehe, würde eine solche Handlung eindeutig eine Verletzung des internationalen humanitären Völkerrechts darstellen.

Human Rights Watch fordert alle Parteien eines möglichen Konfliktes im Irak auf:

  • militärische Ziele von der zivilen Bevölkerung zu trennen und zu unterscheiden,
  • auf die Anwendung von Massenvernichtungswaffen und anderen wahllosen oder unmenschlichen Waffen zu verzichten und
  • sofortige Vorbereitungen zu unternehmen, um die öffentliche Ordnung und notwendige Unterstützung für das Überleben der zivilen Bevölkerung in den okkupierten Gebieten sicherzustellen.

Angesichts der irakisch-amerikanischen Vergangenheit hat Human Rights Watch ein Instruktionspapier erarbeitet. Zu den Schlussfolgerungen gehören:

  • Unter keinen Umständen ist die Anwendung von Massenvernichtungswaffen – chemischer, biologischer oder nuklearer Art – rechtlich gerechtfertigt
  • Im Falle einer militärischen Konfrontation in städtischen Gebieten müssen abwehrende Streitkräfte vermeiden, dass militärische Ziele in der Nähe von bevölkerten Gebieten lokalisiert werden und angreifende Streitkräfte müssen angemessene Warnungen und Fluchtwege für Zivilisten freihalten
  • Bewaffnete Angriffe, die darauf abzielen die Moral der Zivilbevölkerung zu unterminieren, sind rechtswidrig
  • Sogenannte doppelt genutzte Ziele, die wesentlich für das Überleben der Zivilbevölkerung sind - wie Elektrizitätswerke -, dürfen nicht angegriffen werden. Andere doppelt genutzte Ziele sollten, wenn sie angegriffen werden, nur außer Gefecht gesetzt, und nicht zerstört werden
  • Bevor ein Ziel angegriffen wird, muss jede Anstrengung unternommen werden, um das Ziel genau zu bestimmen
  • Bei Angriffszielen aus der Luft sollten in bevölkerten Gebieten nur Präzisionswaffen verwendet werden
  • Antipersonenminen und Splitterbomben dürfen nicht verwendet werden
  • Die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten müssen sofortige Sicherheit und humanitäre Unterstützung für die Zivilisten in jeden von ihnen kontrollierten Gebieten bereitstellen
  • Um die Auswirkung des Krieges auf die Zivilbevölkerung beurteilen zu können, sollten Journalisten und Menschenrechtsbeobachtern maximaler Zugang gewährt werden


„Die Gefahren für Zivilisten sind in jedem Krieg sehr hoch,“ sagte Roth. „Um diese Gefahren im Irak zu minimieren, ist eine strikte Beachtung des internationalen humanitären Völkerrecht wesentlich.“