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Türkei: Pläne für Nordirak besorgniserregend
Vertreibungen und Tötungen von Zivilisten dürfen nicht wiederholt werden
(New York, 5. März 2003) – Ein Engagement des türkischen Militärs im Nordirak sei besorgniserregend, sagte Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Instruktionspapier. Das türkische Militär weist eine erschreckende Bilanz auf, in der Bekämpfung kurdischer Rebellen im eigenen Land.


Zu diesem Thema

Turkey and War in Iraq: Avoiding Past Patterns of Violation
HRW Instruktionspapier, März 2003



„Sollten türkische Operationen im Nordirak in gleicher Manier, wie im Südosten der Türkei geführt werden, können wir ein Menschenrechtsdesaster erwarten. Dies kann nur verhindert werden, indem ehemalige Täter aus dem Nordirak herausgehalten werden und sichergestellt wird, dass zivile Beobachter vor Ort sind, um das Verhalten des Militärs zu beobachten.“

Elizabeth Andersen
Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch


 
Human Rights Watchs Instruktionspapier, "Turkey and War in Iraq: Avoiding Past Patterns of Violation," berichtet über Beispiele, in denen türkische Streitkräfte bei Operationen im Nordirak internationales humanitäres Völkerrecht verletzten. Darüber hinaus wird an die schlimmen Menschenrechtsverletzungen erinnert, die während des dreizehnjährigen Konflikts der Türkei mit der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Südosten der Türkei begangen wurden.

Während des Konflikts wurden Zivilisten von der türkischen Armee gefoltert, getötet und „verschwunden“. Hunderttausende Bauern wurden vertrieben, indem man ihre Häuser verbrannte. Doch auch die PKK (auch bekannt als KADEK) lies Zivilisten massakrieren und Gefangene hinrichten.

„Sollten türkische Operationen im Nordirak in gleicher Manier, wie im Südosten der Türkei geführt werden, können wir ein Menschenrechtsdesaster erwarten,“ sagte Elizabeth Andersen, Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. „Dies kann nur verhindert werden, indem ehemalige Täter aus dem Nordirak herausgehalten werden und sichergestellt wird, dass zivile Beobachter vor Ort sind, um das Verhalten des Militärs zu beobachten.“

Human Rights Watch warnt vor einer möglichen Entsendung türkischer „Dorfwächter“ in den Nordirak. Türkische Dorfwächter sind eine paramilitärische Streitmacht, um die PKK zu bekämpfen. Sie wird aus kurdischen Dorfbewohnern gebildet und von der Türkei bewaffnet und bezahlt. Die Dorfwächter wurden mit Drogenschmuggel, Entführungen, vorsätzlichen Tötungen und „Verschwindenlassen“ von Menschen in Verbindung gebracht. Berichten zufolge, ließ die türkische Armee einige Hundert Dorfwächter im Grenzgebiet unter dem Namen „Blitzgruppe“ (Simsekler Grubu) für den Dienst im Nordirak ausbilden. Den Wächtern wurde mitgeteilt, dass sie in den Grenzlagern arbeiten werden. Diese wurden errichtet, um einen Flüchtlingsstrom in die Türkei zu vermeiden.

Human Rights Watch sagte, dass diese paramilitärische Streitmacht unter keinen Umständen als eine bewaffnete Gruppe in den Nordirak eindringen dürfe.

Human Rights Watch hat auch speziell vor der Entsendung der Bolu Kommando Brigade gewarnt. Diese sei angeblich verantwortlich für zahlreiche Verletzungen des Kriegsrechts in der Türkei - darunter Zerstörungen von Dörfern, wahlloses Brandlegen und „Verschwindenlassen“ von Menschen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand die Türkei der Verletzung des Rechts auf Leben in zwei Fällen von „Verschwindenlassen“, bei denen angeblich Soldaten der Bolu Kommando Brigade beteiligt waren, für schuldig.

Truppen, die von der Türkei in den Nordirak entsendet werden, sollten keine Mitglieder der Sicherheitskräfte enthalten, die in der Vergangenheit für Misshandlungen oder Folter außergerichtliche Hinrichtungen oder „Verschwindenlassen“ von Menschen verurteilt wurden, bzw. Teil einer Untersuchung oder eines Verfahrens solcher Verbrechen sind, sagte Human Rights Watch. Auch sollten in den Nordirak gesendete Truppen Mitglieder der Sicherheitskräfte ausschließen, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt wurden. Es handelt sich dabei um insgesamt 157 EGMR-Urteile gegen die Türkei, in welchen die Angeklagte Türkei für Misshandlungen, Folter oder Verletzungen des Rechts auf Leben, sowie die Gefangennahme von Menschen für ihre gewaltlosen Meinungen für schuldig befunden wurde. Über 1000 zusätzliche Fälle gegen die Türkei sind derzeit vor dem EGMR anhängig.

Human Rights Watch unterstrich auch die Wichtigkeit des Zugangs der Medien und unabhängigen Beobachtern im Nordirak. Die Abwesenheit einer effektiven Regierung und Justizstrukturen biete wenig Kontrolle für Menschenrechtsverletzungen. In der Vergangenheit reagierte die Türkei widerwillig auf Überprüfungen ihrer militärischen Operationen. Im August 2000 bombardierten türkische Kampfflugzeuge eine Gruppe von Pastoralisten nahe Kendaxor im Nordirak, bei dem 38 Zivilisten getötet wurden - darunter Frauen und Kinder. Türkische Militärbeamte lehnten anfänglich jegliche Verantwortlichkeit ab. Am 29. August 2000 reiste eine Delegation, die aus einer Zusammensetzung von Gewerkschaften und eines professionellen Komitees der „Demokratie-Plattform Diyarbakir“ bestand, in die irakische Grenzregion, um Untersuchungen vor Ort durchzuführen. Doch wurden sie an der Grenze durch die Anordnung eines regionalen Gouverneurs gestoppt. Berichten zufolge, zahlte die Türkei später eine unbekannte Geldsumme an den Führer der Demokratischen Partei Kurdistans, Massoud Barzani. Das Geld sollte für die Hinterbliebenen, der in der Kendaxor-Bombardierung getöteten Zivilisten, bestimmt sein.

Human Rights Watch drängte darauf, genaue Untersuchungen über die Länder, die Waffen an die Türkei geliefert haben, durchzuführen - darunter die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Diese vier Lieferstaaten sind, gemeinsam mit der Türkei, NATO-Mitglieder und Teilnehmerstaaten des Wassenaar-Abkommens, das Exportkontrollen von Waffenlieferungen, die zur regionalen und internationalen Stabilität und Sicherheit beitragen, regelt.

„Eine militärische Unterstützung sollte kein Einzelakt sein, einfach Waffen zu liefern und dann einfach so voranzuschreiten,“ sagte Andersen. „Sie sollte Überwachungen zur Folge haben, um sicherzustellen, dass Waffen in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht verwendet werden.“

Human Rights Watch bezieht keine Stellung, in der Frage der Rechtmäßigkeit eines Krieges, eingeschlossen einer möglichen US-geführten Militäraktion im Irak. Ihre Arbeit im Irak konzentriert sich weiter auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und, wenn es zum Krieg käme, auf die Übereinstimmung aller Parteien mit dem internationalen humanitären Völkerrecht und dem Schutz der irakischen Zivilisten.