Internationale Justiz
Maßnahmen der Vereinigten Staaten zur Unterminierung des Internationalen Strafgerichtshofs
Rechtliche Analyse der Nichtauslieferungsabkommen

Einführung

Die Bush-Regierung versucht bilaterale Nichtauslieferungsabkommen mit zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt auszuhandeln. Das Ziel dieser Abkommen ist es, US-Militär und Zivilpersonal von der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auszunehmen. Die USA argumentieren, dass derartige Abkommen unter den Artikel 98 (2) des Statuts von Rom fallen. Human Rights Watch stimmt dem entgegen. Derartige Nichtauslieferungsabkommen verletzen das Statut von Rom und sollten abgelehnt werden. Wenn sowohl Vertragsstaaten, als auch Staaten, die das Statut unterzeichnet haben, derartige Abkommen unterschreiben würden, würden sie ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Statut von Rom verletzen.

I. Rechtliche Analyse

Artikel 98 (2), der bestimmt, dass der IStGH keine Überstellungsersuchen stellen darf, das vom ersuchenden Staat verlangen würde, entgegen seinen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln, wurde in das Statut aufgenommen, um einen ordentlichen und rationalen Prozess für das Verfahren mit Verdächtigen zwischen den Staaten, die mit dem Gerichtshof zusammenarbeiten, zu gewährleisten. Es war nicht beabsichtigt, Staaten, die es abgelehnt haben mit dem Gerichtshof zusammenzuarbeiten, zu erlauben, Abkommen zu verhandeln, die Ausnahmen für ihre Staatsbürger garantieren oder in sonstiger Weise die Effektivität des Gerichtshofs unterminieren

Staaten, die das Statut von Rom ratifiziert haben, dürfen rechtlich keine Abkommen, die die Immunität von einer Strafverfolgung des IStGH mit einem Staat unterzeichnen, der das Statut ablehnt oder nicht unterzeichnet hat. Das Gegenteil würde eine Verletzung des Statuts bedeuten.

Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs erstreckt sich auf das Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, wenn es auf dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates stattgefunden hat oder von einem Staatsangehörigen der Vertragsstaaten begangen wurde (vgl. Artikel 12). Während das Statut einem Vertragsstaat erlaubt seine eigenen Ermittlungen oder eine Strafverfolgung durchzuführen, behält der Gerichtshof seine Autorität zu ermitteln und strafrechtlich zu verfolgen bei, wenn ein Staat nicht willens ist dies zu tun. Diese Autorität dient als Garantie gegen eine Straffreiheit und ist somit fundamental.

Artikel 98 (2) kann nicht so ausgelegt werden, dass einem Nicht-Vertragsstaat (und insbesondere einem, der das Statut abgelehnt hat) ein Vorteil gewährt wird, einen ihrer Staatsangehörigen von der Gerichtsbarkeit des IStGH auszunehmen. Dies würde das durch das IStGH-Statut geschaffene Gerichtssystem unterlaufen.

In den meisten Fällen würden Nichtauslieferungsabkommen bedeuten, dass der IStGH nicht in der Lage wäre Personen, die eigentlich seiner Gerichtsbarkeit unterliegen, strafrechtlich zu verfolgen. Indem eine Person unter ein Nichtauslieferungsabkommen fällt, würde ein Vertragsstaat verhindern, dass der Gerichtshof einschreitet und seine Gerichtsbarkeit ausübt, wenn der ersuchende Staat Unwillens ist eine ernsthafte Ermittlung oder Strafverfolgung durchzuführen. Definitionsgemäß ist ein Staat, der das IStGH-Statut abgelehnt hat, immer Unwillens seine Ermittlungen und Strafverfolgungsergebnisse einer Überprüfung durch den Gerichtshof zu überlassen. Dadurch dass einem solchen Staat eine exklusive Gerichtsbarkeit über die IStGH-Verbrechen gewährt würde, würden die Staaten eine Tür zur Straffreiheit öffnen. Somit würden die sog. „Artikel 98“ Abkommen effektiv die Glaubwürdigkeit des Statuts von Rom verändern. Aus diesem Grund bedeutet der Abschluss solcher Nichtauslieferungsabkommen eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem Statut. Das Abkommen andererseits wäre rechtlich unwirksam unter dem Artikel 98.

So dass Artikel 98 (2) in Übereinstimmung mit Artikel 12 gelesen werden kann, muss Artikel 98 (2) als ein Zuständigkeitsmechanismus verstanden werden. Nur Vertragsstaaten können einen Vorteil von Abkommen haben, die ihnen die erste Möglichkeit der Strafverfolgung ihrer eigenen Staatsangehörigen für IStGH-Verbrechen erlaubt, die auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates begangen wurden. Obwohl Human Rights Watch solche Abkommen generell ablehnt, ist ein derartiger Zuständigkeitsmechanismus übereinstimmend mit den Gesamtzielen des Statuts von Rom, um sicher zu stellen, dass die Verbrechen des Statuts strafrechtlich von nationalen Gerichten verfolgt werden, die der Untersuchung des IStGH unterliegen oder von dem IStGH selbst verfolgt werden. Solche Abkommen würden noch eine Garantie gegen eine Straffreiheit bedeuten, was fundamental für das Statut von Rom ist.

Ein Staat, der das Statut von Rom unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert hat darf rechtlich kein Abkommen, welches die Immunität einer Strafverfolgung durch den Gerichtshof beinhaltet, mit einem Staat, der das Statut abgelehnt oder nicht unterzeichnet hat, unterschreiben. Das Gegenteil würde den Ziel und Zweck des Status verletzen.

Staaten, die das Statut unterzeichnet haben, sind gemäß Artikel 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, „verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrages vereiteln würden“.

Der „Zweck“ des Statuts von Rom, wie es in der Präambel und den Artikeln 12 und 27 festgehalten wird, ist System individueller Verantwortlichkeit für die ernsthaftesten internationalen Verbrechen zu entwickeln. Wie bereits oben erwähnt, gründet das Statut auch auf eine Überprüfung nationaler Strafverfolgungen durch den IStGH, um die Möglichkeit einer Straffreiheit auszuschließen.

Staaten, die das Statut von Rom abgelehnt haben, haben auch das Prinzip der Komplementarität des IStGH abgelehnt. Sie haben nicht die Autorität des Gerichtshofs, nationale Strafverfolgungen zu beurteilen und gegebenenfalls, wenn nötig, einzuschreiten, anerkannt und sie haben nichts unternommen, um eine Straffreiheit auszuschließen.

Unterzeichnerstaaten können rechtlich keine exklusive Gerichtsbarkeit über den IStGH-Verbrechen mit Staaten, die das Statut ablehnen oder nicht unterzeichnet haben, verhandeln. Die Eingehung von Nichtauslieferungsabkommen würde die Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten unter dem Wiener Übereinkommen, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck der Statuts von Rom vereiteln, verletzen.

II. Politische Beurteilung

Das Ermöglichen weitreichender Immunität für US-Staatsbürger durch die Eingehung bilateraler Abkommen mit den Vereinigten Staaten würde einen gefährlichen Präzedenzfall bedeuten. Durch die Unterzeichnung eines Nichtauslieferungsabkommens mit den Vereinigten Staaten, würden Vertragsstaaten und Unterzeichnerstaaten eine zweitklassige Rechtsstaatlichkeit billigen, eine für US-Bürger, die andere für Bürger der „Rest“ der Welt. Dies würde das geltende Völkerrecht entscheidend schwächen, und Staaten sollten der ideologisch geleiteten Attacke der Bush-Regierung gegen den IStGH widerstehen.

Wenn die Vereinigten Staaten erfolgreich in der Eingehung von Nichtauslieferungsabkommen mit vielen Staaten sein sollten, könnten sie damit auch Erfolg haben, andere Staaten, die den IStGH ablehnen, zu ermutigen, derartige Abkommen für ihre Staatsbürger abzuschließen. Dies würde den Gerichtshof fundamental unterminieren.

Für Vertragsstaaten und Unterzeichnerstaaten ist es zudem bedeutend, sich bewusst zu werden, dass Artikel 98 (2) ursprünglich auf Geheiß der Vereinigten Staaten in das Statut aufgenommen wurde. Staaten stimmten seiner Aufnahme zu, um die Einbeziehung der Vereinigten Staaten in das Projekt Aufrecht zu erhalten. Angenommen die Vereinigten Staaten hätten den Gerichtshof offiziell abgelehnt, dann hätte Washington das zugrunde liegende Prinzip für einen bilaterales Abkommen mit den Vereinigten Staaten eliminiert, da es die Bush-Regierung ablehnen würde, einen amerikanischen Verdächtigen an den IStGH auszuliefern, auch nicht, wenn der Gerichtshof feststellte, dass die US-Ermittlungen oder Strafvollstreckungen nur zum Schein wären.

Diese politischen Befürchtungen vervollständigen die rechtlichen Argumente und liefern Staaten zusätzliche Gründe, um Nichtauslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten abzulehnen.

III. Schlussfolgerung

Die US-Maßnahmen, um den Artikel 98 (2) des Statuts von Rom, durch die Forderung Nichtauslieferungsabkommen mit Vertragsstaaten und Unterzeichnerstaaten abzuschließen, auszunutzen, muss entgegnet werden, um sicher zu gehen, dass der IStGH respektiert wird. Auf dem Spiel steht Integrität eines vitalen Instruments der internationalen Rechts.

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