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Deutschland verschließt die Augen vor den Gräueln

Die Bundesregierung beteuert, die Menschenrechte seien zentral für ihre Außenpolitik. Zehn Jahre nach dem Andischan-Massaker gibt es in Usbekistan offenbar Wichtigeres.

Veröffentlicht in: Die Zeit (in German)

Vor zehn Jahren erschossen Sicherheitskräfte in der Stadt Andischan, im Osten Usbekistans, Hunderte Demonstranten. Das Massaker am 13. Mai 2005 war einer der schlimmsten Massenmorde auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion seit dem Ende des Kommunismus. Es sandte eine Schockwelle um die Welt und warf ein Schlaglicht auf die grausamen Menschenrechtsverletzungen unter Usbekistans autoritärem Präsidenten Islam Karimow, der bis heute im Amt ist.

Da Taschkent sich weigerte, eine unabhängige Untersuchung des Massakers zuzulassen, verhängte die Europäische Union, und damit auch Deutschland, zunächst begrenzte Sanktionen gegen Usbekistan. Doch schon wenige Monate später unternahm Berlin den Vorstoß, die Sanktionen wieder aufzuheben. Die Bundesregierung behauptete, das beste Mittel zur Verbesserung der Menschenrechtslage sei es, mit solchen Regierungen in einen Dialog zu treten; offene Kritik würde zu keinem Erfolg führen.

Die meisten Beobachter sahen Deutschlands Haltung jedoch vielmehr in der kontroversen Entscheidung begründet, dass die Bundesregierung den usbekischen Luftwaffenstützpunkt Termes nutzte, um die deutschen Truppen in Afghanistan zu versorgen – eine Vereinbarung, die bis heute gilt.

Die Bundesregierung beteuert, die Förderung der Menschenrechte sei ein zentraler Bestandteil ihrer Außenpolitik. Doch im Hinblick auf Usbekistan und andere autoritär geführte Staaten steht sie vor einer grundsätzlicheren Frage: Wie fördert man die Menschenrechte und wahrt gleichzeitig wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen? Welche Gefahren drohen, wenn man diese Frage falsch beantwortet, illustriert das vergangene Jahrzehnt deutscher Außenpolitik gegenüber Usbekistan. Doch es zeigt auch auf, wo sich etwas ändern muss.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2005 brachen Bewaffnete in das städtische Gefängnis von Andischan ein und ließen 23 Kaufleute frei, die wegen "religiösem Extremismus" angeklagt waren. Am nächsten Morgen strömten deren Unterstützer und Tausende Unzufriedene auf den Bobur-Platz, um ihrem Unmut über die zermürbende Armut und die staatliche Unterdrückung in UsbekistanLuft zu verschaffen.

Die usbekischen Sicherheitskräfte schossen wahllos in die Menge. Später riegelten Soldaten den Platz ab und eröffneten das Feuer. Sie verletzten und töteten unzählige Zivilisten, die größtenteils unbewaffnet waren. Anschließend durchkämmten Sicherheitskräfte das Gebiet und erschossen am Boden liegende Verletzte.

Ungeachtet dieser Brutalität und des harten Vergehens gegen Menschenrechtler und Augenzeugen des Massakers argumentierte die deutsche Diplomatie mit Frank-Walter Steinmeier als damaligem Außenminister an der Spitze, dass die EU-Sanktionen, einschließlich des Waffenembargos und der Visasperre gegen Schlüsselfunktionäre, nichts weiter bewirkten, als Taschkent vor den Kopf zu stoßen.

Von 2005 bis 2009, dem Jahr, in dem die Sanktionen wieder aufgehoben wurden,zahlte Deutschland für die Nutzung von Termes 67,9 Millionen Euro an Taschkent und setzte damit ein ganz und gar falsches Zeichen, wie eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik aussehen sollte. So erstaunt es auch kaum, dass Berlin versuchte, diese Zahlen zurückzuziehen, nachdem sie im Jahr 2011 an die Öffentlichkeit gelangt waren.

Die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, die Förderung der Menschenrechte in Usbekistan sei ein vorrangiges Ziel ihrer Außenpolitik. Sie rief Menschenrechtsdialoge ins Leben, initiierte Schulungsprogramme und behauptete, man dränge die usbekische Regierung beharrlich dazu, ihre Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder lehnte Angela Merkel es ab, sich mit Präsident Karimow zu treffen.

Es ist eine bittere Ironie, dass der einzige Punkt, in dem deutsche Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen sich weitgehend einig sind, die Feststellung ist, dass sich die Menschenrechtslage in Usbekistan im zurückliegenden Jahrzehnt nicht verbessert oder sogar verschlechtert hat. Im Außenministerium argumentiert man, es sei schwierig, derart isolierte und autoritäre Regierungen zu beeinflussen. Wenn es der Bundesregierung jedoch wirklich um die Menschenrechte geht, muss sie sich der Frage stellen, warum ihre Politik in dieser Frage gescheitert ist.

Für Human Rights Watch ist es nicht mehr möglich, in Usbekistan zu arbeiten. Dennoch erhielt ich im November ein Einreisevisum – offenbar ein Versuch, Fortschritte bei den Menschenrechten vorzuspiegeln. Was ich bei meinen Gesprächen mit den wenigen Menschenrechtlern erfuhr, die trotz ständiger Schikanen noch arbeiten können, war niederschmetternd: Die unabhängigen Medien und die politische Opposition sind vollständig zum Schweigen gebracht worden, in den Baumwollfeldern des Landes herrscht Zwangsarbeit, und Kritiker werden verhaftet und gefoltert.

Ich erinnere mich noch lebhaft an mein Treffen mit Osoda Jakubowa, deren Ehemann Asam Farmonow, ein inhaftierter Menschenrechtler, im Gefängnis mit einer geschlossenen Gasmaske gefoltert worden war, die Ersticken simulieren sollte. Osoda hatte gehofft, man werde ihren Mann in diesem Frühjahr nach neun Jahren Haft endlich entlassen. Doch nun deutet alles darauf hin, dass seine Haftdauer wegen fingierter "Verstöße gegen Gefängnisregeln" verlängert wird.

Internationaler Druck kann Wirkung zeigen

Die Kritiker des dialogorientierten Ansatzes in der deutschen Außenpolitik gelangen üblicherweise zu dem Schluss, dass Berlin die Menschenrechte für weniger wichtig erachtet als die Kooperation mit Taschkent, wenn es um die Nutzung von Termes und andere sicherheitspolitische Fragen geht. Deutschlands Unwille, der Führung in Taschkent mit handfesten Konsequenzen zu drohen, falls sie ihre Menschenrechtsbilanz nicht verbessert, erlaubt es Usbekistan, sich gegenüber mahnenden Worten aus Berlin gleichgültig zu zeigen.

Konzertierter internationaler Druck auf Usbekistan kann jedoch Wirkung zeigen. Dass Taschkent im Jahr 2013 entschied, weniger Kinder zur alljährlichen Baumwollernte auf die Felder zu schicken, war ein Ergebnis des Drucks, der von Nichtregierungsorganisationen ausging. Einige Regierungen stützten dieses Vorgehen mit Handelseinschränkungen und drohten mit anderen Sanktionen.

Deutschland könnte nicht nur einen konsequenteren Kurs in seinen bilateralen Beziehungen einschlagen, sondern auch gemeinsam mit anderen EU-Staaten darauf hinwirken, dass der UN-Menschenrechtsrat einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Usbekistan ernennt. Dies würde dazu führen, dass Usbekistan zu seiner katastrophalen Menschenrechtsbilanz öffentlich Stellung nehmen müsste, was die Regierung um jeden Preis verhindern will.

Die Bundeswehr hat ihr Engagement in Afghanistan bereits deutlich reduziert. Die Bundesregierung muss jetzt endlich entscheiden, ob der Schutz der Menschenrechte tatsächlich ein Kernelement ihrer Beziehung zu Taschkent ist. Wenn dem so ist, muss Berlin handeln. Heute, zehn Jahre nach Andischan, ist es höchste Zeit dafür.

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