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Fischer ruhen sich auf ihren Booten in Hodeida, Jemen, aus, bevor sie aufs Meer fahren. Seit 2018 haben Kriegsschiffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition Fischerboote im Roten Meer angegriffen. Dabei starben mindestens 47 jemenitische Fischer. © 2018 Hani Mohammed/AP Photo
(Beirut) - Die Seestreitkräfte der von Saudi-Arabien angeführten Koalition haben seit 2018 mindestens fünf tödliche Angriffe auf jemenitische Fischerboote verübt, so Human Rights Watch heute. Kriegsschiffe und Hubschrauber der Koalition waren an Angriffen beteiligt, bei denen mindestens 47 jemenitische Fischer, darunter 7 Kinder, getötet wurden. Zudem war die Koalition an der Inhaftierung von mehr als 100 weiteren Personen beteiligt. Einige von ihnen wurden in saudischer Haft gefoltert.

Die Angriffe der Koalition auf Fischer und Fischerboote richteten sich offenbar gezielt gegen Zivilisten und zivile Objekte und verstoßen somit gegen Kriegsrecht. Koalitionsbeamte, die Angriffe anordneten oder Häftlinge folterten, haben höchstwahrscheinlich Kriegsverbrechen begangen.

„Die Seestreitkräfte der Koalition griffen wiederholt jemenitische Fischerboote und Fischer an, offenbar ohne vorher zu prüfen, ob es sich um legitime militärische Ziele handelte“, sagte Priyanka Motaparthy, Leiterin der Abteilung Krisengebiete bei Human Rights Watch. „Wenn Fischer mit weißen Tüchern niedergeschossen werden oder man schiffbrüchige Besatzungsmitglieder ertrinken lässt, dann sind das Kriegsverbrechen."

Human Rights Watch führte Interviews mit Überlebenden, Zeugen und Experten zu sieben Angriffen auf Fischerboote. Sechs wurden im Jahr 2018 verübt, einer im Jahr 2016. Bei fünf der Angriffe starben Zivilisten. Die Angriffe durch die Koalitionstruppen fanden mit leichten und schweren Waffen statt. Kriegsschiffe und Hubschrauber waren an den Angriffen, die aus kurzer Distanz erfolgten, beteiligt, so dass die Fischerboote als zivile Objekte hätten erkannt werden müssen. Die Fischer schwenkten weiße Tücher, hoben die Hände oder signalisierten auf andere Weise, dass sie keine Gefahr darstellten. Bei drei Angriffen unternahmen die Koalitionstruppen keine Versuche, auf offener See treibende Überlebende zu retten. Viele von ihnen ertranken.

Ein Fischer beschrieb den Angriff auf sein Boot wie folgt: „Der Hubschrauber war in der Nähe, etwa drei Meter hoch. Sie riefen [durch ein Megaphon] ‚Geht nach vorne‘, und vier oder fünf [Fischer] gingen nach vorne, und die anderen waren in der Nähe des Hecks [des Bootes]. Ich war in der Mitte. Dann schossen sie mit der großen Waffe auf uns.‘ Sieben Fischer starben.

Die Koalition hat zudem mindestens 115 Fischer, darunter drei Kinder, in Saudi-Arabien zwischen 40 Tagen und mehr als zweieinhalb Jahren ohne Anklage festgehalten. Sieben ehemalige Häftlinge sagten, dass saudische Behörden Fischer und Bootsbesatzungsmitglieder gefoltert und misshandelt hätten und ihnen den Kontakt zu ihren Familien, einem Rechtsbeistand und jemenitischen Regierungsvertretern verweigert hätten.

Die Angriffe und Festnahmen hatten gravierende Folgen für abgelegene Fischergemeinden. Dutzende von Familien verloren hierdurch ihren Hauptverdiener. Auch hat die Angst vor weiteren Angriffen andere Fischer davon abgehalten, auf See hinauszufahren. „Vor dem Krieg lief die Fischerei gut“, sagte die Frau eines Fischers. „Aber wir hörten, dass acht Männer aus unserer direkten Nachbarschaft getötet wurden... also hörte mein Mann auf, hinauszufahren.“

Das San Remo Manual über bewaffnete Konflikte auf See, das als Gewohnheitsrecht für Krieg auf See gilt, verlangt von den angreifenden Kräften, alles Mögliche zu tun, um Angriffe auf militärische Ziele zu begrenzen. Schiffe sind demnach immer als zivile Objekte anzusehen, es sei denn, sie sind mit militärischer Ausrüstung bestückt oder stellen eine unmittelbare Bedrohung für das angreifende Schiff dar. Kleine Küstenfischerboote sind ausdrücklich von Angriffen ausgenommen. Diese Schiffe müssen sich auf Verlangen identifizieren, sich einer Inspektion unterziehen und Anweisungen befolgen, einschließlich der Anweisung, das Schiff anzuhalten oder den Weg freizumachen. Die Kriegsgesetze verpflichten die Konfliktparteien auch, sofern die Umstände es zulassen, insbesondere aber nach einem Einsatz, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um Verwundete und Schiffbrüchige zu suchen und zu bergen.

Bislang hat die von Saudi-Arabien geführte Koalition in keinem einzigen Fall von mutmaßlichen Kriegsverbrechen und anderen rechtswidrigen Angriffen ermittelt, einschließlich der Angriffe auf Fischerboote, so Human Rights Watch. Soweit bekannt ist, wurde bislang kein Koalitionsangehöriger wegen Angriffen auf jemenitische Fischerboote disziplinarisch bestraft oder strafrechtlich verfolgt.

Das Koalitionsorgan, das mutmaßliche Verstöße gegen Kriegsrecht durch Koalitionstruppen überprüft, das Joint Incident Assessments Team (JIAT), hat weniger als zehn mutmaßliche Angriffe auf Zivilisten auf See untersucht. Bei keinem dieser Fälle handelt es sich offensichtlich um einen der Angriffe, die Human Rights Watch untersucht hat. Das JIAT hat in keinem dieser Fälle ein Fehlverhalten der Koalition festgestellt oder Zahlungen an die Opfer empfohlen.

Die befragten Fischer und ihre Angehörigen gaben an, dass das JIAT sie nie kontaktiert habe. Die saudischen Behörden boten den Familien der Fischer, die in einem von Human Rights Watch untersuchten Fall getötet wurden, finanzielle und materielle „Unterstützung“. In einem weiteren Fall wurde freigelassenen Besatzungsmitgliedern Geld gezahlt.

Human Rights Watch schrieb am 21. Juni zu den untersuchten Vorfällen an die Koalition, erhielt jedoch keine Antwort.

Huthi-Truppen, die einen Großteil des Nordjemens kontrollieren und Ziel der Koalitionstruppen sind, haben den Handelsverkehr im Roten Meer rechtswidrig angegriffen. In ihrem Abschlussbericht 2018 dokumentierte die Expertengruppe der Vereinten Nationen Huthi-Angriffe auf einen Rohöltanker, einen Massengutfrachter und ein Charterschiff des Welternährungsprogramms

Die Huthi-Streitkräfte starteten Angriffe mit Antischiffraketen, ferngesteuerten Booten, die mit Sprengstoff beladen waren, und Ruderbooten mit bewaffneten Männern. Die Huthi-Streitkräfte haben auch den Einsatz von Seeminen angekündigt, die ein großes Risiko für die zivile Schiffe darstellen.

Die Expertengruppe der Vereinten Nationen soll die Angriffe auf See und andere Angriffe auf Zivilisten untersuchen. Der UN-Sicherheitsrat soll Sanktionen gegen Offiziere und Kommandeure verhängen, die für Verstöße gegen das Kriegsrecht verantwortlich sind.

Länder wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich sollen unverzüglich alle Verkäufe und Transfers von Waffen, einschließlich Kriegsschiffen und Hubschraubern, an Saudi-Arabien einstellen. Auch sollen Waffenexporte an andere Koalitionsmitglieder sorgfältig überprüft werden, da auch dadurch Menschenrechtsverletzungen begangen werden können, so Human Rights Watch.

„Die Angriffe der Seestreitkräfte auf jemenitische Fischerboote machen deutlich, dass die von Saudi-Arabien geführte Koalition nicht nur Zivilisten durch unzählige illegale Luftangriffe tötet, sondern auch bei Operationen auf See“, sagte Motaparthy. „Wie viele weitere Beweise brauchen die Länder noch, die weiterhin Waffen an Saudi-Arabien liefern, um endlich alle Verkäufe, auch von Kriegsschiffen, einzustellen. Andernfalls sind sie mitverantwortlich für Kriegsverbrechen.“
 

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