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USA: Militärtribunale für Guantanamo-Häftlinge keine echte Hilfe

(Washington D.C., 27. Juli 2004) - Die vor kurzem vom Pentagon angeordneten Anhörungen vor Militärtribunalen, in denen der Status von in Guantanamo inhaftierten Gefangenen überprüft werden soll, geben den Häftlingen keine echte Gelegenheit, ihre Inhaftierung anzufechten, erklärte Human Rights Watch heute. Die Tribunale werden diese Woche ihre Arbeit aufnehmen.

" Das Pentagon versucht noch immer mit allen Mitteln die alleinige Kontrolle über die Guantanamo-Häftlinge zu behalten und setzt darauf, dass die Errichtung der Tribunale, eine genaue Prüfung durch ordentliche Gerichte verhindert. "
Wendy Patten  
Advocacy-Direktorin der von Human Rights Watch
  

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Human Rights Watch kritisierte die vielen Schwachpunkte der Tribunale. Erstens sind sie ihrer Zusammensetzung nach nicht objektiv, zweitens werden die Gefangenen nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen und drittens basieren die Prozesse auf der irrigen Annahme des Pentagons, alle in Guantanamo einsitzenden „feindlichen Kämpfer“ könnten noch immer rechtmäßig unter Kriegsrecht festgehalten werden.  
 
Vor einem Monat hat das US-Verfassungsgericht entschieden, dass Guantanamo-Häftlinge das Recht haben, vor ordentlichen US-Gerichten zu klagen. Seitdem haben mehr als 30 Betroffene sogenannte Habeas Corpus-Petitionen eingereicht, mit denen sie ihre Inhaftierung vor einem US-Gerichte anfechten. Human Rights Watch fürchtet, dass das US-Verteidigungsministerium durch die Errichtung eigener Tribunale, die voraussichtlich den Status quo bestätigen werden, versucht, den Spielraum der ordentlichen Gerichte zu beschneiden, indem es diese dazu auffordert, eventuelle Klagen von Häftlingen an die Militärtribunale zu verweisen.  
 
"Das Pentagon versucht noch immer mit allen Mitteln die alleinige Kontrolle über die Guantanamo-Häftlinge zu behalten," kritisierte Wendy Patten, die Advocacy-Direktorin der von Human Rights Watch, "und setzt darauf, dass die Errichtung der Tribunale, eine genaue Prüfung durch ordentliche Gerichte verhindert."  
 
Die Entscheidung des Pentagons zur Errichtung dieser Tribunale fiel unmittelbar nach dem Urteil des Obersten US-Gerichtshofes im Juni 2004, in dem die Inhaftierungspraktiken der Bush-Regierung in Bezug auf Terrorismusverdächtige in Frage gestellt wurde. In einer scharfen Rüge entschied das Verfassungsgericht, dass die Entscheidung darüber, ob es rechtmäßig sei, ausländische Staatsbürger auf diese Weise festzuhalten, sehr wohl in die Gerichtsbarkeit amerikanischer Bundesgerichte fällt. In einem anderen Fall urteilte der Oberste Gerichtshof, dass dem als „enemy combatant“ – als „feindlicher Kämpfer“ – in Haft sitzenden US-Staatsbürger Yasser Hamdi die Gelegenheit gegeben werden muss, seine Inhaftierung vor einem „neutralen Gericht“ anzufechten. Das Urteil räumte hierbei ein, dass das dazu nötige Verfahren auch vor einem Militärtribunal stattfinden könne, falls es diese Voraussetzungen erfülle. Die Gefangenen hätten aber trotzdem das Recht zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung ein ordentliches US-Gericht anzurufen.  
 
Human Rights Watch zweifelt sehr daran, ob solche Militärtribunale zur Feststellung des Status eines Häftlings wirklich neutral und unparteiisch sein können. Immerhin werden die Tribunale von den selben militärischen Entscheidungsträgern angeordnet, von denen die Gefangenen zuvor schon explizit als „enemy combatants“ eingestuft worden sind, und die ihre Position seit über zwei Jahren mit ranghohen Militär- und Regierungsbeamten abstimmen. Ein Militärrichter, der in diesem Gremium wirklich zur Ansicht käme, dass es sich bei einem Betroffenen nicht um einen „feindlichen Kämpfer“ handelte, würde sich damit ganz konkret der Ansicht seines Vorgesetzten widersetzten und würde den Behauptungen des Gefangenen mehr Glaubwürdigkeit einräumen als ihnen.  
 
"Die Tribunale gehen ganz klar von der Annahme aus, dass es sich bei allen Häftlingen um „feindliche Kämpfer“ handelt," erklärte Patten, "obwohl dies eigentlich genau der Punkt ist, der entschieden werden soll."  
 
Dabei hat das Pentagon seine eigenen Regeln aufgestellt, nach denen jedem Häftling während der Verfahrens zwar ein militärischer Rechtsbeistand aber kein Anwalt zugeteilt wird. Der Austausch zwischen einem Häftling und seinem Rechtsbeistand unterliegt nicht der Vertraulichkeit und kann im Verfahren gegen ihn verwendet werden. Es ist gemäß der Genfer-Konventionen zwar rechtmäßig, den Status von Gefangenen ohne Anwalt für die Betroffenen durchzuführen, doch die Ratio liegt darin, dass diese Verfahren direkt nach der Gefangennahme am oder in der Nähe des Kriegsschauplatz stattfinden. Zweieinhalb Jahre später und Tausende von Kilometern von einem solchen Kriegsschauplatz entfernt, gibt es absolut keine legitime Begründung mehr dafür, den Gefangenen einen Anwalt zu verweigern. Vor allem, wenn es um die erste Chance überhaupt geht, ihre Inhaftierung anzufechten.  
 
Auch geht man bei den Prozessen irrtümlich davon aus, dass die „feindlichen Kämpfer“ zurecht unter Kriegsrecht in Guantanamo festgehalten werden. Dabei hätten die mutmaßlichen Talibanmitglieder schon vor zwei Jahren, als Hamid Karzai Präsident von Afghanistan wurde, freigelassen und in ihre Heimat zurückgeführt werden sollen. Denn zu diesem Zeitpunkt war der bewaffnete Konflikt zwischen den USA und Afghanistan offiziell beendet. Terrorismusverdächtige, die außerhalb jeder Kampfhandlung festgenommen wurden, hätten ohnehin niemals als „feindliche Kämpfer“ klassifiziert oder als solche festgehalten werden dürfen. Das Völkerrecht fordert, dass solche Personen entweder eines strafrechtlichen Verbrechens angeklagt oder freigelassen werden müssen.  
 
"Diese fehlerbehafteten Tribunale kommen ohnehin viel zu spät, um den Fall Guantanamo noch mit den Genfer-Konventionen in Übereinstimmung zu bringen," so Patten.