Human Rights Watch
Leben retten - für ein Verbot von Streubomben bis 2008
Zahl der am Vertragsprozess beteiligten Staaten
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Mythos and Realität der Streubomben
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Mythen über Streubomben:

„Streubomben sind zur Kriegführung nötig“

„Streubomben sind entscheidend für den Schutz und die Verstärkung der Truppen“

„Es gibt keine praktikablen Alternativen zu Streubomben“

„In bewohnten Gebieten ist die einzige Alternative zu Streubomben der Einsatz von teureren Einheitssprengköpfen, die noch größeren Personenschaden anrichten“

„Das humanitäre Völkerecht ist angemessen für den Einsatz von Streubomben“

„Technische Veränderungen wie zum Beispiel Selbstzerstörungsmechanismen können die durch Streubomben hervorgerufenen Probleme lösen“

„Die Konvention über Konventionelle Waffen ist das einzige effektive Übereinkommen, um über den Einsatz von Streubomben zu verhandeln“

„Protokoll V des Übereinkommens der Konvention über Konventionelle Waffen über explosive Kampfmittelrückstände betrifft auch das Hauptproblem der Streubomben: die Beseitigung gefährlicher Blindgänger“


„Streubomben sind zur Kriegführung nötig“

Tatsache ist:

  • In heutigen Konflikten haben Streubomben nur einen, wenn überhaupt, eingeschränkten Nutzen. Oft handelt es sich um asymmetrische Konflikte zwischen zwei Gruppen mit ungleicher Kampfkraft. Streubomben waren während des Kalten Kriegs entwickelt worden, insbesondere für groß angelegte Bombardierungen von Panzern und Infanterie.
  • Konflikte finden immer häufiger innerhalb und in der Nähe von besiedelten Gebieten statt, ein besonders ungeeignetes Terrain für den Einsatz von Streubomben.
  • Streitkräfte, die Streubomben einsetzen, haben bisher noch keinen konkreten Beweis über das militärische Potential oder die kampfentscheidende Rolle der Waffe geliefert.
  • Streubomben untergraben militärische und politische Strategien durch zivile Verluste, die sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar sind.
  • Der militärische Nutzen von Streubomben wird oft durch humanitäre Verluste aufgehoben. Dazu gehören zivile Verluste während und noch lange nach dem Angriff sowie langfristige soziale und wirtschaftliche Auswirkungen durch gefährliche Blindgänger der Submunitionen.

„Streubomben sind entscheidend für den Schutz und die Verstärkung der Truppen“

Tatsache ist:

  • Der Einsatz von Streubomben ist mit Einschränkungen und Verpflichtungen verbunden, die militärische Operationen erschweren können. Vor allem können gefährliche Blindgänger die eigenen Truppen gefährden und deren Mobilität einschränken. Erfahrungsberichte aus dem Golfkrieg, dem Kosovo und aus Afghanistan beschreiben negative Auswirkungen der Streubomben auf verbündete Truppen und Friedenstruppen.
  • Im Golfkrieg 1991 stellten US-Truppen fest, dass ihre Bewegungsfreiheit bei Operationen in Gebieten eingeschränkt war, die mit ihrer eigenen Submunition übersät waren. Verluste waren die Folge.
  • Der Bericht „Lessons Learned” der 3. US-Infanteriedivision über Operationen im Irak im Jahr 2003 erklärte Streubomben zu einem der „Verlierer“ des Krieges. Dabei hob der Bericht besonders die zweifach verwendbare verbesserte konventionelle Munition (DPICM: dual-purpose improved conventional munition) hervor. Dabei handelt es sich um eine Submunition, die von der Artillerie und in Bodenraketen verwendet wurde. Der Bericht hinterfragt, „ob die DPICM ein Relikt des Kalten Krieges ist?“ Befehlshaber „zögerten mit der Verwendung, […] mussten sie aber schließlich einsetzen“, da alternative Waffen nicht zur Verfügung standen. Der Bericht betonte, dass diese Waffen „nicht in städtischen Gebieten zu verwenden seien“. Offiziere waren besonders besorgt über die Blindgängerrate der DPICMs, die höher als erwartet ausfiel.
  • Die meisten gelagerten Streubomben nähern sich dem Ende ihrer Haltbarkeit. Danach wird ihr Einsatz gefährlich. Die weitere Lagerung kann zu einer zunehmenden Anzahl von gefährlichen, nicht explodierten Submunitionen beim Einsatz führen.

„Es gibt keine praktikablen Alternativen zu Streubomben“

Tatsache ist:

  • Technischer Fortschritt in der Militärtechnologie hat zu groβen Veränderung in der Zielsuche, Präzision und Zuverlässigkeit von Waffen geführt. Es ist vor allem in bewohntem Gebiet unhaltbar, weiterhin ungesteuerte Streubomben mit Submunition mit bekanntermaßen hohen Blindgängerraten zu verwenden.
  • Alternative Technologien für Angriffe auf Panzer existieren und werden weiterentwickelt. Technischer Fortschritt bei Sensoren, Zündern und Zielsuche haben neue Waffen ermöglicht, die die militärischen Ziele von Streubomben erfüllen können, ohne eine große Anzahl nicht explodierter Munition und die damit verbundenen Gefahren zu hinterlassen.
  • Die Weiterentwicklung von Taktik, Technik und Einsatz anderer Waffen verringert die militärischen Vorteile eines Angriffs mit Streubomben.

„In bewohnten Gebieten ist die einzige Alternative zu Streubomben der Einsatz von teureren Einheitssprengköpfen, die noch größeren Personenschaden anrichten“

Tatsache ist:

  • Jeder Angriff mit Streubomben in bewohntem Gebiet ist willkürlich und sollte deshalb nach humanitärem Völkerrecht verboten sein. Während einige Angriffe mit Einheitssprengköpfen in besiedelten Gebieten legitim sind, verstoßen willkürliche und unverhältnismäßige Angriffe gegen humanitäres Völkerrecht. Die Behauptung ist nicht zu rechtfertigen, dass die einzige Alternative zu einem illegalen Angriff mit Streubomben ein illegaler Angriff mit Einheitsgefechtsköpfen sei.
  • Es sollten in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht Präzisionswaffen an Stelle von nicht präzisionsgelenkten Waffen bei der Durchführung von Angriffen auf militärische Ziele in bewohnten Gebieten verwendet werden.

„Das humanitäre Völkerecht ist angemessen für den Einsatz von Streubomben“

Tatsache ist:

  • Das existierende humanitäre Völkerrecht bietet keinen ausreichenden Schutz vor Streubomben für die Zivilbevölkerung, die deren willkürlicher Wirkung ausgesetzt sind. In jedem Konflikt, in dem der Einsatz von Streubomben dokumentiert wurde, wurde humanitäres Völkerrecht verletzt.
  • Spezifische Gesetze zu Streubomben werden die Richtlinien und Normen stärken, die den willkürlichen Einsatz verbieten. Die Nutzer dieser Waffen werden dazu verpflichten, sich auch mit den Auswirkungen der Waffen nach Beendigung des Konfliktes zu beschäftigen.
  • Das humanitäre Völkerrecht entwickelt sich ständig weiter. Es ist normal, dass Staaten Gesetze über bewaffnete Konflikte weiterentwickeln und neu kodifizieren.
  • Staaten vertreten unterschiedliche Positionen, wie das humanitäre Völkerrecht in Bezug auf Streubomben angewendet werden soll. Auch die Implementierung des humanitären Völkerrechts in Bezug auf Streubomben ist nicht einheitlich. Human Rights Watch kam zu dem Ergebnis, dass nationale Bemühungen zur Implementierung des humanitären Völkerrechts in Bezug auf Streubomben nicht effektiv waren und dass spezifische neue internationale Gesetze für den Schutz der Zivilbevölkerung nötigt sind.

„Technische Veränderungen wie zum Beispiel Selbstzerstörungsmechanismen können die durch Streubomben hervorgerufenen Probleme lösen“

Tatsache ist:

  • Technische Lösungsvorschläge betreffen nur die Probleme, die nach Beendigung der Konflikte auftreten. Sie lösen jedoch nicht die weit reichende räumliche Verbreitung der Waffen, die Streubomben in bewohntem Gebiet zu einer willkürlichen Waffe machen.
  • Eine rein technische Lösung ignoriert die Auswirkung von Streubomben während des Angriffs, wenn militärische Ziele, Zivilisten and zivile Einrichtungen schwer unterscheidbar sind.
  • Selbstzerstörungsmechanismen können beim Militär den Eindruck erwecken, dass Streubomben in bewohnten Gebieten ohne Gefahr für die Zivilbevölkerung angewendet werden können. Dies könnte zu weiterem unüberlegtem Einsatz führen. Ein britischer Befehlshaber erklärte gegenüber Human Rights Watch, dass britische Streitkräfte Streubomben im Irakkrieg 2003 in bewohnten Gebieten achtloser verwendet haben, da nach ihrer Meinung die Selbstzerstörungsmechanismen eine Gefährdung der Zivilbevölkerung ausschließen würden.
  • Selbst modern ausgestattete Streitkräfte werden die Fehlerquote wahrscheinlich nicht ausreichend verringern können. Die Gefahren, die durch den Abschuss von Hunderten oder sogar Tausenden von Submunitionen entstehen, können nicht ausgeschlossen werden.
  • Streubomben mit Selbstzerstörungsmechanismus können gefährliche Blindgänger zurücklassen. Auch der Selbstzerstörungsmechanismus kann versagen. Sogar bei einer Fehlerquote von einem Prozent würde ein einziger Angriff mit Streubomben ungefähr 40 landminenartige Blindgänger zurücklassen.
  • Fehlerquoten sind unter Einsatzbedingungen immer höher als die in Produktions- oder Überwachungstest ermittelten Quoten. Die Raten unter Testbedingungen werden in Kampfsituationen oder operativen Einsätzen kaum erreicht.
  • Die Fehlerquote der in Israel produzierten und 2006 im südlichen Libanon eingesetzten M86 DPICMs wurde von Räumungsexperten als deutlich höher eingeschätzt als die zuvor unter Testbedingungen erreichte Quote von 1 bis 2 %. Dies veranschaulicht, dass Selbstzerstörungsmechanismen nicht die Lösung für das Problem der Streubomben sind.
  • Räumungskommandos stellten fest, dass Submunition mit Selbstzerstörungsmechanismen deutlich schwieriger zu entschärfen ist als Munition, die diese Mechanismen nicht enthält.
  • In der Praxis haben Staaten, die Streubomben besitzen, die Verwendung nicht auf Submunition mit Selbstzerstörungsmechanismus beschränkt. Stattdessen haben sie jegliche der ihnen zur Verfügung stehenden Modelle eingesetzt. Manchmal wird Submunition mit hoher Fehlerquote gemeinsam mit Typen von geringer Fehlerquote in demselben Gebiet verwendet.
  • Es bestehen Zweifel, ob eine „rein technische Lösung“ durchführbar ist und ob dieser Lösungsversuch weltweit möglich ist. Viele Staaten werden den Standpunkt vertreten, dass sie sich diese technischen Verbesserungen nicht leisten können und dass eine auf technischen Voraussetzungen basierende internationale Handhabung nur dem Interesse der wohlhabenden Staaten dient.

„Die Konvention über Konventionelle Waffen ist das einzige effektive Übereinkommen, um über den Einsatz von Streubomben zu verhandeln“

Tatsache ist:

  • Diskussionen im Rahmen der Konvention über Konventionelle Waffen in Bezug auf Streumunition im Jahr 2007 oder später werden kaum zu einem Ergebnis führen. Das Konsensprinzip hat schon über Jahre hinaus viele positive humanitäre Initiativen zum Scheitern verurteilt.
  • Nach 5-jährigen Gesprächen im Rahmen der Konvention über Konventionelle Waffen ist es bis November 2006 nicht gelungen, eine Einigung über eine Regulierung von Antifahrzeugminen zu erzielen, obwohl dieser Vorschlag von einigen der größten Nutzern, Herstellern und Verwahrern dieser Minen, unter ihnen die USA, unterstützt wurde. Viele Vertragsstaaten der Konvention über Konventionelle Waffen betonten, dass eine Einigung innerhalb der Konvention sehr viel schwieriger sei als lediglich eine Einigung in Bezug auf Antifahrzeugminen.
  • Im November 2006 lehnten die Vertragsstaaten einen Vorschlag ab, um mit Verhandlungen über Streubomben zu beginnen. Stattdessen einigten sie sich nur darauf, die Diskussion über explosive Kampfmittelrückstände unter besonderer Berücksichtigung von Streubomben weiterzuführen. Die Fortsetzung der Diskussion innerhalb der Konvention führt bestenfalls zu einer Verlangsamung des sich anbahnenden humanitären Desasters; im schlimmsten Fall ist dies ein weiterer Misserfolg im Rahmen der Konvention über Konventionelle Waffen, sich mit der von Streubomben ausgehenden Gefährdung für die Zivilbevölkerung angemessen zu beschäftigen.
  • Die wichtigsten Nutzer und Hersteller von Streubomben sind diejenigen, die auf weiteren Gesprächen innerhalb der Konvention über Konventionelle Waffen bestehen und nicht auf schnelle Verhandlungserfolge drängen.
  • 46 Ländern haben im Februar 2007 ihre Unterstützung für ein neues internationales Abkommen ab 2008 zum Verbot von Streubomben geäußert. Davon lagern 27 Staaten Streubomben; 17 Staaten sind selbst Hersteller (50% aller produzierenden Länder) der Waffen.
  • Die Konvention über Konventionelle Waffen ist mit 102 Vertragsstaaten (weniger als die Hälfte aller Länder der Welt) noch weit von globaler Akzeptanz entfernt. Sie findet nur geringe Unterstützung unter den Entwicklungsländern, besonders unter den von Streubomben betroffenen Ländern.
  • Wenn ein Staat ernsthaft Zivilisten vor den tödlichen Auswirkungen der Streubomben schützen will, wird er sofort der neuen Initiative Norwegens beitreten. Norwegen strebt ein neues internationales Übereinkommen für das Verbot von Streubomben bis 2008 an.
  • Obwohl einige Nutzer, Hersteller und Besitzer von Streubomben dem neuen Prozess außerhalb der Konvention über Konventionelle Waffen nicht sofort beitreten werden, werden die Verhandlungen über das Übereinkommen neue Richtlinien hervorbringen. Auch das politische Handeln von Staaten, die dem Übereinkommen noch nicht beigetreten sind, wird davon beeinflusst werden, wie dies auch beim Internationalen Vertrag zur Ächtung von Landminen zu beobachten war.

„Protokoll V des Übereinkommens der Konvention über Konventionelle Waffen über explosive Kampfmittelrückstände betrifft auch das Hauptproblem der Streubomben: die Beseitigung gefährlicher Blindgänger“

Tatsache ist:

  • Das Protokoll V des Übereinkommens der Konvention über Konventionelle Waffen über explosive Kampfmittelrückstände genügt nicht, um alle durch Streubomben verursachte humanitäre Probleme zu beheben. Das Protokoll wird das Bewusstsein stärken, dass Kampfmittelrückstände so bald wie möglich beseitigt werden müssen. Auch wird den Nutzern von Waffen, die explosive Kampfmittelrückstände verursacht haben, eine besondere Verantwortung auch für betroffene Gebiete übertragen, die nicht direkt unter ihre Kontrolle fallen. Allerdings behandelt das Protokoll nur die Beseitigung der Waffen nach dem Konflikt. Es beschäftigt sich nicht speziell mit Streubomben und es wird wohl kaum Auswirkungen auf die Verwendung, die Herstellung, den Handel oder die Lagerung von Streubomben haben.
  • Das Protokoll V spricht nicht die Problematik des Einsatzes und der Zielgenauigkeit an. Weder die räumlich weit reichenden Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung während eines Angriffes mit Streubomben noch die technischen Voraussetzungen oder Zuverlässigkeitsrichtlinie werden behandelt.
  • Das Protokoll V ist vage formuliert und enthält viele Einzelkriterien und Doppeldeutigkeiten, so dass entscheidende Auflagen als nicht verpflichtend angesehen werden können.

Stand: März 2007

 
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Paletten von 155mm Artillerie-Geschossen darunter DPICM Clustermunition (Mitte und rechts, mit gelben Markierungen) im Arsenal der einer Artillerie-Einheit der israelischen Armee am 23. Juli 2006 im Norden Israels. Jede DPICM-Hülse enthält 88 Submunitionen. Diese haben eine Blindgängerquote von 14 Prozent. © Human Rights Watch 2006