Pressemitteilungen
Afghanistan: Folter und politische Unterdrückung in Herat
Kriegsherren-Strategie der USA und UN ist verfehlt
(New York, 5. November 2002) - Die US-geführten Koalitionstruppen unterstützen im Westen Afghanistans einen rücksichtslosen Kriegsherren, sagte Human Rights Watch in einem neuen, heute veröffentlichten Bericht.


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All Our Hopes Are Crushed: Violence and Repression in Western Afghanistan
HRW Bericht, November 2002



„Die Internationale Gemeinschaft ist bestrebt die Macht der Kriegsherren zu reduzieren und Recht und Ordnung in Afghanistan wieder herzustellen. Jedoch wurde genau das Gegenteil getan.“

John Sifton
Co-Autor des Berichtes und Mitarbeiter für die Asien Abteilung von Human Rights Watch


 
Der 51-seitige Bericht, “All Our Hopes Are Crushed: Violence and Repression in Western Afghanistan,” dokumentiert weitreichende, von Militär, Polizei und Geheimdienst, begangene Misshandlungen, unter dem Kommando von Ismail Khan, dem lokalen Gouverneur. Die Misshandlungen umfassen willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen, Einschüchterungen, Erpressungen und Folter, sowie ernsthafte Verletzungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

„Die Internationale Gemeinschaft ist bestrebt die Macht der Kriegsherren zu reduzieren und Recht und Ordnung in Afghanistan wieder herzustellen,“ sagt John Sifton, Co-Autor des Berichtes und Mitarbeiter für die Asien Abteilung von Human Rights Watch. „Jedoch wurde genau das Gegenteil getan.“

Während des Jahres 2002 hat Ismail Khan einige der politisch motivierten Verhaftungen und Prügel persönlich angeordnet. Der Bericht von Human Rights Watch dokumentiert Prügel mit dornigen Ästen, Stöcken, Kabeln und Gewehrkolben. Zu den ernsthaftesten Fällen von Folter gehörten: an den Beinen Aufhängen von Gefangenen, Auspeitschen und die Anwendung von Elektroschocks. Ziel von Misshandlungen war insbesondere die Pashtun Minderheit.

Human Rights Watch kritisierte internationale Akteure für die Unterstützung von Kriegsherren, wie Ismail Khan. Während eines Besuches in Herat war US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu Beginn des Jahres mit Ismail Khan zusammengetroffen und hat ihn später Reportern gegenüber als eine „sympathische Person“ beschrieben.

„Ein Großteil des Landes ist in den Händen gewalttätiger Kommandeure und ihrer undisziplinierten Truppen,“ sagte Sifton. „Die Vereinigten Staaten gaben zu, Kriegsherren mit Waffen beliefert zu haben.“

Mitarbeiter von Human Rights Watch fanden eine Situation in Herat vor, in der es gewissermaßen keine abweichenden Meinungen oder Kritik an der Regierung, keine unabhängige Zeitung und keine Freiheit öffentliche Veranstaltungen abzuhalten gibt. Ismail Khan und seine Anhänger haben Journalisten und Verleger eingeschüchtert, sowie die wenigen Bürgerorganisationen, die sie dulden, unterdrückt oder kontrolliert. Nichtpolitische Bürgerinitiativen haben aufgehört sich zu versammeln und Universitätsstudenten nehmen Abstand von der Diskussion politischer Themen.

„Herat war seit Jahrhunderten bekannt als ein Zentrum für offene Kultur, Literatur und Wissenschaft,“ sagte Sifton. „Die Taliban versuchten das zu zerstören. Nun setzt Ismail Khan ihre Arbeit fort.“

Human Rights Watch beobachtete, dass sich sowohl amerikanische als auch iranische Militärs regelmäßig mit Ismail Khan und seinen Regierungsmitgliedern treffen, und dass sie bereits früher militärische und finanzielle Unterstützung an Ismail Khan und Kommandeure geliefert haben. Auch hat der iranische Präsident, Hojatoleslam Mohammad Khatami, Khan bereits besucht.

„Die Vereinigten Staaten und der Iran haben einen großen Einfluss auf Ismail Khan,“ sagte Sifton. „Sie haben ihn stark gemacht. Doch jetzt haben sie die Verantwortung darüber, dass er seine Handlungen einstellt.“

Human Rights Watch drängte darauf, dass die Internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) jenseits von Kabul ausgeweitet und eine erweiterte UN-Menschenrechtsbeobachtungs-und Schutztruppe entsendet wird. Wegen vorhergehender US-Opposition und dem Bedenken anderer Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen hat eine Erweiterung des Mandates bisher nicht stattgefunden. Jedoch erkennen die Vereinigten Staaten allmählich an, dass ihre Strategie, die Sicherheit des Landes den Kriegsherren anzuvertrauen, zu erneuter Instabilität führen könnte.

„Die Vereinigten Staaten beginnen ihre Position bezüglich der ISAF neu zu bedenken,“ sagt Sifton. „Da das Kommando über die ISAF bald auf Deutschland und die Niederlande übergehen wird, ist die Zeit gekommen, das Mandat insgesamt zu erweitern.“

Der Bericht von Human Rights Watch kritisiert die UN-Mission in Afghanistan. Bisher wurde nicht genug getan, um Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und darüber zu berichten. Der Bericht drängt darauf, dass der Sonderbeauftragte, Lakhdar Brahimi, die UN-Truppen zur Menschenrechtsbeobachtung erweitert und die UN-Mitgliedsstaaten Truppen und Mittel zur Verfügung stellen, um die ISAF auf Gebiete außerhalb Kabuls zu erweitern.

„Das Engagement der Vereinten Nationen in Afghanistan ist unzureichend, sagte Sifton. „Es muss mehr für die Menschenrechte getan werden.“

Außerdem appellierte Human Rights Watch an internationale Spender, Spenden und andere Hilfsmittel für Afghanistan nicht direkt über Ismail Khan oder seine Regierung zu leiten. Die Hilfe sollte vielmehr über die nationale Regierung oder Nichtregierungsorganisationen geleitet werden.