Abd al-Salam Ali al-Hila landete am 19. September 2002 mit einem Egypt Air Flug in Kairo und meldete sich im fünf-Sterne Hotel Semiramis Intercontinental an, das den Tahrir Platz der Hauptstadt überblickt. Innerhalb einer Woche nach seiner Ankunft in Ägypten verschwand al-Hila. Laut seinem Bruder, Abd al-Wahab al-Hila, ist er zuerst nach Baku (Aserbeidschan) gebracht und dann in US-Gewahrsam in Afghanistan übergeben worden. 1 Nach ungefähr sechzehn Monaten Gefangenschaft in Afghanistan überführte man ihn weiter in die Häftlingsanstalt an der Guantánamo-Bucht (Kuba), wo er sich bis heute aufhält.
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Handel war nicht der einzige Beruf al-Hilas. Der dreifache Vater war außerdem ein jemenitischer Geheimdienstoberst, der für die Akte „Arab Afghan“ verantwortlich war. Die jemenitische Regierung hatte hunderte und möglicherweise tausend oder mehr so genannte „Arab Afghans“ willkommen geheißen (Araber, die in den 80er Jahren nach Afghanistan gegangen waren, um gegen die von der Sowjetunion unterstützte Regierung zu kämpfen). Sie kämpften als Freiwillige im Jahre 1994 während des Bürgerkrieges gegen die marxistischen abtrünnigen Rebellen im Süden. (Zusätzlich zu diesen ausländischen „Arab Afghans“ gingen ungefähr 30.000 Jemeniten ebenfalls nach Afghanistan; viele von ihnen unterstützten zudem die jemenitische Regierung nach ihrer Rückkehr).
Nachdem der Bürgerkrieg beendet war, ließen sich einige Freiwillige nieder, heirateten Jemeniten und hielten sich im Grossen und Ganzen von der Politik fern. Andere blieben weiterhin militant politisch aktiv und suchten Zufluchtsort in den schwer zu bewachenden Grenzgebieten zwischen Jemen und Saudi-Arabien. Viele andere verließen das Land.
Al-Hira war als Geheimdienst-Offizier dafür verantwortlich, zahlreiche arabische Islamisten aus dem Jemen in andere Länder, einschließlich Westeuropa, weiterzuleiten, um dort Asyl zu beantragen. Aufgrund seiner Position besaß er sowohl eine enge Beziehung zu dem jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih als auch zu einer breiten Palette arabischer und westlicher Geheimdienste und Migliedern der militanten Gruppen selbst.2
Jene, die mit der Islamistenszene im Jemen vertraut sind, erklären, dass seine Kenntnisse über die islamistischen „Ausreise-Routen“ aus seinem Land ihn zu einer wertvollen Informationsquelle für den CIA machten.. Islamisten bestreiten seine Beteiligung an al-Kaida oder irgendeiner anderen Terroristengruppe, sagen aber auch, dass er Tausenden half, das Land zu verlassen. Nach Aussage von Presseberichten erzählte ein ägyptischer Militant in Jemen ägyptischen Geheimdienstagenten, dass al-Hila Verbindungen zu al-Kaida-Agenten hätte. Diese Information wurde möglicherweise an den US-Geheimdienst weitergegeben und veranlaßte seine Festnahme bei der Ankunft in Ägypten.3
Al-Hila’s Reise nach Kairo sollte jedoch rein geschäftlich sein. Gemäß seines 30-jährigen Bruders, Abd al-Wahab, war er vom Hauptbüro der „Arab Contractors“ eingeladen worden, finazielle Unstimmigkeiten über Vergütungen seiner Baufirma beizulegen.4
Al-Hila war täglich in Verbindung mit seiner Familie und benutzte dazu seine beiden Mobiltelephone aus Jemen und aus Kairo. Am 24. September wurde seine Familie unruhig, als er deren Anrufe den ganzen Tag über nicht beantwortete.5
„Abd al-Salam rief uns am darauffolgenden Tag an und teilte uns mit, dass er zu einem Treffen mit „einigen Leuten“ eingeladen worden war“. Nervös erzählte er seinem Bruder, „die Atmosphäre hier ist trübe und finster“, gab aber keine näheren Einzelheiten an. Dies sollte sein letztes Telefongespräch aus Kairo mit seiner Familie sein. Mitglieder seiner Familie riefen ihn in den folgenden Tagen an, aber er antwortete nicht. Seine beiden Mobiltelephone wurden drei Tage später abgeschaltet.6
Die Familie setzte sich daraufhin mit der ägyptischen Botschaft in Sanaa in Verbindung, um zu versuchen, Informationen über seinen Aufenthaltsort zu erhalten. Außerdem baten sie den jemenitischen Präsidenten und den Außenminister, sich in ihrem Namen bei der ägyptischen Regierung für sie einzusetzen; davon ausgehend, dass al-Hali in Kairo gefangen gehalten wurde.
Abd al-Wahab bestand darauf, dass sein Bruder an keinerlei bewaffneten Aktivitäten gegen die ägyptische Regierung beteiligt war. Er ist nicht sicher, warum sein Bruder entführt wurde, sagte aber „sie sprachen in der Presse über seine Rolle mit den „Arab Afghans“ während des (jemenitischen Bürger-) Krieges.“
Jemenitische Beamte forderten ihre ägyptischen Kollegen auf, den Aufenthaltsort al-Hilas bekannt zu geben.. Das jemenitische Ministerkabinett gab am 31. Oktober 2002 eine Erklärung heraus, die besagte, dass er noch immer in Ägypten inhaftiert wäre.7 In der Erklärung werden die ägyptischen Beamten aufgefordert, im Geiste der „brüderlichen“ Bande zwischen den beiden Ländern, den Aufenthaltsort al-Hilas bekannt zu geben.
Die erste offizielle Antwort zu den Anschuldigungen kam am 3. November 2002 in einem Bericht der staatlichen Middle East Nachrichtenagentur, die eine „offizielle ägyptische Quelle“ zitierte, die aussagte, dass al-Hila Kairo am 28. September 2002 auf einem amerikanischen Flug nach Baku verlassen habe. Die Quelle bestreitet außerdem jegliche Beteiligung ägyptischer Behörden an seinem „Verschwinden“. 8
Die Familie erhielt weder von der ägyptischen noch von der jemenitischen Regierung genaue Angaben über seinen angeblich freiwilligen Flug nach Baku. Der jemenitische Außenminister erzählte ihnen im November 2002, dass ihm ägyptische Beamte die „Ausreisekarte“ gezeigt hätten, die jeder Passagier bei Abflug von Kairo ausfüllt. Abd al-Wahab bat das Ministerium um eine Kopie der Ausreisekarte, aber zum Zeitpunkt des Interviews mit Human Rights Watch hatte er diese noch nicht erhalten.
Al-Hilas Schicksal war für mehr als eineinhalb Jahre ungeklärt. Während dieser Zeit hatte seine Familie keinerlei Informationen über ihn: sein Aufenthaltsort, welche Regierung ihn gefangen hielt und warum und die Haftbedingungen waren völlig unbekannt. Endlich, am 14. April 2004, gab der jemenitische Aussenminister Abu Bakr al-Qurbi bekannt, dass die jemenitische Botschaft in Islamabad, Pakistan, einen aus dem Luftwaffenstützpunkt Bagram (in Kabul, Afghanistan) herausgeschmuggelten Brief von al-Hali erhalten habe. Sein kurzer Brief, der auf den 12. Januar 2004 datiert war, sagte aus, dass er seit 16 Monaten von der CIA in Afghanistan fest gehalten werde, nachdem er vom ägyptischen Geheimdienst in Kairo entführt worden war.9
Der vollständige Brief wurde am 25. April 2004 von der jemenitischen staatlichen Tageszeitung „26. September“ veröffentlicht:
Seine Exzellenz, der Botschafter der jemenitischen Republik,
mein Bruder, Herr Botschafter, Ich – Abd al-Salam Ali al-Hila – schreibe Ihnen aus meiner Einzelzelle in Afghanistan. Ich wurde von Afghanen gefangen genommen, befinde mich jetzt jedoch im Gewahrsam der CIA, zusammen mit einem jemenitischen Bruder, der sich in einer anderen Zelle befindet. Er ist ein Händler, der in Thailand verhaftet und dann nach Afghanistan gebracht wurde. Es gibt hier ausserdem sieben weitere Araber (in Haft).
Mein Bruder, Herr Botschafter, ich schreibe diesen Brief aus einem dunklen Gefängnis. Ich weiss nicht, warum ich im Gefängnis bin. Ich bin ein Geschäftsmann mit gutem Ruf der viel für dieses Land geleistet hat. ....Mein Bruder, Herr Botschafter, ich schreibe Ihnen und bitte Gott und den Präsidenten der [jemenitischen] Republik um Hilfe......Ich wurde von den Amerikanern in Afghanistan ins Gefängnis gesteckt, nachdem ich in der Arabischen Republik Ägypten während einer kurzen Geschäftsreise verhaftet worden war. Der CIA verschwor sich mit dem ägyptischen Mukhbarrat, erhob falsche Beschuldigungen und bedrohte mich, um damit ihr Verbrechen, mich aus Ägypten zu entführen und in diesem afghanischen Gefängnis einzusperren, zu rechtfertigen. Erst nach vier Monaten der Kerkerhaft erfuhr ich, dass ich mich in Afghanistan befand. Mein Bruder, Herr Botschafter, ich bin im Gefängnis, obwohl ich unschuldig bin. Sie, zuständige Staatsbeamte und die Amerikaner, wissen genau, dass ich an keinerlei Ereignissen in Bezug auf die Amerikaner oder Nichtamerikaner beteiligt bin, noch habe ich irgendeine Verbindung zu [Terroristen-] Organisationen. Mein einziges Verbrechen war, dass die Amerikaner Informationen von mir wollten, aber keine finden konnten, also ließ man mich in afghanischen Gefängnissen zurück. Mein letztes Verhör war vor einem Jahr. Die Amerikaner können mich in Amerika nicht gefangen halten, weil sie wissen, dass ich kein Krimineller bin. Mich gefangen zu halten wäre gegen das Gesetz ihres Landes und gegen alle anderen gottesfürchtigen wie auch gottlosen Gesetze. Jedoch missachten sie [Amerikaner] diese [Gesetze] außerhalb ihres Landes und behaupten dennoch, die Menschenrechte zu schützen.
Mein Bruder, Herr Botschafter, ich weiss nicht, was Ihnen die Amerikaner und die Ägypter über mich erzählt haben, [aber] ich bitte Sie dringend, meine sofortige Freilassung und sichere Heimreise zu beantragen. Wenn sie mich in irgendeiner Sache beschuldigen, dann [enthält] das Mindestrecht eines jeden Angeklagten die Möglichkeit, sich einer Gerichtsverhandlung zu stellen. Deshalb bitte ich Sie, sich bei den Amerikanern und den Ägyptern, die mich [an die Amerikaner]übergaben, für mich einzusetzen und mich nach Hause zu bringen. Und wenn sie michfür irgendeiner Sache beschuldigen, dann könnten sie mich in meinem Land in einem öffentlichen, gerechten, Zivilgericht damit konfrontieren.
Mein Vater, der Präsident, ich schreibe diesen Brief an Sie und warte, zusammen mit einem anderen jemenitischen Händler namens Amin al-Yafi’i. ...Wir hoffen, dass wir in den Gefängnissen nicht zu Unrecht in Vergessenheit geraten.. Nur Gott weiß, wie [schlecht] meine Lage ist! Bitte kümmern Sie sich um meine Mutter, Kinder, Brüder und um mein Geschäft.
Dieser Brief wurde am 12 Dhu’l-Qa’dah 1424 Hijri-12/1/2004 n. Chr. geschrieben. Ich erhoffe von meinem Bruder, Herr Botschafter, dass er sich dieser Angelegenheit mit größter Sorgfalt widmet und meine Nachricht an den Präsidenten der Republik übermittelt.
Im Juli 2004 erhielt al-Hila’s Familie einen Brief aus Kabul über das Rote Kreuz, datiert vom 26. Mai 2004. Dies war die erste Miteilung, die sie von ihm erhielten, seit er eineinhalb Jahre zuvor inhaftiert worden war. Zwei Monate später erhielten sie einen weiteren Brief, datiert vom 19. Juli - diesmal aus Guantánamo. Dieser Brief enthielt keinerlei Einzelheiten über seine Verhaftung oder die Gefängnisbedingungen. Stattdessen war sein Brief voller Fragen über die Familie.
Im Dezember 2004 erhielt die Familie zwei weitere Briefe, datiert vom 15. und vom 30. Oktober. Außer den Grüßen und den Wünschen zur guten Gesundheit, schrieb al-Hila in dem Brief vom 15. Oktober: „Ich bin in das neue Gefängnis verlegt worden, von Afghanistan nach Kuba, Guantánamo....“ Der Rest des Satzes war vom US-Militärzensor geschwärzt worden.
Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichts gibt es keinen Anhaltspunkt, dass al-Hila aus Guantánamo entlassen wurde.
1)Human Rights Watch Interview mit Abd al-Wahab al-Hila, Dezember 2004
2)Human Rights Watch Interview mit Yasir al-Sirri, London, Juli 2003; Muhammad al-Shafi’I, “Zawahiri’s Geheimpapiere, Teil Sieben”, Asharq al-Awsat, 19. Dezember 2002; Abd al-Salam Abd al-Salam Tahir, „Dem abgebrochenen Entführungsversuch eines ägyptischen Botschaftsangestellten folgt eine Jagd durch die Straßen von San’a“, Asharq al-Awsat, 17. September 2003
3)Human Rights Watch Interview mit Yasir al-Sirri, London, Juni 2004; Human Rights Watch Telefoninterview mit Yasir al-Sirri, Dezember 2004; Muhammad al-Shafi’i, „Ayman al-Zawahiri’s Geheimpapiere, Teil 7“, Asharq al-Awsat, 19. Dezember 2002; Interview mit Nabil al-Hila, Middle East Transparent, 22. Juli 2004
4)Human Rights Watch Interview mit Abd al-Wahab al-Hila, Dezember 2004.
5)Ibid
6)Human Rights Watch Interview mit Abd al-Wahab al-Hila, Dezember 2004
7)Khalid Mahmud, „Der verschwundene Jemenite verliess Kairo auf dem Weg nach Aserbaidschan an Bord eines amerikanischen Fluges, bestätigt ein ägyptischer Beamter“, Asharq al-Awsat, 4. November 2002
8)Ibid
9)Öffentliche Erklärung von HOOD (HOOD ist eine in Jemen ansässige islamistische Menschenrechtsorganisation) „Al-Hila ist in Kabul“, 27. April, 2004